Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2025 - IX ZR 32/24 von Dirk Streifler

published on 04.11.2025 10:50
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2025 - IX ZR 32/24 von Dirk Streifler
Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2025 - IX ZR 32/24

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

A. Entscheidung und Einordnung

Mit BGH, Urt. v. 31. 7. 2025 – IX ZR 32/24 präzisiert der IX. Zivilsenat die Schenkungsanfechtung im Steuerkontext: Zahlungen auf Steuerbescheide oder Steueranmeldungen sind im Grundsatz entgeltlich, weil der Schuldner dadurch eine eigene öffentlich‑rechtliche Verpflichtung erfüllt (Abführungspflicht/Haftung). Ein Ausnahmefall der Unentgeltlichkeit liegt nur vor, wenn der Schuldner selbst eine von der Rechtslage offenkundig abweichende Steuerpflicht begründet oder bestandskräftig werden lässt. Damit korrigiert der Senat Missverständnisse aus älteren Stimmen und Entscheidungen, die die bloß subjektive Annahme einer Steuerpflicht genügen lassen wollten. 

B. Sachverhalt in Kürze

Ein gemeinnütziger Verein hatte mehreren nahestehenden Personen sehr hohe „Gehälter“ gezahlt und hierzu Lohnsteuerangemeldet und abgeführt; zudem wurden Umsatzsteuer‑Voranmeldungen im Zusammenhang mit einer Maklerrechnung erstattet. Der Insolvenzverwalter nahm das Land (Finanzamt) auf Rückzahlung nach § 134 InsO in Anspruch. LG und OLG gaben der Klage teilweise statt. Der BGH bestätigt die Rückgewähr bezüglich der Lohn‑/Annexsteuern für vier Personen (mangels realer Arbeitsleistung), hebt im Punkt Umsatzsteuer auf und verweist zurück, weil die Vorinstanz zu sehr auf die bloße Zweifel‑/Überzeugungslage des Schuldners abgestellt hatte. 

C. Leitsätze und zentrale Rechtssätze

  1. Grundsatz – Entgeltlichkeit: Die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Steuerbescheiden und Steueranmeldungen ist grundsätzlich nicht als unentgeltliche Leistung i.S.v. § 134 InsO anfechtbar –auch dann, wenn sich ex post zeigt, dass die Steuer materiell‑rechtlich nicht entstanden war. Tragend ist die Erfüllung eigener öffentlich‑rechtlicher Pflichten (Abführung/Haftung), die gesetzlich auf Ausgleich angelegt sind. 
  2. Ausnahme – Offenkundige Nichtschuld durch Mitwirkung: Unentgeltlichkeit kommt nur in Betracht, wenn der Schuldner durch eigene Steueranmeldung oder sein Verhalten im Festsetzungsverfahren eine bestandskraftfähige Steuerpflicht herbeiführtobwohl nach objektiver Würdigung offenkundig und ohne ernsthafte Zweifel keine Steuer entsteht. Dann liegt eine auf Kosten der Gläubigergesamtheit freigebige Leistung vor. 
  3. Korrektur älterer Lesarten: Soweit der Eindruck bestand, schon die subjektive Annahme des Schuldners, er sei steuerpflichtig, genüge, hält der Senat daran nicht fest; es bedarf einer objektiven Evidenz der Nichtschuld und einer aktiven Mitwirkung des Schuldners an der Fehlfestsetzung. 

D. Begründungsnukleus des Senats

Der BGH knüpft dogmatisch an § 134 InsO (weit verstandener Leistungsbegriff) und an die Systematik des Steuerrechts an:
– Der Arbeitgeber erfüllt bei Lohnsteuer eine eigene Abführungs‑/Haftungspflicht (§ 41a EStG; § 42d EStG; § 168 AO); die Entgeltlichkeit folgt schon aus der gesetzlichen Schuldbefreiung durch Zahlung. Dass der „Lohn“ im Verhältnis zum Arbeitnehmer überzogen oder sogar rechtsgrundlos gewesen sein mag, ändert daran im Verhältnis zum Finanzamt nichts. 
– Anders liegt es, wenn der Schuldner den Bereich objektiver Ungewissheit verlässt und offenkundig falsche Steueranmeldungen bzw. offenkundig unrichtige Bescheide selbst herbeiführt bzw. unangefochten lässt (etwa Scheinarbeitsverhältnisse). In diesen Konstellationen ist die zugrunde liegende Verpflichtung unentgeltlich begründet– die hierauf geleistete Zahlung ist nach § 134 InsOanfechtbar

E. Anwendung im konkreten Fall

Für die vier benannten Personen bejaht der Senat das Ausnahmefenster: Die Lohnsteueranmeldungen standen nach den Feststellungen offenkundig im Widerspruch zur Rechtslage, weil keine reale Arbeitsleistung vorlag. Demgegenüber genügten beim Umsatzsteuer‑Komplex die Feststellungen nicht: Die Vorinstanz hatte maßgeblich auf Zweifel des Schuldners abgestellt; das reicht nicht. Es bedarf Feststellungen dazu, ob objektiv evident keine Umsatzsteuerschuld entstehen konnte und der Schuldner diese trotzdem durch sein Verhalten bestandskraftfähig gemacht hat. 

F. Passt das? – Bewertung

Die Entscheidung ist dogmatisch konsequent und praxisgerecht. Sie schützt die Bestandskraft von Steueranmeldungen/‑bescheiden und vermeidet, dass Insolvenzverwalter das Insolvenzanfechtungsrecht zur nachträglichen „Steuerkontrolle“ benutzen. Zugleich bleibt ein enger Korrektivkanal offen, wenn der Schuldner offenkundig Nichtgeschuldetes bestandskräftig macht – typischerweise bei Scheingeschäften oder Scheinanmeldungen. Die Evidenz‑ und Mitwirkungsschwelle ist hoch, aber richtig: Nur so lassen sich die Funktionslogik des Steuerrechts und der Gläubigerschutz der InsO austarieren. 

G. Verhältnis zu Vorjudikatur und Literatur

Der Senat schließt an die ältere Linie an, wonach Leistungen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen grundsätzlich entgeltlich sind, und präzisiert zugleich die Ausnahmeformel (Vergleich mit der Rechtsprechung zur Anfechtung von Vergleichen: Unentgeltlichkeit nur bei Verlassen des objektiven Zweifelsspielraums). Deutlich grenzt er sich von Stimmen ab, die jede materiell fehlerhafte Steueranmeldung in den Unentgeltlichkeitsbereich rücken wollten; er betont die Bestandskraftfähigkeit von Anmeldungen/Bescheiden und die primären Korrekturwege (Einspruch, Änderung). 

H. Praxisfolgen – Was lernen wir?

Für Insolvenzverwalter:innen: Ein Anspruch nach § 134 InsO gegen das Finanzamtträgt nur bei nachweislich offenkundiger Nichtschuld und aktiver Mitwirkung des Schuldners an der Fehlfestsetzung/‑anmeldung. Es genügt nicht, im Nachhinein die materielle Rechtslage anders zu sehen. Beweismittel: Scheinarbeitsverträge, interne Kommunikation, Prüfungsberichte, unterlassene Einsprüche trotz „glasklarer“ Aktenlage. 
Für Steuerberater:innen/Organe: In der Krise keine „Sicherheitsanmeldungen“ ohne belastbare Grundlage; bei Zweifeln Korrektur‑ und Rechtsbehelfswege nutzen (§ 153 AO; Einspruch). Wer offenkundig Unrichtiges anmeldet oder bestandskräftig werden lässt, setzt sich Rückgewähr‑ und ggf. Haftungsrisiken aus. 
Für Finanzämter: Die Entscheidung stärkt die Anfechtungsfestigkeit üblicher Steuerzahlungen – auch wenn später Überzahlungen sichtbar werden; Rückgewähr droht nur im eng umrissenen Evidenzfall

I. Offene Punkte und Gegenmeinungen

Diskutiert werden wird die Kontur der „Offenkundigkeit“: Wo verläuft die Grenze zwischen vertretbarer Fehlbewertung (kein § 134 InsO) undevident falscher Anmeldung (Anfechtbarkeit)? Einzelne Stimmen hatten für weiter gefasste Anfechtungsmöglichkeiten plädiert; der BGH schiebt dem eine Absage zu. Für die Umsatzsteuer bleibt nach der Zurückverweisung offen, welche konkreten Kriterien die Instanzgerichte künftig zur Evidenzfeststellung heranziehen (z. B. eindeutige Sitz‑/Leistungsort‑Konstellationen, Dokumentlage). 


Kurzfazit

Steuerzahlungen sind nicht der „Königsweg“ der Schenkungsanfechtung. Wer nach § 134 InsO gegen den Fiskus vorgehen will, braucht denseltenen Evidenzfall: eine durch eigene Mitwirkung des Schuldners offenkundig falsch begründete Steuerpflicht. Alles andere gehört ins Steuerverfahren, nicht ins Anfechtungsrecht.

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(1) Anfechtbar ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. (2) Richtet sich die Leistung auf ein gebräuchliches Gelegenheitsg

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(1) Anfechtbar ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden.

(2) Richtet sich die Leistung auf ein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Werts, so ist sie nicht anfechtbar.