Sozialgericht München Urteil, 28. Okt. 2014 - S 30 R 1651/13

published on 28/10/2014 00:00
Sozialgericht München Urteil, 28. Okt. 2014 - S 30 R 1651/13
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Tatbestand

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist der versicherungsrechtliche Status der Klägerin zu 1). Sie ist geboren am ... 1970 und beantragte am 01.08.2012 bei der Beklagten, ihren sozialversicherungsrechtlichen Status im Hinblick auf ihre freie Mitarbeit im Bereich der sozialpädagogischen Einzelfall- und Familienhilfe für die Zeit ab 01.08.2011 bei der Klägerin zu 2) festzustellen. Sie nahm Bezug auf eine Betriebsprüfung von 2003, bei der die gleiche Aufgabenerfüllung als selbstständige Tätigkeit beurteilt worden war. Zu ihrer Tätigkeit lieferte die Klägerin zu 1) die Stichworte Einzelfallhilfe, sozialpädagogische Familienhilfe, soziale Gruppenarbeit, Betreutes Wohnen für psychisch kranke Eltern und Kinder. Die Ziele würden mit dem Jugendamt und der Familie von ihr festgelegt. Die Tätigkeit finde bei den Klienten vor Ort statt. Lediglich die soziale Gruppenarbeit finde manchmal in den Büroräumen statt. Die Klägerin zu 2) würde die Auftragsausführung nicht kontrollieren; hierfür sei sie selbst zuständig. Hinsichtlich Methoden und Durchführung gebe es gebe es keine Vorgaben. Entsprechend dem Vertrag über freie Mitarbeit gebe es keine festen Arbeitszeiten. Ihre Termine lege sie selbst fest. Der offenkundig als Mustervertrag mehrfach verwendete Vertrag über freie Mitarbeit zwischen den Klägerinnen zu 1) und 2) wurde vorgelegt. Er nimmt als Rahmenvertrag Bezug auf Einzelaufträge. Ein Weisungsrecht des Auftraggebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung wird abbedungen. Die Festsetzung der Arbeitszeit einschließlich Urlaub obliege der Mitarbeiterin in freier Verantwortung. Die Mitarbeiterin hat das Recht, Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Die Vergütung ist dahingehend geregelt, dass die Klägerin zu 2) von den Einnahmen 80% an die Mitarbeiterin weitergibt. Bei Mitwirkung anderer Mitarbeiter wird eine Vergütung anteilig gezahlt. Die Mitarbeiterin ist verpflichtet, dem Auftraggeber Kenntnis von sämtlichen anderweitigen Beschäftigungen und Aufträgen zur verschaffen und Änderungen hierbei unaufgefordert schriftlich anzuzeigen. Die Beklagte stellte den Klägerinnen 15 differenzierte Rückfragen über die Bedingungen der zu beurteilenden Tätigkeit, von denen einige jedoch durch die vorherigen Mitteilungen der Klägerinnen schon beantwortet waren. Mitgeteilt wurde, dass es bei der Klägerin zu 2) keine automatische Versorgung mit Fällen gibt, sondern dass sich die Mitarbeiterinnen und so auch die Klägerin zu 1) selbst um die Auftragslage kümmern müssen und durch ihre Person, Qualifikation und bisherige Leistung für sich werben müssen. Somit würde die freie Mitarbeiterin das volle unternehmerische Risiko tragen, da eine Vergütung nur über die tatsächlich geleisteten Stunden erfolge. Bei zu wenigen Fallanfragen, Erkrankung oder Urlaub erhalte die Mitarbeiterin keine Vergütung. Das Jugendamt bzw. entsprechende Einrichtungen würden telefonisch oder schriftlich nach den Arbeitskapazitäten der Mitarbeiterin fragen. Diese habe freie Entscheidungskompetenz, ob sie den Fall annimmt oder ablehnt. Die Mitarbeiterin sei gemeinsam mit den Klienten und der zuständigen Sachbearbeiterin des Jugendamtes an der Erstellung des Hilfeplans beim Hilfeplangespräch beteiligt. Hierzu gäbe es von Seiten der Klägerin zu 2) keinerlei Kontrolle oder Überprüfung. Die Mitarbeiterin lege weitgehend selbst fest, was in der festgelegten Zeit an Zielen erreicht werden kann. Sie habe auch die Kompetenz, die Zielsetzung in Abhängigkeit vom Entwicklungsverlauf des Falles in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zu ändern. Die Methoden und therapeutischen Maßnahmen lege die Klägerin zu 1) selbst fest. Die Mitarbeiterinnen hätten sich zur Qualitätssicherung in Form der Supervision entschieden, die jedoch nicht verpflichtend sei. Seitens des Jugendamtes würden halbjährlich Entwicklungsberichte benötigt. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an regelmäßigen Dienst- oder Teambesprechungen gebe es nicht. Die Mitarbeiterinnen hätten sich lediglich auf eigenen Wunsch für Teambesprechungen entschieden. Pro Einzelauftrag werde ein Stundensatz vereinbart, der dann von der Klägerin zu 1) an die Klägerin zu 2) in Rechnung gestellt werde. Über die Arbeitszeit würde von der Mitarbeiterin selbst bestimmt. Eine Verpflichtung der Mitarbeiterin, Krankheitsvertretungen bei Ausfall von Kolleginnen zu übernehmen, bestehe nicht. Ergänzend wurde mitgeteilt, dass sich die Mitarbeiter eines Jugendamtes nicht dafür entscheiden würden, einen Fall an die Klägerin zu 2) zu geben. Vielmehr würden sie sich konkret für einen speziellen Sozialpädagogen aus dem Team entscheiden und ihn direkt kontaktieren. Die Klägerin zu 2) nahm auf die Vorschriften der §§ 29-31 Sozialgesetzbuch 8 (SGB VIII) als Rechtsgrundlage des Tätigwerdens der Klägerinnen Bezug. Die Klägerinnen legten beispielhafte Rechnungen vor, in denen Stunden „face to face“ mit Stundensätzen zwischen 43,20 und 54 Euro abgerechnet wurden. Am 19.09.2012 hörte die Beklagte die Klägerinnen zu ihrer Absicht an, für die Klägerin zu 1) das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit der Folge einer Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen. Als Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wurden eine Zuweisung der Aufträge an die Klägerin zu 1), die Durchführung der Gruppenarbeit in den Büroräumen der Klägerin zu 2), das Fehlen eines erheblichen Kapitaleinsatzes und eines unternehmerischen Risikos, die Existenz eines Hilfeplans, die Fertigung von Berichten und die regelmäßige Teilnahme an Dienstbesprechungen angeführt. Gegenvorstellungen wiederholten die Mitteilung, dass zwischen den Klägerinnen keine Zuweisung von Klienten erfolge. Das Angebot einer Gruppenarbeit in den Büroräumen des Auftraggebers werde derzeit nicht wahrgenommen. Außerdem bestünde insoweit ein freies Wahlrecht des Ortes. Ein Kapitaleinsatz wurde mit Aufwendungen für ein eigenes Büro mit der üblichen elektronischen Ausrüstung sowie für ein Auto skizziert. Das unternehmerische Risiko wurde mit der Eigenständigkeit der Auftragsakquisition erläutert. Der Hilfeplan werde nicht von der Klägerin zu 2) erstellt, geschweige denn gefordert. Hierbei handele es sich um eine „Formsache“ des Jugendamtes. Der Entwicklungsbericht werde nicht von der Klägerin zu 2) gefordert, sondern müsse in jeder Praxis für Psychotherapie gefertigt und zum Beispiel der Krankenkasse vorgelegt werden. Die Teilnahme an Dienstbesprechungen erfolge nur entsprechend einer von der Klägerin zu 1) selbst eingeschätzten Notwendigkeit. Mit Bescheiden vom 31.10.2012 an die Klägerinnen stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin zu 1) ihre Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung ausübe und ab 01.08.2011 der Versicherungspflicht unterliege. Unbeeinflusst von den Gegenvorstellungen wurden die Argumente aus dem Anhörungsschreiben wortgleich wiederholt. Ergänzend wurde auf ältere Rechtsprechung zu Familienhelfern nach § 31 SGB VIII verwiesen, die regelmäßig im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses tätig würden. Die Beklagte hielt diese Rechtsprechung für anwendbar auch auf Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer und Einzelfallhelfer. Maßgeblich sei, dass die Fallverantwortung im Einzelfall beim Sachbearbeiter des Amtes verbleibe, der auch die Verantwortung für die Erstellung und Fortschreibung des Hilfeplans trage. Die Gesamtverantwortung obliege nach § 79 Abs. 1 SGB VIII dem öffentlichen Träger. Hiergegen wurde von beiden Klägerinnen Widerspruch erhoben. Zur Rechtsstellung der Familienhilfe wurde auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.04.2012 mit dem Aktenzeichen B 12 KR 24/10 R verwiesen und zitiert: „Entscheidend ist, dass das SGB VIII schon von seinem Regelungsansatz her keine Aussagen über den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status von Familienhelfern treffen will und trifft, sondern allein die staatliche Verantwortung für die Aufgaben der Jugendhilfe im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten im Blick hat (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 2 und 4 SGB I, § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und 4 i. V. m. mit §§ 16 ff, 27 ff SGB VIII). Selbst die Regelungen des SGB VIII über die Leistungserbringung enthalten keine Vorgaben über den sozialversicherungsrechtlichen Status von Mitarbeitern (vgl. dagegen z. B. §§ 72, 72 a SGB VIII zu den persönlichen und fachlichen Anforderungen an Mitarbeitern bei Trägern der öffentlichen Jugendhilfe). Zwar tragen nach § 79 Abs. 1 SGB VIII die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. Hieraus folgt jedoch keine für eine Beschäftigung typische Weisungsbefugnis eines öffentlichen Jugendhilfeträgers gegenüber einem für ihn zur Aufgabenerfüllung Tätigen.“ Das Bundesarbeitsgericht sei 2005 von seiner von der Beklagten zitierten Rechtsprechung aus dem Jahre 1998 abgerückt. Die im Anhörungsverfahren unberücksichtigt gebliebenen Informationen wurden nochmals ausführlich wiederholt. Die Widerspruchsbescheide vom 17.07.2013 bestätigten die Ausgangsbescheide. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verpflichtung zur Einhaltung des von der Klägerin zu 2) vorgegebenen organisatorischen Rahmens sei auch ohne ausdrückliche Einzelanweisungen als Direktionsrecht des Auftraggebers anzusehen. Dieses könne er auch auf seine „Kunden (Klienten, Sozialträger)“ übertragen. Weil der Klägerin zu 1) die Dauer und Hauptinhalte ihrer Tätigkeit durch die Klienten (!) und durch die über die Klägerin zu 2) verpflichtend weitergegebenen Vereinbarungen vorgegeben seien, würden der Klägerin zu 1) nahezu keine unternehmergleichen Gestaltungsspielräume im System verbleiben. Eine Einbindung in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu 2) liege auch dadurch vor, dass der vom Sozialträger übernommene Auftrag nicht vollständig an die Honorarkraft abgegeben wird und die Klägerin zu 2) für die Durchführung des Betreuungsauftrages im Ergebnis die Verantwortung trägt. Die Dispositionsmöglichkeiten der Klägerin zu 1) hinsichtlich Art und Weise der auszuführenden Tätigkeit entsprächen lediglich den Freiräumen abhängig Beschäftigter. Die hiergegen erhobene Klage hält an der Auffassung fest, dass die Klägerin zu 1) ihre Aufgaben in selbstständiger Position erfüllt. Sie biete Erziehungsbeihilfe nach § 30 SGB VIII und sozialpädagogische Familienhilfe nach § 31 SGB VIII an. Sie unterliege keinem Weisungsrecht des Sozialträgers, der Klägerin zu 2) oder der Klienten. Ein Weisungsrecht der Klienten sei fachlich absolut unsinnig. Vor allem in Fällen der Gefährdung des Kindeswohls verlange der Gesetzgeber von der Fachkraft ein klares und neutrales Beobachten und Handeln. Bei der Klägerin zu 2) handele es sich um einen Zusammenschluss von vier Sozialpädagoginnen, die als Einzelpersonen in diesem Bereich nicht hätten tätig sein können und nach außen eine für das Jugendamt B-Stadt annehmbare Organisationsform benötigt hätten. Man habe sich für die Gründung eines Vereins entschieden und pro forma die Position der Geschäftsführerin mit einer der Mitgliederinnen besetzt. Im Innenverhältnis handele es sich um eine Bürogemeinschaft ohne Hierarchie und Rechenschaftspflichten. Jedes Mitglied des Vereins organisiere seinen Arbeitstag, je nachdem wie es für sinnvoll erachtet werde. Jedes Vereinsmitglied verfüge zusätzlich zu den Vereinsräumlichkeiten über ein eigenes Büro. Der Beklagtenvertreter trug in der mündlichen Verhandlung vor, die von der Klägerin zu 1) zu erfüllenden Pflichten seien mit einer so hohen Verantwortung verbunden, dass sie unter dem Aspekt der notwendigen Kontrolle nur in abhängiger Beschäftigung erbracht werden könnten.

Die Klägerinnen beantragen, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 31.10.2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 17.07.2013 zur bescheidsmäßigen Feststellung zu verurteilen, dass die Klägerin zu 1) ihre Tätigkeit im Bereich sozialpädagogische Einzelfallhilfe/Erziehungsbeistandschaft, soziale Gruppenarbeit und betreutes Wohnen für psychisch kranke Eltern mit Kindern bei der Klägerin zu 2) im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit ausgeübt hat.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Die Klage ist in der Sache auch offenkundig begründet. § 7 a Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) ermöglicht ein Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit. Abs. 1 S. 3 der Vorschrift begründet eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten für entsprechende Statusfeststellungen. Nach Abs. 2 der Vorschrift entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. In der modernen Dienstleistungsgesellschaft ist es zur alltäglichen Erscheinung geworden, dass hoch qualifizierte Personen für mehrere Arbeitgeber oder Auftraggeber tätig werden. Geradezu typisch ist es, mit eigener körperlicher Kraft, persönlichem Wissen, originärer organisatorischer Kompetenz, höchstpersönlicher künstlerischer Befähigung und/oder selbst erstellter Software verschiedene Kunden, Betriebsstätten, Baustellen oder Auftrittsorte aufzusuchen. Zur Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung ist das Kriterium einer nur teilzeitigen Inanspruchnahme nicht geeignet. Begrenzte Aussagekraft hat auch das Tätigwerden in der betrieblichen Sphäre des Auftraggebers. Künstlerischer Auftritt, betriebliche Fortbildung, technischer Service oder Bauleistungen können naturgemäß nur dort erbracht werden und nicht in den Räumen des Dienstleisters. Auch die zeitliche Eingliederung der Dienstleistung in ein System des Stundenplans oder der mehr oder weniger flexiblen vorherigen Vereinbarungen ist für sich genommen noch nicht aussagekräftig. Der zu Reparaturen ins Haus gerufener Handwerker muss sich an einen vereinbarten Termin halten wie der Arzt, der seinen Patienten erwartet. Trotzdem sind beide selbstverständlich nicht Teilzeitarbeitnehmer ihrer Kunden. Unerlässlich ist die Abwägung, in welchem Maße die erbrachte Leistung selbstgestaltet oder vor- und fremdbestimmt ist. Der ins betriebliche Fortbildungsseminar geladene Kommunikationswissenschaftler, der aus einer bestimmten beruflichen Praxis heraus zu speziellen Lehraufträgen in die Hochschule berufene Dozent oder der zu öffentlichem Auftritt geladene Kabarettist, Schriftsteller oder Vortragskünstler hat seinen Auftrag jeweils wegen einer unverwechselbaren persönlichen Kompetenz erhalten, die vielfach auch ihren unmittelbaren Ausdruck im frei vereinbarten Honorar findet. Typisch für den Einsatz dieser Personen, der in selbstständiger Tätigkeit erbracht wird, ist die verlangte und erbrachte komplette persönliche, körpersprachliche und stimmliche Präsenz. Der eigene Name ist jeweils Markenzeichen. Ohne den Bezug zum Namen und zur oftmals auch visuellen Bekanntheit von Gestalt und Gesicht ist die Beauftragung eines öffentlich auftretenden literarischen Vortragskünstlers oder referierenden Politikers nicht vorstellbar. Je enger und schematischer jedoch das Spektrum der zu erfüllenden Aufgaben ist und je selbstverständlicher die herangezogene Dienstleistungskraft austauschbar ist, umso weniger ist ein unternehmerisches Profil als Grundlage einer Selbstständigkeit beschreibbar. Die erkennende Kammer hatte und hat immer wieder unter dem Aspekt der Statusfeststellung die Position von Taxifahrern, LKW-Fahrern, Busfahrern, Bedienern von Bau- und Forstwirtschaftsmaschinen, Hausmeistern, Buchhaltungskräften, Teilzeitpflegekräften usw. zu beurteilen, von denen jeweils nur der Nachweis des entsprechenden Führerscheins oder der formalen beruflichen Qualifikation gefordert wird und die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben weder irgendeinen nennenswerten zeitlichen und inhaltlichen Spielraum noch auch nur die rechtliche Befugnis zu irgendeiner kreativen Ausgestaltung ihrer Dienstleistung haben. Dass ein mit fremdem Fahrzeug arbeitender Kurierdienstfahrer seine Fahrtrouten selbst bestimmen kann und dass sich der Hausmeister eines Grundbestandes eigenen Werkzeugs bedient, genügt zur Anerkennung einer Selbstständigkeit nicht. Vorliegend ist sehr ausführlich dargelegt und auch unschwer erkennbar, dass die Dienstleistung der Klägerin zu 1) ausgesprochen individualisiert ist. Sie wird offenkundig genau wegen eines beim Auftraggeber bekannten Profils persönlicher und fachlicher Eigenschaften für genau die Klienten herangezogen, bei denen sie am meisten ausrichten kann.

Ein sozialer Träger schickt in Familien, Heime und Wohnsituationen selbstverständlich nicht irgend eine Person mit einem formal hinreichenden beruflichen Abschluss etwa in Psychologie oder Sozialpädagogik, sondern nach sorgfältiger Abwägung einen Mann oder eine Frau mit den jeweils optimalen Voraussetzungen für die Intervention in dem einen oder anderen beispielsweise nach Alter, Sozialstruktur oder Migrationshintergrund definierten Milieu. Von einer Austauschbarkeit wie beim Aushilfsfahrer oder beim Gärtnereihelfer kann keine Rede sein. Die von der Beklagten immer wieder herangezogenen Kriterien „Kapitaleinsatz“ und „Unternehmerrisiko“ sind bei der Beurteilung von Dienstleistungen wenig aussagekräftig. Der eindeutig selbstständige bzw. freiberufliche Schriftsteller, Psychotherapeut, Unternehmensberater oder Rechtsanwalt setzt genauso wenig „Kapital“ ein wie der bei einer Zeitung vollzeitbeschäftigte Journalist oder der leitende Angestellte eines Unternehmens. Die für viele geistig-kommerziell-kommunikative Berufe notwendige Vorhaltung eines häuslichen Büros mit PC, Telefon und Schreibtisch sowie der Besitz eines Autos sind so selbstverständlich geworden, dass sich aus einer solchen Infrastruktur und ihrer mehr oder weniger intensiven beruflichen Nutzung keine bedeutsamen Schlüsse ziehen lassen. Auch die Mehrzahl der zweifellos nicht selbstständigen Tageszeitungsredakteure, Gymnasiallehrer, Hochschulprofessoren und Richter halten sich zu Hause eine wissenschaftlich-schreibtechnisch-kommunikative Arbeitsbasis. Hinsichtlich des Unternehmerrisikos müsste die Beklagte zur Kenntnis nehmen, dass im Dienstleistungsbereich gewiss nicht die einzelne vereinbarte Arbeitsstunde oder der einzelne Arbeitstag in der Ungewissheit über einen Erlös begonnen werden, sondern dass das typische Risiko hier in der Ungewissheit künftiger Aufträge besteht. Eine betriebswirtschaftliche Risikokalkulation kann im Dienstleistungsbereich naturgemäß nicht in derselben Weise stattfinden wie sie bei der Produktion von Waren möglich ist, bei der die Wahrscheinlichkeiten eines schnellen Abverkaufs, eines zögernden Verkaufs erst nach wiederum kostspieliger Lagerhaltung, einer billigen Abgabe von Überbeständen und schließlich einer vollständigen Abschreibung des unverkäuflichen Rests mit betriebswirtschaftlichen Kurven aufgezeichnet werden können. Unstrittig unterliegt die Klägerin zu 1) einem Risiko künftiger Beauftragung, dass durch keinen Kündigungsschutz und durch keine sonstige Bestandsgarantie abgefedert ist. Gänzlich falsch liegt die Beklagte mit der Fiktion eines Weisungsrechts gegenüber der Klägerin zu 1). Im Anhörungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren wurde ausführlich und anschaulich dargestellt, dass die Klägerin zu 1) ihre Aufträge in einem nach Orten, Zeiten und Methoden vollkommen selbstbestimmten Modus erfüllt.

Selbstverständlich sind Aufträge an Dienstleister stets mit der Definition einer gewissen Zielsetzung und der Absteckung eines gewissen Rahmens von Zeit und Aufwand verbunden. Wollte man die Formulierung von grundsätzlichen Erwartungen bei der Beauftragung der Klägerin zu 1) als Weisungsrecht der Klägerin zu 2) interpretieren, so würde man mit derselben Logik auch den im Einzelfall beauftragten Rechtsanwalt, Zahnarzt, betrieblichen Konflikttrainer, medizinischen Gerichtsgutachter, Schönheitschirurgen, Architekten, EDV-Berater, Catering-Anbieter und zahllose andere Dienstleister von der Hebamme bis zum Grabredner zu weisungsabhängigen Arbeitnehmern des Kunden erklären. Abenteuerlich ist die Vorstellung, das Jugendamt würde ein eigenes Weisungsrecht über die Klägerin zu 2) ausgerechnet an die Klienten delegieren. Selbstverständlich müssen schon unter dem Aspekt des Schutzes der Grundrechte alle Menschen, die den Interventionen eines Sozialpädagogen, des Psychologen einer Justizvollzugsanstalt, eines Bewährungshelfers, eines Arztes in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer Pflegekraft im Pflegeheim in einer nicht oder nicht ganz freiwilligen Weise ausgesetzt oder unterworfen sind, die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den therapeutischen oder beratenden Prozess und bei gänzlicher Disharmonie auch das Recht einer Beendigung des Betreuungsverhältnisses haben. Hierbei handelt es sich aber stets ausschließlich um das Recht zur Wahrung der höchstpersönlichen Position, keinesfalls jedoch um ein vom Auftraggeber delegiertes Recht zur fachlichen Kontrolle oder Supervision. Um den Preis der wünschenswerten Abkehr von einer rein schematischen Betrachtungsweise würde die Beklagte erkennen, dass die Klägerin zu 2) keine Arbeitgeberin ist, sondern die im Wirtschaftsleben keineswegs seltene Funktion einer Agentur oder Vermittlung übernommen hat, die institutionellen Auftraggebern zur Kommunikation mit den jeweils optimalen Leistungserbringern verhilft. Solche Vermittlungen sind beispielsweise zwischen Verlagen/Rundfunk- und Fernsehsendern/Filmproduzenten einerseits und Autoren/Journalisten/Fotografen/Musikproduzenten/Schauspielern andererseits schon seit langem aktiv, ebenso bei der Beauftragung von Übersetzern und Dolmetschern, Festrednern, Fotomodellen, außergerichtlichen Mediatoren oder Gutachtern auf den Gebieten von Medizin, Technik, Unfallschaden oder Immobilienbewertung. In all diesen Wirtschaftsbranchen und Berufsfeldern wäre die Fiktion einer abhängigen Beschäftigung zwischen Agentur und Leistungserbringer abwegig. Zurückzuweisen ist auch das in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Postulat, öffentliche Aufgaben mit höherer Verantwortung könnten nur in abhängiger Beschäftigung erbracht werden. Das Sozialgericht ist mit seiner ständigen Beauftragung freier ärztlicher Gutachter das beste Beispiel für die Delegation hoheitlicher Aufgaben an freie Träger. Bund, Länder und Kommunen, Sozialversicherungsträger und Universitäten, Behörden und Gerichte beauftragen ständig wissenschaftliche Institute, Bauingenieure, Ärzte, Historiker, Publizisten, bildende Künstler, Orchester, Rechtsanwälte usw. usw. außerhalb der öffentlich-rechtlichen Hierarchie.

Nach alledem ist bei der Klägerin zu 1) mit großer Deutlichkeit die Selbstständigkeit bewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 und Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung.

(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch

1.
die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen;
2.
die nach Nummer 1 vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden;
3.
eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden.

(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter einschließlich der Möglichkeit der Nutzung digitaler Geräte zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.

(1) Nach dem Recht der Kinder- und Jugendhilfe können in Anspruch genommen werden:

1.
Angebote der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Jugendschutzes,
2.
Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie,
3.
Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege,
4.
Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie Hilfe für junge Volljährige.

(2) Zuständig sind die Kreise und die kreisfreien Städte, nach Maßgabe des Landesrechts auch kreisangehörige Gemeinden; sie arbeiten mit der freien Jugendhilfe zusammen.

(1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Diese Leistungen sollen Erziehungsberechtigte bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen und dazu beitragen, dass Familien sich die für ihre jeweilige Erziehungs- und Familiensituation erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere in Fragen von Erziehung, Beziehung und Konfliktbewältigung, von Gesundheit, Bildung, Medienkompetenz, Hauswirtschaft sowie der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit aneignen können und in ihren Fähigkeiten zur aktiven Teilhabe und Partizipation gestärkt werden. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.

(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere

1.
Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familien in ihrer Gesundheitskompetenz stärken, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen, zu ihrer Teilhabe beitragen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten,
2.
Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen,
3.
Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen.
Dabei soll die Entwicklung vernetzter, kooperativer, niedrigschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Angebotsstrukturen unterstützt werden.

(3) Müttern und Vätern sowie schwangeren Frauen und werdenden Vätern sollen Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen angeboten werden.

(4) Das Nähere über Inhalt und Umfang der Aufgaben regelt das Landesrecht.

(5) (weggefallen)

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung.

(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch

1.
die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen;
2.
die nach Nummer 1 vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden;
3.
eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden.

(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter einschließlich der Möglichkeit der Nutzung digitaler Geräte zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.

Der Erziehungsbeistand und der Betreuungshelfer sollen das Kind oder den Jugendlichen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbständigung fördern.

Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.