Sozialgericht München Endurteil, 07. Juli 2015 - S 5 AL 169/13

published on 07/07/2015 00:00
Sozialgericht München Endurteil, 07. Juli 2015 - S 5 AL 169/13
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Tenor

I.

Die Klage gegen den Bescheid vom 05.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2013 wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Gründungszuschuss ab dem 01.05.2012, §§ 93 ff. Sozialgesetzbuch, Drittes Buch - SGB III.

Der Kläger meldete sich zum 05.03.2012 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld, nachdem er mit Aufhebungsvertrag vom 20.09.2011 zum 29.02.2012 sein Arbeitsverhältnis beendet hatte. Hierfür hatte er eine Abfindung in Höhe von 606.019,42 Euro erhalten. Mit Bescheiden vom 16.04.2012 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.03. - 23.05.2012 mit Minderung der Anspruchsdauer um 180 Leistungstage sowie das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 30.04.2012 wegen Erhalts einer Entlassungsentschädigung bei Nichteinhaltung der Kündigungsfrist fest.

Zum 01.05.2012 meldete sich der Kläger in die Selbstständigkeit ab. Bereits am 09.01.2012 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Gründungszuschuss für den Betrieb einer Modeagentur in München, genannt C-Firma, ab 01.05.2012. Ab 01.06.2012 beschäftigte er einen Arbeitnehmer (seine Tochter als Designerin). Am 03.04.2012 erfolgte die Gewerbeanmeldung. Mit Bescheid vom 05.09.2012 lehnte die Beklagte mit Hinweis auf die Eigenleistungsfähigkeit aufgrund der erhaltenen ca. 600.000,00 Euro Abfindung die Bewilligung von Gründungszuschuss ab. Im Widerspruch vom 18.09.2012 machte der Kläger geltend, die wirtschaftliche Situation oder die vermutete Ertragslage des Unternehmens dürfe nicht in die Ermessensentscheidung einfließen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2013 als unbegründet zurück.

Mit der am 11.03.2013 zum Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Aus dem Einkommenssteuerbescheid 2012 vom 24.07.2013 ergibt sich, dass der Kläger im Jahre 2012 einen Verlust von knapp 150.000,00 Euro aus Gewerbebetrieb einkommensteuermindernd geltend machte. Privatentnahmen lassen sich den Kontoauszügen für das Jahr 2012 nicht entnehmen. Die Chefdesignerin, seine Tochter, hatte ein Gehalt von 2.200,00 Euro brutto, d. h. 1.388,72 Euro netto pro Monat.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2015 beantragt der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2013 zu verurteilen, ihm unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts mit einem neuen Bescheid Gründungszuschuss dem Grunde nach zu gewähren.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung waren die Arbeitslosengeld- sowie die Gründungzuschussakten der Beklagten. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als nicht begründet. Zu Recht hatte die Beklagte die Eigenleistungsfähigkeit aufgrund der erhaltenen Abfindung in ihrer Ermessensausübung berücksichtigt und deshalb die Gewährung von Gründungszuschuss abgelehnt.

Gemäß § 93 SGB III in der Fassung durch die Änderung durch Artikel 13 Abs. 14 des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Gemäß § 93 Abs. 3 SGB III wird Gründungszuschuss nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 - 159 SGB III vorliegen oder vorgelegen hätten. Dies ist bis 23.05.2012 der Fall.

Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen sind zwischen den Beteiligten im Wesentlichen unstrittig. Der Kläger hatte bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mehr als 150 Leistungstagen, der jedoch aufgrund der rechtskräftigen Bescheide bis 23.5.2012 ruhte.

Es handelt sich beim Gründungszuschuss um eine Ermessensleistung der aktiven Arbeitsförderung. Dabei besteht auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch des Klägers, § 39 Abs. 1 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I. Ob das Ermessen richtig ausgeübt worden ist, kann vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden. Dabei darf es nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzten; es darf vielmehr nur prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind. Bei der Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung findet daher nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung statt. Als rechtswidrig aufgehoben werden kann die Entscheidung der Behörde nur bei einem Ermessensfehler. Er liegt vor, wenn entweder eine Ermessensausübung gänzlich unterlassen worden ist (Ermessensnichtgebrauch) oder wenn vom Zweck der Ermessensregelung her sachfremde, d. h. willkürliche Erwägungen angestellt worden sind (Ermessensfehlgebrauch).

Nach Auffassung des Gerichts ist es vorliegend nicht ermessensfehlerhaft, die Bewilligung von Gründungszuschuss aufgrund der ca. 600.000,00 Euro, die der Kläger als Entlassungsentschädigung erhalten hat, abzulehnen. Dies gleiche gilt hier, wenn nicht der Brutto-, sondern der Nettobetrag zugrunde gelegt würde.

Zwar ist dem Urteil des SG München vom 12.03.2013, Az.: S 35 AL 753/12, zuzustimmen, wenn darlegt wird, dass zur Überbrückung der Gründungsphase eines Unternehmens in der Regel nicht andere Vermögensmittel oder Einkünfte, die nicht aus der streitgegenständlichen selbstständigen Tätigkeit selbst resultieren, verbraucht werden müssen oder gar Kredite in Anspruch genommen werden müssen. Anders liegt nach Auffassung des Gerichts jedoch der Fall, wenn der Lebensunterhalt des Gründers in der Anfangsphase durch die gezahlte Abfindung des früheren Arbeitgebers gesichert ist, vgl. auch SG Gießen, Urteil vom 29.04.2015, Az.: S 14 AL 6/13. Die Abfindung wurde gerade für den Arbeitsplatzverlust gezahlt. Der Kläger benötigt offensichtlich die Abfindung auch nicht alleine für die Unternehmensgründung, denn laut Businessplan betrug der Finanzbedarf für die ersten sechs Monate 176.959,70 Euro. Seine Einkünfte (Lohn und Abfindung) betrugen im Jahre 2012 641.901,00 Euro. Dieser Betrag reduzierte sich im steuerlichen Sinn im Wesentlichen wegen des Verlustes aus dem Gewerbebetrieb auf 491.969,00 Euro. Deshalb musste er ca. 65.000,00 Euro weniger an Einkommensteuer leisten (eine Ermäßigung durch den Splittingtarif ist insoweit nicht berücksichtigt). Das zu versteuernde Einkommen der Eheleute A. im Jahre 2012 betrug trotz Unternehmensgründung noch 483.090,00 Euro, von dem 121.217,00 Euro Steuern zu zahlen waren, also 361.440,00 Euro. Auch nach Abzug des Verlustes aus Gewerbebetrieb verblieben 212.508,00 Euro. Die Sicherung des Lebensunterhaltes des Klägers durch Gewährung des Gründungszuschusses war daher gerade auch wegen des Erhalts der Abfindung keinesfalls erforderlich. Das gleiche gilt für die soziale Sicherung des Klägers.

Die erhaltene Abfindung war für den Verlust des Arbeitsplatzes gedacht. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte sie bei der Prüfung, ob die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Sicherung des Lebensunterhaltes des Klägers bei der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes durch eine selbstständige Tätigkeit erforderlich ist, in ihrer Ermessensausübung berücksichtigt.

Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Annotations

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten.

(2) Ein Gründungszuschuss kann geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer

1.
bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 beruht,
2.
der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und
3.
ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

(3) Der Gründungszuschuss wird nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 vorliegen oder vorgelegen hätten.

(4) Die Förderung ist ausgeschlossen, wenn nach Beendigung einer Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach diesem Buch noch nicht 24 Monate vergangen sind; von dieser Frist kann wegen besonderer in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegender Gründe abgesehen werden.

(5) Geförderte Personen, die das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet haben, können vom Beginn des folgenden Monats an keinen Gründungszuschuss erhalten.

(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während der Zeit, für die ein Anspruch auf eine der folgenden Leistungen zuerkannt ist:

1.
Berufsausbildungsbeihilfe für Arbeitslose,
2.
Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, Mutterschaftsgeld oder Übergangsgeld nach diesem oder einem anderen Gesetz, dem eine Leistung zur Teilhabe zugrunde liegt, wegen der keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird,
3.
Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder
4.
Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art.
Ist der oder dem Arbeitslosen eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zuerkannt, kann sie ihr oder er sein Restleistungsvermögen jedoch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr verwerten, hat die Agentur für Arbeit die Arbeitslose oder den Arbeitslosen unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu stellen. Wird der Antrag nicht gestellt, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tag nach Ablauf der Frist an bis zu dem Tag, an dem der Antrag gestellt wird.

(2) Abweichend von Absatz 1 ruht der Anspruch

1.
im Fall der Nummer 2 nicht, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf Verletztengeld und Arbeitslosengeld nach § 146 besteht,
2.
im Fall der Nummer 3 vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an und
3.
im Fall der Nummer 4
a)
mit Ablauf des dritten Kalendermonats nach Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der oder dem Arbeitslosen für die letzten sechs Monate einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eine Teilrente oder eine ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist,
b)
nur bis zur Höhe der zuerkannten Leistung, wenn die Leistung auch während einer Beschäftigung und ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts gewährt wird; dies gilt nicht für Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Im Fall des Satzes 1 Nummer 2 gilt § 145 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für einen vergleichbaren Anspruch auf eine andere Sozialleistung, den ein ausländischer Träger zuerkannt hat.

(4) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht auch während der Zeit, für die die oder der Arbeitslose wegen ihres oder seines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben Vorruhestandsgeld oder eine vergleichbare Leistung des Arbeitgebers mindestens in Höhe von 65 Prozent des Bemessungsentgelts bezieht.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.