Landgericht Augsburg Beschluss, 30. Jan. 2018 - 054 T 161/18

bei uns veröffentlicht am30.01.2018
vorgehend
Amtsgericht Nördlingen, XVII 504/17, 05.12.2017

Gericht

Landgericht Augsburg

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin hin wird der Beschluss des Amtsgerichts Nördlingen vom 05.12.2017 aufgehoben und das Verfahren zur Durchführung eines Prüfungsverfahrens an das Amtsgericht Nördlingen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Unter dem 08.10.2012 erteilte die Betroffene der Bevollmächtigten, ihrer Schwiegertochter, eine umfassende Vorsorgevollmacht (vgl. Bl. 22/25 d. A.). Diese wurde jeweils am 08.03.2015 und 02.06.2016 nochmals von der Betroffenen unterschrieben.

Die Betroffene stürzte am 14.08.2017 in ihrer Wohnung und zog sich dabei schwere Verletzungen am Kopf und am Halswirbel zu, die zunächst im Zentralklinikum Augsburg versorgt wurden. Danach kam die Betroffene ins Bürgerspital D. Die Betroffene befand sich dort vom 22.08.2017 bis 14.09.2017 zur Kurzzeitpflege und vom 15.09.2017 bis 08.10.2017 zur Verhinderungspflege. Die Betroffene muss aufgrund ihrer Verletzungen eine Halskrause tragen. Eine Selbstständigkeit ist ihr durch den Sturz nicht verblieben. Sie ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen.

Mit E-Mail vom 24.10.2017 wandte sich die Beschwerdeführerin, eine Enkelin der Betroffenen, an das Amtsgericht Nördlingen - Betreuungsgericht und bat, im Wesentlichen unter Schilderung folgenden Sachverhalts um Hilfe:

Die Großmutter der Beschwerdeführerin, die sich im Krankenhaus in Kurzzeitpflege befunden habe, sei am 08.10.2017 abgeholt und in ein Pflegeheim in Tschechien gebracht worden. Davon habe man nicht Bescheid gewusst. Dem Kurzzeitpflegeheim sei gesagt worden, sie komme auf Reha. Im Pflegeheim in Tschechien gehe es der Betroffenen offenbar nicht gut. Sie kenne dort niemanden, verstehe die Sprache nicht und fühle sich auch nicht wohl. In den zwei Wochen Aufenthalt dort habe sie auch sehr abgebaut, sie huste stark und weine. Sie möchte nicht dort bleiben. Die Schwiegertochter und der Sohn der Betroffenen hätten gesagt, ein Heim in Deutschland sei finanziell nicht möglich, deshalb müsse die Betroffene in Tschechien untergebracht werden. Die Betroffene sei eingestuft in Pflegegrad 3 und habe insgesamt ca. 1.000,00 € an Renten. Der Eigenanteil für ein Pflegeheim in Deutschland sei aber höher (mind. 1.600 €). Die Betroffene besitze ein kleines älteres Häuschen. Im Anbau wohnten ihr Sohn und ihre Schwiegertochter. Sohn und Schwiegertochter hätten nur ein geringes Einkommen; der Sohn der Betroffenen und die Schwiegertochter seien auch der festen Meinung, dass sie keine Beihilfe zum Pflegeheim bekommen könnten wegen des älteren Hauses, das die Betroffene besitze, und der Wohnung der Schwiegertochter. Sie würden alles verlieren. Darum komme nur ein Heim im Ausland (Tschechien) in Frage. Dort sei die Zuzahlung niedriger (vgl. Bl. 1 und 2 d. A.).

Mit E-Mail vom 09.11.2017 beantragte die Beschwerdeführerin sodann eine „Kontrollbetreuung der Vorsorgevollmacht“ (Bl. 3, 4 d. A.).

Mit Schreiben vom 09.11.2017 nahm das Landratsamt Donau-Ries als Betreuungsbehörde Stellung (Bl. 6/12 d. A.). Das Landratsamt ermittelte dabei u.a., dass der Sohn der Betroffenen über eine Erbengemeinschaft zu 25% Mitbesitzer des Anwesens sei. Der Betreuungsstelle sei weiter übermittelt worden, dass das Heim, in dem sich die Betroffene jetzt befinde, einen schlechten Ruf habe, wie auch eine SAT1-Recherche zeige. Im Rahmen des Fernsehbeitrags habe sich eine Reporterin in dem Heim als Praktikantin eingeschlichen und angeblich Missstände aufgedeckt. Leute würden dort gegen ihren Willen festgehalten. Dem Landratsamt sei ferner per Mail mitgeteilt worden, dass bei einem Besuch die Betroffene geweint und gesagt habe „Nehmt mich mit“. Das sei allerdings nicht so einfach. Alles sei zugesperrt. Die Bewohner dürften gar nicht raus. Nach Informationsstand des Landratsamtes dürfe die Betroffene nur mit Erlaubnis der Heimleitung das Zimmer verlassen. Wenn Besuch komme und man nur ins Besucherzimmer mit dem Bewohner wolle, müsse die Leitung des Hauses gefragt werden. In den Park lasse man sie nicht. Das Landratsamt nahm im Rahmen seiner Ermittlungen auch Kontakt mit der Bevollmächtigten auf. Die Bevollmächtigte erklärte dabei der Betreuungsbehörde gegenüber, sie habe selbst dort ein paar Tage in der Nähe des Heimes in Tschechien gewohnt und überprüft, ob alles in Ordnung sei. Erst dann sei ihr aufgefallen, das nicht alles so sei, wie versprochen worden sei. Es sprächen zwar nicht nur die Heimleitung deutsch, sondern auch ein Teil des Pflegepersonals, aber sie seien sehr „sprechfaul“. Auch würden die Angebote nicht so wie versprochen durchgeführt. Die Betroffene sei oft auf sich allein gestellt. Die Bevollmächtigte erklärte sie werde sich bemühen, in der Nähe von D. eine geeignete Einrichtung zu finden.

Nach den Ausführungen des Landratsamtes bestehe eine massive Interessenkollision in verschiedenen Bereichen zwischen der Bevollmächtigten und der Betroffenen. Nach Meinung der Betreuungsstelle sei dringend eine Vorsorgevollmachtskontrollbetreuung oder bei Widerruf der Vollmachten durch die Betroffene oder nicht gültigen Vorsorgevollmachten eine rechtliche Betreuung notwendig.

Nach einem weiteren Besuch der Beschwerdeführerin bei der Betroffenen legte die Beschwerdeführerin ein von der Betroffenen unterschriebenes Schreiben vor, wonach sie - die Betroffene - eine Kontrollbetreuung beantrage (Bl. 27 d. A.), weiterhin ein Schreiben, in welchem die Betroffene die Vollmachten, die sie ihrer Schwiegertochter erteilt habe, widerrufe (Bl. 28 d. A.) und schließlich ein Schreiben, in dem die Betroffene erklärte, sie möchte schnellstmöglich in ein Seniorenheim in Deutschland in der Nähe ihres Heimatortes wechseln (Bl. 29 d. A.). In einer E-Mail vom 13.11.2017 schilderte die Beschwerdeführerin im Übrigen gegenüber der Betreuungsbehörde die Ereignisse ihres Besuches am 12.11.2017 (Bl. 36, 37 d. A.).

Mit Schreiben vom 23.11.2017 nahm der Verfahrensbevollmächtigte der Bevollmächtigten zum Verfahren Stellung (Bl. 51/69 d. A.). Danach habe die Betroffene Zeit ihres Lebens immer wieder davon gesprochen, dass sie für den Fall ihrer stationären Pflegebedürftigkeit keinesfalls wolle, dass ihr Haus dafür aufgewendet werden solle. Dies solle für den Sohn verbleiben. Die Betroffene habe selbst immer wieder gesagt, dass sie auch ein Pflegeheim in Böhmen, ihrer früheren Heimat, bewohnen möchte, sofern sie dort Besuch bekomme. Aufgrund dieser Äußerungen habe die Bevollmächtigte ein Pflegeheim in der früheren Heimat der Betroffenen ausgesucht. Dieses stehe einem deutschen Pflegeheim qualitativ in Nichts nach. Die Bevollmächtigte besuche die Betroffene gemeinsam mit ihrem Ehemann ca. alle 14 Tage für mehrere Tage. Gegenüber der Bevollmächtigten und ihrem Ehemann habe die Betroffene sich nie dergestalt geäußert, dass sie wieder nach Deutschland bzw. D. möchte. Im Pflegeheim wohnten zu 80% deutsche Bewohner und auch das Personal spreche überwiegend gutes Deutsch, so dass dort auch Gesprächs- und Ansprechpartner anwesend seien. Bei einem Besuch am Wochenende vom 18.11. bis 20.11.2017 habe die Betroffene auch bejaht, dass sie im derzeitigen Pflegeheim zufrieden sei. Die Betroffene leide zudem an Demenz. Die Betroffene möchte nach wie vor im derzeitigen Pflegeheim verbleiben. Dies sei auch gegenüber dem Sohn und der Schwiegertocher der Bevollmächtigten, sowie gegenüber der Sozialarbeiterin des Pflegeheims und deren Assistenten ausdrücklich bestätigt und schriftlich festgehalten worden. Hierzu legte der Verfahrensbevollmächtigte der Bevollmächtigten ein vorformuliertes Schreiben vor, welches die Betroffene unterschrieben hat (Bl. 69 d. A.).

Mit Schreiben vom 15.11.2017 nahm erneut das Landratsamt Donau-Ries Stellung (Bl. 71/72 d. A).

Mit Beschluss vom 05.12.2017 stellte das Amtsgericht das Verfahren wegen Anordnung einer Betreuung ein. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Anordnung einer Betreuung bzw. Kontrollbetreuung mangels Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht möglich sei. Die Betroffene habe ihre Schwiegertochter wirksam bevollmächtigt und zwischenzeitlich seit Anfang Oktober 2017 ihren gewöhnlichen bzw. zumindest schlichten Aufenthalt in der tschechischen Republik. Für die Frage, ob eine Kontrollbetreuung einzurichten wäre, bestehe gemäß des nach § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig geltenden Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (im Folgenden: ESÜ) vorliegend die Zuständigkeit für entsprechende Schutzmaßnahmen bei den für den Aufenthaltsort zuständigen tschechischen Behörden, Artikel 5, Artikel 6 Abs. 2 ESÜ. Ein Einschreiten seitens des Amtsgerichts Nördlingen sei daher nicht möglich (Bl. 75/77 d. A.).

Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 04.01.2018, eingegangen beim Gericht am 05.01.2018, Beschwerde ein. Die Betroffene sei deutsche Staatsbürgerin und auch noch in Deutschland gemeldet (vgl. B. 89 d. A.).

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 08.01.2018 nicht abgeholfen. Darin wird wiederum ausgeführt, dass sich die Betroffene seit 08.10.2017 tatsächlich in einem Seniorenheim in Tschechien aufhalte, wohin sie von der Vorsorgebevollmächtigten, welche ausweislich der bestehenden Vorsorgevollmacht vom 08.10.2012 auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zum Abschluss eines Heim- und Pflegevertrages innehabe, zum Zwecke der dortigen Wohnsitznahme verbracht wurde. Daher sei von einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nach Tschechien auszugehen und damit eine Zuständigkeit der tschechischen Behörden nach Artikel 5 Abs. 1 und 2 ESÜ begründet. Ob dies mit oder gegen den Willen der Betroffenen erfolgt sei, könne aufgrund der von dieser unterzeichneten widersprüchlichen Erklärungen nicht festgestellt werden. In jedem Fall bestehe der schlichte Aufenthaltsort seit Oktober 2017 in Tschechien.

II.

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Nördlingen war aufzuheben.

a) Die Betroffene hat in Tschechien noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Artikel 5 ESÜ begründet.

Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener (ESÜ) vom 13.01.2000 hat Vorrang (§ 97 FamFG) vor dem § 104 FamFG, wonach die deutschen Gerichte zuständig sind, wenn der Betroffene oder der volljährige Pflegling Deutscher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Das Übereinkommen ist in Deutschland am 01.01.2009 in Kraft getreten. Die Tschechische Republik ist ebenso ein Vertragsstaat.

Gemäß Art. 5 Abs. 1 ESÜ sind die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in dem der Erwachseneseinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 ESÜ sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.

Maßgeblich für die Frage der Zuständigkeit ist somit, wo die Betroffene ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat und wie dieser Rechtsbegriff auszulegen ist.

Da es sich bei dem ESÜ um ein Übereinkommen handelt, das sich verschiedene Unterzeichnerstaaten geben, „in der Erwägung, dass es erforderlich ist, bei internationalen Sachverhalten den Schutz von Erwachsenen sicherzustellen, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen“ (vgl. Präambel des ESÜ), kann für die Auslegung des Begriffes des gewöhnlichen Aufenthalts nicht einfach der Maßstab des § 272 FamFG als eines nationalen Gesetzes angelegt werden. Vielmehr muss dieser Begriff in Zusammenschau seiner Entstehungsgeschichte und im Kontext anderer internationaler Übereinkommen, z.B. im Kinderschutzübereinkommen oder Minderjährigenschutzabkommen autonom ausgelegt werden.

Dem Erläuternden Bericht zum ESÜ (BT-Drucksache 674/06) zufolge orientiert sich Artikel 5 ESÜ an Art. 5 des Kinderschutzübereinkommens. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wurde jedoch nicht definiert. Zum Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes wird im Erläuternden Bericht formuliert, dass unter Umständen ein gewisser Zeitraum dazwischen liege, jedoch könne der Erwerb dieses neuen gewöhnlichen Aufenthalts einfach durch einen Umzug des Erwachsenen auch unmittelbar erfolgen, wenn der Umzug in dem Zeitpunkt, in dem er stattfindet, als dauerhaft, wenn nicht sogar endgültig angesehen wird. Die Kommission habe ferner einige Fragen im Zusammenhang mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts, die bei den Verhandlungen in Bezug auf das Kinderschutzübereinkommen erörtert wurden, nicht erneut diskutiert. Sie hat somit stillschweigend die damals gefundenen Lösungen angenommen (Bericht S. 40 Ziffer 49 - 51).

Dementsprechend wird für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit in Betreuungssachen auf die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in Ehe- und Kindschaftssachen (§ 98 und § 99 FamFG) verwiesen (Keidel, FamFG, 19. Auflage, § 104, Rn. 8). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Betreuungsrecht weicht grundsätzlich nicht von dem des Minderjährigenschutzabkommens und des Kinderschutzabkommens ab, sieht man von Besonderheiten ab, die beim gewöhnlichen Aufenthalt von Minderjährigen im Hinblick auf Aufenthaltswechsel zu beachten sind (MüKoFamFG/Rauscher FamFG, 2. Aufl. 2013, § 104 Rn. 12).

Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EuEheVO und den entsprechenden Vorschriften in den Haager Übereinkommen ist nach der Rechtsprechung des EuGH autonom dahin auszulegen, dass darunter der Ort zu verstehen ist, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Maßgeblich sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat (Keidel, FamFG, 19. Aufl., § 99 Rn. 15).

Das Kind hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort oder in dem Land hat, in dem es seinen „Daseinsmittelpunkt“ hat (BGH 29. 10. 1980 BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135 = IPRax 1981, 139; dazu Henrich IPRax 1981, 125; BGH 18. 6. 1997 FamRZ 1997, 1070 = NJW 1997, 3024; OLG Karlsruhe 15. 11. 2002 FamRZ 2003, 956; zustimmend kommentierend Staudinger/Dieter Henrich (2014) EGBGB Art. 21 Rn. 18, 21). Dazu gehört „nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die im Unterschied zum einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer und beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist“ (BGH 29. 10. 1980 aaO).

Nach alledem begründet die Aufenthaltsbestimmung durch einen Vorsorgebevollmächtigten allein ebenso wenig einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt wie die bloße Verbringung eines Kindes ins Ausland. Vielmehr kommt es auf eine Gesamtschau aller für die Beurteilung relevanten Gesichtspunkte an.

Ausgehend von diesen angewandten Kriterien (insbesondere „soziale Integration“, „Daseinsmittelpunkt“, „Schwerpunkt der Bindungen einer Person“) sieht die Kammer noch keine soziale Einbindung in Tschechien, die einen gewöhnlichen Aufenthalt in Tschechien ausgehen begründen könnte:

– Die Betroffene hat nach wie vor Eigentum in Deutschland, welches nach Angabe der Bevollmächtigten ja erhalten bleiben solle. So führt der Verfahrensbevollmächtigte der Bevollmächtigten aus, die Betroffene habe Zeit ihres Lebens immer wieder davon gesprochen, dass sie für den Fall ihrer stationären Pflegebedürftigkeit keinesfalls wolle, dass ihr Haus dafür aufgewendet werden solle. Dies solle für den Sohn verbleiben. Das Eigentum der Betroffenen in Deutschland soll somit nicht aufgegeben werden, was wiederum eine Bindung nach Deutschland erhält.

– Die Betroffene ist deutsche Staatsangehörige.

– Die Betroffene bezieht Rente in Deutschland. Eine Umleitung auf ein Konto bei einer tschechischen Bank ergibt sich aus der Akte nicht.

– Die Betroffene befindet sich erst seit 08.10.2017 im Heim in Tschechien.

– Alle potentiellen Besucher der Betroffenen (die Bevollmächtigte und ihr Mann, die Beschwerdeführerin etc.) leben in Deutschland.

– Die Betroffene spricht kein Tschechisch. Es ist fraglich, inwieweit die deutsche Sprache im Heim vertreten ist. Nach den Angaben der Bevollmächtigten sprächen zwar nicht nur die Heimleitung deutsch, sondern auch ein Teil des Pflegepersonals. Aber auch die Bevollmächtigte selbst gab gegenüber dem Landratsamt an, das Pflegepersonal sei sehr „sprechfaul“.

– Die Betroffene kennt im Heim niemand. Es ist nicht davon auszugehen, dass die bettlägerige und immobile und auf Rund-um-die-Uhr-Pflege angewiesene Betroffene im Heim viele Kontakte knüpfen kann oder an Angeboten des Heims teilnehmen kann. Somit dürfte die Betroffene außer den Besuchen ihrer Verwandten von außen wenig Sozialleben im Heim haben.

b) Die Ablehnung der Zuständigkeit des Amtsgerichts Nördlingen kann im Übrigen nicht mit Artikel 6 Abs. 2 ESÜ begründet werden. Artikel 6 Abs. 2 ESÜ ist nicht als Auffangtatbestand auszulegen. Nach der Systematik ist nicht davon auszugehen, dass für den Fall, dass kein gewöhnlicher Aufenthalt im Vertragsstaate festgestellt werden kann, dann eine Zuständigkeit nach dem schlichten Aufenthaltsort begründet werden soll. Wenn der Nachweis erbracht ist, dass der Erwachsene irgendwo einen gewöhnlichen Aufenthalt hat, entfällt die Notzuständigkeit. Der Fall, auf den dieser Wortlaut anzuwenden ist, muss deutlich vom Fall des Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts nach Artikel 5 Abs. 2 ESÜ unterschieden werden. Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts von einem Staat in einen anderen behalten die Behörden des früheren gewöhnlichen Aufenthalts ihre Zuständigkeit, solange der Erwachsene keinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat, in den er umgezogen ist, erworben hat. Artikel 6 Abs. 2 soll nicht dazu benutzt werden, um den Behörden des letztgenannten Staates unverzüglich eine allgemeine Zuständigkeit zu verleihen mit der Begründung, dass der Erwachsene seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt verloren habe, ohne wieder einen neuen erworben zu haben. Diese falsche Auslegung wäre nach den Ausführungen im Erläuternden Bericht besonders gefährlich, wenn der Wechsel des Aufenthalts des Erwachsenen ohne seine Zustimmung beschlossen wurde. Sie würde in der Tat den Behörden des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen vor seiner Verbringung die Möglichkeit nehmen, den Erwachsenen wieder zurückzuführen und zwar aufgrund des Vorrangs, den Artikel 7 Abs. 2 und 3 der Zuständigkeit und den Maßnahmen der Behörden des Staates, in den der Erwachsene verbracht worden ist, zuerkennen. Eine angemessene Wartezeit ist somit erforderlich, bevor Art. 6 Abs. 2 greifen kann, um die Gewissheit zu haben, dass der ordnungsgemäß begründete frühere gewöhnliche Aufenthalt endgültig aufgegeben wurde (vgl. Bericht S. 41 Ziffer 55)

c) Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass das Amtsgericht Nördlingen auch dann, wenn die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in Tschechien zu bejahen gewesen wäre, in jedem Fall seine Zuständigkeit nach Artikel 7 ESÜ hätte prüfen müssen.

2. Über die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Kontrollbetreuung anzuordnen ist, hat das Amtsgericht angesichts der Verneinung seiner Zuständigkeit noch nicht entschieden. Das Verfahren wird deshalb an das Amtsgericht Nördlingen zurückverwiesen (§ 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die notwendige Entscheidung in der Sache und die entsprechende Sachaufklärung, ggf. mit Hilfe des Bundesamts für Justiz und im Wege der Rechtshilfe, obliegt dem Amtsgericht Nördlingen. Das Amtsgericht Nördlingen wird ggf. auch der Frage nachzugehen haben, ob die Maßnahmen der Vorsorgebevollmächtigten gerichtlicher Genehmigung bedürfen (§ 1906 Abs. 4 BGB).

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 69 Beschwerdeentscheidung


(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht en

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 97 Vorrang und Unberührtheit


(1) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union bleiben unberührt. (2) Die z

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 98 Ehesachen; Verbund von Scheidungs- und Folgesachen


(1) Die deutschen Gerichte sind für Ehesachen zuständig, wenn 1. ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war;2. beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben;3. ein Ehegatte Staatenloser mit gewöhnlichem Aufenthalt im In

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 99 Kindschaftssachen


(1) Die deutschen Gerichte sind außer in Verfahren nach § 151 Nr. 7 zuständig, wenn das Kind 1. Deutscher ist oder2. seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.Die deutschen Gerichte sind ferner zuständig, soweit das Kind der Fürsorge durch ein deu

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 272 Örtliche Zuständigkeit


(1) Ausschließlich zuständig ist in dieser Rangfolge:1.das Gericht, bei dem die Betreuung anhängig ist, wenn bereits ein Betreuer bestellt ist;2.das Gericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;3.das Gericht, in dessen

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 104 Betreuungs- und Unterbringungssachen; Pflegschaft für Erwachsene


(1) Die deutschen Gerichte sind zuständig, wenn der Betroffene oder der volljährige Pflegling 1. Deutscher ist oder2. seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.Die deutschen Gerichte sind ferner zuständig, soweit der Betroffene oder der volljährig

Referenzen

(1) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union bleiben unberührt.

(2) Die zur Umsetzung und Ausführung von Vereinbarungen und Rechtsakten im Sinne des Absatzes 1 erlassenen Bestimmungen bleiben unberührt.

(1) Die deutschen Gerichte sind zuständig, wenn der Betroffene oder der volljährige Pflegling

1.
Deutscher ist oder
2.
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
Die deutschen Gerichte sind ferner zuständig, soweit der Betroffene oder der volljährige Pflegling der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf.

(2) § 99 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind in Verfahren nach § 312 Nummer 4 nicht anzuwenden.

(1) Ausschließlich zuständig ist in dieser Rangfolge:

1.
das Gericht, bei dem die Betreuung anhängig ist, wenn bereits ein Betreuer bestellt ist;
2.
das Gericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;
3.
das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt;
4.
das Amtsgericht Schöneberg in Berlin, wenn der Betroffene Deutscher ist.

(2) Für einstweilige Anordnungen nach § 300 oder vorläufige Maßregeln ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird. Es soll die angeordneten Maßregeln dem nach Absatz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 zuständigen Gericht mitteilen.

(1) Die deutschen Gerichte sind für Ehesachen zuständig, wenn

1.
ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war;
2.
beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben;
3.
ein Ehegatte Staatenloser mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland ist;
4.
ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, es sei denn, dass die zu fällende Entscheidung offensichtlich nach dem Recht keines der Staaten anerkannt würde, denen einer der Ehegatten angehört.

(2) Für Verfahren auf Aufhebung der Ehe nach Artikel 13 Absatz 3 Nummer 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche sind die deutschen Gerichte auch zuständig, wenn der Ehegatte, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, seinen Aufenthalt im Inland hat.

(3) Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Absatz 1 erstreckt sich im Fall des Verbunds von Scheidungs- und Folgesachen auf die Folgesachen.

(1) Die deutschen Gerichte sind außer in Verfahren nach § 151 Nr. 7 zuständig, wenn das Kind

1.
Deutscher ist oder
2.
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
Die deutschen Gerichte sind ferner zuständig, soweit das Kind der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf.

(2) Sind für die Anordnung einer Vormundschaft sowohl die deutschen Gerichte als auch die Gerichte eines anderen Staates zuständig und ist die Vormundschaft in dem anderen Staat anhängig, kann die Anordnung der Vormundschaft im Inland unterbleiben, wenn dies im Interesse des Mündels liegt.

(3) Sind für die Anordnung einer Vormundschaft sowohl die deutschen Gerichte als auch die Gerichte eines anderen Staates zuständig und besteht die Vormundschaft im Inland, kann das Gericht, bei dem die Vormundschaft anhängig ist, sie an den Staat, dessen Gerichte für die Anordnung der Vormundschaft zuständig sind, abgeben, wenn dies im Interesse des Mündels liegt, der Vormund seine Zustimmung erteilt und dieser Staat sich zur Übernahme bereit erklärt. Verweigert der Vormund oder, wenn mehrere Vormünder die Vormundschaft gemeinschaftlich führen, einer von ihnen seine Zustimmung, so entscheidet anstelle des Gerichts, bei dem die Vormundschaft anhängig ist, das im Rechtszug übergeordnete Gericht. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(4) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für Verfahren nach § 151 Nr. 5 und 6.

(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.

(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.