Landgericht Mosbach Beschluss, 24. Juni 2004 - 1 Qs 52/04

bei uns veröffentlicht am24.06.2004

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Mosbach gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mosbach vom 2. Juni 2004 wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten in diesem trägt die Staatskasse.

Gründe

 
Mit Recht hat das Amtsgericht Mosbach den Erlass des beantragten Strafbefehls abgelehnt. Die Äußerungen und Gesten des Angeschuldigten erfüllen den Tatbestand der Beleidigung nicht, weil es sich hierbei um Werturteile handelt, die (noch) vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.
1. Bei den Gesten und Äußerungen des Angeklagten handelt es sich um „Werturteile“. Diese können zwar auch den Tatbestand der Beleidigung erfüllen, sie müssen sich hierbei aber am Grundrecht der Meinungsfreiheit messen lassen. Lediglich wenn sich eine Äußerung oder Geste als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt (BVerfG, NJW 1999, 2262 [2263]), muss dieses Grundrecht grundsätzlich zurücktreten, so dass in diesen Fällen eine Strafbarkeit wegen Beleidigung gegeben wäre.
a. Die Aussage des Angeschuldigten „mein Niveau ist um einiges höher, als das Ihre“ erfüllt keines der drei Kriterien, zumal sie die Antwort auf einen Vorwurf des Bürgermeisters war, der das Niveau des Redebeitrags des Angeschuldigten gerügt hatte.
b. Die spätere Äußerung des Angeschuldigten „so einen wie Sie hätte man bei meiner Bank noch nicht einmal als Pförtner eingestellt“ erfüllt ebenfalls keines der drei Kriterien. Sie ist hier auch keine „Schmähung“ des Bürgermeisters. Die reine Schmähkritik erschöpft sich im Gegensatz zum Werturteil in der Herabsetzung einer Person ohne jeglichen Bezug zu Tatsachenbehauptungen. Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Die Äußerung muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 164 [165]).Der hier angeklagten Äußerung ging jedoch ein Ausspruch des Bürgermeisters voraus, der in Bezug auf die Person des Angeschuldigten sein Erstaunen geäußert hatte, wie es der Angeschuldigte in den Vorstand der B. - Bank geschafft habe. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort des Angeschuldigten zwar unsachlich und überspitzt, ihr Aussagegehalt erschöpft sich wegen des vorangegangenen Vorwurfs des Bürgermeisters jedoch nicht in dessen persönlicher Herabsetzung.
c. Die Geste „flache Hand auf die Stirn“ ist im Gegensatz zum „Vogel“ keine Formalbeleidigung. Sie drückt nicht aus, dass der Gegenüber „verrückt“ sei, sondern dass er „Unsinn geredet“ oder „nicht nachgedacht“ habe, so dass diese Geste ebenfalls als Kundgabe eines Werturteils aufzufassen ist.
2. Allerdings kann auch die Kundgabe eines Werturteils den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Eine ehrverletzende Meinungsäußerung, die sich weder als Verletzung der Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellt, macht dann allerdings eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz erforderlich, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (BVerfG, NJW 1996, 1529; BVerfG, NJW 1999, 2262 [2263]). So hat ein Verletzter eine Einschränkung seines Ehrenschutzes insbesondere dann hinzunehmen, wenn er durch sein Verhalten begründeten Anlass zur Kritik gegeben hat (BGHSt 12, 287 [294] = NJW 1959, 636). Unter dem Gesichtspunkt des so genannten Gegenschlags ist es einem Betroffenen dann auch nicht verwehrt, sogar starke Worte zu gebrauchen, die auch dem „Gegner unangenehm ins Ohr klingen können“ (BGHSt 12, 287 = NJW 1959, 636; BVerfGE 12, 113 [132] = NJW 1969, 819; BayObLG, NStZ 1983, 265 [266]), wobei die Verknüpfung von Anlass und Reaktion nicht nur auf gegenseitige Angriffe und Beleidigungen beschränkt ist (BVerfGE 24, 278 [286] = NJW 1969, 227; BayObLG, NStZ 1983, 265 [266]). Wer dadurch Kritik auf sich lenkt, dass er in der Öffentlichkeit zu Fragen der Politik betont Stellung bezieht, muss unter Umständen eine scharfe übersteigerte Reaktion durch seine Gegner hinnehmen. Herabsetzende Äußerungen sind danach im Rahmen einer öffentlichen, der allgemeinen Meinungsbildung dienenden Auseinandersetzung dann gerechtfertigt, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen oder ihrem Verhalten nicht unverhältnismäßig erscheinen und noch als adäquate Reaktion auf den vorangegangenen Vorgang verstanden werden können (BVerfGE 24, 278 [283] = NJW 1969, 227).
a. Daher hat es ein Bürgermeister, der einem Gemeinderat sinngemäß fehlendes Niveau vorwirft, hinzunehmen, dass ihm dieser Gemeinderat erwidert, dass sein Niveau das des Bürgermeisters übersteige.
b. Auch die Aussage, „so einen wie Sie hätte man bei meiner Bank noch nicht einmal als Pförtner eingestellt“ ist hier hinzunehmen. Sie ist als Antwort auf die geäußerte Verwunderung des Bürgermeisters, wie es der angeschuldigte Gemeinderat zum Vorstandsmitglied einer Bank geschafft habe, zwar überspitzt, aber im politischen Schlagabtausch als spontane Reaktion auf einen Angriff des Bürgermeisters vom Recht auf Meinungsäußerung gedeckt.
c. Entsprechendes gilt für die Geste „Flache Hand auf die Stirn“. Den strafrechtlichen Tatbestand der Beleidigung erfüllt diese Geste nicht. Der Angeschuldigte hat sich mit dieser Geste nach außen erkennbar inhaltlich mit dem Redebeitrag des Bürgermeisters auseinandergesetzt. Diese Geste stellte zwar auch einen nicht sehr schwerwiegenden Angriff auf die Ehre des Bürgermeisters dar. In einer - wie hier - von alle Seiten emotional geführten Debatte ist dies jedoch strafrechtlich hinzunehmen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 StPO.

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Landgericht Mosbach Beschluss, 24. Juni 2004 - 1 Qs 52/04 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.