Grenzüberschreitende Gesellschaftsumwandlung innerhalb der EU möglich

published on 27/08/2012 14:08
Grenzüberschreitende Gesellschaftsumwandlung innerhalb der EU möglich
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Kommentar zum VALE-Urteil des EuGH vom 12.07.2012 - Az: C-378/10

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Das Recht der Europäischen Union gewährt die sog. Niederlassungsfreiheit in den Art. 49 ff. des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die Niederlassungsfreiheit ermöglicht es selbstständig Erwerbstätigen und Unternehmen, im Rahmen der unionsweiten Freizügigkeit, ihren Standort frei nach wirtschaftlichen Kriterien zu wählen. Da die Existenz einer Gesellschaft von der Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates abhängt, kann es teilweise gewisse Vorteile für Unternehmer mit sich bringen, eine Gesellschaft nach ausländischem Recht, wie etwa eine britische Ltd. oder eine spanische S.L. zu gründen, die schwerpunktmäßige Geschäftstätigkeit jedoch nach wie vor im Inland mittels einer Zweigniederlassung zu erbringen. Diese Vorgehensweise ist aus europarechtlicher Sicht anerkannt und gebräuchlich, da die Niederlassungsfreiheit ausdrücklich die Gründung von Zweigniederlassungen gestattet (Art. 49 AEUV). Dies ist laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) selbst dann der Fall, wenn eine solche Zweigniederlassung faktisch den geschäftsmäßigen Hauptsitz des Unternehmens darstellt.

Aus verschiedenen Gründen kann natürlich auch der vollständige Umzug einer  Gesellschaft in einen anderen Mitgliedsstaat gewollt sein.

Der EuGH hat in seiner Daily-Mail Entscheidung den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit dergestalt konkretisiert, dass nach seiner Ansicht das Europarecht in seiner derzeitigen Form einem Unternehmen nicht das Recht geben könne, seinen Sitz unter Wahrung seiner bestehen Rechtsform und -fähigkeit vollständig in einen anderen Mitgliedsstaat zu verlagern.

Aus diesem Grund wurde eine grenzüberschreitende Sitzverlegung bisher häufig im Wege der grenzüberschreitenden Verschmelzung vorgenommen. Eine solche Verschmelzung der Tochtergesellschaft auf die in einem anderem Mitgliedsstaat ansässige Muttergesellschaft ist oftmals deshalb gewollt, weil im Europäischen Binnenmarkt Tochtergesellschaften zunehmend als hinderlich empfunden werden, da die Fortführung der Geschäftsbeziehungen mit Fortschreiten der wirtschaftlichen Integration auch ohne rechtlich eigenständige Gesellschaft im jeweiligen Mitgliedsstaat möglich ist. Teilweise kommt es auch vor, dass etwa aufgrund des negativen Images von Ltds in Deutschland, eine solche nach britischem Recht gegründete Gesellschaft mit einer deutschen Gesellschaft verschmolzen werden soll. In der SEVIC Systems-Entscheidung hatte der EuGH nämlich deutlich gemacht, dass der Aufnahmestaat eine in einem anderen Mitgliedsstaat errichtete Gesellschaft im Rahmen einer solchen grenzüberschreitenden Verschmelzung in seine Rechtsordnung aufnehmen muss, auch wenn es derzeit noch an sekundärrechtlicher Konkretisierung und nationaler Umsetzung in diesem Bereich fehlte.  Im Cartesio Urteil stellte der EuGH in einem Nebensatz fest, dass der Herkunftsstaat eine grenzüberschreitende formwechselnde Umwandlung nicht durch Auflösung der Gesellschaft behindern darf.

In der aktuellen Entscheidung in der Rechtssache VALE musste der Gerichtshof nun über den „umgekehrten“ Fall entscheiden. Eine italienische Kapitalgesellschaft hatte ihren rechtlichen Sitz nach Ungarn verlegt und wurde entsprechend aus dem italienischen Handelsregister gelöscht. Nun gründeten die Gesellschafter eine Gesellschaft nach ungarischem Recht und beantragten die Eintragung im ungarischen Handelsregister unter Nennung der italienischen Gesellschaft als „Rechtsvorgängerin“ der neuen Gesellschaft, was ihr seitens der ungarischen Behörden mit der Begründung untersagt wurde, dass das ungarische Recht allein die Umwandlung innerstaatlicher Gesellschaften vorsehe.
Der EuGH stellte einen Eingriff in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fest, da die ungarische Regelung, die allein die Umwandlung von Gesellschaften mit Sitz in Ungarn erlaubt, geeignet sei, eine in einem anderem Mitgliedsstaat gegründete Gesellschaft davon abzuhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Da die Versagung der grenzüberschreitenden Umwandlung zudem genereller Natur sei, also keine Interessenabwägung im Einzelfall erfolgt habe, sei der Eingriff zudem nicht gerechtfertigt.

In der rechtlichen Beurteilung lässt sich festhalten, dass das Urteil wohl keinen Bruch des EuGH in seiner Rechtsprechungslinie darstellt, da es sich um den grenzüberschreitenden Umzug einer Gesellschaft handelt, die gerade einen Rechtsformwechsel anstrebt, nicht jedoch ihre ursprüngliche Rechtsform beibehalten will, wie dies etwa bei Daily Mail der Fall gewesen war.

Trotz allem wirft das Urteil neue Fragen – und weitaus entscheidender – neue Möglichkeiten für Unternehmer auf, die innerhalb der Europäischen Union tätig sind.

Wie oben dargestellt bestand schon seit längerem die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften. Mittlerweile gibt es auch im deutschen Recht hierzu eine ausdrückliche Regelung im Umwandlungsgesetz.

Neu ist nun, dass bei der grenzüberschreitenden Gesellschaftsumwandlung beide Gesellschaften im Verhältnis Rechtsvorgänger und Rechtsnachfolger stehen. Es handelt sich nach wie vor um denselben Rechtsträger, wohingegen bei der Verschmelzung diejenige Gesellschaft, die in eine andere „hineinverschmolzen“ werden soll, quasi eliminiert wird.

Aus der Identität des Rechtsträger ergeben sich sichtbare Vorteile. Auf der einen Seite bleibt der Rechtsträger Inhaber des Gesellschaftsvermögens und bestehender Forderungen, auf der anderen Seite bleibt er Schuldner sämtlicher Verbindlichkeiten; eine Lösung, die auf einfache Art und Weise – ohne ein aufwendiges Verschmelzungsverfahren mit womöglich schwer überschaubaren Kosten - den verschiedenen schutzwürdigen Interessen gerecht wird. Die Sicherstellung der Identität der Anteilseigner und ihrer Beteiligung ermöglicht den Fortbestand dinglicher und schuldrechtlicher Rechte Dritter an den Anteilen sowie gesellschaftsvertraglicher Sonderrechte. Hinzu kommt, dass auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens, die Möglichkeit der Bezugnahme auf die Vorgängergesellschaft, etwa in der Werbung, durchaus gewollt sein kann.

Ganz so einfach ist es natürlich dennoch nicht. Es bleibt abzuwarten, in welcher Art und Weise die nationalen Gesetzgeber die rechtlichen Anforderungen für den Zuzug ausländischer Gesellschaften im Rahmen der europarechtlichen Grenzen ausgestalten werden. Anhaltspunkte hierfür könnte womöglich wiederum die Richtlinie 2005/56/EG über die grenzüberschreitende Verschmelzung bieten. Im Rahmen der Beraterpraxis von Rechtssicherheit zu sprechen wäre wohl verfrüht, weshalb eine professionelle Beratung zu empfehlen ist. Nichtsdestotrotz macht der EuGH in seiner Entscheidung klar, dass selbst ohne sekundärrechtliche Ausgestaltung und entsprechender nationaler Umsetzung, eine grenzüberschreitende Gesellschaftsumwandlung innerhalb der EU zumindest zulässig ist.

Rechtsanwalt Dirk Streifler
Joel Herok

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