Amtsgericht Backnang Beschluss, 09. Okt. 2012 - 2 BWL 554/10

published on 09/10/2012 00:00
Amtsgericht Backnang Beschluss, 09. Okt. 2012 - 2 BWL 554/10
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Gericht

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Tenor

1. Der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird abgelehnt.

2. Die Bewährungszeit wird um ein Jahr, also bis zum 11.05.2014 verlängert. Bis zum Ablauf der nunmehr verlängerten Bewährungszeit bleibt der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der zuständigen Bewährungshelferin unterstellt.

3. Die im Bewährungsbeschluss vom 12.05.2010 festgesetzte Arbeitsauflage bleibt aufrechterhalten mit der Maßgabe, dass bereits 16,2 Stunden abgeleistet sind.

4. Dem Verurteilten wird aufgegeben, jeden auch nur vorübergehenden Wohnsitzwechsel dem Gericht unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen.

Gründe

 
I.
Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Backnang vom 12.05.2010 (2 Cs 63 Js 82311/09) wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 04.11.2009 (5 Ds 95 Js 86269/08) und unter Auflösung der dort festgesetzten Gesamtstrafe die Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verhängt.
Während dieser Bewährungszeit ist der Verurteilte erneut und in erheblichem Umfang straffällig geworden. Er wurde deshalb vom Amtsgericht Waiblingen unter dem Aktenzeichen 5 Ds 95 Js 3445/11 am 21.12.2011 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 10 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung und einem Vergehen gegen das Waffengesetz, wegen Sachbeschädigung, wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, wegen Hausfriedensbruchs, wegen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Bedrohung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, wegen Bedrohung, wegen vorsätzlichen verbotenen Führens einer Schusswaffe, wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall, wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Strafaussetzung zur Bewährung wurde nicht mehr bewilligt. Die Entscheidung ist seit dem 04.04.2012 rechtskräftig, nachdem der Verurteilte ein zunächst eingelegtes Rechtsmittel noch vor Berufungsverhandlung zurückgenommen hat. In dem neuerlichen Strafverfahren befand sich der Verurteilte etwas mehr als ein Jahr in Untersuchungs- bzw. später dann in Strafhaft.
Im Urteil des Amtsgerichts Waiblingen ist festgestellt, dass der Angeklagte seinerzeit sei zwei Jahren kokainabhängig war und die Taten, die dort abzuurteilen waren, zumindest teilweise auf der Drogenabhängigkeit beruhten. Ein Therapieversuch hatte bis dahin noch nicht stattgefunden.
Am 30.04.2012 wurde der Angeklagte aus der Haft entlassen und begab sich zu Therapiezwecken in eine Tagesklinik. Zuvor war die Vollstreckung des Strafrestes gem. § 35 BtMG zurückgestellt worden. Die Therapieeinrichtung hat dem Verurteilten bescheinigt, dass die Therapie voraussichtlich am 15.10.2012, mithin sechs Tage nach dem nunmehr durchgeführten Anhörungstermin, abgeschlossen sein wird.
Aufgrund der neuerlichen Straffälligkeit des Verurteilten hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragt, die ihm im Urteil vom 12.05.2012 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen. Der Verurteilte hatte im Rahmen des Anhörungstermins vom 09.10.2012 Gelegenheit, sich zum Widerrufsantrag zu äußern, wovon er auch Gebrauch machte.
II.
Der Widerrufsantrag war abzulehnen. Eine Verlängerung der Bewährungszeit erscheint ausreichend.
Gem. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Diese Widerrufsvoraussetzung liegt bei dem Angeklagten vor. Er ist während der laufenden Bewährungszeit vielfach und auch massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Das Gericht sieht jedoch gem. § 56 f Abs. 2 Nr. 2 von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern. Dies ist vorliegend der Fall. Der Verurteilte, bei dem zum Zeitpunkt der strafrechtlichen Verurteilungen ein nicht bewältigtes Drogenproblem vorlag, hat sich nunmehr erstmals einer Therapie unterzogen. Deren Verlauf hat das Gericht abgewartet. Ist eine Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt, so ist es zulässig, zuzuwarten (vgl. Fischer, § 56 f StGB Rndnr. 19).
Die Therapie war bis auf einen Rest von sechs Tagen zum Zeitpunkt der Anhörung abgeschlossen. Zu Problemen kam es während der Therapie soweit ersichtlich nicht, insbesondere ist der Verurteilte weder rück- noch abermals straffällig geworden. Nach dem der Verurteilte seine Drogentherapie nahezu vollständig durchgestanden hat, ist eine Sachlage gegeben, die die Annahme rechtfertigt, dass sich der Verurteilte auch ohne die abermalige Einwirkung durch den Strafvollzug künftig straffrei führen wird. Rückfallstraftaten Drogenabhängiger stehen einer günstigen Sozialprognose nicht zwingend entgegen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Einzelfall nachträglich günstig zu beeinflussen. Besteht aufgrund derartiger neuer Umstände eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verurteilte von Straftaten Abstand nehmen und ein geordnetes Leben führen wird, so stellen auch mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung gem. § 56 f Abs. 2 StGB eine angemessene Reaktion auf das Bewährungsversagen dar (OLG Jena, Beschluss vom 19.06.2006, 1 Ws 203/06).
10 
Therapeutische Maßnahmen zur Heilung der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln sind in der Regel als günstige Möglichkeit der Wiedereingliederung Drogenabhängiger in die Gesellschaft anzusehen, wenn die Drogenabhängigkeit des Verurteilten noch nicht lange andauert, die Verbüßung von Freiheitsstrafe erstmalig bevorsteht und stationäre Langzeittherapien bislang nicht stattgefunden haben (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1998, 215). Vorliegend bestand bei dem 1974 geborenen Angeklagten etwa zwei Jahre lang eine Kokainabhängigkeit. Diese Zeit der Abhängigkeit ist verglichen mit einer Vielzahl anderer Fälle als eher kurz anzusehen, und eine Langzeittherapie hat bislang nicht stattgefunden. Darüber hinaus befand sich der Angeklagte erstmals in Untersuchungs- bzw. in Strafhaft, und es ist nicht ersichtlich, dass ihn diese Zeit vollkommen unbeeindruckt gelassen hat. Vielmehr hat diese wohl auch einen Teil dazu beigetragen, dass er den für den Erfolg der Therapie erforderlichen Therapiewillen aufbringen konnte.
11 
Diese Umstände rechtfertigen es, trotz der erheblichen neuerlichen Straffälligkeit während laufender Bewährungszeit vom Widerruf abzusehen. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 25.04.2008 (2 Ws 164/08) entschieden, dass das Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung gerechtfertigt ist, wenn der Verurteilte erstmals ernsthaft eine Betäubungsmitteltherapie begonnen hat. Genügt nach dieser Auffassung, der das erkennende Gericht folgt, bereits der Beginn einer Betäubungsmitteltherapie, um ein Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung zu rechtfertigen, so muss dies erst recht dann gelten, wenn, wie hier, die Therapie bis auf ein Rest von wenigen Tagen nahezu vollständig abgeschlossen ist.
12 
Nach alledem war der Widerrufsantrag abzulehnen und stattdessen als milderes Mittel die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern. Zur weiteren Stabilisierung der allgemeinen Lebensverhältnisse des Angeklagten wurde er für die verlängerte Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung der zuständigen Bewährungshelferin unterstellt.
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so k

Annotations

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.