Oberlandesgericht München Beschluss, 09. Jan. 2018 - 1 AR 319/17

bei uns veröffentlicht am09.01.2018

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Griechenland wegen der im Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Berufungsgericht Patras vom 22.02.2017, Gz.: ., niedergelegten Tatvorwürfe ist derzeit u n z u l ä s s i g .

2. Der Auslieferungshaftbefehl vom 28.07.2017 und der Ausservollzugsetzungsbeschluss vom 23.10.2017 werden a u f g e h o b e n .

3. Die geleistete Sicherheit von 10.000 Euro (Amtsgericht München, Az. …) ist f r e i .

Gründe

I.

Der Senat hat am 28.07.2017 Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten zur Sicherung seiner Auslieferung nach Griechenland zur Strafverfolgung erlassen und diesem den vorstehend unter Ziff. 1 bezeichneten Europäischen Haftbefehl zu Grunde gelegt. Gleichzeitig hat der Senat auf Grund der senatsbekannt schwierigen Haftsituation in Griechenland (Bericht des Komitees des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe („CPT“) vom 01.03.2016; Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.06.2016 (Gz.: 1 Ausl 321/15 - juris); Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14.12.2015 (III-3 AR 15/15 - juris) jeweils unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 04.05.2016; Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 30.06.2016 - Kagia v. Greece, Gz.: 26442/15; vom 20.04.2017 - Cela u.A. v. Greece, Gz.: 10244/14 und vom 09.02.2017 - Igbo u.A. v. Greece, Gz.: 60042/13) im Hinblick auf ein gem. § 73 IRG i.V.m. Art. 3 MRK, Art. 6 Abs. 3 EUV in Betracht kommendes Auslieferungshindernis folgende ergänzende Auskünfte von den griechischen Behörden erbeten:

In welcher Haftanstalt wird der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in Griechenland inhaftiert (sowohl betreffend die Untersuchungshaft als auch eine etwaige Strafhaft)? Kommt eine Verlegung des Verfolgten in eine andere Haftanstalt in Betracht, ggf. in welche? Wieviele Gefangene sind in der jeweiligen Haftanstalt auf welcher Gesamtfläche der Hafträume untergebracht? Welche individuelle Mindestfläche steht dem Verfolgten in der jeweiligen Haftanstalt zur Verfügung? Wie ist die Beleuchtung der Hafträume und die Frischluftzufuhr gewährleistet? Wie ist die sanitäre Situation in der jeweiligen Haftanstalt (Toiletten, Waschräume)? Wie und durch wen ist die medizinische Versorgung des Verfolgten zu jeder Zeit gewährleistet? Wieviel medizinisches Personal steht in der jeweiligen Haftanstalt für wieviele Gefangene zur Verfügung? Steht dem Gefangenen ausreichend Verpflegung und frisches Wasser zur Verfügung? Wird der Verfolgte durch ausreichend vorhandenes Justizpersonal vor Angriffen durch andere Gefangene geschützt?

Die griechischen Behörden haben daraufhin unter dem 25.08.2017 zunächst nur mitgeteilt dass der Verfolgten zunächst in das Gefängnis in Patras eingeliefert würde, seine Verlegung in eine andere Haftanstalt jedoch möglich wäre. Man könne „auch nicht von vornherein bestimmen, in welche Justizvollzugsanstalt der Verfolgte eventuell verlegt werden werde“ (Bl. 399). Für die Beantwortung der weiteren Fragen sei das Justizministerium zuständig.

Auf Grund einer ärztlich attestierten, behandlungsbedürftigen depressiven Erkrankung des Verfolgten hat der Senat mit Beschluss vom 20.09.2017 weitere Auskünfte zu den konkreten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere betreffend die erforderliche Medikation des Verfolgten mit Elontril und Cipralex in griechischer Haft ersucht und auf rasche Beantwortung der noch nicht beantworteten vorstehenden Fragen aus dem Beschluss vom 28.07.2017 gedrungen.

Mit Schreiben vom 04.10.2017 teilten die griechischen Behörden mit, dass die dortigen Bemühungen mittlerweile zu erheblichen Verbesserungen in den Haftanstalten geführt hätten. Insbesondere sei die Verteilung der Gefangenen zwischen den Haftanstalten neu organisiert worden. Durch eine erhebliche Verringerung der Gefangenenzahlen sei praktisch keine Überbelegung mehr zu verzeichnen. Eine Mindestfläche von 4 m2 pro Gefangenem werde eingehalten. Auch die medizinische Versorgung sei „entsprechend dem Niveau der Bevölkerung“ gewährleistet. Der Arzt der Haftanstalt Korydallos sei bereit und in der Lage, die Erkrankung des Verfolgten zu behandeln.

Andererseits hat die Beistandschaft des Verfolgten ein Gutachten eines griechischen Rechtsanwalts vorgelegt, aus dem sich erhebliche Vollzugsmängel ergaben, die bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen gehen sollen.

Der Senat hat daraufhin mit Schreiben vom 20.10.2017 das Auswärtige Amt im Wege der Amtshilfe um Auskunft gebeten, ob nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die Haftbedingungen in den griechischen Haftanstalten mittlerweile den europäischen Mindeststandards entsprechen.

Mit weiterem Beschluss vom 23.10.2017 hat der Senat überdies folgende Fragen an die griechischen Behörden gerichtet:

Sichern die griechischen Behörden verbindlich zu, dass der Verfolgte in jeder griechischen Haftanstalt (nicht nur in Korydallos) jederzeit die notwendige ärztliche Versorgung erhält und mit den notwendigen Medikamenten - derzeit Elontril und Cipralex - versorgt wird? Kann der Verfolgte von deutschen Kosularbeamten jederzeit besucht werden? Mit gleichem Beschluss vom 23.10.2017 hat der Senat den vorbezeichneten Auslieferungshaftbefehl gegen Auflagen, u.a. eine Sicherheitsleistung von 10.000 Euro außer Vollzug gesetzt. Der Verfolgte ist seit dem 24.10.2017 auf freiem Fuß. Am 30.10.2017 hat er in suizidaler Ansicht versucht, sich zu strangulieren und wurde anschließend im Isar-Amper-Klinikum München-Ost stationär aufgenommen.

Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung hat der Senat in den vorstehenden Beschlüssen jeweils zurückgestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlüsse verwiesen.

Das Auswärtige Amt hat mit Schreiben vom 27.10.2017 (Gz.: 506531.00/59143 GRC) mitgeteilt:

„Die griechische Regierung hat die Verbesserung der Zustände im Bereich Strafvollzug als eine ihrer Prioritäten benannt. Insbesondere die Überbelegung von Haftanstalten wurde als vorrangiges Problem identifiziert und durch geeignete Maßnahmen angegangen. Angekündigte Verbesserungen im Strafvollzug umfassen außerdem die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Gefangenen, den Ausbau von (Fort-)Bildungsmöglichkeiten und die adäquate Ausstattung der Haftanstalten mit Justizpersonal.

Die Haftbedingungen in griechischen Untersuchungsgefängnissen und Justizvollzugsanstalten im Allgemeinen sind derzeit noch von Defiziten geprägt. Bei der problematischen Überbelegung der Haftanstalten wurde eine erhebliche Verbesserung erzielt: die Zahl der Häftlinge wurde gegenüber 2014 um etwa 25% verringert, allerdings ist die Auslastung der einzelnen Haftanstalten sehr unterschiedlich, ca. ein Drittel der griechischen Haftanstalten ist weiter stark überbelegt. Wegen Reduzierung der Häftlingszahl hat sich das Verhältnis zwischen Häftlingen und Personal verbessert (Zahlen nicht verfügbar). Die materiellen Bedingungen sind möglicherweise noch unzureichend, an der Verbesserung z.B. des Zustandes der Gebäude wird gearbeitet. Von einer durchgehenden Gewährleistung von Haftbedingungen, die den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen der Vereinten Nationen (vom 13. Mai 1977) und/oder den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen, kann trotz der ergriffenen Maßnahmen noch nicht ausgegangen werden.“

Die griechischen Behörden haben schließlich unter dem 07.12.2017 mitgeteilt, dass die medizinische Versorgung des Verurteilten mit den im Senatsbeschluss vom 23.10.2017 genannten Medikamenten gesichert sei. Der Besuch von konsularischem Personal der Bundesrepublik Deutschland bei dem Verfolgten sei „within the aforementioned legal framework and on the condition that the detainee consents to that“ möglich.

Mit Verfügung vom 13.12.2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären, Haftfortdauer anzuordnen und den Haftbefehl weiterhin außer Vollzug gesetzt zu lassen. Die Auslieferung sei dann zulässig, wenn gewährleistet sei, dass der Verfolgte in einer der den Standards entsprechenden Haftanstalt für die gesamte Dauer seiner Inhaftierung untergebracht werde. Dies könne dadurch gewährleistet werden, dass die Auslieferung mit der Maßgabe für zulässig erklärt werde, dass im Rahmen der Auslieferungsbewilligung die Bedingung aufgenommen werde, den Verfolgten zu jeder Zeit in einer der den Europäischen Mindeststandards genügenden Haftanstalt unterzubringen. Ersatzweise könne vor einer Entscheidung über die Zulässigkeit auch eine entsprechende konkrete Zusicherung der griechischen Behörden angefordert werden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten unter die Bedingung seiner Rücküberstellung zur Vollstreckung nach Deutschland gestellt werden würde, falls dieser das wünsche. Eine etwaige Haftstrafe hätte der Verfolgte daher nicht in Griechenland zu verbüßen.

Die Beistandschaft des Verfolgten hat mit Schreiben vom 08.01.2018 beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Aus den Berichten der bereits in Griechenland inhaftierten Verwandtschaft des Verfolgten gehe hervor, dass die dortigen Bedingungen weitaus schlechter seien als von den griechischen Behörden geschildert. Die Dauer des griechischen Ermittlungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Urteil sei unabsehbar und werde mit mindestens 1 1/2 Jahren geschätzt. So sei auf Betreiben der griechischen Behörden noch im September 2017 die Wohnung des Verfolgten durchsucht worden. Mit dem Schreiben hat die Beistandschaft ein fachärztliches Attest des Isar-Amper-Klinikums vom 12.12.2017 vorgelegt, wonach der Verfolgte dort immer noch teilstationär aufgenommen ist und sich einer täglich stattfindenden Therapie unterzieht.

II.

Die Auslieferung des Verfolgten war für derzeit unzulässig zu erklären, da ein Auslieferungshindernis gem. § 73 IRG i.V.m. Art. 3 MRK, Art. 6 Abs. 3 EUV auf Grund der Haftbedingungen in Griechenland nach wie vor nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

Aus dem vorstehend zitierten Schreiben des Auswärtigen Amtes ergibt sich, dass den Mindestgrundsätzen entsprechende Haftbedingungen in Griechenland noch „nicht durchgängig“ gewährleistet werden können. Ca. „ein Drittel“ der griechischen Haftanstalten sei „weiter stark überbelegt“. Dem Verfolgten droht somit mit einiger Wahrscheinlichkeit eine menschenunwürdige Unterbringung, was seine Auslieferung verbietet. Dass der Verfolgte nach der Untersuchungshaft zur Vollstreckung einer etwaigen Freiheitsstrafe nach Deutschland zurücküberstellt werden würde, vermag daran nichts zu ändern, da die Dauer des griechischen Ermittlungs- und Strafverfahrens nicht abschätzbar ist und jedenfalls wenige Tage überschreiten wird.

Anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint, kann dem weder durch entsprechende Bewilligungsbedingungen noch durch (weitere) Zusicherungen der griechischen Behörden begegnet werden.

Diese haben trotz der vorbezeichneten Fragen des Senats vielmehr gleich mehrfach mitgeteilt, dass nicht vorhergesagt werden kann, in welcher Haftanstalt der Verfolgte inhaftiert werden wird. Die angeregte Anforderung einer Zusicherung (bzw. eine entsprechende Bewilligungsbedingung), „den Verfolgten zu jeder Zeit in einer der den Europäischen Mindeststandards genügenden Haftanstalt unterzubringen“ kann schon deshalb nicht genügen, da die griechischen Behörden offenbar von anderen Mindeststandards ausgehen, als sie nach hiesiger Auffassung geboten sind. Anders ist die vorstehend zitierte, mit dem Schreiben des Auswärtigen Amtes in Widerspruch stehende Auskunft der griechischen Behörden, wonach die Haftbedingungen grundsätzlich ausreichen, nicht erklärbar. Eine pauschale, nicht auf konkrete Haftanstalten bezogene Zusicherung ist daher aus der Sicht des Senats untauglich, das Risiko einer menschenunwürdigen Unterbringung in ausreichender Weise zu minimieren.

Nachdem sich ausweislich des Schreibens des Auswärtigen Amtes - insoweit in Übereinstimmung mit den Auskünften der griechischen Behörden - weitere Verbesserungen der Haftsituation abzeichnen, geht der Senat nicht von einem endgültigen Auslieferungshindernis aus. Die Auslieferung des Verfolgten war daher nur für derzeit unzulässig zu erklären.

Die Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls und des Ausservollzugsetzungsbeschlusses sowie die Freigabe der geleisteten Sicherheit ist die notwendige Folge, §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 2 IRG 123 Abs. 1, Abs. 2 StPO.

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Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 73 Grenze der Rechtshilfe


Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leis

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 24 Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls


(1) Der Auslieferungshaftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der vorläufigen Auslieferungshaft oder der Auslieferungshaft nicht mehr vorliegen oder die Auslieferung für unzulässig erklärt wird. (2) Der Auslieferungshaftbefehl ist auch

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Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

(1) Der Auslieferungshaftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der vorläufigen Auslieferungshaft oder der Auslieferungshaft nicht mehr vorliegen oder die Auslieferung für unzulässig erklärt wird.

(2) Der Auslieferungshaftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht dies beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag ordnet sie die Freilassung des Verfolgten an.