Zwangsweises Entsperren eines Smartphones per Fingerabdruck – Anmerkung zum BayObLG, Beschl. v. 29. Juli 2024 – 201 StRR 49/24
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Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss, 29. Juli 2024 - 201 StRR 49/24
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 11.03.2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 14.12.2023 wegen Computerbetrugs in vier Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Computerbetrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Das Landgericht hat mit Urteil vom 11.03.2024 die Berufung als unbegründet verworfen.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, die er mit der Verletzung materiellen Rechts begründet hat. [...]
II.
Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache. Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, der dem Senat weder die Nachprüfung erlaubt, ob der Angeklagte zu Recht wegen Computerbetrugs und versuchten Computerbetrugs verurteilt wurde, noch ob er sich wegen (versuchter) Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) schuldig gemacht hat.
1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, weil die getroffenen Urteilsfeststellungen lückenhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) sind:
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte eine von ihm aufgefundene EC-Karte für das Konto von M. bei der S-Bank aufgrund jeweils neu gefasster Tatentschlüsse im Juli 2023 in jeweils zwei Fällen bei den Discountern A. und N. in X zur Bezahlung von Einkäufen in Höhe von 16,40 Euro, 16,56 Euro, 7,67 Euro und 9,45 Euro verwendet. In einem weiteren Fall am 27.07.2023 versuchte er, mit der inzwischen gesperrten Karte bei der genannten Filiale der Firma A. einen Einkauf in Höhe von 23,40 Euro zu bezahlen, was jedoch nicht gelang.
b) Das Landgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte die EC-Karte unter Eingabe einer PIN verwendet hat oder ob die Bezahlung beim Einkauf jeweils kontaktlos erfolgte. Auch in einer Gesamtschau der Urteilsgründe sind die genauen Zahlungsmodalitäten nicht erkennbar, sodass dem Senat die rechtliche Überprüfung anhand der Urteilsfeststellungen nicht möglich ist.
aa) Sollte der Angeklagte die aufgefundene EC-Karte bzw. Girocard bei der elektronischen Bezahlung von Waren mit Eingabe der dazugehörigen PIN benutzt haben, ist der Tatbestand des § 263a Abs. 1 StGB in der Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt. Das POS-System ("Point of Sale") ermöglicht das elektronische Bezahlen von Waren oder Dienstleistungen an automatisierten Kassen mittels der Girocard bzw. Debitkarte. An einem Zahlungsvorgang über ein POS-System nehmen der Karteninhaber, das am System angeschlossene Vertragsunternehmen (etwa ein Händler) sowie der Kartenemittent teil. Der Karteninhaber autorisiert einen Zahlungsvorgang durch das Einführen der Karte am POS-Terminal und die Eingabe der dazugehörigen PIN. Das kartenausgebende Institut überprüft die Korrektheit der Daten und die Wahrung des Verfügungsrahmens. Bei einem wirksam autorisierten Zahlungsvorgang übernimmt der Kartenemittent gegenüber dem Vertragsunternehmen (z.B. Händler) ein Zahlungsversprechen, das überwiegend als abstraktes Schuldversprechen i.S.d. § 780 BGB qualifiziert wird. Aufgrund des vertraglichen Verbots der Weitergabe der Geheimzahl (PIN) kann eine wirksame Autorisierung des Zahlungsvorgangs nur durch den berechtigten Karteninhaber persönlich erfolgen. Eine Strafbarkeit ist demnach zu bejahen, wenn der Täter im Rahmen eines POS-Zahlungsvorgangs eine gefälschte bzw. manipulierte Karte verwendet oder wenn er die Karte (nebst PIN) vom Karteninhaber im Wege der verbotenen Eigenmacht erlangt hat (vgl. zum Ganzen MüKo/Hefendehl/Noll StGB 4. Aufl. § 263a Rn. 107f.; Schumann/Mosbacher/König/Nadeborn Medienstrafrecht 1. Aufl § 263a StGB Rn. 24, LK/Tiedemann/Valerius StGB 12. Aufl. § 263a Rn. 52; LG Heilbronn StraFo 2022, 120).
bb) Wurde die gefundene EC-Karte bzw. Girocard beim Einkaufen durch den Angeklagten ohne PIN mittels NFC (Near Field Communication) verwendet, also kontaktlos bezahlt, kommt eine Verurteilung wegen Computerbetrugs nach § 263a Abs. 1, 3. Variante StGB (unbefugte Verwendung von Daten) nicht in Betracht. Beim kontaktlosen Bezahlen werden die auf der Karte gespeicherten Daten, der Rechnungsbetrag und Daten zum Zahlungsempfänger an die Autorisierungszentrale des kartenausgegebenen Kreditinstituts übermittelt, wo ein Computer überprüft, ob die Girocard in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von einer PIN-Abfrage im konkreten Fall vorliegen (Göhler, Kontaktloses Bezahlen mit der Girocard (k) eine Herausforderung für das Strafrecht, JR 2021, 6, 8). Anders als in den Fällen, in denen der Bankcomputer die PIN vom Kartenverwender anfordert, wird hierbei die Berechtigung desjenigen, der den elektronischen Zahlungsvorgang durch Vorhalten der Karte vor das Lesegerät auslöst, gerade nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 ZAG überprüft, so dass eine Strafbarkeit nach § 263a StGB regelmäßig nicht gegeben ist. Eine Verwendung von Daten ist nach der vorzunehmenden betrugsspezifischen Auslegung nämlich nur dann "unbefugt", wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte (OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2020 – 4 RVs 12/20 = WM 2020, 1674 = wistra 2021, 84 = ZIP 2021, 342 = NStZ 2020, 673, 674 m. Anm. Kudlich JA 2020, 710 und Christoph/Dorn-Haag NStZ 2020, 676). Da aber bei einer derartigen Zahlungsabwicklung das Kassenpersonal durch den Angeklagten nicht getäuscht wird (vergleiche hierzu nachfolgend IV. 1.), kommt auch eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nicht in Betracht.
2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch keine Änderung des Schuldspruchs dahingehend, dass sich der Angeklagte der (versuchten) Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) schuldig gemacht hat.
Auch wenn man insoweit anhand der getroffenen Feststellungen den objektiven Tatbestand bejaht (vgl. OLG Hamm a.a.O.), erlauben diese nicht den erforderlichen Rückschluss auf eine beim Angeklagten vorhandene Nachteilszufügungsabsicht. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands der Urkundenunterdrückung muss der Kartenverwender nicht nur die Vorgänge der kontaktlosen Karten-Zahlung in seiner Laiensphäre nachvollziehen und insoweit vorsätzlich handeln, sondern er muss auch in der Absicht handeln, einem anderen Nachteil zuzufügen. Diese Absicht, die den tatrichterlichen Feststellungen nicht zu entnehmen und schon gar nicht beweiswürdigend unterlegt ist, erfordert das Bewusstsein, dass notwendige Folge der Tat der Nachteil des Berechtigten ist, mit der Datenurkunde keinen Beweis mehr führen zu können (Göhler a.a.O. S. 21f.). Konkret muss der Kartenverwender also wissen, dass der Karte bzw. ihrem Einsatz in Bezug auf die genannten Daten eine potentielle Beweisbedeutung zukommt, die sich jederzeit realisieren kann, und er muss die Beeinträchtigung eines sich darauf beziehenden Beweisführungsrechts des berechtigten Karteninhabers bzw. der Bank als notwendige Folge seines Handelns erkennen (OLG Hamm a.a.O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB 30. Aufl. § 274 Rn. 15). Die Erkenntnis, dass durch den Einsatz der Karte irgendeinem Beteiligten ein Vermögensschaden entsteht, reicht nicht aus.
3. Infolge der unzureichenden Feststellungen bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
III.
Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Fehler war das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen, (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 StPO) aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht in objektiver und subjektiver Hinsicht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass bei den jeweiligen Bezahlvorgängen eine PIN-Abfrage nicht erfolgt ist, wird eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB regelmäßig nicht in Betracht kommen. Der Händler erlangt im Fall des kontaktlosen Bezahlens unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank in Höhe des autorisierten Betrags, gerade auch dann, wenn ein Nichtberechtigter die Karte verwendet und die kartenausgebende Bank auf die Abfrage der PIN verzichtet hat. Es fehlt damit schon mangels Täuschung des Angeklagten über seine Berechtigung zur Verwendung der Karte und mangels damit korrespondierenden Irrtums des Kassenpersonals an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 263 Abs. 1 StGB (OLG Hamm a.a.O.; Göhler a.a.O. S. 9ff.).
2. Der neue Tatrichter wird, sollten keine Feststellungen dahingehend möglich sein, dass der Angeklagte das Beweisführungsrecht der Karteninhaberin beeinträchtigen wollte, zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte wegen folgender Delikte strafbar gemacht hat:
a) Es kommt eine Strafbarkeit nach § 303a Abs. 1 StGB in Betracht. Für den Datenbegriff im Sinne von § 303a StGB ist es unerheblich, ob die Daten besonders gesichert oder beweiserheblich sind (BeckOK/Weidemann StGB 61. Ed. 01.05.2024 § 303a Rn. 3). Für das Unterdrücken von Daten reicht es aus, wenn diese vorübergehend dem Zugriff des Berechtigten entzogen werden (BeckOK a.a.O. Rn. 10). Zudem führt die Nutzung der Girocard beim kontaktlosen Bezahlen zur Ergänzung der gespeicherten Informationen zum Verfügungsrahmen und zum vorherigen Einsatz der Karte im NFC-System, womit diese Daten verändert werden (vgl. Göhler a.a.O. S. 22). § 303a Abs. 1 StGB verlangt in subjektiver Hinsicht lediglich dolus eventualis, wobei sich der Vorsatz des Täters im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre auch darauf beziehen muss, dass ein anderer das Nutzungsrecht an den Daten innehat (SK/Hoyer StGB 9. Aufl. 303a Rn. 13).
b) Möglicherweise kann sich der Angeklagte auch wegen Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Dies setzt voraus, dass der Täter die von ihm aufgefundene Karte nicht an den Eigentümer zurückgelangen lassen will. In der (erstmaligen) Verwendung im Bezahlvorgang kann möglicherweise die Manifestation des Zueignungswillens des unberechtigten Kartennutzers nach außen gesehen werden. Es handelt sich auch nicht nur um eine straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus – vgl. BGHSt 35, 152 = NJW 1988, 979), denn es bedarf beim kontaktlosen Bezahlen mit der Karte keiner Eingabe der PIN, sodass sie einen Vermögenswert in sich trägt. Das Wesen der Zueignung besteht darin, dass die Sache oder der in ihr verkörperte Wert dem Eigentümer dauernd entzogen wird, was grundsätzlich auch bei einem elektronischen Datenträger in Betracht kommen kann (vgl. BayObLGSt 1991, 147, 150 = NJW 1992, 1777, 1778).
Ist eine Urkundenunterdrückung durch die Nutzung der Karte erfüllt, tritt § 246 Abs. 1 StGB zurück, da sich die formelle Subsidiarität der Unterschlagung nicht nur auf Eigentums- und Vermögensdelikte bezieht (vgl. BGHSt 47, 243).
3. Hinsichtlich der Strafantragsberechtigung (§§ 246 Abs. 1, 248a, 303a Abs. 1, 303c StGB) wird ggf. zu prüfen sein, wer Geschädigter ist, sofern nicht die Staatsanwaltschaft das besondere öffentlich Interesse an der Strafverfolgung bejahen sollte. Im Falle der kontaktlosen Zahlung dürfen für den Kunden, der den Verlust der Karte oder die missbräuchliche Verwendung unverzüglich anzeigt und die Karte sperren lässt, keine nachteiligen finanziellen Folgen eintreten. Vielmehr hat dann die Bank dafür Sorge zu tragen, dass die Karte nicht mehr missbräuchlich verwendet werden kann. Ansonsten haftet sie für den entstandenen Schaden (§ 675v Abs. 5 BGB).
I. Verfahrenslage und Entscheidungsprogramm
Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen vier Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit versuchtem Computerbetrug verurteilt; das Landgericht verwarf die Berufung. Auf Revision hob das BayObLG das Urteil vollständig auf und verwies zurück. Der entscheidende Darstellungsmangel: Das Landgericht hatte nicht festgestellt, wie bezahlt wurde – mit PIN oder kontaktlos. Ohne diese Tatsachenbasis lässt sich die rechtliche Subsumtion nicht tragen. Genau hier setzt der Senat an und formuliert – im Kern als amtliche Leitsätze – zweierlei: (1) Ohne Feststellung der Zahlungsart sind die Urteilsgründe lückenhaft (§ 267 Abs. 1 S. 1 StPO). (2) Kontaktloses Bezahlen ohne PIN trägt regelmäßig keine Verurteilung nach § 263a Abs. 1 Alt. 3 StGB. (Amtl. LS und Gründe; vgl. die im Wortlaut veröffentlichten Entscheidungsgründe.)
II. Die dogmatische Weichenstellung des BayObLG
1. § 263a Abs. 1 Alt. 3 StGB („unbefugte Verwendung von Daten“) – nur bei PIN‑Eingabe
Für POS‑Zahlungen rekonstruiert der Senat den technischen und rechtsgeschäftlichen Ablauf: Bei PIN‑gestützter Autorisierung prüft das kartenausgebende Institut die Legitimation und übernimmt gegenüber dem Händler regelmäßig ein abstraktes Zahlungsversprechen. Das Verbot der PIN‑Weitergabe führt dazu, dass eine wirksame Autorisierung nur durch den berechtigten Karteninhaber erfolgen kann. Nutzt ein Nichtberechtigter mit PIN, erfüllt er die Variante der „unbefugten Verwendung von Daten“; § 263a Abs. 1 Alt. 3 StGB ist dann typischerweise einschlägig. (So bereits die Literatur und Instanzrechtsprechung; das BayObLG knüpft daran an.)
Anders die NFC‑Zahlung ohne PIN: Nach der – inzwischen weithin anerkannten – betrugsspezifischen Auslegung ist „unbefugt“ i. S. d. § 263a Alt. 3 nur, was gegenüber einem Menschen Täuschungscharakter hätte. Beim kontaktlosen Tap‑to‑Pay fehlt es an einer starken Kundenauthentifizierung gegenüber einer natürlichen Person; die Kassiererin/der Kassierer wird über die Berechtigung nicht getäuscht, weil das System bei Kleinstbeträgen gerade keine PIN verlangt. Konsequenz: Kein § 263a allein wegen des Vorhaltens der Karte an das Lesegerät. Damit führt das BayObLG die Linie des OLG Hamm fort, die bereits 2020/2021 für NFC‑Käufe ohne PIN aufgestellt wurde.
2. Betrug (§ 263 StGB) – regelmäßig ebenfalls Nein bei NFC‑Kleinbeträgen
Konsequent verneint der Senat – für den Fall ohne PIN – regelmäßig auch § 263 StGB: Der Händler erhält bei autorisierter NFC‑Transaktion unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank; es fehlt daher sowohl an Täuschung als auch am Irrtum des Ladenpersonals. Dass der Kartenverwender „fremd“ ist, ändert daran nichts – die Bank hat das Risiko geringer Beträge bewusst systemisch verlagert (u. a. durch Staffelung/Verzicht auf PIN‑Abfragen).
3. (Versuchte) Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) – hohe subjektive Hürden
Zwar kann die Girocard als Daten‑/Beweisurkunde fungieren. Für § 274 genügt aber nicht irgendeine Vermögensbeeinträchtigung; erforderlich ist die Absicht, einem anderen gerade im Beweisführungsrecht einen Nachteil zuzufügen („Nachteilszufügungsabsicht“). Daran fehlte es: Dass ein Laie weiß, sein kontaktloser Karteneinsatz beeinträchtige die Beweisfunktion der Karte (etwa zur Rekonstruktion der Verwendung), ist nicht selbstverständlich; aus den bisherigen Feststellungen ergab sich das nicht. Folge: Kein Schuldspruch nach § 274 ohne belastbare Anhaltspunkte zum spezifischen Beweisvereitelungs‑Vorsatz.
III. Konsequenzen für die neue Hauptverhandlung – Alternativdelikte
Der Senat gibt konkrete Hinweise für das weitere Verfahren:
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§ 303a StGB (Datenveränderung, Computersabotage): Beim kontaktlosen Bezahlen werden im System Daten ergänzt/verändert (z. B. Verfügungsrahmen, NFC‑Einsatzhistorie). Für das „Unterdrücken“ genügt bereits ein vorübergehender Entzug vom Zugriff des Berechtigten. Subjektiv reicht dolus eventualis; der Täter muss nicht alle IT‑Details kennen, wohl aber die Fremdheit des Datenbestimmungsrechts (Parallelwertung in der Laiensphäre).
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§ 246 StGB (Unterschlagung): Die erstmalige Nutzung der gefundenen Karte kann die Manifestation eines Zueignungswillens nach außen darstellen (kein bloßer furtum usus), weil die Karte – jedenfalls bei NFC – eigenen Vermögenswert verkörpert (Zahlungsfunktion ohne PIN). Ist jedoch Urkundenunterdrückung gegeben, tritt § 246 zurück (formelle Subsidiarität).
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Strafantragsberechtigung: Bei § 303a/§ 246 i. V. m. § 248a sindAntragserfordernisse zu beachten. Wer ist Geschädigter? Bei rechtzeitigem Sperren zeigt das Zahlungsdienste‑Recht (insb. § 675v Abs. 5 BGB) auf dieBank; andernfalls kann das Kundenrisiko durchbrechen. Die Staatsanwaltschaft kann das besondere öffentliche Interesse bejahen.
IV. Systematische Verortung: Warum die Unterscheidung PIN vs. NFC so zentral ist
1. Technik als Deliktsdogmatik
Das POS‑Ökosystem ist bewusst mehrstufig ausgestaltet: Authentifizierung (PIN/biometrisch/keine), Autorisierung, Clearing. Wo das System bewusst auf eine starke Authentifizierung verzichtet, greift die betrugsspezifische Auslegung des § 263a Alt. 3 StGB: „Unbefugt“ ist nur, was auch gegenüber Menschen täuschte. Das ist bei NFC‑Kleinbeträgen gerade nicht intendiert; der Händler vertraut nicht auf die Identität des Präsentierenden, sondern auf die Zusage des Issuers. Die Strafbarkeit darf systemische Risikoallokation nicht durch strafrechtliche Zurechnung „reparieren“. Das ist der Kern der OLG‑Hamm‑Linie, die das BayObLG fortschreibt.
2. Beweis‑ vs. Vermögensschutz bei § 274 StGB
Die Entscheidung schärft das Bewusstsein, dass § 274kein Annex‑Vermögensdelikt ist. Es bedarf des Willens, Beweisführungsrechte zu beeinträchtigen – eine Hürde, die Alltagsdelikte am POS selten nehmen. Damit werden Fehlverlagerungen in schwere Urkundendelikte vermieden.
3. Keine Hintertür über § 263 StGB
Wer bei NFC standardmäßig Betrug annimmt, verkennt die Händler‑Issuer‑Risikoteilung. Das Strafrecht folgt der Zahlungsdogmatik, nicht umgekehrt.
V. Praxisfolgen: To‑dos für Tatrichter, Staatsanwaltschaft, Verteidigung
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Feststellungsdichte: Gerichte müssen die Zahlungsmodalität feststellen: Gerät/Terminal, Betrag, PIN‑Abfrage ja/nein, Sperrstatus, Belege/Terminal‑Logs. Ohne dies bleibt jede Subsumtion wacklig – der vorliegende Aufhebungsbeschluss zeigt es exemplarisch.
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Anklage‑ und Beweisstrategie: Wo NFC ohne PIN vorliegt, nicht auf § 263a oder § 263 fixieren, sondernAlternativen denken (insb. § 303a, § 246). Auf Strafanträge achten!
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Verteidigung: In Zweifelsfällen die Feststellungslücke (PIN vs. NFC) offensiv herausarbeiten; beim Verdacht auf § 274 dieNachteilszufügungsabsicht angreifen; bei § 303a denDatenbegriff eng und die Zurechnung (Fremdheit des Datenbestimmungsrechts) kritisch beleuchten.
VI. Anschlussfragen und offene Punkte
1. Schwellenlogik der Zahlungsdiensterichtlinie/ZAG
Das BayObLG baut auf der Praxis „PIN‑Freiheit“ bei Kleinbeträgen auf. Die Frage, ab wann und unter welchen Umständen Terminals spontan wieder eine PIN verlangen („Risikoparameter“) und wie sich das auf die Subsumtion auswirkt, bleibt fallbezogen zu klären – kann aber im Einzelfall den Übergang zu § 263a (Alt. 3) triggern.
2. Versuchskonstellationen
Der Senat hebt einen Versuchsfall mit auf. Für künftige Entscheidungen wird zu präzisieren sein, wie bei abgewiesenen oder abgebrochenen NFC‑Transaktionen (Sperre, Offline‑Limit) Versuchsbeginn und unmittelbares Ansetzen sauber begründet werden.
3. Konkurrenzfragen
Kommt es kumulativ zu mehreren Tap‑to‑Pay‑Vorgängen, stellen sich Konkurrenzfragen zwischen § 303a und § 246 sowie innerhalb der Datenzugriffe. Auch hier wird die Begründungstiefe über die Strafzumessung entscheiden.
VII. Bewertung
Der Beschluss ist klar, pragmatisch und dogmatisch sauber: Er rückt die technische Realität des POS‑Zahlens in den Mittelpunkt der Subsumtion und verhindert die Überdehnung des § 263a auf Fälle, in denen der Gesetz‑ und Systemeber bewusst gegenPIN‑Abfrage optiert hat. Zugleich hält er die Tür für passgenaue Delikte offen (§ 303a/§ 246), setzt beim schweren § 274 zu Rechtsubjektiv hoch an und erinnert die Tatsachengerichte an die Pflicht zu lückenfreien Urteilsfeststellungen. Für die Praxis entsteht so ein handhabbarer Entscheidungsbaum: PIN = § 263a naheliegend; NFC ohne PIN = regelmäßig kein § 263a/§ 263, dafür Alternativen prüfen – stets getragen von genauer Technik‑ und Prozessaufklärung.
Fazit für die Praxis: Ohne klare Feststellung der Zahlungsart kein tragfähiger Schuldspruch. PIN = Computerbetrug häufig ja; kontaktlos ohne PIN = regelmäßig nein – dann sorgfältig Alternativen denken. Wer diese Struktur beherzigt, entscheidet rechtssicher und vermeidet dogmatische Übergriffigkeit.
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Annotations
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat, - 2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, - 3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt, - 4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder - 5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.
(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.
(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.
(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
(7) (weggefallen)

