Verwaltungsgericht München Beschluss, 03. Sept. 2015 - M 12 S7 15.50720
Gericht
Gründe
Bayerisches Verwaltungsgericht München
M 12 S7 15.50720
Beschluss
vom
12. Kammer
Sachgebiets-Nr. 810
Hauptpunkte: Afghanischer Staatsangehöriger; Ungarn; Anspruch des Drittstaatsangehörigen auf Wiederaufnahme des Verfahrens; Neue Rechtslage zum
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
...
- Antragsteller -
bevollmächtigt: Rechtsanwalt ...
gegen
Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle München, Boschetsrieder Str. 41, München
- Antragsgegnerin -
beteiligt:
Regierung von Oberbayern, Vertreter des öffentlichen Interesses, Bayerstr. 30, München
wegen Vollzugs des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 12. Kammer, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ... als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung am 3. September 2015 folgenden Beschluss:
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 7 VwGO gegen die angeordnete Abschiebung nach Ungarn im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben ein am ... 1999 geborener afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste zusammen mit seiner am ... 1974 geborenen Mutter und der am ... 2001 geborenen Schwester am 8. Dezember 2014 ins Bundesgebiet ein (Bl. 29 der Behördenakte; Bl. 38 der Behördenakte mit dem Az. ...). Das Verfahren der Mutter und Schwester wird beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) unter dem Az. ... geführt.
In der Anhörung des Bundesamtes führten der Antragsteller und seine Mutter aus, sie haben sich 17 Jahre lang im Iran, einen Monat in der Türkei, 15 Tage in Griechenland, in Mazedonien, Serbien und 5 Tage in Ungarn aufgehalten (Bl. 21 der Behördenakte; Bl. 21 der Behördenakte der Mutter und Schwester). In Ungarn wurden ihre Fingerabdrücke genommen (Bl. 21 der Behördenakte).
Am
Der Antragsteller beantragte am
Die ungarischen Behörden teilten mit Schreiben vom
Mit Bescheid vom
Mit Bescheid ebenfalls vom
Den am ... Mai 2015 gestellten Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Gericht mit Beschluss vom 6. August 2015
Am ... August 2015 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München nach § 80 Abs. 7 VwGO,
in Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Entscheidung des Gerichts vom 6. August 2015 verkenne die zum 1. August 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Verschärfungen im ungarischen Asyl- und Aufnahmeverfahren. Er verweise auf die beiliegenden Unterlagen. Es lägen veränderte tatsächliche und rechtliche Umstände in Ungarn vor. Auf verschiedene Gerichtsurteile wurde verwiesen. Ungarn betrachte Serbien als sicheren Transitstaat.
Die gegen den Bescheid vom 27. April 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhobene Klage wies das Gericht mit Urteil vom 3. September 2015 ab (M 12 K 15.50477).
Zum Sachverhalt im Übrigen wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Abänderung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses vom 6. August 2015 hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO stellt kein Rechtsmittelverfahren dar, sondern ein gegenüber dem ersten Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes selbstständiges neues Verfahren, dessen Gegenstand nicht die Überprüfung dieser Entscheidung, sondern die Neuregelung der Vollziehung des Verwaltungsakts für die Zukunft in einem abweichenden Sinn ist. Die Abänderungsbefugnis des Gerichts ist dabei nicht auf stattgebende Entscheidungen beschränkt (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rn. 190 ff.).
Ein Anspruch auf Abänderung einer getroffenen Entscheidung im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist dann gegeben, wenn sich nach der gerichtlichen Entscheidung im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage ergeben hat und sich aus den veränderten Umständen zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergibt (vgl. BVerwG, B. v. 21.1.1999 - 11 VR 8.98 - NVwZ 1999, 650; Kopp/Schenke, a. a. O., Rn. 197).
Dies ist hier nicht der Fall.
Der Prozessbevollmächtigte begründet den Antrag mit den in Ungarn zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen des Asylrechts. Soweit vorgetragen wird, dass Flüchtlinge, die über Serbien nach Ungarn gelangt sind, zurückgewiesen werden könnten, verbietet sich nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens derzeit die Berücksichtigung eines potentiell kritischen Rechtszustands. Es bleibt vielmehr abzuwarten, inwieweit mögliche Verschärfungen im Umgang mit Asylsuchenden in die behördliche Praxis der Behandlung von sog. Dublin-Rückkehrern implementiert werden und ob sich daraus systemische Schwachstellen ergeben, die regelhaft so gravierend sind, dass dort auch dem Dublin-Rückkehrer im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Für eine derartige Prognose bestehen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Bis zu einer entsprechenden Feststellung aber gilt die widerlegbare Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat - auch in Ungarn - mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang steht (vgl. VG München, B.v.18.8.2015 - M 10 S 15; VG München, U. v. 11.8.2015 - M 12 K 50161).
Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich das Risiko einer Kettenabschiebung aus Ungarn unter Verletzung des Non-Refoulement-Gebots bei Anwendung der neuen ungarischen Gesetze tatsächlich realisiert und der Antragsteller ohne Entscheidung über seinen gestellten Asylantrag in sein Herkunftsland oder nach Serbien abgeschoben werden könnte, da über seinen Asylantrag noch nicht entschieden wurde. Nach Art. 18 Abs. 1 lit.b) Dublin III VO ist Ungarn verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedsstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III VO wieder aufzunehmen und seinen Antrag auf internationalen Schutz weiter zu prüfen und die Prüfung abzuschließen. Auch laut Auskunft von Proasyl an das VG München
Der Abänderungsantrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.