Oberlandesgericht Nürnberg Hinweisbeschluss, 14. Jan. 2019 - 13 U 916/17

bei uns veröffentlicht am14.01.2019

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12.04.2017, Az. 12 O 3426/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

Nimmt der Mandant den von ihm beauftragten Rechtsanwalt wegen Pflichtverletzung des Anwaltsvertrags auf Schadenersatz in Anspruch, hat er die Pflichtverletzung, den Schaden sowie den zwischen beiden bestehenden Kausal- und - grundsätzlich auch - den Zurechnungszusammenhang darzulegen und zu beweisen (vgl. D. Fischer in BeckOK/BGB, 48. Ed. 01.11.2018, § 675 Rn. 41 m.w.N). Nichts anderes gilt für die Rechtsschutzversicherung des Mandanten, die einen auf sie gemäß § 86 VVG übergegangenen Anspruch gegen den Anwalt geltend macht.

Die Klägerin hat den Anspruch auf Schadenersatz in Höhe der von ihr aufgewendeten zweitinstanzlichen Verfahrenskosten im Verfahren vor dem OLG Nürnberg, Az.: 13 U 372/14 (fortan. Vorprozess), auf die Pflichtverletzung der nicht fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gestützt (1). Ergänzend hat sie vorgetragen, dass auch in der Einlegung der Berufung in Kenntnis ihrer Aussichtslosigkeit einen Anwaltsfehler liegt. Die Mandantin des Beklagten und Versicherungsnehmerin der Klägerin hätte die Berufung nicht eingelegt, hätte der Beklagte sie über die Aussichtslosigkeit der Berufung und den Umfang ihres Versicherungsschutzes aufgeklärt (2).

1. Der Beklagte hat, indem er im Vorprozess am letzen Tag der Berufungsbegründungsfrist die Berufungsbegründung nicht beim OLG Nürnberg, sondern beim LG Nürnberg-Fürth vorlegte, fahrlässig eine Pflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt. Die Weiterleitung des Schriftsatzes vom Landgericht an das Oberlandesgericht wahrte die Frist nicht mehr. Infolgedessen wurde die Berufung vom OLG Nürnberg als unzulässig verworfen.

Hierdurch wurde adäquat kausal der Schaden der Klägerin verursacht, der in der Tragung der eingeklagten zweitinstanzlichen Verfahrenskosten i.H.v. 12.288,91 € bestand.

Der Schaden wird dem Rechtsanwalt zugerechnet, wenn er bei pflichtgemäßer Erfüllung des Anwaltsvertrags ausgeblieben wäre, oder anders gewendet, der Schaden ist dem Anwalt nicht zurechenbar, wenn die Berufungsinstanz auch bei fristgerechter Einlegung der Berufungsbegründung aus anderen Gründen verloren gegangen wäre. Denn bei wertender Betrachtung kann der durch Anwaltsverschulden verursachte Verlust eines Rechtsstreits nicht als Schaden im Rechtssinne angesehen werden, wenn sich im Anwaltshaftungsprozess herausstellt, dass die unterlegene Partei den Vorprozess materiell-rechtlich zu Recht verloren hat (vgl. BGH, Urteil vom 02.07.1987 - IX ZR 94/86 -, NJW 1987, 3255); andernfalls stünde der im Vorprozess Unterlegene ungerechtfertigt besser als bei pflichtgemäßer Prozessführung (vgl. Fischer in Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 5 Rn. 75 m.w.N.).

Insofern war, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, der erstinstanzliche Beklagtenvortrag (Klageerwiderung. S. 10/11), nicht geeignet, eine wirkungsvolle Verteidigung gegen den Klageanspruch zu stützen. Denn gemäß diesem Vortrag, wie er durch die Berufungsbegründung (B6) und den Antrag auf Deckungszusage (B3) im Vorprozess näher belegt wurde, rechnete sich der Beklagte eine gewisse Chance auf den Sieg in der Berufungsinstanz aus; dazu hätte das Berufungsgericht, der Argumentation des Beklagten folgend, die Aussagen der erstinstanzlichen Zeugen anders würdigen müssen. Damit gab der Beklagte erstinstanzlich zu erkennen, dass er ein zusprechendes Berufungsurteil des OLG Nürnberg für möglich hielt. Das Erstgericht hat diesen Vortrag zu Recht als Argument gegen den Beklagten und für dessen antragsgemäße Verurteilung herangezogen.

Erstmals in der Berufungsbegründung (S. 4/5) hat der Beklagte argumentiert, dass ihm in der Berufungsinstanz des Vorprozesses keine weiteren Beweismittel zur Verfügung standen als diejenigen, die bereits in der ersten Instanz vorgebracht wurden. Demgemäß hatte er keine neuen Angriffsmittel gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung zur Hand. Dieser Vortrag ist, obwohl neu, in der Berufungsinstanz zu beachten, weil er unstreitig ist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 531 Rn. 20 m.w.N.). Der Senat versteht diese Ausführungen in der Berufungsbegründung dahin, dass auch der Beklagte nunmehr behaupten will, die Berufung sei von vornherein aussichtslos gewesen (wäre das nicht der Fall, wäre das Ersturteil schon nach dem Beklagtenvortrag richtig).

Damit läge auf der Grundlage des geänderten Vortrags nicht mehr die Konstellation vor, die dem erstinstanzlich herangezogenen Fall des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 16.06.2015 - IX ZR 27/04 -, NJW 2005, 3071) zugrunde lag. Dort (aaO, S. 3073) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass der Anwalt den Zurechnungszusammenhang darzulegen und zu beweisen hat, wenn bei seinem pflichtgemäßem Handeln dem Gericht verschiedene prozessual gleich gangbare Wege offen gestanden hätten. Hier muss nicht der Mandant darlegen und beweisen, dass auf einem dieser Wege der Schaden für ihn vermieden worden wäre. Noch weniger muss er belegen, dass das Gericht des Vorprozesses diesen Weg eingeschlagen hatte. Vielmehr muss der Rechtsanwalt darlegen und beweisen, dass auf allen in Betracht kommenden Wegen der Schaden nicht vermeidbar gewesen wäre. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil er sich auf hypothetische Geschehensabläufe beruft und deren Unaufklärbarkeit auf der von ihm zu vertretenden Pflichtwidrigkeit beruht. Die Prämisse der zitierten Entscheidung, dass bei pflichtgemäßem Anwaltshandeln dem Gericht verschiedene prozessual gleich gangbare Wege offen gestanden hätten, ist nach dem geänderten Vortrag nicht mehr gegeben; vielmehr hätte danach das Berufungsgericht im Vorprozess die Berufung zwingend zurückweisen müssen.

2. Ob dieser Vortrag, die Berufung sei aussichtslos gewesen, zutrifft bedarf keiner Klärung, denn darauf kommt es nicht an. Wäre dem so, stützte das nämlich den zweiten von der Klägerin genannten Haftungsgrund, der sich aus der Einlegung einer aussichtslosen Berufung ergab. Bei gegebener Aussichtslosigkeit läge in der Berufungseinlegung als solcher eine Pflichtverletzung. Der Anwalt hat nämlich von der Durchführung eines erfolglosen Rechtsmittels ebenso abzuraten, wie von der Führung eines von vornherein aussichtslosen Rechtsstreits (BGH, Urteil vom 26.09:2013 - IX ZR 51/13 -, NJW 2014, 317, 318).

Dem kann nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, die seinerzeitige Mandantin des Beklagten habe trotz Hinweises auf die geringen Erfolgsaussichten die Einlegung der Berufung gewünscht (vgl. Klageerwiderung, S. 10). Zwar steht es einer Partei frei, Prozesse zu führen, die sie nicht gewinnen kann. Dieses Recht unterliegt jedoch Einschränkungen, wenn die Prozessfinanzierung durch einen Rechtsschutzversicherer erfolgt. § 125 VVG beschränkt die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers auf die Erbringung der nach näherer Maßgabe der Vereinbarungen in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) erforderlichen Leistungen. Nur die objektiv notwendigen, nicht aber die darüber hinaus gehenden Kosten soll der Versicherer übernehmen (vgl. Schmitt in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., § 125 VVG Rn. 11; Obarowski in MünchKommVVG, 2 Aufl. 2017, § 125 Rn. 30 f.). Eine aussichtslose Rechtsverfolgung ist nicht erforderlich i.S.d. § 125 VVG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.06.2013 - I-9 U 147/12 -, NJW 2014, 399, 400; Urteil vom 04.07.2016 -I-9 U 102/14-, NJOZ 2017, 99, 103). Das findet in den ARB seinen Ausdruck dahingehend, dass der Rechtsschutzversicherer den Rechtsschutz auch dann ablehnen kann, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 18 Abs. 1 Buchstabe b ARB 2000, § 3a Abs. 1 Buchstabe a ARB 2010, Nr. 3.4 ARB 2012, abgedruckt bei Harbauer aaO und in der 8. Aufl.).

Ein Rechtsschutzversicherer kann daher den Prozessbevollmächtigten seines Versicherungsnehmers auf Ersatz der übernommenen Verfahrenskosten in Anspruch nehmen, wenn die von dem Prozessbevollmächtigten eingelegte Berufung von Anfang an objektiv aussichtslos war und der Prozessbevollmächtigte seinen Mandanten (den Versicherungsnehmer) hierüber nicht ordnungsgemäß, d.h. unmissverständlich aufgeklärt hat, wozu die Aufklärung gehört, dass er eine aussichtslose Klage - wenn dies tatsächlich gewünscht wird - auf eigene Kosten führen müsste (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.06.2013 - I-9 U 147/12 -, NJW 2014, 399, 400; Urteil vom 04.07.2016 -I-9 U 102/14 -,NJOZ 2017, 99, 103). Eine dahingehende ordnungsgemäße Aufklärung ist vorliegend nicht erfolgt. Der Beklagte trägt selbst vor (Klageerwiderung, S.6), er habe seine Mandantin auf lediglich geringe - nicht jedoch fehlende - Erfolgsaussichten hingewiesen.

Der Senat regt daher zur Kostenersparnis die Rücknahme der Berufung an.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 86 Übergang von Ersatzansprüchen


(1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werd

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 125 Leistung des Versicherers


Bei der Rechtsschutzversicherung ist der Versicherer verpflichtet, die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfang zu erbringen.

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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Sept. 2013 - IX ZR 51/13

bei uns veröffentlicht am 26.09.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 51/13 Verkündet am: 26. September 2013 Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 628 Abs. 1 S

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.

(2) Der Versicherungsnehmer hat seinen Ersatzanspruch oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.

(3) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Übergang nach Absatz 1 nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 51/13
Verkündet am:
26. September 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Lehnt der Rechtsanwalt aufgrund der von ihm auftragsgemäß vorzunehmenden, inhaltlich
zutreffenden Rechtsprüfung die Begründung einer Berufung, die nach Kündigung
des Mandats durch den Mandanten von einem anderen Anwalt vorgenommen
wird, ab, verliert er nicht seinen Vergütungsanspruch.
BGH, Urteil vom 26. September 2013 - IX ZR 51/13 - LG Aachen
AG Aachen
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 18. Januar 2013 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 10. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte erhob im Jahre 2008 gegen eine Rechtsanwältin, welche ihn in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vertreten hatte, Klage wegen fehlerhafter Beratung. Mit am 26. Januar 2010 zugestellten Urteil vom 22. Januar 2010 wies das Landgericht die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der geltend gemachte Beratungsfehler sei nicht nachgewiesen worden. Der Beklagte betraute nunmehr den Kläger mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Berufungsverfahren. Dieser legte Berufung ein und kam bei der anschließenden Prüfung der Erfolgsaussichten zum Ergebnis, der Beklagte werde auch im Berufungsrechtszug die gebotenen Nachweise für einen Beratungsfehler nicht erbringen können. Dies teilte der Kläger dem Beklagten in einer Besprechung am Vormittag des 16. April 2010 mit. In einem dem Beklagten am selben Tag vorab elektronisch übermittelten Schreiben fasste der Kläger den Besprechungsinhalt schriftlich zusammen und bat den Beklagten um Mitteilung, ob die Berufung zurückgenommen werden solle. Er führte weiter aus, sollte er keine Mitteilung erhalten, werde er die Berufung nicht begründen. Sie würde dann verworfen werden.
2
Am Nachmittag des 16. April 2010 suchte der Beklagte in einer anderen Angelegenheit Rechtsanwalt K. auf. Hierbei legte er ihm das Schreiben des Klägers vor und erklärte, nach seinem Eindruck wolle ihn der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr vertreten. Auf telefonische Nachfrage wiederholte der Kläger gegenüber Rechtsanwalt K. seine Ansicht zu den fehlenden Erfolgsaussichten und riet aus Kostengründen, die Berufung zurückzunehmen. In diesem Zusammenhang äußerte der Kläger, er könne die Berufung nicht begründen ; aussichtslose Sachen mache er nicht. Daraufhin teilte Rechtsanwalt K. mit, der Beklagte habe ihn beauftragt, das Mandat zu übernehmen. Er bestellte sich zum neuen Prozessbevollmächtigten, kündigte mit Schreiben vom 19. April 2010 das alte Mandatsverhältnis mit sofortiger Wirkung und begründete die Berufung. Diese wurde mit einstimmigem Beschluss des Oberlandesgerichts am 2. Mai 2011 zurückgewiesen.
3
Der Kläger macht nunmehr seinen Vergütungsanspruch für die Vertretung im Berufungsverfahren geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen - dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen - Vergütungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

I.


5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der bereits durch die Einlegung der Berufung entstandene Gebührenanspruch des Klägers sei gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB entfallen. Eine Kündigung des Klägers liege allerdings nicht vor (§ 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB). Seine Erklärungen bei der Besprechung am 16. April 2010 und in dem nachfolgenden Bestätigungsschreiben ließen eine eindeutige Mandatskündigung nicht erkennen. Insbesondere die Kündigung des Beklagten vom 19. April 2010 zeige, dass auch er die vorausgegangenen Äußerungen des Klägers nicht als Kündigung verstanden habe. Es sei jedoch davon auszugehen, dass ein vertragswidriges Verhalten des Klägers zur Kündigung des Beklagten geführt habe (§ 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB). Maßgeblich sei dabei alleine das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Telefongespräch am 16. April 2010. Die im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils bindend festgestellten Äußerungen des Klägers, er könne die Berufung nicht begründen und aussichtslose Sachen mache er nicht, habe der Beklagte dahingehend verstehen dürfen, dass der Kläger die Berufung nicht begründen werde, weil er aussichtslose Mandate nicht bearbeite. Er habe diese Äußerungen als ernsthafte und endgültige Verweigerung einer Berufungsbegründung ansehen können. Hinsichtlich der vom Kläger bis dahin schon erbrachten anwaltlichen Leistungen sei von einem Interessenfortfall auszugehen, weil die er- brachte Tätigkeit durch die notwendige Einschaltung des zweiten Prozessbevollmächtigten und dessen Berufungsbegründung erneut angefallen sei.

II.


6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Gebühren für die Vertretung im Berufungsrechtszug gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Ein Fortfall des Vergütungsanspruchs nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB scheidet aus.
7
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach der Anwendungsbereich des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB eröffnet ist. Die Rüge der Revision, diese Bestimmung greife nicht ein, weil das streitgegenständliche Mandat sich lediglich auf die Einlegung der Berufung und die Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bezogen habe und damit bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung des Beklagten beendet gewesen sei, ist unbegründet.
8
Ein beschränktes Mandat in diesem Sinne lag nicht vor. Entgegen der Ansicht der Revision kann ihr gegenteiliger Standpunkt nicht aus den landgerichtlichen Feststellungen abgeleitet werden. Die Formulierung, der Beklagte habe den Kläger mit der Einlegung der Berufung und der Prüfung der Erfolgsaussichten beauftragt, nimmt lediglich auf die ersten vom Kläger im Rahmen des erteilten Mandats zu ergreifenden Maßnahmen Bezug. Aus dem Schreiben des Klägers vom 16. April 2010 geht deutlich hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt von einem Fortbestand des Mandats ausgegangen ist. Die von ihm angeregte Rücknahme des Rechtsmittels stand noch im Raum. Auch die - im Wege zulässiger tatrichterlicher Würdigung des Prozessstoffes getroffene - Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Kläger anlässlich des Telefongesprächs vom 16. April 2010 davon ausgegangen sei, das erteilte Mandat bestehe fort, zeigt, dass eine Beendigung des Mandats zu dem von der Revision geltend gemachten Zeitpunkt nicht in Betracht kommt.
9
2. Die Bestimmung des § 628 Abs. 1 BGB regelt die Frage, in welchem Umfang dem Anwalt nach der außerordentlichen Kündigung gemäß § 627 BGB Honoraransprüche gegen seinen Mandanten zustehen. Danach kann der Dienstverpflichtete grundsätzlich einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen (§ 628 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies würde hier bedeuten, dass dem Kläger die bereits mit der Berufungseinlegung angefallenen Gebühren in voller Höhe verblieben (§§ 2, 13 RVG, Nr. 3200 VV). Hat der Dienstverpflichtete aber durch vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Auftraggebers veranlasst, so steht ihm nach der Vorschrift des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB, die durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht ausgeschlossen wird (BGH, Urteil vom 29. September 2011 - IX ZR 170/10, WM 2011, 2110 Rn. 13; vgl. ferner BGH, Urteil vom 7. Oktober 1976 - III ZR 110/74, WM 1977, 369, 371; vom 8. Oktober 1981 - III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438 jeweils zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung), ein Anspruch auf die Vergütung nicht zu, soweit seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse mehr haben. Die Voraussetzungen dieser Einwendung hat der Auftraggeber darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 8. Oktober 1981, aaO; vom 30. März 1995 - IX ZR 182/94, WM 1995, 1288, 1289; vom 29. März 2011 - VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 Rn. 12). Dies ist dem Beklagten nicht gelungen.
10
3. Ein vertragswidriges, die Kündigung des Vertragspartners veranlassendes Verhalten im Sinne des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt eine schuldhafte Verletzung einer Vertragspflicht voraus (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1976, aaO; vom 8. Oktober 1981, aaO; vom 7. Juni 1984 - III ZR 37/83, NJW 1985, 41; vom 30. März 1995, aaO; vom 29. März 2011, aaO Rn. 13; MünchKommBGB /Henssler, 6. Aufl., § 628 Rn. 17). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist dem Kläger eine solche Vertragsverletzung nicht vorzuwerfen.
11
a) Der Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die daran anknüpfende Empfehlung, das Rechtsmittel zurückzunehmen, sind nicht zu beanstanden. Der Hinweis entsprach der Prozesslage, wovon auch die Revisionserwiderung ausgeht, und die Empfehlung diente der Kostenminderung im Interesse des Beklagten. Hiermit kam der Kläger seinen mandatsbezogenen Verpflichtungen nach, zumal er einen ausdrücklichen Prüfauftrag erhalten hatte (vgl. Vill in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 704). Der Anwalt hat von der Durchführung eines erfolglosen Rechtsmittels ebenso abzuraten, wie von der Führung eines von vorneherein aussichtslosen Rechtsstreits (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 1958 - IV ZB 44/58, MDR 1958, 496, 497; Urteil vom 17. April 1986 - IX ZR 200/85, BGHZ 97, 372, 376; Vollkommer/Greger/ Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl., § 14 Rn. 9).
12
b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, der Kläger habe die Kündigung des Klägers vertragswidrig provoziert. Der vom Kläger während des Telefongesprächs am 16. April 2010 vertretene Standpunkt und seine hierzu vorgetragenen Argumente lassen ein vertragswidriges Verhalten des Klägers gleichfalls nicht erkennen.
13
Nach dem hier erteilten Mandat waren die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels ergebnisoffen zu prüfen. Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts wurde der Kläger ausdrücklich damit beauftragt, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen. Dass das Mandat mit der Maßgabe erteilt wurde, unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung das Rechtsmittel auf jeden Fall durchzuführen, wurde nicht festgestellt. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich. Nach dem Grundsatz der Vermutung beratungskonformen Verhaltens konnte daher der Kläger bei Mandatserteilung davon ausgehen, der Beklagte werde bei inhaltlich zutreffender Rechtsprüfung den sich hieraus ergebenden Empfehlungen auch folgen. Dies bedeutet hier, dass der Kläger annehmen konnte, er werde nicht wider bessere Überzeugung eine aussichtslose Berufung begründen müssen. Für einen Rechtsanwalt ist dies insbesondere im Hinblick auf sein Selbstverständnis als unabhängiges Organ der Rechtspflege und auf sein Ansehen in der Öffentlichkeit auch nicht zumutbar (vgl. OLG Karlsruhe , NJW-RR 1994, 1084, 1085; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer/ Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rn. 613; Vollkommer/Greger/ Heinemann, aaO, Rn. 10; Zugehör/Vill, aaO).
14
Die vom Berufungsgericht beanstandeten Äußerungen des Klägers während des Telefongesprächs am 16. April 2010 halten sich noch im Rahmen dieser bei Mandatserteilung begründeten Erwartungshaltung. Ein vertragswidriges Fehlverhalten liegt hierin nicht. Seine Ablehnung, aufgrund der von ihm auftragsgemäß vorgenommenen und inhaltlich zutreffenden Rechtsprüfung die Berufung durchzuführen, führt daher nicht zum Verlust seines Vergütungsanspruchs.

III.


15
Das angefochtene Urteil ist, weil sich die Revision als begründet erweist, gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden.
Kayser Gehrlein Vill
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 10.05.2012 - 117 C 380/11 -
LG Aachen, Entscheidung vom 18.01.2013 - 6 S 101/12 -

Bei der Rechtsschutzversicherung ist der Versicherer verpflichtet, die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfang zu erbringen.