Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 5. Dez. 2024 - IX ZR 122/23 von Dirk Streifler

originally published: 05.11.2025 15:16, updated: 05.11.2025 15:17
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 5. Dez. 2024 - IX ZR 122/23 von Dirk Streifler
Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 5. Dez. 2024 - IX ZR 122/23

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

A. Einordnung und Tragweite

Mit Urteil vom 5. Dezember 2024 – IX ZR 122/23 konkretisiert der IX. Zivilsenat das seit der Reform 2017 neu gefasste Tatbestandsmerkmal der „Unlauterkeit“ in § 142 Abs. 1 InsO. Kernbotschaft: Das Bargeschäftsprivileg bleibt der Regelfall; eine Anfechtung wegen unlauteren Handelns ist der enge Ausnahmefall und verlangt mehr als die (ansonsten für § 133 InsO erforderliche) Benachteiligungsabsicht. Der Senat grenzt zugleich scharf gegen ältere, weitergehende Lesarten ab, die bereits die verlustträchtige Fortführung des Betriebs als unlauter qualifizieren wollten. 

B. Sachverhalt, Prozessgeschichte, Tenor

Die spätere Insolvenzschuldnerin (B. GmbH & Co. KG) arbeitete dauerhaft unrentabel. Ein Kommanditist erbrachte Bauleitungs‑/Baubetreuungsleistungen, die monatlich abgerechnet und innerhalb von ca. 30 Tagen bezahlt wurden. Parallel bestanden fällige Lieferantenforderungen und Liquiditätsengpässe; ein Gesellschafter‑Cash‑Call blieb aus. LG gab der Anfechtung überwiegend statt; OLG Naumburg wies die Klage bzgl. zweier Zahlungen unter Hinweis auf § 142 InsO ab. Der BGH bestätigte: Bargeschäft (+) und keine Unlauterkeit (–); die Revision des Verwalters blieb ohne Erfolg. 

C. Rechtlicher Rahmen – § 142 InsO nach der Reform 2017

Seit 2017 ist ein Bargeschäft nur noch anfechtbar, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1–3 InsO vorliegen und der Empfänger erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. Der Begriff der Unlauterkeit erhält damit eigenständigen Regelungsgehalt neben § 133 InsO; bloßes Wissen um die allgemeine Gläubigerbenachteiligung reicht nicht. Der Senat stützt sich ausdrücklich auf die Gesetzesbegründung (BT‑Drs. 18/7054) und die ältere Rechtsprechung zur Benachteiligungsabsicht nach § 31 Nr. 1 KO. 

D. Zentrale Rechtssätze des BGH

1.     Definition der Unlauterkeit.
Unlauter handelt der Schuldner bei einem Bargeschäft nur, wenn es weniger um die Abwicklung eines Bargeschäfts geht als vielmehr um ein gezielt gläubigerschädigendes Verhalten. Das kann vorliegen, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 133 InsO das Bargeschäft zur gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger eingesetzt oder der Empfänger gezielt bevorzugt wird (z. B. Zahlung, um einen Insolvenzantrag zu verhindern). 

2.     Kein Automatismus bei Verlustbetrieben.
„Unlauter“ ist nicht bereits, wer trotz erkannter Verlustlage betriebsnotwendige Leistungen gegen marktgerechte Gegenwerte bezieht und bezahlt. Die fortlaufende Unrentabilität allein begründet keine Unlauterkeit. 

3.     Beispiele und Leitplanken.
Unlauterkeit kann insbesondere vorliegen:
– bei Ausgaben für flüchtige Luxusgüter oder dem Abstoßen betriebsnotwendiger Vermögenswerte, um Gegenwerte dem Gläubigerzugriff zu entziehen;
– bei Zahlungen zur Abwendung eines Insolvenzantrags;
– bei bargeschäftlichen Zahlungen im unmittelbaren Vorfeld eines als unabwendbar erkannten und beabsichtigten Insolvenzantrags;
– bei Sanierungsberatungen für ersichtlich untaugliche Konzepte. 

4.     Zeitlicher Zusammenhang & Gleichwertigkeit.
Ein Bargeschäft verlangt einen engen zeitlichen Zusammenhang (hier: ca. 30 Tage bei Monatsabrechnung) und objektive Gleichwertigkeit der Leistungen – bewertet ohne Sondermaßstab für den kriselnden Abnehmer. Zweck des § 142 InsO ist die Ermöglichung fortlaufender Teilnahme am Rechtsverkehr in der Krise. 

5.     Kenntnis des Empfängers.
Für die Durchbrechung des Bargeschäftsprivilegs verlangt § 142 Abs. 1 InsO außerdem, dass der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte – also mehr als bloß erkannte Zahlungsprobleme. 

E. Anwendung im Fall

Die Zahlungen an den Kommanditisten standen im laufenden Austausch für betriebsnotwendige Bauleitungsleistungen, wurden zeitnah beglichen und waren gleichwertig. Zwar lagen die Voraussetzungen des § 133 InsO (Vorsatz und Kenntnis) dem Grunde nach vor; Unlauterkeit verneinte der BGH aber mit Blick auf den Schutzzweck des § 142 InsO und die fehlenden Anhaltspunkte für ein gezielt schädigendes oder gezielt bevorzugendes Vorgehen. Ergebnis: keine Anfechtung nach § 130 oder § 133 InsO. 

F. Ist die Entscheidung richtig? – Bewertung

Die Entscheidung ist dogmatisch sauber und praxisgerecht. Sie respektiert die gesetzgeberische Zielsetzung, die Rechtsbeständigkeit von bargeschäftlichen Austauschleistungen in der Krise zu stärken, und lässt nur dort eine Anfechtung zu, wo Bargeschäfte instrumentalisiert werden, um gezielt zu schädigen oder zu bevorzugen. Zugleich ordnet der Senat die zersplitterte Diskussion in Literatur und Instanzrechtsprechung (teils „keine Änderung“, teils „dolus‑directus‑Erfordernis“, teils „Insolvenzverschleppung = unlauter“) und weist Überdehnungen zurück. 

G. Praxisfolgen – „Checkliste“ für Berater:innen

Für Insolvenzverwalter:innen

·       Unlauterkeit gezielt darlegen: Motivlage und Zielrichtung der Zahlung belegen (z. B. Abkauf eines Insolvenzantrags, „Gefälligkeitszahlungen“, Luxus‑/Nicht‑Betriebsausgaben, Entzug von Gegenwerten).

·       Kenntnis des Empfängers von der Unlauterkeit beweisen (Kommunikation, Drucksituationen, Absprachen). Pauschaler Verweis auf Verluste genügt nicht. 

Für Lieferanten/Dienstleister (Krisenumfeld)

·       Bargeschäftssichere Abwicklung organisieren: zeitnaher Austausch, marktgerechte Preise, betriebsnotwendige Leistungen.

·       Vorsicht bei Sonderkonstellationen: Zahlungen gegen Unterlassung eines Insolvenzantrags, Vorfeld‑Deals kurz vor einem erkannten, beabsichtigten Antrag oder „Luxus‑/Nicht‑Betriebsleistungen“ bergen Anfechtungsrisiken. 

Für CFOs/Organe

·       Dokumentieren, warum Zahlungen betrieblich erforderlich und gleichwertig waren.

·       Abkauf‑Situationen“ und Entzugshandlungen vermeiden; diese werden künftig besonders kritisch gewürdigt. 

H. Kontroversen & offene Punkte

Weiter diskutiert werden dürfte die Grenzziehung bei Sanierungsberatungen (wann „untauglich“?) sowie die Evidenzanforderungen an das Erkennen der Unlauterkeit durch den Empfänger. Ebenso bleibt die zeitliche Klammer ein Einzelfallthema (wie eng ist „eng“?). Die Entscheidung stellt aber robuste Leitplanken bereit, an denen sich Instanzgerichte orientieren können. 


Kurzfazit

Bargeschäfte bleiben geschützt. Unlauter ist nur, was gezielt schädigt oder bevorzugt. Wer betriebsnotwendige Leistungen im zeitnahen Austausch zu marktgerechten Konditionen bezieht und bezahlt, kann sich auf § 142 InsO verlassen – selbst im Verlustbetrieb. „Unlauterkeit“ ist die Ausnahme und verlangt konkrete Indizien für eine Zweckentfremdung des Bargeschäfts.

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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Tei

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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.

(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.

(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.