Landgericht Frankfurt (Oder) Beschluss, 28. Okt. 2019 - 22 Wi Qs 6/19
Gericht
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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IM NAMEN DES VOLKES
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 21. August 2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. August 2019, Az. 412 Cs 72/19, aufgehoben, soweit durch ihn der Erlass eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls hinsichtlich der Strafbefehlsvorwürfe zu
1. bis 3. sowie 9. abgelehnt worden ist; insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat unter dem 19. März 2019 bei dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten beantragt, der mit Wirkung seit dem 26. Oktober 2016 Geschäftsführer der „… GmbH“ (HRB …, AG Frankfurt (Oder)) war. Sie hat ihm darin mehrere Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 266a Absatz 1 StGB sowie eine tatmehrheitliche Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Absatz 4 InsO zur Last gelegt. Der Angeschuldigte habe in der Zeit vom Dezember 2016 bis zum 10. August 2017 in Frankfurt (Oder) in acht Fällen (Taten 1. bis 8.) als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitsnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Entgelt gezahlt wurde, vorenthalten. In mehreren dieser Fälle (Taten 4. bis 7.) beruhte das letztlich erneute Entstehen der Beitragsforderung allerdings auf einer vorangegangenen erfolgreichen Insolvenzanfechtung durch die bestellte Verwalterin; die Fälligkeit des Beitrags zur dem Angeschuldigten vorgeworfenen Tat 8. entstand Ende Juli 2017 in zeitlicher Nähe zur Insolvenzantragstellung. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten zur Last gelegt, es tatmehrheitlich vorsätzlich als Geschäftsführer einer GmbH entgegen § 15a Absatz 1 InsO unterlassen zu haben, bei Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der genannten Gesellschaft zu beantragen (Tat 9.). Die … GmbH sei spätestens ab dem 22. Januar 2016 zahlungsunfähig gewesen; der Angeschuldigte habe indes erst am 10. August 2017 und damit verspätet einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Strafbefehlsantrag (Bl. 156ff d.A.) verwiesen.
Mit Beschluss vom 14. August 2019 hat das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Erlass des beantragten Strafbefehls mangels hinreichenden Tatverdachts insgesamt abgelehnt, wobei es insbesondere weithin und zu allen vorgeworfenen Taten das Eingreifen eines Verwertungsverbotes nach § 97 InsO bejaht hat; darüber hinaus hat das Amtsgericht u.a. das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Schuldnerin verneint. Auf die Beschlussgründe nimmt die Kammer bei Meidung von Wiederholungen Bezug. Gegen den ihr am 19. August 2019 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 21. August 2019, welche am 23. August 2019 bei dem Amtsgericht eingegangen ist. In ihrer Beschwerdebegründung problematisiert die Staatsanwaltschaft die Ablehnung des Strafbefehlsantrags hinsichtlich der Vorwürfe 4. bis 8. nicht mehr, sondern hält insoweit die Ansicht des Amtsgerichts für zutreffend. Im Übrigen hat sie zur Sach- und Rechtslage näher vorgetragen. Wegen der weiteren Einzelheiten insoweit sowie im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Der Angeschuldigte hatte durch das Beschwerdegericht über seinen Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß §§ 408 Absatz 2, 210 Absatz 2, 311 Absatz 2 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht angebracht. Sie hat auch in der Sache in demjenigen Umfang Erfolg, in dem sie den angefochtenen Beschluss inhaltlich angegriffen hat. Insoweit führt sie im Ergebnis zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt (Oder). Denn das Amtsgericht hat insoweit das Vorliegen der im Zwischenverfahren zu prüfenden Verurteilungswahrscheinlichkeit zu Unrecht verneint.
A.
Hinsichtlich der im gegenständlichen Strafbefehlsantrag zugrunde gelegten Anklagepunkte 1. bis 3. hat das Amtsgericht im Zwischenverfahren an die Voraussetzungen eines Verwertungsverbotes unzutreffende rechtliche Maßstäbe angelegt und auf dieser Grundlage dessen Eingreifen im Ergebnis ohne tragfähige tatsächliche Anknüpfungspunkte fehlerhaft bejaht.
Hinsichtlich der Vorwürfe zu 1. bis 3. hat es gemeint, der Strafbefehlsantrag beruhe auf der Auswertung der Insolvenzakte, Blatt 66, und die veranlassten Ermittlungen gingen ausschließlich auf die erläuterten Angaben des Beschuldigten zurück, woraus sodann eine Unverwertbarkeit der hieraus gewonnenen Erkenntnisse selbst dann folge, wenn weitere Angaben im Insolvenzverfahren, z. B. Auskünfte der Krankenkassen, vorlägen oder daraufhin eingeholt worden wären. Dies ist in der von dem Amtsgericht angenommenen, gleichsam unumstößlichen Wirkung indessen nicht zutreffend, weil unzureichend differenziert, während das Amtsgericht die erforderlichen weitergehenden Feststellungen jeweils nicht getroffen hat und diese ohne Durchführung einer Beweisaufnahme auch nicht erkennbar zu treffen vermag. Denn einen unmittelbaren oder alleinigen Bezug auf den Insolvenzantrag nimmt schon das Amtsgericht nicht, so dass es auf weitere Feststellungen zum Inhalt, zum Hintergrund sowie zur Einordnung der von ihm bzw. der Staatsanwaltschaft herangezogenen Aktenbestandteile ankommt. Ein offensichtlich dem Verwertungsverbot unterfallender Einzelfall liegt hier nach Aktenlage nicht erkennbar vor oder auch nur nahe. Es ist daher einer (anzuberaumenden) Hauptverhandlung vorbehalten, beispielsweise durch Vernehmung des damaligen Sachverständigen im Insolvenzverfahren oder der Wirtschaftsreferentin zu klären, inwieweit z.B. zur Erstellung des Gutachtens Erkenntnisse auf Auskünften des Angeschuldigten oder aus anderweitigen Quellen beruhten, ob im Falle einer Auskunftserteilung durch den Angeschuldigten diese freiwillig oder erzwungen erfolgte, oder die Auskünfte des Angeschuldigten durchgreiflich wegweisend waren.
Denn der – auch § 97 InsO zugrunde liegende – nemo-tenetur-Grundsatz gebietet es zwar, dass der Schuldner nicht durch gesetzliche Handlungspflichten dazu gezwungen wird, zum Strafbarkeitsbeweis gegen sich selbst zu werden. Es dürfen mithin in einem Strafverfahren solche Tatsachen von eigenständigem Erklärungswert nicht gegen ihn verwertet werden, zu denen er mit seiner Auskunft im Insolvenzverfahren auch nur „den Weg gewiesen“ hat. Das genannte Kriterium schließt aber – anders, als das Amtsgericht offenbar gemeint hat – eine Verwertung von Informationen z.B. aus der Sichtung von Geschäftsunterlagen nicht rundheraus aus, von denen Gericht, Staatsanwaltschaft oder Verwalter ggfs. sogar erst durch die Auskunft des Schuldners erfahren haben. § 97 Ansatz 1 Satz 3 InsO führt aus naheliegenden Erwägungen nicht dazu, dass der Schuldner durch die Auskunft eine Verwertung von jeglichen Geschäftsunterlagen oder inhaltsgleichen Unterlagen gleichsam unterbinden könnte, indem er sie bloß bezeichnet. Hat eine Auskunft z.B. den Weg zu Geschäftsunterlagen gewiesen, so ist ggfs. zwar die Auskunft nicht verwertbar, der Inhalt der Unterlagen aber durchaus, es sei denn, diese wären ohne die Auskunft des Schuldners „nicht lesbar“, weil er sie erst erklären muss und ohnedies die Staatsanwaltschaft nie tätig geworden wäre (vgl. MüKoInsO/Stephan, 4. Aufl. 2019, InsO § 97, Rdnrn. 25 bis 27).
B.
Ebenfalls im Ergebnis nicht zutreffend hat das Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls hinsichtlich des Anklagepunktes 9. abgelehnt.
Das Amtsgericht hat gemeint, die Unterlagen in den Akten sowie der Ausblick auf mögliche Erkenntnisse einer alternativ angeordneten Hauptverhandlung begründeten keinen hinreichenden Tatverdacht einer Insolvenzverschleppung durch den Angeschuldigten. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist indessen nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis vorliegend ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 408 Absatz 2 i.V.m. Absatz 3 Satz 2 StPO gegen den Angeschuldigten bezüglich der ihm im Strafbefehlsantrag vorgeworfenen Tat einer Insolvenzverschleppung zu bejahen. Dabei hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss die rechtlichen Voraussetzungen zur Bejahung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 InsO sowie die Anforderungen an deren Feststellung im Ausgangspunkt zutreffend dargestellt; auf die diesbezüglichen Ausführungen des erstinstanzlichen Beschlusses wird zur Vermeidung umfangreicher Wiederholungen Bezug genommen.
Die Annahme des erstinstanzlich sodann verneinten hinreichenden Tatverdachts in diesem Sinne im Zwischenverfahren setzt indessen lediglich voraus, dass bei vorläufiger Tatbewertung eine spätere Verurteilung wahrscheinlich ist, mag sich diese vorläufige Tatbewertung aufgrund einer etwaigen späteren Hauptverhandlung dann auch als unzulänglich oder gar falsch erweisen. Bei dem Wahrscheinlichkeitsurteil ist für die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ kein Raum.
Bleiben gegebenenfalls einzelne Tatfragen nach Auswertung des Akteninhalts zweifelhaft, so hindert dies die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts nicht. Das Gericht ist dann gehalten, die besseren Aufklärungsmöglichkeiten einer Hauptverhandlung zu nutzen und eine Klärung der zweifelhaften Fragen herbeizuführen.
Gemessen an diesen Grundsätzen war vorliegend von einem hinreichenden Tatverdacht wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a Absatz 4 InsO gegen den Angeschuldigten auszugehen. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen war die … GmbH seit dem 22. Januar 2016 durchgehend und damit auch bei Übernahme der Geschäftsführung durch den
Angeschuldigten zumindest zahlungsunfähig. Dies ergibt sich aus dem im Ermittlungsverfahren eingeholten schriftlichen Gutachten der Wirtschaftsreferentin P… der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 15. November 2018 (vgl. Sonderheft 3). Dass die Staatsanwaltschaft – insoweit allein tragend – Krisenwarnzeichen im Ergebnis durchgeführter
Gläubigerbefragungen zugrunde gelegt hat (oder legen konnte), spricht nach den oben erörterten rechtlichen Maßstäben bereits gegen das von dem Amtsgericht an dieser Stelle auch eher nur angedeutete Eingreifen eines Verwertungsverbotes nach § 97 InsO („Ermittlungsergebnisse knüpfen an Umstände an, die der Angeschuldigte im Insolvenzantrag und wohl auch gegenüber der Sachverständigen im Insolvenzverfahren offenbart hat“).
Dass der Angeschuldigte namentlich eine Gläubigerliste vorgelegt hat und eine Zuarbeit durch das Steuerbüro der Gesellschaft erfolgt sein „dürfte“, erfüllt unter keiner Betrachtung bereits erkennbar die oben näher dargestellten Voraussetzungen für das Eingreifen eines solchen Verwertungsverbotes.
Die Ausführungen der Wirtschaftsreferentin ergeben demnach auf einer derzeit nicht erkennbar unverwertbaren Grundlage (und auch im Übrigen in einem hinreichenden Maße) die eingangs bezeichnete Verurteilungswahrscheinlichkeit des Angeschuldigten wegen Insolvenzverschleppung unter dem Gesichtspunkt einer Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft, so dass es weiterer Ausführungen zu einer Überschuldung der Gesellschaft nicht mehr bedarf.
C.
Die Ablehnung des Erlasses eines Strafbefehls nach § 408 Absatz 2 StPO hat die Wirkungen einer Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nach §§ 204, 210 Absatz 2, 211 StPO; die Klage kann hiernach mithin nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden. Schon deshalb darf das Gericht vor dem Hintergrund des Instruktionsprinzips die Eröffnung eines Hauptverfahrens auch nicht ablehnen, wenn naheliegende ergänzende Beweiserhebungen zur Bestätigung des bislang ggfs. unzureichend unterfütterten hinreichenden Tatverdachts führen könnten. In derartigen Fällen ist es vielmehr verpflichtet, die zur Verdachtsabrundung beitragenden Beweise zu erheben, wozu im Fall eines Strafbefehlsantrags (wie hier) zudem ein Vorgehen nach § 408 Absatz 3 Satz 2 StPO (Anordnung mündlicher Verhandlung) sowie erffls. auch ergänzende Ermittlungen nach § 202 StPO in Betracht zu ziehen sind. Selbst wenn sich insoweit – wovon auszugehen die Kammer allerdings keine Veranlassung hat – ergeben sollte, dass im Zwischenverfahren (und dort als solches nicht geboten) wesentliche Auslassungen der Ermittlungen nachzuholen wären, ist der Vorsitzende auch dann zunächst gehalten, der Staatsanwaltschaft die Anklageschrift unter Bezeichnung der vermissten Beweiserhebung zur Nachbesserung durch Wiedereintritt in die sachlich gebotenen Ermittlungen zurückzugeben oder aus zu bezeichnenden Gründen eine Rücknahme anzuregen; erst im Weigerungsfalle wird das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 202 Rdnr. 3 und 4).
D.
Ist indessen im Ergebnis der obigen Ausführungen derzeit von einem hinreichenden Tatverdacht auszugehen, weil insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung unter Ausnutzung der besseren Aufklärungsmöglichkeiten in einer Hauptverhandlung durchaus gegeben erscheint, so konnte die Kammer den Beschluss des Amtsgerichts im Umfang seiner inhaltlichen Anfechtung durch das Rechtsmittel lediglich aufheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverweisen. Da hier der Erlass eines beantragten Strafbefehls gegen den Angeschuldigten abgelehnt worden ist, kann das Beschwerdegericht insoweit nicht nach § 309 Absatz 2 StPO in der Sache selbst entscheiden, den beantragten Strafbefehl also nicht erlassen (vg. Beck-OK Temming StPO, 34. Edition, § 408 StPO, Rdnr. 8). Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wird insoweit nunmehr in der weitergehenden Behandlung (teils erneut) u.a. darüber zu befinden haben, ob es den beantragten Strafbefehl erlässt oder statt dessen z.B. Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Das Beschwerdegericht hat insoweit keine Weisungsbefugnis; dennoch sei der Hinweis erlaubt, dass eine umfassende Klärung wohl nur im Rahmen einer Hauptverhandlung möglich sein dürfte.
E.
In seinem nicht angegriffenen Umfang ist der angefochtene Beschluss auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft richtig und das Rechtsmittel erfolglos. Da dieses weder ausdrücklich beschränkt eingelegt worden ist, noch der Antrag auf Erlass des Strafbefehls insoweit parallel zurückgenommen worden ist, hat die Kammer die sofortige Beschwerde in diesem Umfang verworfen.
F.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last, teils weil das zuungunsten des Angeschuldigten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erfolglos ist, teils weil kein anderer Kostenschuldner hierfür haftet. Die Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Absatz 2 StPO.