Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 20. Okt. 2014 - 7 S 14.30541

bei uns veröffentlicht am20.10.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az.: Au 7 K 14.30540) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2014 wird angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der 1994 geborene Antragsteller, der keine Ausweisdokumente vorlegte, ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger vom Volksstamm der Wolof.

Er meldete sich am 7. Dezember 2012 in ... als Asylsuchender und stellte am 14. Dezember 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag. Dabei wurde ihm u. a. die „Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ in seiner Muttersprache (Wolof) übergeben, die insbesondere auch auf die Bedeutung des Anhörungstermins und über die Folgen einer unentschuldigten Versäumung dieses Termins hinwies. Der Antragsteller hat den Erhalt dieser Belehrung durch seine Unterschrift bestätigt (vgl. Bl. 5 bis 12 der Bundesamtsakte).

Mit Schreiben vom 18. Juni 2014 wurde der Antragsteller zur persönlichen Anhörung am 16. Juli 2014 geladen. Der Antragsteller ist zu diesem Termin unentschuldigt nicht erschienen. Daraufhin teilte ihm das Bundesamt mit Schreiben vom 16. Juli 2014 u. a. mit, dass ihm hiermit gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG Gelegenheit gegeben werde, innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Schreibens sowohl zu seinen Asylgründen als auch zu den Gründen, die seiner Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, schriftlich Stellung zu nehmen. Sollte innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Schreibens keine Antwort eingehen, werde das Bundesamt nach Aktenlage entscheiden.

Mit Bescheid vom 11. September 2014 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Im Falle der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung in den Senegal oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3.).

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Antragsteller das Verfahren für mehr als einen Monat nicht betrieben habe, so dass der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 AsylVfG als zurückgenommen gelte und festzustellen sei, dass das Asylverfahren gemäß § 32 AsylVfG eingestellt sei.

Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller mit Schreiben des Bundesamtes vom 29. September 2014 übermittelt.

Am 8. Oktober 2014 hat der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage gegen den Bescheid vom 11. September 2014 erhoben, mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamtes vom 11. September 2014 aufzuheben und die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen, festzustellen, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Klage wird unter dem Aktenzeichen Au 7 K 14.30541 geführt.

Gleichzeitig stellte er den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 einen Ausdruck der elektronischen Akte vor.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 trug der Antragsteller vor, er habe seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt. Er habe zwar den Anhörungstermin versäumt, habe aber am 31. Juli 2014 eine schriftliche Erklärung an das Bundesamt geschickt. Nach seinem Beratungsgespräch bei der ... wäre die Post geschlossen gewesen, so dass er den Brief per normaler Post am ... Bahnhof abgeschickt habe, um nicht noch einen Tag zu versäumen. Die Briefmarke habe er von der ... bekommen. Unter „PS“ ist vermerkt, dass dieser Brief mit Hilfe der ... Sozialarbeiterin geschrieben worden sei. Dieser Klage- und Antragsbegründung waren als Anlagen ein Schreiben der ... an das Gericht vom 13. Oktober 2014 und eine Kopie des ... -Schreibens vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt sowie eine Kopie des Schreibens des Antragstellers vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt beigefügt. Im Schreiben vom 13. Oktober 2014 bestätigt die ... gegenüber dem erkennenden Gericht die Angaben des Antragstellers. Der Begleiter des Antragstellers, der für ihn gedolmetscht habe, sei dabei gewesen, als der Antragsteller seinen Brief vom 31. Juli 2014am ... Bahnhof abgeschickt habe und sei auch bereit, dies zu bestätigen. Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 31 Juli 2014 an das Bundesamt ausgeführt, dass er statt am Mittwoch den 16. Juli am Donnerstag den 17. Juli (2014) zum Anhörungstermin gefahren sei. Einen Tag vor dem richtigen Termin habe er das Geld für die Fahrkarte vom Sozialamt ... geholt. Er könne weder lesen noch schreiben, was ihm das Merken von Terminen erschwere. In schriftlichen Sachen sei er auf die Hilfe der ... Sozialarbeiterin angewiesen, die zu dieser Zeit leider in Urlaub gewesen sei. Daher bitte er um einen neuen Anhörungstermin. Im Schreiben der ... vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt wird ausgeführt, dass die Sozialarbeiterin den Antragsteller wegen ihres Urlaubs nicht an den richtigen Termin beim Bundesamt habe erinnern können. Wie in seinem Brief stehe, könne der Antragsteller weder lesen noch schreiben und habe oft Schwierigkeiten, schriftliche Sachen zu verstehen. Am 31. Juli 2014 habe sie telefonisch vom Sozialamt erfahren, dass der Antragsteller am 15. Juli 2014 seine Fahrkarte abgeholt habe. Sie bitte, dem Antragsteller, eine zweite Chance bzw. einen neuen Termin für eine persönliche Anhörung zu ermöglichen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 75 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) statthaft und zulässig. Das zur Niederschrift vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klagebegehren, das als Verpflichtungsbegehren aufgenommen wurde, ist gemäß § 88 VwGO vorliegend dahingehend auszulegen, dass eine Anfechtungsklage erhoben wurde, mit der ausschließlich die Aufhebung des Bescheids vom 11. September 2014 begehrt wird. Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 AsylVfG geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (BVerwG, U.v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - juris Rn. 14 m. w. N.).

2. Der Antrag ist auch begründet.

Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist insbesondere auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Ist die Klage in der Hauptsache im Rahmen einer summarischen Prüfung offensichtlich erfolgreich, kann kein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtwidrigen Bescheides bestehen. Andererseits kann der Antragsteller kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend.

Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die (Anfechtungs-) Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. September 2014 zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) erfolgreich sein, da dieser Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller daher in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Zwar hat der Antragsteller sein Asylverfahren tatsächlich nicht betrieben, da er zum einen den Anhörungstermin am 16. Juli 2014 ohne ausreichende Entschuldigungsgründe versäumt hat. Zum anderen hat der Antragsteller auch nicht die ihm mit Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 (Bl. 34 der Bundesamtsakte) eingeräumte Gelegenheit wahrgenommen, innerhalb eines Monats schriftlich zu seinen Asylgründen bzw. zu den Gründen, die seiner Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, Stellung zu nehmen.

Die in den an das Bundesamt gerichteten Schreiben des Antragstellers und der ... vom 31. Juli 2014 (Bl. 21, 22 der Gerichtsakte) vorgebrachten Erklärungen, warum der Antragsteller den Anhörungstermin am 16. Juli 2014 nicht wahrgenommen hat, sind nicht geeignet, die Versäumung des Anhörungstermins nachträglich zu entschuldigen. Denn der Antragsteller hat gezeigt, dass er auch als Analphabet in der Lage ist, sein Asylverfahren zu betreiben und sich die nötige Hilfestellung zu verschaffen. Aus dem Schreiben des Antragstellers vom 31. Juli 2014 ergibt sich, dass er die Ladung zum Anhörungstermin erhalten hat und ihm auch bewusst war, dass die Anhörung unmittelbar bevorsteht, da er sich ansonsten am 15. Juli 2014 das Geld bzw. die Zugfahrkarte beim Sozialamt ... nicht besorgt hätte. Diese Beschaffung der Zugfahrkarte zeigt auch, dass der Antragsteller in der Lage ist, z. B. notwendige Behördengänge selbstständig zu erledigen. Aus dem Schreiben der ... vom 13. Oktober 2014 an das Gericht (Bl. 20 der Gerichtsakte) ergibt sich zudem, dass sich der Antragsteller, wenn er es für erforderlich hält, auch Hilfe bzw. einen Helfer zum Dolmetschen holen kann. Damit wäre es ihm bei Beachtung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt auch möglich gewesen, den Anhörungstermin 16. Juli 2014 so zu verifizieren, dass er die Anreise am richtigen Tag unternimmt. Die Anreise zum Anhörungstermin erst am 17. Juli 2014 anstatt am 16. Juli 2014 ist damit, auch unter Berücksichtigung, dass der Antragsteller Analphabet ist, als grobe Fahrlässigkeit zu werten. Eine ausreichende Entschuldigung der Versäumung des Anhörungstermis liegt damit nicht vor.

Der Antragsteller hat zudem die ihm vom Bundesamt mit Schreiben vom 16. Juli 2014 gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG eingeräumte Möglichkeit, seine Asylgründe wenigstens schriftlich darzulegen, nicht (fristgemäß) wahrgenommen. Die Schreiben, die die ... anlässlich der Vorsprache des Antragstellers (in Begleitung einer dolmetschenden Person) am 31. Juli 2014 verfasst hat (Bl. 21 22 der Gerichtsakte), enthalten nur die (Entschuldigungs-) Gründe, warum der Antragsteller den Anhörungstermin versäumt hat, aber nicht die vom Bundesamt geforderten Asylgründe bzw. die Gründe, die einer Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland Senegal entgegenstehen. Auch in der Folgezeit hat der Antragsteller nach Aktenlage seine Asylgründe nicht schriftlich gegenüber dem Bundesamt dargelegt.

b) Die Rechtswidrigkeit der Einstellung des Asylverfahrens folgt aber bereits daraus, dass eine Betreibensaufforderung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht ergangen ist. Denn das Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 belehrte den Antragsteller nur darüber, dass das Bundesamt, falls er die Möglichkeit zur schriftlichen Darlegung seiner Asylgründe nicht innerhalb eines Monats wahrnehmen sollte, nach Aktenlage entscheiden werde. Das Nichtbetreiben des Asylverfahrens (siehe unter a)) hätte das Bundesamt entsprechend seinem Schreiben vom 16. Juli 2014 daher nur dazu berechtigt, nach Ablauf der Stellungnahmefrist über den Asylantrag des Antragstellers nach Aktenlage materiell zu entscheiden (s. § 25 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG). Dagegen hat das Bundesamt von der in § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylVfG eingeräumten Möglichkeit, mit der Einräumung einer Stellungnahmefrist auch eine Aufforderung gemäß § 33 AsylVfG zum Betreiben des Verfahrens zu verbinden, keinen Gebrauch gemacht.

Der Grundsatz eines fairen Verfahrens erfordert es aber, dass der Asylbewerber mit Erhalt der Betreibensaufforderung in die Lage versetzt werden muss, abzusehen, welche Konsequenzen bei deren Nichtbeachtung entstehen können. Dies setzt unter anderem eine nicht nur hinreichend deutliche, sondern auch vollständige Belehrung über die gemäß §§ 32, 33 AsylVfG mit der Einstellungsentscheidung verbundenen Rechtsfolgen voraus (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - juris Rn. 31 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 10.3.1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl. 1994, 631). Eine solche ordnungsgemäße Betreibensaufforderng nach § 33 Abs. 1 AsylVfG ist im Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 nicht enthalten.

Das Klageverfahren wird daher erfolgreich sein und zur Aufhebung des angefochtenen Bescheid führen.

Nach allem war dem Antrag stattzugeben.

3. Nachdem der Antrag vollumfänglich Erfolg hat, sind die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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Verwaltungsgericht Augsburg Gerichtsbescheid, 02. Apr. 2015 - Au 7 K 14.30540

bei uns veröffentlicht am 02.04.2015

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2014 wird aufgehoben. II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. III. Das Urte

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Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2014 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der 1994 geborene Kläger, der keine Ausweisdokumente vorlegte, ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger vom Volksstamm der Wolof.

Er meldete sich am 7. Dezember 2012 in ... als Asylsuchender und stellte am 14. Dezember 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag. Dabei wurde ihm u. a. die „Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ in seiner Muttersprache (Wolof) übergeben, die insbesondere auch auf die Bedeutung des Anhörungstermins und über die Folgen einer unentschuldigten Versäumung dieses Termins hinwies. Der Kläger hat den Erhalt dieser Belehrung durch seine Unterschrift bestätigt (vgl. Bl. 5 bis 12 der Bundesamtsakte).

Mit Schreiben vom 18. Juni 2014 wurde der Kläger zur persönlichen Anhörung am 16. Juli 2014 geladen. Der Kläger ist zu diesem Termin unentschuldigt nicht erschienen. Daraufhin teilte ihm das Bundesamt mit Schreiben vom 16. Juli 2014 u. a. mit, dass ihm hiermit gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG Gelegenheit gegeben werde, innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Schreibens sowohl zu seinen Asylgründen als auch zu den Gründen, die seiner Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, schriftlich Stellung zu nehmen. Sollte innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Schreibens keine Antwort eingehen, werde das Bundesamt nach Aktenlage entscheiden.

Mit Bescheid vom 11. September 2014 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Im Falle der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung in den Senegal oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3.).

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Kläger das Verfahren für mehr als einen Monat nicht betrieben habe, so dass der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 AsylVfG als zurückgenommen gelte und festzustellen sei, dass das Asylverfahren gemäß § 32 AsylVfG eingestellt sei.

Dieser Bescheid wurde dem Kläger mit Schreiben des Bundesamtes vom 29. September 2014 übermittelt.

Am 8. Oktober 2014 hat der Kläger zur Niederschrift bei der Rechtsantragstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg Klage erhoben und beantragt:

I.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 23014 wird aufgehoben.

II.

Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, dem Asylantrag gemäß Art. 16a Abs. 1 GG stattzugeben und den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Des Weiteren festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen. Des Weiteren ist festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Gleichzeitig stellte er den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 einen Ausdruck der elektronischen Akte vor.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 trug der Antragsteller vor, er habe seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt. Er habe zwar den Anhörungstermin versäumt, habe aber am 31. Juli 2014 eine schriftliche Erklärung an das Bundesamt geschickt. Nach seinem Beratungsgespräch bei der ... wäre die Post geschlossen gewesen, so dass er den Brief per normaler Post am ... Bahnhof abgeschickt habe, um nicht noch einen Tag zu versäumen. Die Briefmarke habe er von der ... bekommen. Unter „PS“ ist vermerkt, dass dieser Brief mit Hilfe der ... Sozialarbeiterin geschrieben worden sei. Dieser Klage- und Antragsbegründung waren als Anlagen ein Schreiben der ... an das Gericht vom 13. Oktober 2014 und eine Kopie des ... -Schreibens vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt sowie eine Kopie des Schreibens des Antragstellers vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt beigefügt. Im Schreiben vom 13. Oktober 2014 bestätigt die ... gegenüber dem erkennenden Gericht die Angaben des Antragstellers. Der Begleiter des Antragstellers, der für ihn gedolmetscht habe, sei dabei gewesen, als der Antragsteller seinen Brief vom 31. Juli 2014 am ... Bahnhof abgeschickt habe und sei auch bereit, dies zu bestätigen. Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 31 Juli 2014 an das Bundesamt ausgeführt, dass er statt am Mittwoch den 16. Juli am Donnerstag den 17. Juli (2014) zum Anhörungstermin gefahren sei. Einen Tag vor dem richtigen Termin habe er das Geld für die Fahrkarte vom Sozialamt ... geholt. Er könne weder lesen noch schreiben, was ihm das Merken von Terminen erschwere. In schriftlichen Sachen sei er auf die Hilfe der ... Sozialarbeiterin angewiesen, die zu dieser Zeit leider in Urlaub gewesen sei. Daher bitte er um einen neuen Anhörungstermin. Im Schreiben der ... vom 31. Juli 2014 an das Bundesamt wird ausgeführt, dass die Sozialarbeiterin den Antragsteller wegen ihres Urlaubs nicht an den richtigen Termin beim Bundesamt habe erinnern können. Wie in seinem Brief stehe, könne der Antragsteller weder lesen noch schreiben und habe oft Schwierigkeiten, schriftliche Sachen zu verstehen. Am 31. Juli 2014 habe sie telefonisch vom Sozialamt erfahren, dass der Antragsteller am 15. Juli 2014 seine Fahrkarte abgeholt habe. Sie bitte, dem Antragsteller, eine zweite Chance bzw. einen neuen Termin für eine persönliche Anhörung zu ermöglichen.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Oktober 2014 (Az.: Au 7 S 14.30541) wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Die Beteiligten wurden mit Schreiben des Gerichts vom 17. Dezember 2014 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO) angehört.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu dieser Form der Entscheidung angehört. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das zur Niederschrift vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klagebegehren, das als Verpflichtungsbegehren aufgenommen wurde, ist gemäß § 88 VwGO vorliegend dahingehend auszulegen, dass eine Anfechtungsklage erhoben wurde, mit der ausschließlich die Aufhebung des Bescheids vom 11. September 2014 begehrt wird.

Die in diesem Sinne ausgelegte Klage ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist zulässig.

Sie ist insbesondere als Anfechtungsklage i. S. d. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und wurde auch fristgemäß erhoben (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (BVerwG, U. v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - juris Rn. 14 m. w. N.).

2. Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. September 2014 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz /AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Beklagte hat das Asylverfahren zu Unrecht eingestellt, weil der Asylantrag entgegen ihrer Auffassung nicht als zurückgenommen gilt.

Die Rechtswidrigkeit der Einstellung des Asylverfahrens folgt bereits daraus, dass eine Betreibensaufforderung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht ergangen ist. Denn das Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 belehrte den Antragsteller nur darüber, dass das Bundesamt, falls er die Möglichkeit zur schriftlichen Darlegung seiner Asylgründe nicht innerhalb eines Monats wahrnehmen sollte, nach Aktenlage entscheiden werde. Das Ausbleiben einer schriftlichen Darlegung der Asylgründe hätte das Bundesamt entsprechend seinem Schreiben vom 16. Juli 2014 daher nur dazu berechtigt, nach Ablauf der Stellungnahmefrist über den Asylantrag des Antragstellers nach Aktenlage materiell zu entscheiden (s. § 25 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG). Dagegen hat das Bundesamt von der in § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylVfG eingeräumten Möglichkeit, mit der Einräumung einer Stellungnahmefrist auch eine Aufforderung gemäß § 33 AsylVfG zum Betreiben des Verfahrens zu verbinden, keinen Gebrauch gemacht. Denn in dem Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 wurde der Kläger nicht darauf hingewiesen, dass sein Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Verfahren eingestellt ist, wenn er sein Asylverfahren trotz entsprechender Aufforderung nicht betreibt.

[28] Der Grundsatz eines fairen Verfahrens erfordert es aber, dass der Asylbewerber mit Erhalt der Betreibensaufforderung in die Lage versetzt werden muss, abzusehen, welche Konsequenzen bei deren Nichtbeachtung entstehen können. Dies setzt unter anderem eine nicht nur hinreichend deutliche, sondern auch vollständige Belehrung über die gemäß §§ 32, 33 AsylVfG mit der Einstellungsentscheidung verbundenen Rechtsfolgen voraus (vgl. BVerwG, U. v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - juris Rn. 31 unter Hinweis auf BVerfG, B. v. 10.3.1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl. 1994, 631). Eine solche ordnungsgemäße Betreibensaufforderung nach § 33 Abs. 1, § 32 AsylVfG ist im Schreiben des Bundesamtes vom 16. Juli 2014 nicht enthalten.

b) Da die Beklagte über den Asylantrag des Klägers (§ 13 Abs. 2 AsylVfG), d. h. über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den subsidiären Schutz und die Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a Abs. 1 GG), noch materiell zu entscheiden hat, erweist sich die Feststellung in Ziffer 2 des Bescheids, dass (nationale) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen, als rechtswidrig. Denn über diese nationalen Abschiebungsverbote ist nur zu entscheiden, sofern die Gewährung internationalen Schutzes bzw. die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, §§ 709, 711 ZPO.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.