Sozialgericht München Urteil, 12. Juli 2016 - S 52 AS 1155/12

bei uns veröffentlicht am12.07.2016

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts, den der Beklagte am 24. Januar 2012 erlassen hatte.

Der Kläger ist selbständiger Künstler und bezog seit Juni 2008 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten, da die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit zur Deckung des Lebensunterhalts nicht ausreichten.

Die Beteiligten schlossen verschiedene Eingliederungsvereinbarungen ab, in denen sich der Kläger verpflichtete, seine selbständige Tätigkeit auszubauen und sich auf Vermittlungsvorschläge des Beklagten zu bewerben.

Der Beklagte bewilligte zuletzt mit Bescheid vom 8. Dezember 2011 vorläufig Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum Januar bis Juni 2012 in Höhe von monatlich 555,98 Euro.

Bei einem Termin am 24. Januar 2012 wollte der Beklagte mit dem Kläger eine Eingliederungsvereinbarung abschließen, wonach sich der Kläger erstmals auch zum Nachweis von monatlich zehn Eigenbewerbungen verpflichten sollte. Der Abschluss einer beidseitigen Eingliederungsvereinbarung wurde vom Kläger verweigert. Daraufhin ersetzte der Beklagte die Eingliederungsvereinbarung am gleichen Tag per Verwaltungsakt für den Zeitraum 24. Januar bis 23. Juli 2012. Darin verpflichtete sich der Beklagte, dem Kläger geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten und sein Bewerberprofil im Onlineportal aufzunehmen. Bewerbungskosten könnten bis zu einem Betrag von jährlich 260,- Euro übernommen werden.

Den Kläger traf die Verpflichtung, jeweils im Zeitraum von vier Wochen zehn Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen. Der Kläger hatte die Nachweise monatlich persönlich am 1. März, 5. April und 4. Mai 2012 um 14 Uhr bei seinem Arbeitsvermittler vorzulegen, weitere Termine sollten nach Notwendigkeit vereinbart werden. Der Verwaltungsakt enthielt überdies die Vorgabe, dass die selbständige Tätigkeit durch den Kläger auf nebenberuflicher Basis weiterhin ausgeübt werden dürfe, solange Vermittlung und Bewerbung Vorrang hätten.

Der Kläger legte gegen den Eingliederungsverwaltungsakt am 31. Januar 2012 Widerspruch ein. Das SGB II verstoße in großen Teilen gegen das Grundgesetz. Der Kontrahierungszwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung verletze ihn in seinen Grundrechten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2012 als unbegründet zurück.

In der Folge erließ der Beklagte am 18. Juli 2012 einen weiteren die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt für den Zeitraum 18. Juli 2012 bis 17. Januar 2013. Dieser enthielt die gleichen Verpflichtungen für beide Seiten wie der Bescheid vom 24. Januar 2012; überdies verpflichtete sich der Beklagte zu zwei weiteren Leistungen: Der Kläger wurde in das Bundesprogramm „Perspektive 50 plus“ aufgenommen und sollte an der Maßnahme „Unterstützung zum Berufseinstieg“ vom 1. August bis 28. September 2012 teilnehmen.

Der Kläger hat am 30. April 2012 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Eingliederungsverwaltungsakt sei rechtswidrig, weil sich der Beklagte nur zu Ermessensleistungen verpflichtet hatte. Überdies habe der Beklagte nicht einmal versucht, eine einvernehmliche Vereinbarung mit dem Kläger abzuschließen. Die Meldeverpflichtung sei nicht hinreichend bestimmt, da kein konkreter Mitarbeiter genannt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung erschienen der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nicht. Letzterer hatte am Vortag mitgeteilt, dass er aufgrund der großen Entfernung nicht teilnehmen werde und weil die Sach- und Rechtslage als geklärt angesehen werden dürfte.

Der Kläger beantragt gemäß Schriftsatz vom 30. April 2012,

den Bescheid vom 24. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe sich in der Vergangenheit nur auf Vermittlungsvorschläge des Beklagten beworben und keine Eigenbemühungen erkennen lassen, deshalb sollte dies als Pflicht in der Eingliederungsvereinbarung zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit geregelt werden. Der Kläger habe die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen mehrmals abgelehnt. Beim Termin am 24. Januar 2102 habe er die Unterzeichnung verweigert, dies belege ein vorgelegter interner Vermerk. Die Meldeverpflichtung im Verwaltungsakt sei hinreichend bestimmt, auch sei die für den Kläger zuständige Sachbearbeiterin Frau Z. ihm bekannt und im Verwaltungsakt oben namentlich genannt.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist.

Streitgegenstand ist der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 24. Januar 2012, der für den Zeitraum 24. Januar bis 23. Juli 2012 galt. Da dieser Zeitraum abgelaufen ist, besteht für eine Anfechtungsklage auf Aufhebung dieses Verwaltungsaktes kein Raum. In Betracht kommt allein eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts feststellen, wenn sich dieser beispielsweise durch Zeitablauf erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in dem der Verwaltungsakt bei Klageerhebung am 30. April 2012 noch Wirkungen entfaltete, aber Ende Juli 2012 durch Zeitablauf jegliche Regelungswirkung verlor.

Die Klage ist hier unzulässig, da es am erforderlichen berechtigten Interesse fehlt. Die angestrebte Entscheidung ist nicht geeignet, die Position des Klägers zu verbessern.

Werden zeitlich überholte Eingliederungsverwaltungsakte angefochten, so kommt in Betracht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Form von Wiederholungsgefahr. Es muss die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr bestehen, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergehen wird (vgl. Keller in Meyer-Ladewig SGG, § 131 Rn. 10b). Diese Gefahr kann darin bestehen, dass die Behörde bei längerem Leistungsbezug des Hilfebedürftigen im nachfolgenden Eingliederungsverwaltungsakt diesem im Wesentlichen die gleichen Inhalte regelt.

Vorliegend fehlt es an der Wiederholungsgefahr, denn der Beklagte hat gerade nicht im folgenden Eingliederungsverwaltungsakt vom 18. Juli 2012 die gleichen Verpflichtungen der Beteiligten festgelegt.

Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vom 24. Januar 2102 erhebliche Zweifel bestehen, nicht aber an der des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 18. Juli 2012:

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II soll die Behörde einen Eingliederungsverwaltungsakt erlassen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Dieser Formulierung ist zu entnehmen, dass einer konsensualen Lösung grundsätzlich Vorrang einzuräumen ist gegenüber hoheitlichem Handeln durch Verwaltungsakt. Der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes ist dagegen nicht zu beanstanden, wenn der Leistungsempfänger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung verweigert hat (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Februar 2013, Az. B 14 AS 195/11). Die interne Dokumentation des Beklagten belegt hier die Ablehnung des Klägers zu einer einvernehmlichen Vereinbarung.

Das Bundessozialgericht hat in einer neuen Entscheidung am 23. Juni 2016 (s. u.) grundlegende Kriterien aufgestellt, nach denen Eingliederungsverwaltungsakte zu beurteilen sind:

Die Eingliederungsvereinbarung und auch der diese ersetzende Verwaltungsakt sollen insbesondere die Pflichten beider Seiten bestimmen, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB II. Da die Eingliederungsvereinbarung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellt, muss die Gegenleistung des Leistungsempfängers im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen. Nichts anderes gilt, wenn statt einer Vereinbarung ein Eingliederungsverwaltungsakt erlassen wird, denn § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II verweist ausdrücklich auf die Vorgaben in Satz 2. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit bedeutet vorliegend, dass es nicht ausreicht, wenn der Leistungsempfänger zahlreiche Bemühungen zur Eingliederung unternehmen muss, die Behörde dagegen lediglich Vermittlungsvorschläge unterbreitet und Bewerbungskosten (nach Ermessen) übernimmt. Vielmehr muss erkennbar sein, dass die Behörde auf die individuelle Bedarfslage zugeschnittene Eingliederungsleistungen erbringt. Soll von solchen individuellen Maßnahmen abgesehen werden, muss die Ermessensausübung hierzu erkennbar sein (vgl. Bundessozialgericht, Terminsbericht vom 23. Juni 2016, Az. B 14 AS 42/15).

Diesen Vorgaben genügte der Verwaltungsakt vom 24. Januar 2012 nicht. Selbst wenn der Beklagte von besonderen Eingliederungsleistungen absah, weil er vom Kläger hierzu - wie in der Vergangenheit - eine Weigerung erwartete, so ist dies aus dem Bescheid jedenfalls nicht ersichtlich. Die Leistungen standen nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis.

Anders verhält es sich mit dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 18. Juli 2016: Dieser ist auch nach den oben genannten Anforderungen nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die gleichen Pflichten der Beteiligten wie im Bescheid vom 24. Januar festgeschrieben, sich aber zusätzlich zu weiteren Eingliederungsleistungen an den Kläger verpflichtet: Die Aufnahme in das Bundesprogramm „Perspektive 50 plus“ sowie die Maßnahme „Unterstützung zum Berufseinstieg“. Diese Leistungen stellen ausreichende Gegenleistungen dar und lassen eine individuelle Ausrichtung erkennen.

Aufgrund dessen fehlt es hier an der Wiederholungsgefahr. Mit dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 18. Juli 2012 hat sich bestätigt, dass der Kläger kein berechtigtes Interesse hat, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vom 24. Januar 2012 isoliert feststellen zu lassen. Bei der Überprüfung von Sanktionen aufgrund von Verstößen gegen diesen Eingliederungsverwaltungsakt wird dieser ohnehin inzident geprüft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


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(1) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2, in dem sich der Vertragspartner der Behörde zu einer Gegenleistung verpflichtet, kann geschlossen werden, wenn die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dient. Die Gegenleistung muss den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen.

(2) Besteht auf die Leistung der Behörde ein Anspruch, kann nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 32 sein könnte.

(3) § 53 Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 1 und 2 nicht.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.