Gericht

Finanzgericht München

Gründe

Finanzgericht München

Az.: 14 K 336/16

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

Stichwort: Erstattung von Antidumpinzoll nach Ungültigerklärung einer Verordnung durch den EuGH

In der Streitsache

...

Klägerin

prozessbevollmächtigt: ...

zustellungsbevollmächtigt: ...

gegen

Hauptzollamt ... vertreten durch den Amtsleiter ...

Beklagter

wegen Antidumpingzoll

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ...und den Richter am Finanzgericht .... sowie die ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 25. April 2016

für Recht erkannt:

1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juli 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 wird das Hauptzollamt verpflichtet, der Klägerin einen Antidumping- zoll in Höhe von € zu erstatten.

2. .Kostenentscheidung

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen.

Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.bundesfinanzhof.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S. 3091) einzuhalten ist.

Vor dem Bundesfinanzhof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer zugelassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, deren Partner ausschließlich Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sind. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des vorhergehenden Satzes zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/92 31-201.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob der Klägerin Antidumpingzoll zu erstatten ist.

Die Klägerin führte in den Jahren 2006 bis 2011 Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik (VR) China und Vietnam in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein, die zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt wurden. Für ihre Einfuhren im Zeitraum vom 7. April 2006 bis zum 1. April 2011 entrichtete die Klägerin Antidumpingzoll in Höhe von ..

Im Rahmen des Antidumpingverfahrens, das der Festsetzung des Antidumpingzolls gegen die Klägerin zugrunde lag, wurde für einige ausführende Hersteller, unter anderem auch solche, die die Klägerin beliefert haben, ein Stichprobenverfahren durchgeführt. Andere ebenfalls zur Kooperation bereite Zulieferer der Klägerin wurden bei der Stichprobenauswahl nicht berücksichtigt.

Bei den Fabrikanten, die die Klägerin bei den streitgegenständlichen Einfuhren belieferten und einen Antrag auf marktwirtschaftliche Behandlung (MWB) bei der EU-Kommission (nachfolgend: Kommission) gestellt hatten, handelte es sich um Fabriken aus der VR China und Vietnam.

Mit zwei Anträgen vom 21. Dezember 2011 und einem ergänzenden Antrag vom 20. Januar 2012 beantragte die Klägerin beim Hauptzollamt (HZA) zunächst für den Zeitraum von April 2006 bis März 2011 die Erstattung von Antidumpingzoll nach Art. 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (ZK), hilfsweise nach Art. 239 ZK.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2012 lehnte das HZA die Erstattung des Antidumpingzolls ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Verordnung (EG) Nr. 1472/2006 des Rates vom 5. Oktober 2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung u. a. in der VR China (ABl. EU Nr. L 275/1, nachfolgend: VO Nr. 1472/2006) durch das Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vom 2. Februar 2012 (C-249/10 P, EU: C: 2012: 53) nur in Bezug auf bestimmte Hersteller für nichtig erklärt worden sei. Die Klägerin habe von diesen Herstellern jedoch keine Schuhe importiert.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juli 2012 Einspruch ein. Im Einspruchs- verfahren setzte die Klägerin mit Antrag vom 12. November 2012 den begehrten Erstat- tungsbetrag auf € herab. Mit Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 wies das HZA den Einspruch der Klägerin zurück.

Dagegen erhob die Klägerin Klage, mit der sie die Erstattung von Antidumpingzoll weiter verfolgte.

Ihre Auffassung hat sie unter anderem folgendermaßen begründet: Aus den 141 Anträgen auf MWB bzw. individuelle Behandlung (IT) von chinesischen Ausführern bzw. Herstellern, die bereit gewesen seien, sich dem Stichprobenverfahren zu unterziehen, habe die Kommission lediglich die Anträge von zwölf chinesischen Stichprobenkandidaten beurteilt. Während für einen chinesischen Ausführer eine individuelle Dumpingspanne ermittelt worden sei, sei für die übrigen 11 chinesischen Ausführer/Hersteller eine gewogene durchschnittliche Dumpingspanne von 28,9% berechnet worden, die auch auf die Ausführer bzw. Hersteller angewandt worden sei, die nicht Teil der Stichprobe gewesen seien, unabhängig davon, ob sie kooperativ gewesen seien oder nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vortrags und des Sachverhalts wird auf das Vorabentscheidungsersuchen des FG München an den EuGH vom 24. Oktober 2013 (14 K 3714/12, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2014, Beilage 2014, Nr. 4, 49-55) zu Fragen zur Gültigkeit der VO Nr. 1472/2006 hingewiesen.

Mit Urteil vom 4. Februar 2016 hat der EuGH (C- 659/13 und C-34/14, EU: C: 2016: 74) auf die Vorabentscheidungsfragen im Wesentlichen wie folgt entschieden: Die VO Nr. 1472/2006 sei ungültig, soweit sie gegen Art. 2 Abs. 7 Buchst. b und Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. EU Nr. L 56/1, nachfolgend: VO Nr. 384/96) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 461/2004 des Rates vom 8. März 2004 (ABl. EU Nr. L 77/12, nachfolgend: VO Nr. 461/2004) geänderten Fassung verstößt. Art. 236 Abs. 2 ZK sei dahin auszulegen, dass die vollständige oder teilweise Ungültigerklärung einer Verordnung, mit der Antidumpingzölle eingeführt wurden, durch den Richter der Europäischen Union weder ein unvorhersehbares Ereignis noch höhere Gewalt im Sinne dieser Bestimmung darstelle.

Auf die Anfrage des Finanzgerichts, ob das HZA unter diesen Umständen eine Erstattung des Antidumpingzolls in Betracht ziehe, beantragte das HZA mit Schreiben vom 17. März 2016 die Aussetzung des Verfahrens. Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2016/223 der Kommission vom 17. Februar 2016 (ABl. EU Nr. L 41/3; nachfolgend: DVO 2016/223) habe die Kommission die nationalen Zollbehörden angewiesen, einen Erstattungsantrag nach Art. 236 ZK an die Kommission weiter zu leiten, wenn er darauf basiere, dass ein nicht in die Stichprobe einbezogener ausführender Hersteller einen MWB- oder IT-Antrag gestellt habe. Die nationalen Zollbehörden seien danach gehalten, die Veröffentlichung der einschlägigen Durchführungsverordnung der Kommission zur Wiedereinführung der Zölle abzuwarten, bevor sie über den Antrag auf Erstattung oder Erlass von Antidumpingzöllen entscheiden. Eine Erstattung von Antidumpingzöllen an die Klägerin sei daher nicht möglich.

Mit Schriftsatz vom 1. April 2016 setzte die Klägerin unter Berücksichtigung des EuGHUrteils vom 4. Februar 2016 ihren Klageantrag auf einen zu erstattenden Antidumpingzoll in Höhe von ... € und in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2016 schließlich auf ...€ herab. Die Klägerin begrenzte nunmehr ihren Erstattungsantrag auf die Einfuhren, in denen die Schuhe von bestimmten produzierenden Fabriken stammten, die jeweils einen MWB-Antrag gestellt hatten und von dem Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 24. Oktober 2013 an den EuGH erfasst waren.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juli 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 das Hauptzollamt zu verpflichten, der Klägerin Antidumpingzoll in Höhe von . € zu erstatten.

Das HZA beantragt,

das Verfahren auszusetzen,

hilfsweise die Klage abzuweisen.

Auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 14. April 2016 eingereichten Hersteller- bzw. Fabriknachweise wird Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet.

Das HZA hat zu Unrecht mit Bescheid vom 5. Juli 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2012 den Antrag der Klägerin auf Erstattung des Antidumpingzolls in Höhe von ... € abgelehnt. Die Klägerin hat im fraglichen Zeitraum unstreitig Schuhe von solchen Herstellern bezogen, die nicht in die Stichprobenauswahl miteinbezogen waren, obwohl sie einen MWB-Antrag gestellt hatten. Daher hat sie insoweit Antidumpingzoll in Höhe von insgesamt .. € zu Unrecht entrichtet, weil der EuGH die maßgebende Antidumpingverordnung in Bezug auf diese Hersteller für ungültig erklärt hat.

1. Der von der Klägerin gezahlte Antidumpingzoll war im Sinne des Art. 236 Abs. 1 1. Alternative ZK gesetzlich nicht geschuldet, weil die maßgebende Rechtsgrundlage für die Erhebung des streitgegenständlichen endgültigen Antidumpingzolls für ungültig erklärt worden ist.

Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Februar 2016 (C-659/13 und C-34/14, a. a. O.) entschieden, dass die Verordnung Nr. 1472/2006 ungültig ist, soweit sie gegen Art. 2 Abs. 7 Buchst. b und Art. 9 Abs. 5 der VO Nr. 384/96 in der durch die VO Nr. 461/2004 geänderten Fassung verstößt.

Aufgrund dieser Entscheidung mangelt es dem ursprünglichen Bescheid des HZA über die Erhebung eines Antidumpingzolls an einer gesetzlichen Grundlage, mit der Folge, dass die Klägerin zu Recht die Erstattung dieser Abgaben verlangt hat. Da auch die anderen Voraussetzungen für eine Erstattung nach Art. 236 Abs. 1 ZK vorliegen und es - wie auch das HZA zugesteht - keine Anhaltspunkte für eine betrügerische Absicht der Klägerin gibt, steht auch der Art. 236 Abs. 2 ZK der begehrten Erstattung nicht entgegen.

2. Eine andere Rechtsgrundlage für die Erhebung des Antidumpingzolls liegt nicht vor.

Die Kommission weist in Rn. 13 und 14 der Erwägungsgründe zur DVO 2016/223 zwar zu Recht auf Art. 266 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hin, der vorsieht, dass die betroffenen Organe verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um der festgestellten Rechtswidrigkeit einer Verordnung abzuhelfen; dabei gilt die dort für den Fall eines Nichtigkeitsurteils festgelegte Pflicht für Urteile, mit denen ein Rechtsakt der Union für ungültig erklärt wird, entsprechend (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil vom 22. Dezember 2008, C-333/07, Regie Networks, ECLI:EU:C:2008:764, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die betroffenen Organe kommen dieser Verpflichtung nur dann nach, wenn sie nicht nur den Tenor des die Nichtigkeit oder Ungültigkeit aussprechenden Urteils beachten, sondern auch die Gründe, die zu diesem geführt haben und die ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerlässlich sind. Diese Gründe benennen nämlich zum einen die Bestimmung, die als rechtswidrig angesehen wird, und lassen zum anderen die Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen, die das betroffene Organ bei der Ersetzung der für nichtig oder ungültig erklärten Handlung zu beachten hat (vgl. EuGH-Urteile vom 26. April 1988, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, Asteris u. a./Kommission, ECLI:EU:C:1988:199, Rn. 27; vom 12. November 1998, C-415/96, Spanien/Kommission, ECLI:EU:C:1998:533, Rn. 31, und vom 29. November 2007, C-417/06 P, Italien/Kommission, ECLI:EU:C:2007:733, Rn. 50).

Außer wenn der festgestellte Fehler zur Nichtigkeit des gesamten Verfahrens geführt hat, können diese Organe zum Zweck des Erlasses einer Handlung, durch die eine zuvor für nichtig oder ungültig erklärte Handlung ersetzt werden soll, das Verfahren in dem Stadium wiederaufnehmen, in dem dieser Fehler begangen worden ist (vgl. EuGH-Urteil vom 29. November 2007, C-417/06, Italien/Kommission,, Rn. 52, a. a. O.).

Insoweit ist es möglich, dass die Kommission das Antidumpingverfahren als nicht abgeschlossen behandelt und wieder aufnehmen kann, wobei sich die Wiederaufnahme auf die Beseitigung der vom EuGH festgestellten Ungültigkeit beschränken kann.

Überdies hat der EuGH festgestellt, dass nur die innerstaatlichen Gerichte für die Entscheidung über eine Klage zuständig sind, mit der die Rückzahlung von Beträgen verlangt wird, die von einer innerstaatlichen Einrichtung aufgrund einer später für ungültig erklärten Gemeinschaftsregelung zu Unrecht erhoben worden sind (vgl. Urteile vom 30. Mai 1989, 20/88, Roquette Freres/Kommission, Slg. 1989, 1553, Rn. 14; vom 13. März 1992, C-282/90, Vreugdenhil/Kommission, Slg. 1992, I-1937, Rn. 12, und vom 27. September 2007, C-351/04, Ikea Wholesale, Slg. 2007, I-7723, Rn. 68).

Dabei ist auch zu beachten, dass es Aufgabe der innerstaatlichen Stellen ist, für ihre Rechtsordnung die Konsequenzen aus einer Feststellung der Ungültigkeit zu ziehen, was zur Folge hat, dass die gemäß der betreffenden Verordnung gezahlten Antidumpingzölle im Sinne von Art. 236 Abs. 1 ZK nicht gesetzlich geschuldet waren und grundsätzlich von den Zollbehörden nach dieser Bestimmung erstattet werden müssen, sofern die Voraussetzungen einer solchen Erstattung, darunter die des Art. 236 Abs. 2 ZK, erfüllt sind (vgl. EuGH-Urteil vom 27. September 2007 C-351/04, Rn. 67, a. a. O.).

Dies bedeutet, dass das HZA verpflichtet ist, die streitgegenständlichen Antidumpingzölle, unabhängig von weiteren von der Kommission zu ergreifenden Maßnahmen, (zunächst) zu erstatten.

In diesem Sinne ist die Kommission auch nach der Ungültigkeitsfeststellung der Verordnung Nr. 1355/2008 (ABl. EU Nr. L 350/35) durch den EuGH im Verfahren GLS (Urteil vom 22.

März 2012, C-338/10, ECLI:EU:C:2012:158) vorgegangen. Wie sich aus dem Sachverhalt in der Streitsache CM Eurologistik (Urteil vom 28. Januar 2016, C-283/14 und C-284/14, ECLI:EU:C:2016:57, Rn. 25) ergibt, veröffentlichte die Kommission am 19. Juni 2012 im Amtsblatt der Europäischen Union eine Bekanntmachung zu den Antidumpingmaßnahmen gegenüber den Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der VR China und zu einer teilweisen Wiederaufnahme der Antidumpinguntersuchung betreffend die Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. EU C 175, S. 19), in der sie mitgeteilt hat, dass sie die Wiederaufnahme der Antidumpinguntersuchung beschlossen habe. Mit dieser Bekanntmachung werden die Zollbehörden auch darauf hingewiesen, dass angesichts des EuGH-Urteils die Einfuhren der betroffenen Ware in die Union nicht mehr den Antidumpingmaßnahmen unterlägen und die für die betroffene Ware nach der Verordnung Nr. 1355/2008 erhobenen Zölle zu erstatten oder zu erlassen seien. Am 18. Februar 2013 erließ der Rat schließlich die Durchführungsverordnung Nr. 158/2013, die am 23. Februar 2013 in Kraft trat und für zukünftige Einfuhren bis zum 31. Dezember 2013 galt.

Dementsprechend ist die Kommission in den Parallelverfahren bei anderen Schuhimporten vorgegangen. Hier sind den gleichfalls von der Ungültigkeit der Verordnung Nr. 1472/2006 bzw. der nachfolgenden Verordnung Nr. 1294/2009 (ABl. EU Nr. L 352/1) betroffenen Importeuren, die von den Schuhherstellern Brosmann Footwear (HK) Ltd, Seasonable Footwear (Zhongshan) Ltd, Lung Pao Footwear (Guangzhou) Ltd. und Risen Footwear (HK) Co. Ltd sowie Zhejiang Aokang Shoes Co. Ltd ihre Ware bezogen, die Zölle von den nationalen Behörden nach Art. 236 ZK erstattet worden.

Im März 2014 lehnte es der Rat mit dem Durchführungsbeschluss 2014/149/EU (ABl. EU Nr. L 82/27) zudem ab, einem Vorschlag der Kommission zur Verabschiedung einer Durchführungsverordnung des Rates zur Wiedereinführung eines endgültigen Antidumpingzolls in Bezug auf die genannten Hersteller zu folgen. Der Rat war der Auffassung, dass die Einführer durch die kurz zuvor erfolgte Erstattung des Zolls ein berechtigtes Vertrauen gewonnen hätten, dass durch die Verabschiedung des Vorschlags der Kommission infrage gestellt würde (vgl. DVO 2016/223, Rn. 10).

Die Verfahrensweise der Kommission in diesem vergleichbaren Parallelverfahren zeigt, dass sie grundsätzlich anerkennt, dass es die Aufgabe der innerstaatlichen Stellen ist, die Konsequenzen aus der Feststellung der Ungültigkeit einer Verordnung im nationalen Recht unter Beachtung der jeweils gültigen Bestimmungen zu ziehen. Da sie diesem Weg bei der Erstattung des Antidumpingzolls durch die nationalen Stellen bei den Mitbewerbern der Klägerin gleichfalls gefolgt ist, dürfte es bereits aus Gleichbehandlungsgründen geboten sein, die Klägerin nicht schlechter zu stellen als ihre Mitkonkurrenten. Ob der Rat daher einer Durchführungsverordnung der Kommission zur Wiedereinführung der Zölle bei den hier streitgegenständlichen Einfuhren überhaupt zustimmen wird, dürfte mehr als fraglich sein.

Hinzu kommt, dass die Kommission anders als im Fall der Antidumpinguntersuchung betreffend die Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der VR China (vgl. DVO Nr. 158/2013), die Maßnahmen für lange zurückliegende Einfuhren und nicht für zukünftige Einfuhren wiederaufzunehmen beabsichtigt. Stimmt der Rat einer solchen Wiederaufnahme eines bereits im Jahr 2011 ausgelaufenen Antidumpingverfahrens mit der rückwirkenden Wiedereinführung eines Antidumpingzolls zu, würde dies bedeuten, dass der jeweilige Importeur möglichen Fehlern der Kommission nahezu schutzlos ausgeliefert wäre. Wie vorliegend, muss er nämlich grundsätzlich zunächst in einem langwierigen Verfahren (vorliegend beträgt die Dauer des Verfahrens bereits über 4 Jahre) erreichen, dass der EuGH die ihn betreffende Verordnung für ungültig erklärt. Geschieht dies, hat der Einführer dennoch weiterhin nichts erreicht, wenn es der Kommission gestattet wäre, auch für abgeschlossene Einfuhrzeiträume ausgelaufene Antidumpingverfahren jederzeit wieder aufzunehmen.

Lässt man eine solche Verfahrensweise zu, bräuchte die Kommission bei dem Erlass von Antidumpingverordnungen keine detaillierten Vorgaben zu beachten, sondern nur abzuwarten, bis der EuGH eine Prüfung in einem Vorabentscheidungsverfahren oder bei einer Nichtigkeitsklage vornimmt und mögliche Fehler aufzeigt, die gegebenenfalls noch zu beseitigen wären. Gegen eine solche Auffassung spräche, dass sich die Kommission damit auch über eine ausdrückliche Feststellung des EuGH zur Ungültigkeit einer Verordnung hinwegsetzen könnte.

Abgesehen davon greift die DVO 2016/223 für den Streitfall auch deswegen nicht ein, weil die nationalen Behörden im Streitfall bereits über die Erstattung entschieden haben und ausschließlich das nationale Gericht, das keinen Weisungen der Kommission unterliegt, die Entscheidung der Behörde zu überprüfen hat (vgl. Art. 1 Abs. 3 DVO 2016/223).

3. Auch die vom HZA begehrte Anordnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kommt nicht in Betracht, weil es vorliegend keine ausreichenden Gründe dafür gibt, die das Ermessen des Gerichts dahingehend reduzieren, das eine Aussetzung des Verfahrens zwingend zu erfolgen hat.

Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens ist eine Ermessensentscheidung, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind.

Unstreitig existiert vorliegend kein Rechtsverhältnis, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet. Durch den Erlass der DVO 2016/223 liegt aber auch kein (vorgreifliches) Rechtsverhältnis vor, das von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Wie oben ausgeführt regelt die DVO 2016/223 nur solche Fälle, die vom HZA im Erlass- oder Erstattungswege zu entscheiden sind und nicht solche Streitfälle, die bereits bei einem Gericht anhängig sind. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die DVO 2016/223 für den Kläger insoweit von Bedeutung sein könnte, als diese der Ausgangspunkt für den Erlass einer neuen Rechtsgrundlage zur Erhebung eines erneuten Antidumpingzolls bilden könnte, wird damit kein vorgreifliches Rechtsverhältnis einer Verwaltungsbehörde begründet, das den Senat verpflichten würde, das Verfahren auszusetzen. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anerkannt, dass eine (wie hier beabsichtigte) künftige mit Rückwirkung versehene Gesetzesänderung kein Rechtsverhältnis ist, dessen Bestehen oder Nichtbestehen für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich ist (BFH-Urteile vom 29. November 2006 VI R 14/06, BStBl II 2007, 129; vom 17. Mai 1984 IV R 75/80, nicht veröffentlicht).

Da es Aufgabe der nationalen Stellen ist, die Folgerungen aus der Feststellung der Ungültigkeit einer Verordnung für den konkreten Einzelfall bei abgeschlossenen Einfuhren zu ziehen, bedarf es keines weiteren Zuwartens des Gerichts im Hinblick auf erneute Maßnahmen der Kommission, zumal das Gericht auch nicht erkennen kann, dass tatsächlich eine Verpflichtung des HZA nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30. November 2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. Nr. L 343/51, nachfolgend: VO Nr. 1225/2009) bestehen könnte, die Erstattung zunächst zu unterlassen und erst eine erneute Entscheidung der Kommission abzuwarten. Denn Art. 14 der VO Nr. 1225/2009 erlaubt es der Kommission nicht, in das nationale Erstattungsverfahren einzugreifen bzw. dieses an sich zu ziehen.

Eine Aussetzung des Verfahrens auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage analog § 74 FGO entsprechend dem Fall, in dem das BVerfG ein Gesetz für ungültig erklärt hat, kam vorliegend bei einer Interessenabwägung nicht in Betracht, weil hier nicht die gesetzliche Regelung insgesamt für nichtig erklärt worden ist und damit ein bestimmter Sachverhalt völlig ungeregelt bleibt. Außerdem wird eine möglicherweise ergehende Neuregelung auch keine weiteren Vorteile für die Klägerin erbringen, ein weiteres Abwarten auf weitere mögliche Entwicklungen war daher nicht geboten.

Die Zulassung der Revision erfolgt wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 136


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 74


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Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.