ra.de - Online Kommentar zu § 339 StGB von RA Dirk Streifler

originally published: 21/05/2021 18:28, updated: 19/10/2022 17:16
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Strafgesetzbuch - StGB | § 339 Rechtsbeugung

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Rechtsbeugung nach § 339 StGB ist die vorsätzlich falsche Anwendung des Rechts durch Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter.

Rechtsbeugung ist ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem und höchstens fünf Jahren bedroht ist. Bei einer Verurteilung folgt in der Regel auch der Amtsverlust (§ 24 Nr. 1 DRiG).

Die Strafbarkeit der Rechtsbeugung ist gerechtfertigt, als Gegengewicht und Grenze der richterlichen Unabhängigkeit. Daher kommt sie auch nur bei ganz erheblichen „elementaren“ Rechtsverstößen in Betracht. Der Täter muss sich bewusst gegen Recht und Gesetz, an eigenen anderen Maßstäben ausgerichtet haben.

Der Rechtsbeugungstatbestand spielte eine Rolle nach politischen Systemwechsel. Zuletzt gab es Vorwürfe gegen Richter wegen der s.g. Maskenurteile.

I. Überblick
  1. Das Rechtsgut des § 339 StGB
  2. Natur des Delikts 
  3. Bedeutung in der Kriminalpolitik
II. Erläuterung
  1. Objektiver Tatbestand 
     a) Täter 
     b) Täterfunktion (bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache)
       aa) Der Begriff der Rechtssache
       bb) Leitung oder Entscheidung
     c)Tathandlung – Beugung des Rechts 
       aa) Der Begriff des Rechts
       bb) Die Beugung des Rechts 
     d) Taterfolg (zugunsten oder zum Nachteil einer Partei) 
  2. Subjektiver Tatbestand
III. Rechtfertigung und Entschuldigungsgründe und Allgemeines
  1.Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe
  2.Täterschaft und Teilnahme
  3.Versuch und Rücktritt 
IV. Prozessuales / Verjährung

I. Überblick
1. Das Rechtsgut des § 339 StGB
Die Norm des § 339 StGB schützt die innerstaatliche Rechtspflege [1] gegen Angriffe von innen [2]. Daraus folgt, dass es die Aufgabe des § 339 StGB ist, die Geltung der Rechtsordnung besonders bei der Leitung und Entscheidung von Rechtssachen zu gewähren.[3]  Somit entfaltet die Norm ihren Schutz nicht unmittelbar für die Individualrechtsgüter der rechtsunterworfenen Parteien – sie gewährt ihnen aber einen Schutzreflex in der Art, dass eine Rechtsbeugung „zum Nachteil einer Partei“ sanktioniert wird.[4] 

Weil die Vorschrift auf die Sicherung und Wahrung der Verantwortlichkeit des Richters und die Achtung von Recht und Gesetz durch den Richter selbst abzielt, ist sie gerade das Gegenstück zur richterlichen Unabhängigkeit. [6] Die richterliche Unabhängigkeit nach § 261 StPO gewährt dem Richter nämlich, dass er bei der Beweiswürdigung frei ist. Um den Angeklagten zu verurteilen und ihn damit für schuldig zu befinden muss ein Tatrichter von seinem Schuldausspruch überzeugt sein. Diese richterliche Überzeugungsbildung findet seine Grenzen allein in wissenschaftlichen Erkenntnissen, Erfahrungssätze und Denkgesetzen, d. h. ein Richter ist keinen gesetzlich normierten Beweisregeln zur Bildung seiner Überzeugung unterworfen. [7] Im Gegensatz zum Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nach § 261 StPO, die dem zu Tage tretenden Richter bezüglich der Beweiswürdigung einen enormen Beurteilungsspielraum zuspricht, ist der Richter durch § 339 StGB dazu verpflichtet, dass Gesetz richtig anzuwenden. 

2. Natur des Delikts 
Die Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB ist im 30. Abschnitt des Strafgesetzbuches „Straftaten im Amt“ normiert. Im Falle, dass sie von einem Richter oder einem anderen Amtsträger begangen wird, stellt sie ein echtes Amtsdelikt dar.[8] Amtsdelikte können nämlich nur durch Amtsträger wie Richter und Beamte, welche ein öffentlich-rechtliches Amt innehaben bzw. mit Wahrnehmung öffentlicher Interessen betraut sind wahrgenommen werden. Echt ist ein Amtsdelikt im Übrigen dann, wenn die strittige Handlung allein beim Amtsträger strafwürdig ist, bei den restlichen Personen aber straffrei bleibt. 

Wird die Rechtsbeugung hingegen von einem Schiedsrichter ausgeübt, so ist sie als echtes Sonderdelikt zu qualifizieren. [9] Ein Sonderdelikt kann nur von einer Person ausgeführt werden, dass besondere personenbezogene Voraussetzungen erfüllt, unter deren Verwirklichung die Erfüllung des Delikts erst möglich ist. Hier wirkt die Person des Schiedsrichter strafbegründend und das Sonderdelikt ist mithin als "echt" zu qualifizieren.

3. Bedeutung in der Kriminalpolitik
Ihre Bedeutung erlangte die Rechtsbeugung überwiegend infolge der politischen Systemwechsel, namentlich in der Auseinandersetzung mit dem in der NS-Diktatur und in der der DDR begangenen Justizunrecht. [10] Wenn auch in letzter Zeit eine leicht gestiegene Neigung festzustellen ist, wird rechtspraktisch zwar häufig eine Rechtsbeugung behauptet, zu Rechtsbeugungsanklagen kommt es allerdings nur selten und damit noch seltener zu Verurteilungen aufgrund einer solchen.

II. Erläuterung
1. Objektiver Tatbestand 
Der objektive Tatbestand ist gegeben, wenn ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei das Recht beugt. 

a) Täter 
Täter der Rechtsbeugung können folglich nur Richter, andere Amtsträger oder ein Schiedsrichter sein.[11]
 
Als „anderer Amtsträger“ ist eine Person nur dann zu qualifizieren, wenn diese wie ein Richter eine Rechtssache zu leiten oder zu entscheiden hat. Maßgeblich hierbei ist also die Verknüpfung mit der Täterfunktion, wobei dem Amtsträger richterähnliche Leitungs- sowie Entscheidungsbefugnisse zustehen müssen. Im Fokus steht hierbei also die Art seiner Funktion[12], die im Ergebnis mit dem Aufgabenbereich eines Richters vergleichbar sein muss: Maßgeblich ist also, ob der Amtsträger ein rechtlich vollständig organisiertes Verfahren zu leiten oder zu entscheiden hat, wobei ergänzend eine Neutralitätspflicht (Pflicht der Staatsorgane zur parteipolitischen Neutralität) erforderlich ist. [13]
 
Mögliche „andere Amtsträger“ können bspw. Sein: Staatsanwälte, Rechtspfleger, Verwaltungsangehörige.

b)Täterfunktion (bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache)
Eine Rechtsbeugung kann nur bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache begangen werden.

aa) Der Begriff der Rechtssache
Unter Rechtssachen sind all diejenigen rechtlichen Angelegenheiten zu verstehen, bei welchen sich mehrere Beteiligte mit – mindestens möglicherweise – widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenübertreten. Dabei müssen solche in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren nach Rechtsgrundsätzen verhandelt und entschieden werden. [14]
 
Bsp.: Verfahren bei den Straf-und Zivilgerichten sowie in allen Fachgerichtsbarkeiten (Arbeits-,Verwaltungs-,Sozial- und Finanzgerichte) und Verfahren bei Verfassungsgerichten

bb) Leitung oder Entscheidung
Nicht jede Mitwirkung eines Täters an einer Rechtssache kann zur Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung nach § 339 StGB führen – er muss vielmehr dahingehend tätig werden, dass er die Rechtssache leitet oder entscheidet [15] und damit eine selbstständige und übergeordnete Stellung bei der Rechtsanwendung aufweist.[16]

a)Tathandlung – Beugung des Rechts 
Wann sich einer Beugung des Rechts schuldig gemacht wird, ist strittig:

aa) Der Begriff des Rechts 
Zu dem Begriff des Rechts gehören alle Vorschriften des positiven Rechts, namentlich das materielle Recht (d. h. Normen aus dem StGB, wie etwa der Tatbestand des Diebstahls) und das formellen Strafprozessrecht, also Normen zum Strafverfahren (zum Beispiel § 136 a StPO Verbotene Vernehmungsmethoden).
 
Eine Rechtsbeugung durch Verstoß gegen Gewohnheitsrecht ist auch denkbar. Eine Rechtsbeugung durch Abweichung von der herrschenden Meinung oder ständiger Rechtsprechung begründet für sich genommen allerdings noch keine Rechtsbeugung. [17]
 
Auch eine Rechtsbeugung durch Verstoß gegen überpositives Recht ist grundsätzlich möglich[18] - ein solches hat die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH mittlerweile anerkannt, wie bereits vorher schon im Zusammenhang mit vorsätzlichen Tötungen durch Grenzsoldaten der ehemaligen DDR.[19]
Aber wann hat ein zu Tage tretender Richter das geschriebene Recht zu missachten und sich an überpositiven Rechtsgrundsätzen zu orientieren? Diese Antwort beantwortet die Rechtsprechung mit der sog. Radbruchsche-Formel. Entsprechend dieser Formel hat sich ein Richter im Falle eines Konflikts zwischen dem positiven (gesetzten) Recht und der Gerechtigkeit immer dann gegen das Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das strittige Gesetz
(1) Als „unterträglich ungerecht“ anzusehen ist oder
(2) das Gesetz die im Begriff des Rechts grundsätzlich angelegte Gleichheit aller Menschen aus Sicht des Interpreten leugnet.

Dennoch wird man zu einer ausschließlich hierauf gestützen Strafbarkeit des Richters, der sich an den vom Gesetzgeber normierten Gesetzen orientiert, nur in seltenen Ausnahmefällen gelangen.[20]

bb) Die Beugung des Rechts 
Nach herrschender Meinung sowie nach Ansicht der Rechtsprechung liegt eine Beugung des Rechts lediglich dann vor, wenn ein solches objektiv falsch angewandt wird, sog. Objektive Theorie. [21] Eine Rechtsbeugung liegt demzufolge in einem Verstoß gegen das objektive Recht. Dies kann sowohl durch Sachverhaltsverfälschung als auch durch die falsche Anwendung von Rechtsnormen geschehen.[22] Wenn sich eine richterliche Entscheidung hierbei noch im rechtlich Vertretbaren Rahmen hält, so kann sie den Tatbestand der Rechtsbeugung auch nicht erfüllen. Auch der BGH neigt zur objektiven Theorie, wobei er hierfür zusätzlich mit der von ihm aufgestellten Voraussetzung des bewussten Rechtsbruchs auch eine subjektive Komponente für erforderlich erachtet. 

Die h. M. geht davon aus, dass nicht jede unrichtige Rechtsanwendung den objektiven Tatbestand des Verbrechens der Rechtsbeugung erfüllen lässt. So geht sie davon aus, dass die Grenze zur Annahme des objektiven Tatbestandes erst beim eindeutigen Rechtsverstoß überschritten ist. Das ist dann anzunehmen, wenn sich die Entscheidung nicht mehr im Rahmen des „noch Vertretbaren“ hält, sondern sich als unvertretbar und objektiv willkürlich herausstellt. [23]
 
In der Praxis setzt der Bundesgerichtshof folgende (höhere) Anforderungen an die Erfüllung von § 339 StGB:
Nach dieser Rechtsprechung soll vom Rechtsbeugungstatbestand nur der Rechtsbruch erfasst werden. Dies ist dann der Fall, wenn sich ein Amtsträger bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und damit sein Handeln als Organ des Staates an seinen eigenen Maßstäben ausrichtet anstelle des Rechts und Gesetzes.[24]

a) Taterfolg (zugunsten oder zum Nachteil einer Partei) 
§ 339 StGB verlangt die BEGünstigung oder die Benachteiligung einer Partei – die Norm ist dementsprechend als Erfolgsdelikt einzuordnen.
 
Parteien i. S. d. Norm ist jeder am Verfahren Beteiligter, dem ein anderer mit widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenübertritt.[25] Im Strafprozess sind dies namentlich der Beschuldigte nach § 157 StPO auf der einen Seite und die Staatsanwaltschaft auf der anderen Seite, aber auch der Nebenkläger und der Einziehungsbeteiligte.
 
Zugunsten oder zum Nachteil ist eine Tat bei der Entscheidung einer Rechtssache mit der Folge einer Besser- oder Schlechterstellung einer Partei begangen, namentlich bei einer Klageabweisung oder dem Strafurteil.[26] Die Rechtsbeugung ist vollendet, wenn die Entscheidung bindend ist – beim Strafurteil also bei Beendigung der mündlichen Urteilsbegründung. [27] Wird eine Rechtsbeugung durch „Leitung“ begangen , so ist eine Rechtsbeugung durch Verletzung von formellen Recht möglich. Hierfür erforderlich ist zumindest die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung – ein tatsächlich eingetretener Vorteil oder Nachteil der Partei muss noch gar nicht vorliegen. [28]

2. Subjektiver Tatbestand
Die Rechtsbeugung kann allein vorsätzlich i. S. v. § 15 StGB begangen werden; eine fahrlässige Begehungsweise kommt nicht in Betracht.[29] Der Täter muss also bezüglich aller objektiven Tatbestände vorsätzlich handeln – er muss als Amtsträger oder Schiedsrichter vorsätzlich das Recht bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zuungunsten einer Partei verletzen.  Dies gilt auch dann, wenn sich der Täter bei seinem Verhalten vorstellt „das Richtige zu tun“, obwohl er sich hierbei gegen das geltende Recht wendet. [30]

III. Rechtfertigung und Entschuldigungsgründe und Allgemeines
1.Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe
Hierfür gelten die allgemeinen Grundsätze. Unbeachtlich ist die Einwilligung, da der von der Rechtsbeugung betroffene über das vom Tatbestand geschützte Rechtsgut, namentlich dem Schutz der innerstaatlichen Rechtspflege gegen Eingriffe von innen, nicht disponieren kann. [31] Auch die Notwehr scheidet von vornherein aus.[32]

2.Täterschaft und Teilnahme
Die Rechtsbeugung ist ein echtes Sonderdelikt (d. h. die Eigenschaft der Person, bspw. des Amtsträgers hat strafbegründende Wirkung). Deshalb kann sie in mittelbarer Täterschaft begangen werden; dies gilt aber nur für einen tauglichen Täter i. S. v. § 339 StGB.
Auch die Mittäterschaft und auch die Teilnahme ist denkbar.
 
Falls dem Teilnehmer die besonders Amtseigenschaft des § 339 StGB fehlt, so ist die Strafe des Teilnehmers nach § 49 I wegen § 28 I StGB zu mildern.

3.Versuch und Rücktritt 
Der Rücktritt vom Versuch ist nach § 23 I möglich.[33] Wenn der Täter fälschlicherweise annimmt, das Recht zu beugen, obwohl er sich noch im Rahmen einer vertretbaren Entscheidung bewegt, so bleibt eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs möglich.[34]

IV. Prozessuales
Die Verjährung der Rechtsbeugung tritt gemäß § 78 III Nr. 4 nach fünf Jahren ein. [35]

 
[1] BGH 6.10.1994 – 4 StR 23/94.
[2] Jahn, JuS 2012, 950.
[3] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 1.
[4] BGH 6.10 1994 – 4 StR 23/94; MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 1.
[5] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 1.
[6] NJW 2016, 3711, 20.
[7] Ott, in: KK-StPO,§ 261, Rn. 5.
[8] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 1.
[9][9] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 2.
[10] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 3.
[11] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 2.
[12] NK-StGB/Kuhlen, Rn. 20.
[13] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 11.
[14] LK-StGB/Hilgendorf, Rn. 33.
[15] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 20.
[16] LK-StGB/Hilgendorf, Rn. 38.
[17] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 24.
[18] Heute ganz h. M.; Behrendt, JuS 1989, 945, 950.
[19] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 25.
[20] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 25.
[21] Bemmann, GA 1969, 65.
[22] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 7.
[23] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 30.
[24] BGH 5.12.1996 – 1 StR 376/96.
[25] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 58.
[26] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 12.
[27] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 59.
[28] BGH 20.9.200 – 2 StR 276/00.
[29] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 13.
[30] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 61.
[31] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 66.
[32] Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 339 Rn. 16.
[33] LK-StGB/Hilgendorf, Rn. 120ff.
[34] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 68.
[35] MüKoStGB/Uebele, 3. Auflage 2019, StGB § 339 Rn. 78.

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published on 20/09/2000 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 276/00 vom 20. September 2000 in der Strafsache gegen wegen Rechtsbeugung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsid

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgrichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt. Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des Angeklagten , der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr vorfand.
Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt E. z u erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter Geräusche während des Festes zu gestatten und der Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen. Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte, äußerte er gegenüber dem anwesenden Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten , auch wenn die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht. Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht gestört werden. Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die Einschränkung enthielt, daß diese von
der Stadt nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie Zimmerlautstärke überschreite. In den Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus: ” ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen sind. Der Richter ist über den Antrag und seine Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich, weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist. Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden , weil es sich um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG E. ist nicht erreichbar). ...” Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung: ”1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift 2. Austragen 3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W. übersandt.” Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte, daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag zurückwies.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden, vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu enthalten , gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E. wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den hier der Verwaltungs-
rechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war, geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht (Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp; VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3 ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße , bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen Verfahrensverstöße , insbesondere aber die Verletzung der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend. Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandt-
schaft (hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt bei Verstößen gegen eine Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe, sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der Sperrung der Straße habe am Montag
begonnen werden sollen. Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe gewußt, daß der Antrag nicht außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will und berücksichtigt auch nicht, daß die Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47 ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er, wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, daß er spätestens nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe entscheiden wollen , um zu verhindern, daß andere damit befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht weiterleiten oder gar zurückweisen würden. Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich möglich, sie berücksichtigen aber nicht, daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der Namensverschiedenheit nicht offensichtliche - Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, daß er wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu verzögern, sondern für die umgehende Übersendung der Akten gesorgt , wodurch sein Handeln sofort offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als wenig sinnvoll erscheinen lassen , hätte sich das Landgericht auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung gemäß § 339 StGB führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten Rothfuß Elf