Finanzgericht München Gerichtsbescheid, 02. Aug. 2017 - 7 K 919/17

02.08.2017

Gericht

Finanzgericht München

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb von Gaststätten und die Durchführung aller damit unmittelbar und mittelbar zusammenhängenden Tätigkeiten. Die Betriebsgröße wurde vom Beklagten (Finanzamt) als Mittelbetrieb eingestuft.

Eine für die Jahre 2007 bis 2009 durchgeführte Betriebsprüfung (Prüfungsanordnung vom 13. Februar 2012) führte zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen. Am 8. April 2015 ordnete das Finanzamt eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 2010 bis 2012 an. Am 11. Juli 2016 erweiterte das Finanzamt die Prüfungsanordnung für den Besteuerungszeitraum 2005 bis 2009, da aufgrund der festgestellten Kassenmängel und dem Vorliegen von Umsatzdifferenzen bei der Kalkulation insbesondere des Jahres 2011 von Steuerhinterziehung und damit einhergehenden nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen auch der vorherigen Jahre auszugehen sei. Insbesondere fehlten vorlagepflichtige Einzeldaten bzw. relevante Berichte (Bedienerberichte) sowie die Dokumentation der Programmierung der im Prüfungszeitraum verwendeten Kasse (vgl. Schreiben der Betriebsprüfung vom 8. Juni 2016), so dass anhand der ausgedruckten Tagesendsummenbons die Vollständigkeit der erfassten Bareinnahmen nicht nachvollzogen werden konnte.

Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Erweiterung der Prüfungsanordnung. Die Steuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009 unterlägen der erhöhten Bestandskraft nach § 173 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Mit den für das Jahr 2011 festgestellten Kassenmängel und den Umsatzdifferenzen könne das Finanzamt die Erweiterung der Prüfungsanordnung nicht begründen. Insbesondere seien für den Zeitraum 2007 bis 2009 auch keine entsprechenden Beanstandungen im Rahmen der bereits durchgeführten Betriebsprüfung festgestellt worden. Durch die Anordnung einer erneuten Prüfung verstoße das Finanzamt gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Die Klägerin beantragt,

die Verfügung über die Erweiterung der Prüfungsanordnung vom 11. Juli 2016 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten und auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Klage ist unbegründet. Gegen die Rechtmäßigkeit der Verlängerung des Prüfungszeitraums mit Verfügung vom 11. Juli 2016 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 7. März 2017 bestehen keine Bedenken.

1. Nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die wie die Klägerin im Prüfungszeitraum gewerblich tätig waren, ohne weitere Voraussetzungen zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des BFH vom 21. Juni 1994 VIII R 54/92, BStBl II 1994, 678 m.w.N.). Ob die Finanzbehörde eine Prüfung anordnet und auf welche Veranlagungszeiträume sich diese erstreckt, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (BFH-Urteile vom 28. April 1983 IV R 255/82, BStBl II 1983, 621 und vom 2. September 2008 X R 9/08, BFH/NV 2009, 3). Ihre Entschließung kann vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 Finanzgerichtsordnung - FGO). Im Rahmen der Überprüfung der pflichtgemäßen Ausübung des behördlichen Ermessens ist auch die Betriebsprüfungsordnung (- BpO - vom 15. März 2000, BStBl I 2000, 368) zu beachten, die als ermessensleitende Verwaltungsvorschrift für die Finanzbehörde bindend ist (Urteil des Finanzgerichts – FG – Münster vom 20. April 2012 14 K 4222/11, EFG 2012, 1516 und BFH-Urteil vom 19. August 1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7 m.w.N.).

Hinsichtlich des Umfangs des Prüfungszeitraums regelt § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO, dass dieser bei anderen Betrieben als bei Großbetrieben in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen soll. Eine Erweiterung des Prüfungszeitraums ist gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO möglich, insbesondere dann, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit besteht. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Sie müssen die Prognose wahrscheinlich machen, dass sich nicht unerhebliche Nachforderungen ergeben werden und/oder eine Verkürzung der Steuer vorliegt. Die Anordnung einer Prüfungserweiterung bleibt auch dann rechtmäßig, wenn sich nach Erlass der Einspruchsentscheidung herausstellt, dass sich im Prüfungszeitraum bzw. in den Jahren der Prüfungserweiterung tatsächlich keine erheblichen Mehrsteuern ergeben oder tatsächlich keine Steuerverkürzung vorliegt.

2. Soweit das Finanzamt im Streitfall die Erweiterung der Prüfungsanordnung insbesondere damit begründet hat, dass der Verdacht einer Steuerstraftat gegeben sei, ist die damit verbundene Einschätzung des Sachverhalts nicht zu beanstanden. Das Finanzamt hat in der Einspruchsentscheidung die Tatsachen ausreichend dargelegt, aus denen es den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ableitet. Insbesondere wurde konkret dargelegt, dass aufgrund der festgestellten erheblichen Mängel der Kassenbuchführung und der Verletzung der Aufzeichnungspflichten, die für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2012 festgestellt worden sind, hinreichender Grund für die Annahme besteht, dass die Klägerin ihre Einnahmen auch schon zu früheren Zeitpunkten nicht zutreffend erfasst hat und es infolgedessen zu Steuerstraftaten gekommen sein könnte. Da keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Kassenbuchführung der Klägerin in den Jahren 2005 bis 2009 von der beanstandeten Kassenbuchführung der Jahre 2010 bis 2012 unterschieden hat, sind die Verdachtsmomente deshalb nicht nur auf das Jahr 2011 begrenzt, sondern erstrecken sich auch auf die vorangegangenen Jahre.

Im Übrigen liegen Anhaltspunkte für ein unverhältnismäßiges, sachwidriges oder willkürliches Verhalten des Finanzamts nicht vor, auch sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

3. Das Finanzamt musste auch nicht bereits deshalb von der Prüfungserweiterung absehen, weil für die Jahre 2005 bis 2009 bereits eine Außenprüfung durchgeführt worden ist. Die Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum ist grundsätzlich zulässig (sog. Zweitprüfung, vgl. BFH-Urteil vom 24.01.1989 VII R 35/86, BStBl II 1989, 440). Soweit die Klägerin auf die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO verweist, verkennt sie, dass die Frage, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind – ob also eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt – typischerweise erst nach Abschluss der Zweitprüfung abschließend beantwortet werden kann.

4. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet keine andere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht der Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum in der Regel weder der Grundsatz von Treu und Glauben noch der auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhende Vertrauensgrundsatz entgegen (BFH-Urteile vom 24. Januar 1989 VII R 35/86, BStBl II 1989, 440 und vom 1. Juni 1989 VI R 31/86, BStBl II 1989, 909). Grundsätzlich ist insoweit auch die steuerliche Auswertung einer derartigen Prüfung zulässig. Eine die erneute Prüfung des Zeitraums 2005 bis 2009 ausschließende etwaige konkludente Zusage im Rahmen der ersten Prüfung, hinsichtlich dieses Prüfungszeitraums wegen anderer Sachverhalte keine weiteren Bescheide gegen die Klägerin zu erlassen, ist weder aus den Akten ersichtlich noch wurde das Vorliegen einer derartigen Zusage hinreichend substantiiert vorgetragen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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Referenzen - Gesetze

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Abgabenordnung - AO 1977 | § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel


(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,1.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,2.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 102


Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Er

Abgabenordnung - AO 1977 | § 193 Zulässigkeit einer Außenprüfung


(1) Eine Außenprüfung ist zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, die freiberuflich tätig sind und bei Steuerpflichtigen im Sinne des § 147a. (2) Bei anderen als den in Absa

Referenzen

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Eine Außenprüfung ist zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, die freiberuflich tätig sind und bei Steuerpflichtigen im Sinne des § 147a.

(2) Bei anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Steuerpflichtigen ist eine Außenprüfung zulässig,

1.
soweit sie die Verpflichtung dieser Steuerpflichtigen betrifft, für Rechnung eines anderen Steuern zu entrichten oder Steuern einzubehalten und abzuführen,
2.
wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist oder
3.
wenn ein Steuerpflichtiger seinen Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb nicht nachkommt.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.