Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2003 - X ZR 72/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 22. Januar 1998 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen, soweit unter Nummer II des Urteils des Landgerichts München I (Patentverletzung) zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Kostenentscheidung und soweit die Beklagte unter Nummer I des Urteils des Landgerichts München I (Gebrauchsmusterverletzung ) verurteilt worden ist, wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Patent- und Gebrauchsmusterverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Entschädigungs - und Schadensersatzpflicht in Anspruch.
Die Klägerin war Inhaberin des am 7. April 1987 angemeldeten europäischen Patents 0 2... (Klagepatents), für das die Priorität zweier Anmeldungen in den Vereinigten Staaten in Anspruch genommen ist, das am 14. Oktober 1987 offengelegt wurde und dessen Erteilung am 27. Juli 1994 veröffentlicht wurde. Das Klagepatent ist mit Urteil des Senats vom 25. Februar 2003 (X ZR 180/99) mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt worden.
Die Klägerin war ferner Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 87 ... (Klagegebrauchsmusters), das aus dem Klagepatent abgezweigt worden ist, am 21. Mai 1992 eingetragen wurde, am 7. April 1995 abgelaufen ist und das eine saugfähige Verbundschicht mit mehreren einzelnen saugfähigen Gewebeschichten betraf. Die Beklagte hatte beim Deutschen Patent- und Markenamt gegen das Klagegebrauchsmuster Löschungsantrag gestellt, der im Beschwerdeverfahren mit Beschluß des Bundespatentgerichts vom 11. Dezember 1996 (5 W (pat) 413/96) zurückgewiesen worden ist, in dem zugleich festgestellt ist, daß das Gebrauchsmuster im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 18, soweit diese über die Fassung der Schutzansprüche vom 3. Dezember 1993 hinausgehen, und im übrigen im Umfang der Schutzansprüche 13 bis 18 in der Fassung vom 3. Dezember 1993 rechtsunwirksam war.
Die Beklagte produziert und vertreibt das aus der Anlage K 13 ersichtliche Verbundmaterial, dessen Merkmale sich aus dem Tenor des erstinstanzlichen Urteils ergeben. Zwischen den Parteien ist im Berufungsverfahren un- streitig geworden, daß die angegriffene Ausführungsform gegenständlich (wortsinngemäß ) von der Lehre nach Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der Fassung der Schutzansprüche vom 3. Dezember 1993 Gebrauch macht. Die Beklagte hat sich gegenüber der Inanspruchnahme aus dem Klagegebrauchsmuster und aus dem Klagepatent verteidigt, indem sie die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters und des Klagepatents in Abrede gestellt und sich in erster Instanz darüber hinaus auf ein Vorbenutzungsrecht berufen hat.
Die Klägerin hat die Beklagte zunächst aus dem aus der Patentanmeldung abgezweigten Klagegebrauchsmuster in Anspruch genommen und hat die Klage sodann für den Zeitraum des Bestehens beider Rechte sowohl auf das Klagepatent als auch auf das Klagegebrauchsmuster gestützt. Nachdem die Schutzdauer des Klagegebrauchsmusters abgelaufen war, haben die Parteien das auf das Klagegebrauchsmuster gestützte Unterlassungsbegehren vor dem Landgericht übereinstimmend für erledigt erklärt.
Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters zur Rechnungslegung verurteilt und die Schadensersatzpflicht der Beklagten festgestellt (Nummer I des erstinstanzlichen Urteils). Des weiteren hat es die Beklagte wegen der Verletzung des Klagepatents zur Unterlassung , Auskunft und Rechnungslegung verurteilt sowie die Pflicht der Beklagten festgestellt, wegen der Benutzung der offengelegten Patentanmeldung Ent-
schädigung und ab Patenterteilung Schadensersatz zu leisten (Nummer II des Urteils). Schließlich hat es die Klage wegen Gebrauchsmusterverletzung mangels Verschuldens abgewiesen, soweit mit ihr Auskunftsansprüche für die Zeit vom 29. Juni 1992 bis 1. August 1992 geltend gemacht worden waren. Die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Unterlassungsbegehrens wegen Gebrauchsmusterverletzung hat das Landgericht der Beklagten auferlegt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren, die Klage abzuweisen , weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage, soweit die Klägerin die Beklagte wegen Patentverletzung in Anspruch nimmt (Verurteilung zu Nummer II des landgerichtlichen Urteils), und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, soweit die Beklagte wegen Gebrauchsmusterverletzung verurteilt worden ist (Verurteilung zu Nummer I des landgerichtlichen Urteils).
I. Da die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Verhandlung über die Revision nicht vertreten war, ist antragsgemäß durch Versäumnisur-
teil, jedoch aufgrund umfassender Sachprüfung zu entscheiden (BGHZ 37, 79, 81).
II. Die Revision führt zur Klageabweisung, soweit die Beklagte wegen Patentverletzung verurteilt ist. Mit Urteil des Senats vom 25. Februar 2003 (X ZR 180/99) ist das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt worden. Eine derartige Änderung der Patentrechtslage ist in der Revisionsinstanz zu beachten, auch wenn sie nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen eingetreten ist (st. Rspr., vgl. Sen. Urt. v. 28.3.1963 - X ZR 19/63, GRUR 1963, 494 - Rückstrahlerdreieck ; Sen. Urt. v. 11.10.1988 - X ZR 50/82).
III. Die Revision hat auch Erfolg, soweit die Beklagte wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters verurteilt worden ist.
1. Das Berufungsgericht ist von der Wirksamkeit des Klagegebrauchsmusters ausgegangen. Es hat dazu ausgeführt, die Beklagte müsse das Gebrauchsmuster gegen sich gelten lassen, weil ein von ihr gegen die Klägerin geführtes Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren zur rechtskräftigen Zurückweisung des Löschungsantrags geführt habe (§ 19 Satz 3 GebrMG). Das läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Zwar wirkt die Abweisung eines Löschungsantrags - anders als eine auf Löschung des Gebrauchsmusters lautende Entscheidung - nicht gegenüber jedermann; gemäß § 19 Satz 3 GebrMG wirkt eine solche Entscheidung aber zwischen den am Löschungsverfahren beteiligten Parteien und bindet den Verletzungsrichter, wenn die Entscheidung im Löschungsverfahren zwischen den Parteien des Verletzungsprozesses er-
gangen ist. Da der Löschungsantrag der Beklagten gegen das Klagegebrauchsmuster rechtskräftig abgewiesen ist, steht fest, daß die Beklagte das Klagegebrauchsmuster gegen sich gelten lassen muß, soweit dieses im Löschungsverfahren nicht für rechtsunwirksam erklärt worden ist.
Auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe durch die Produktion und den Vertrieb von Verbundschichten, wie sie als Anlage K 13 zu den Akten gereicht sind, gegenständlich (wortsinngemäß) von Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters Gebrauch gemacht hat, begegnet keinen Bedenken.
2. Die Revision macht jedoch mit Erfolg geltend, daß das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob sich die Beklagte auf ein Vorbenutzungsrecht berufen kann (§ 13 Abs. 3 GebrMG, § 12 PatG).
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung unter Beweisantritt vorgetragen , sie habe bereits seit 1986 fortlaufend Krankenunterlagen in der Weise hergestellt, daß eine aus mehreren saugfähigen Lagen bestehende Zellstoffwatteschicht im Produktionsverfahren mittels nachgeschalteter Preßrollen mit einer Polyethylen-Unterlage druckverbunden worden sei, und zwar jeweils an einzelnen Stellen in Form von Verbindungslinien entlang der Krankenunterlage. Bevor die Zellstoffgewebeschicht und die Polyethylenunterlage durch die nachfolgenden Preßrollen mechanisch zu einer Verbundschicht zusammengepreßt worden seien, habe eine Heißverleimung aller miteinander in Verbindung gebrachten Schichten stattgefunden, wobei der Heißleim streifenförmig an den druckverbundenen Stellen mit dem Ziel aufgebracht worden sei, die miteinander zu verbindenden Schichten des Verbunds nicht nur mechanisch miteinan-
der zu verpressen, sondern zusätzlich an den druckverbundenen Stellen durch den festen Zustand des erkaltenden Heißleims strukturell zu verstärken, so daß sie über ein jahrelanges, spezielles Fachwissen verfüge, das sowohl das mechanische Verpressen laminierter Gewebeschichten zu Verbundschichten als auch das Verkleben, Verleimen und thermoplastische Verbinden dieser Verbundschichten mittels Wachs, Parafin und gleichartiger Mittel beinhalte. Bereits seit Anfang der 70er Jahre habe sie bei der Windelherstellung mit der B. GmbH zusammengearbeitet, wobei Windeln unter Verwendung von Zellstoffwatte hergestellt worden seien, die an den Stellen der Druckverbindung der saugfähigen Lagen aus Zellstoffwatte miteinander durch Einlegen von HotMelt -Raupen verbunden worden seien. Die Klägerin hat dieses Vorbringen zwar bestritten, das Berufungsgericht hat aber keine Feststellungen hierzu getroffen , so daß für das Revisionsverfahren von den Behauptungen der Beklagten auszugehen ist. Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Beklagte zu Recht auf ein Vorbenutzungsrecht beruft.
3. Auf die Revision ist das angefochtene Urteil daher aufzuheben. Soweit die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Klagepatents verurteilt worden ist, ist die Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen. Soweit die Beklagte aus dem Klagegebrauchsmuster verurteilt ist, ist die Sache zu Prüfung des von der Beklagten behaupteten Vorbenutzungsrechts an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Den Parteien wird Gelegenheit zu näherem Sachvortrag zu den behaupteten Benutzungshandlungen und der Art der Zusammenarbeit der Beklagten mit der B. GmbH zu geben sein. Bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens wird zu beachten sein, daß, soweit die Kosten des in er-
ster Instanz übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits im erstinstanzlichen Urteil der Beklagten auferlegt worden sind, diese Entscheidung nach dem auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Recht im Revisionsverfahren nicht zur Überprüfung steht (Sen.Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 176/99, GRUR 2001, 770 - Kabeldurchführung II) und von der Revision auch nicht zur Überprüfung gestellt worden ist.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Meier-Beck Asendorf
Annotations
Ist während des Löschungsverfahrens ein Rechtsstreit anhängig, dessen Entscheidung von dem Bestehen des Gebrauchsmusterschutzes abhängt, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Löschungsverfahrens auszusetzen ist. Es hat die Aussetzung anzuordnen, wenn es die Gebrauchsmustereintragung für unwirksam hält. Ist der Löschungsantrag zurückgewiesen worden, so ist das Gericht an diese Entscheidung nur dann gebunden, wenn sie zwischen denselben Parteien ergangen ist.
(1) Der Gebrauchsmusterschutz wird durch die Eintragung nicht begründet, soweit gegen den als Inhaber Eingetragenen für jedermann ein Anspruch auf Löschung besteht (§ 15 Abs. 1 und 3).
(2) Wenn der wesentliche Inhalt der Eintragung den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen ohne dessen Einwilligung entnommen ist, tritt dem Verletzten gegenüber der Schutz des Gesetzes nicht ein.
(3) Die Vorschriften des Patentgesetzes über das Recht auf den Schutz (§ 6), über den Anspruch auf Erteilung des Schutzrechts (§ 7 Abs. 1), über den Anspruch auf Übertragung (§ 8), über das Vorbenutzungsrecht (§ 12) und über die staatliche Benutzungsanordnung (§ 13) sind entsprechend anzuwenden.
(1) Die Wirkung des Patents tritt gegen den nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte. Dieser ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen. Die Befugnis kann nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder veräußert werden. Hat der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung vor der Anmeldung anderen mitgeteilt und sich dabei seine Rechte für den Fall der Patenterteilung vorbehalten, so kann sich der, welcher die Erfindung infolge der Mitteilung erfahren hat, nicht auf Maßnahmen nach Satz 1 berufen, die er innerhalb von sechs Monaten nach der Mitteilung getroffen hat.
(2) Steht dem Patentinhaber ein Prioritätsrecht zu, so ist an Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Anmeldung die frühere Anmeldung maßgebend. Dies gilt jedoch nicht für Angehörige eines ausländischen Staates, der hierin keine Gegenseitigkeit verbürgt, soweit sie die Priorität einer ausländischen Anmeldung in Anspruch nehmen.