Strafrecht: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Einsatz eines PKW als "Waffe"
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Das Bundesverfassungsgericht hat am 01.09.2008 (Az: 2 BvR 2238/07) entschieden, dass Kraftfahrzeuge, auch wenn sie im konkreten Einzelfall dazu geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen, nicht vom Wortsinn des Begriffs der „Waffe“ in § 113 Abs. 2 S. 2 Nr.1 StGB umfasst sind.
Gemäß § 113 StGB wird der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr.1 StGB betrifft den Fall, dass der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mittels einer „Waffe“ ausgeübt wird. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts würden die verfassungsrechtlichen Grenzen verkannt werden, wenn unter den „Waffenbegriff“ alle möglicherweise gefährlichen Gegenstände verstanden würden. Hierbei ist allenfalls das Beisichführen eines „gefährlichen Werkzeugs“ in Verwendungsabsicht zu bejahen, was als unbenannter „besonders schwerer Fall“ des § 113 StGB gewertet werden kann.
Im entschiedenen Fall wurde der leicht alkoholisierte Beschwerdeführer am späten Abend des 22.Dezember 2005 in Dresden wegen eines Verkehrsverstoßes von einer Polizeistreife angehalten und kontrolliert. Ein Polizeibeamter, der versuchte, den Zündschlüssel des Wagens des Beschwerdeführers zu ziehen, steckte seinen Oberkörper durch das Fahrerfenster in das Fahrzeug. Während der Beamte sich mit seinem Oberkörper noch im Fahrzeuginnenraum befand, legte der Beschwerdeführer den Rückwärtsgang ein und fuhr mit Vollgas rückwärts. Der Beamte wurde hierdurch einige Meter, neben dem Fahrzeug herlaufend, mitgerissen, jedoch nicht verletzt. Der Beschwerdeführer wurde u. a. wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall gemäß § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Die Verfassungsbeschwerde, die die Frage betraf, ob das strafrechtliche Analogieverbot verletzt ist, wenn § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB dahingehend ausgelegt wird, dass ein Personenkraftwagen eine „Waffe“ im Sinne der Vorschrift darstellt, war erfolgreich.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Begründung angeführt, dass der Gesetzgeber verpflichtete sei, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Demnach wird die Auslegung eines Begriffes nicht generell ausgeschlossen, jedoch muss der Normadressat im Regelfall anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht. Hierbei ist das Gesetz das maßgebliche Kriterium, welches die äußerste Grenze zulässiger richterlichen Interpretation markiert.
Problematisch ist jedoch, dass der Begriff der „Waffe“ im Strafgesetzbuch nicht geregelt ist. Gemäß ständiger Rechtsprechung genügte bisher für den Begriff der „Waffe“ im Sinne des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB jedes gefährliche, d.h. nach Beschaffenheit und konkreter Art der Verwendung zur erheblichen Verletzung von Menschen geeignete Werkzeug.
Im allgemeinen Sprachgebrauch sind unter „Waffen“ alle Mittel zu verstehen, die geeignet sind, Lebewesen in ihrer Handlungsfähigkeit zu beeinträchtigen / handlungsunfähig zu machen, physisch / psychisch zu verletzen oder zu töten. Weiterhin zählen dazu alle Mittel, die Gegenstände und immaterielle Güter beschädigen, zerstören oder gebrauchsunfähig machen können. Dies kann folglich je nach Verwendungsabsicht etwa auch ein Baseballschläger, Küchenmesser oder anderes zweckentfremdetes Mittel sein.
Richtigerweise seien unter „Waffen“ jedoch nur solche im Sinne des § 1 Abs. 2 Waffengesetz zu verstehen, wonach neben Schusswaffen alle tragbaren Gegenstände Waffen sind, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen. Hierbei kommt es insbesondere auf die Zweckbestimmung an.
Im Kontext der §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 2 Nr. 1 StGB entwickelte der Bundesgerichtshof den „strafrechtlichen Waffenbegriff“, wonach eine „Waffe“ ein körperlicher Gegenstand ist, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und seinem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen.
Gegenstände wie ein Kraftfahrzeug, die nicht bei zweckmäßigem Gebrauch, wohl aber nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen, werden dem Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ und gerade nicht dem der „Waffe“ zugeordnet. Zwar sei die Ergänzung des Gesetzestextes um den Ausdruck des „gefährlichen Werkzeugs“ ausdrücklich erwogen, letztlich jedoch abgelehnt worden.
Ein Kraftfahrzeug ist typischerweise dazu bestimmt, Personen oder Sachen von einem Ort zu einem anderen zu befördern und gerade nicht zur Bekämpfung oder Zerstörung solcher.
Demnach stellt ein Kraftfahrzeug keine „Waffe“ im Sinne des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr.1 StGB dar, sondern ein „gefährliches Werkzeug“, welches allenfalls als unbestimmtes Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 StGB zu sehen ist.
RA Dirk Streifler
Stud. iur. David Jerman
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(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder - 3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.