Bundesgerichtshof Urteil, 22. März 2002 - V ZR 192/01

bei uns veröffentlicht am22.03.2002

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 192/01 Verkündet am:
22. März 2002
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter
Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 12. April 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Parteien streiten um die Auflassung von Miteigentumsanteilen an Grundstücken aus der Bodenreform.
Bei Ablauf des 15. März 1990 war A. S., der Ehemann der Beklagten, als Eigentümer dreier landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Die Grundstücke waren ihm aus dem Bodenfonds zugewiesen. Der Bodenreformvermerk war eingetragen. A. S. verstarb am 16. Februar 1985. Die Beklagte ist seine Erbin.
Das klagende Land (Kläger) verlangt die Übertragung hälftigen Miteigentums an den Grundstücken. Die Beklagte hält dem Anspruch entgegen, die zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen seien verfassungswidrig.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt sie die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht sieht Art. 233 §§ 11 ff EGBGB als verfassungsgemäß an. Es bejaht den von dem Kläger aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB geltend gemachten Anspruch. Hierzu hat es festgestellt, daß die Beklagte nicht zuteilungsfähig ist.

II.


Das ist nicht zu beanstanden.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch folgt aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst c EGBGB.
1. Die Revision nimmt die Feststellung des Berufungsgerichts hin, daß die Beklagte nicht zuteilungsfähig ist. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
2. Die Ausführungen der Revision zur Verfassungswidrigkeit der in Art. 233 §§ 11 ff EGBGB bestimmten Auflassungsansprüche geben dem Senat keinen Anlaû zur Änderung seiner Rechtsprechung. Der Senat hat die Verfassungsmäûigkeit der Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform auch angesichts des Irrtums des Gesetzgebers über die Vererblichkeit der Grundstücke aus der Bodenreform im Urteil vom 17. Dezember 1998 (BGHZ 140, 223, 231 ff) bejaht und seine Auffassung gegenüber im Schrifttum geäuûerten Bedenken bestätigt (Senatsurteil vom 20. Oktober 2000, V ZR 194/99, WM 2001, 212 f). Hieran ist festzuhalten.
Die Volkskammer ging bei der Beratung des Gesetzes über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I S. 134) davon aus, daû die Bodenreformgrundstücke "zweckentsprechend" landwirtschaftlich genutzt würden, dies für die Vergangenheit durch die Besitzwechselverordnung sichergestellt gewesen und für die Zukunft durch die Grundstücksverkehrsverordnung und die Bodennutzungsverordnung gewährleistet sei (vgl. Grün, VIZ 1999, 313, 323). Von daher erfaût das Gesetz schon von seiner Zielsetzung her nicht die Sachverhalte, bei denen ein Besitzwechsel entgegen dem geltenden Recht entweder nicht vollzogen oder im Grundbuch nicht gewahrt worden ist. Hierher gehören insbesondere die Fälle, in denen die Erben eines verstorbenen Neubauern zu einer ordnungsgemäûen Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen nicht in der Lage waren oder in denen Grundstücke ohne entsprechende Grundbucheintragung bereits einem geeigneten Bewerber zugeteilt worden sind, ferner die Fälle, in denen Grundstücke zum Städtebau, gewerblich oder industriell bis hin zur Errichtung eines Atomkraftwerkes genutzt wurden (Senat, BGHZ 132, 71 ff).
Die Vorstellung, der DDR-Gesetzgeber habe auch für alle diese Fälle das Bodenreformeigentum in der Hand der Erben des noch im Grundbuch stehenden Neubauern "aufwerten" und mit dem "Alteigentum" der Bauern gleichstellen wollen (vgl. Grün aaO S. 322, 324), gegebenenfalls also einem durch Besitzwechsel jahrelang begünstigten Erwerber das Eigentum zugunsten eines Erben vorenthalten wollen, der ein Grundstück selbst nicht landwirtschaftlich nutzen konnte, ist ebenso fernliegend wie die Annahme, ein zwischenzeitlich zum Bau eines Atomkraftwerkes genutztes Grundstück habe nur deswegen in unbeschränktes Eigentum des Erben eines Neubauern fallen sollen, weil die Behörden der DDR seine Rückführung in den Bodenfonds und die Übernahme in Volkseigentum im allgemeinen Sinne versäumt haben. Eine Gleichstellung dieser "hängengebliebenen Alterbfälle" mit den übrigen Erbfällen war im Rahmen der im März 1990 anstehenden Umstrukturierung der Landwirtschaft weder veranlaût noch notwendig. Sie hätte die Aufwertung des Bodenreformeigentums an den mehr oder weniger zufällig entfalteten oder auch nicht entfalteten Eifer der DDR-Behörden bei der Vollziehung der Besitzwechselverordnung angeknüpft und so zu zweckwidrigen Zufallsergebnissen geführt (Senatsurt. vom 17. Dezember 1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453, 455). Eine solche Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann der Volkskammer nicht unterstellt werden (vgl. Krüger, AgrarR 1999, 332, 334).
Das Gesetz enthält insoweit eine Lücke, die der Bundesgesetzgeber ohne Verstoû gegen das Grundgesetz geschlossen hat. Daû der Gesetzgeber der Volkskammer diese Lücke nicht erkannt hat, ändert hieran nichts. Etwas anderes ist auch dem Protokoll der Beratung des Verfassungs- u. Rechtsausschusses der Volkskammer vom 2. März 1990 nicht zu entnehmen (vgl. Purps, VIZ 2001, 65, 66), auf das die Revision hinweist. Die Aufhebung der Verfü-
gungs- und Nutzungsbeschränkungen, die für die Grundstücke aus der Bodenreform galten, durch das Gesetz vom 6. März 1999 führte notwendig dazu, daû der Bodenfonds "gewissermaûen gegenstandslos" wurde (Frage des Abgeordneten Prof. Dr. Mühlmann), weil nach der Aufhebung der Besitzwechselverordnung eine Rückführung von Grundstücken in den Bodenfonds nicht mehr in Betracht kommen konnte. Gleichwohl ist der Bodenfonds weder durch das Gesetz vom 6. März 1990 noch, soweit ersichtlich, sonst aufgehoben worden. Die Grundstücke, die sich am 16. März 1990 im Bodenfonds befanden, sind vielmehr fortan als Volkseigentum im allgemeinen Sinne behandelt worden. Dem kann nicht entnommen werden, daû entgegen dem Recht der DDR ohne nachvollziehbaren Grund unterbliebene Rückführungen von Grundstücken in den Bodenfonds endgültige Anerkennung hätten finden sollen. Die Antwort des Ministers für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, Watzek, auf die Frage von Prof. Dr. Mühlmann, das Gesetz führe dazu, daû "der Genossenschaftsbauer eindeutig vollwertiger Privateigentümer" werde, zeigt vielmehr, daû Ziel des Gesetzes vom 6. März 1990 allein die Stärkung der Rechtsstellung der in der Landwirtschaft tätigen Begünstigten aus der Bodenreform war. Die Frage, was mit den in Teilen der DDR unterbliebenen Rückführungen ausgegebener Grundstücke geschehen sollte, die nicht landwirtschaftlich genutzt wurden, oder deren Eigentümer nicht in der DDR lebten oder nicht wirtschaftsfähig waren , ist nach der Antwort des Ministers nicht gesehen worden. Die bestehenden Vollzugsdefizite sind nicht erkannt worden. Sie werden durch Art. 233 §§ 11 ff EGBGB beseitigt.
Die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maûnahmen stellt die Revision auch nicht in Abrede. Daû dies anders als durch Art. 233 §§ 11 ff EGBGB hätte geschehen können, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der getroffenen Re-
gelungen. Ebenso wie der Gesetzgeber der Volkskammer die Regelungslücke hätte schlieûen können, konnte dies der Gesetzgeber des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes tun. Das Vertrauen nicht zuteilungsfähiger Erben in den Bestand ihres Eigentums an den Grundstücken der Bodenreform konnte 1992 auch noch nicht so weit verfestigt sein, daû die bis zum Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes verstrichene Zeit den getroffenen Regelungen entgegengestanden hätte (Senat, BGHZ 140, 223, 236). Der besonderen Situation des überlebenden Ehegatten eines vor dem 16. März 1990 verstorbenen im Grundbuch eingetragenen Begünstigten trägt Art. 233 § 11 Abs. 5 EGBGB Rechnung.

III.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Wenzel Schneider Krüger Klein Gaier

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Referenzen

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)