Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2006 - IX ZR 88/05

09.11.2006
vorgehend
Landgericht Landshut, 44 O 1238/04, 07.10.2004
Oberlandesgericht München, 20 U 5231/04, 09.03.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 88/05
Verkündet am:
9. November 2006
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Cierniak

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. März 2005 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 25. November 2002 am 2. Februar 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kaufmanns J. H. (fortan: Schuldner). Auf der Grundlage eines vollstreckbaren Titels brachte der Beklagte eine Vorpfändung aus, die dem Schuldner und der bank AG als Drittschuldnerin am 20. August 2002 zugestellt wurde. In der Folge erwirkte der Beklagte einen entsprechenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, den die Drittschuldnerin am 29. August 2002 zugestellt erhielt. Daraufhin zahlte sie am 10. September 2002 an den Beklagten 32.750 € zu Lasten des Schuldners aus. Der Kläger verlangt diesen Betrag im Wege der Deckungsanfechtung zur Masse zurück und hat behauptet, der Schuldner sei bei Zustellung des Pfändungs- und Überwei- sungsbeschlusses bereits zahlungsunfähig gewesen. Dem ist der Beklagte entgegengetreten.
2
In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein bisheriges Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision ist begründet. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist im Revisionsrechtszug nach dem vom Tatrichter festgestellten Sachverhältnis nicht möglich.

I.


4
Das Berufungsgericht hat die Wirkungen der Vorpfändung als auflösend bedingtes Arrestpfandrecht verstanden, welches durch die innerhalb eines Monats nachfolgende Pfändung rückwirkend zum Vollrecht geworden sei. Dieses sei nach dem Zeitpunkt der Vorpfändung nicht mehr nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

II.


5
Der Senat hat in seinem nach Abschluss des Berufungsrechtszugs ergangenen Urteil vom 23. März 2006 - IX ZR 116/03 (ZIP 2006, 916, 917, z.V.b.
in BGHZ 167, 11) bereits entschieden und dort im Einzelnen ausgeführt, dass die Anfechtung der Rechtshandlungen insgesamt nach § 131 InsO zu beurteilen ist, wenn die Vorpfändung früher als drei Monate vor Eingang des Insolvenzantrags zugestellt wird, die nachfolgende Pfändung aber - wie hier - in den anfechtungsrechtlich besonders geschützten Dreimonatszeitraum fällt.
6
Die außerhalb der gesetzlichen Krise ausgebrachten Vorpfändungen begründen für den Vollstreckungsgläubiger noch keine insolvenzbeständige Sicherung , weil sie nur Teil mehraktiger Rechtshandlungen sind. Anfechtungsrechtlich entscheidet nach § 140 Abs. 1 InsO der Zeitpunkt, in welchem der Vollstreckungsgläubiger ein Absonderungsrecht gemäß § 50 Abs. 1 InsO erlangt. Das ist in der vorliegenden Fallgestaltung erst mit Wirksamkeit der Pfändung geschehen, die der Vorpfändung nachfolgte. Ob die Vorpfändung, wie das Berufungsgericht angenommen hat, ein auflösend bedingtes Arrestpfandrecht begründet, ist unerheblich, weil § 140 Abs. 3 InsO, wonach der Eintritt der Bedingung außer Betracht bleibt, nur für rechtsgeschäftliche Bedingungen gilt.
7
Diese Auslegung des Senats hat im Schrifttum Zustimmung erfahren (Uhlenbruck BGHReport 2006, 879; Eckardt EWiR 2006, 537, 538; Biehl NJ 2006, 411). Die Ausführungen der Revisionserwiderung haben demgegenüber keine neuen Gesichtspunkte erbracht, die dem Senat zu weiteren Erwägungen Anlass geben.

III.


8
In der neuen Berufungsverhandlung werden die bisher fehlenden Feststellungen zu der umstrittenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bei Zustel- lung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nachzuholen sein. Hierzu wird auf die jüngere Rechtsprechung des Senats (BGHZ 163, 134) hingewiesen.
Fischer Ganter Raebel
Kayser Cierniak
Vorinstanzen:
LG Landshut, Entscheidung vom 07.10.2004 - 44 O 1238/04 -
OLG München, Entscheidung vom 09.03.2005 - 20 U 5231/04 -

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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, 1. wenn die Handlung im letzten Monat

Insolvenzordnung - InsO | § 140 Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung


(1) Eine Rechtshandlung gilt als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. (2) Ist für das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts eine Eintragung im Grundbuch, im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Regist

Insolvenzordnung - InsO | § 50 Abgesonderte Befriedigung der Pfandgläubiger


(1) Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht, ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht oder ein gesetzliches Pfandrecht haben, sind nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 für Hauptforderung, Zinsen und Kosten

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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte,

1.
wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist,
2.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder
3.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, daß sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte.

(2) Für die Anwendung des Absatzes 1 Nr. 3 steht der Kenntnis der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen. Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger kannte.

(1) Eine Rechtshandlung gilt als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.

(2) Ist für das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts eine Eintragung im Grundbuch, im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen erforderlich, so gilt das Rechtsgeschäft als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung gestellt hat. Ist der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf die Rechtsänderung gestellt worden, so gilt Satz 1 mit der Maßgabe, daß dieser Antrag an die Stelle des Antrags auf Eintragung der Rechtsänderung tritt.

(3) Bei einer bedingten oder befristeten Rechtshandlung bleibt der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht.

(1) Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht, ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht oder ein gesetzliches Pfandrecht haben, sind nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Pfandgegenstand berechtigt.

(2) Das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters oder Verpächters kann im Insolvenzverfahren wegen der Miete oder Pacht für eine frühere Zeit als die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung des Verfahrens sowie wegen der Entschädigung, die infolge einer Kündigung des Insolvenzverwalters zu zahlen ist, nicht geltend gemacht werden. Das Pfandrecht des Verpächters eines landwirtschaftlichen Grundstücks unterliegt wegen der Pacht nicht dieser Beschränkung.

(1) Eine Rechtshandlung gilt als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.

(2) Ist für das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts eine Eintragung im Grundbuch, im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen erforderlich, so gilt das Rechtsgeschäft als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung gestellt hat. Ist der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf die Rechtsänderung gestellt worden, so gilt Satz 1 mit der Maßgabe, daß dieser Antrag an die Stelle des Antrags auf Eintragung der Rechtsänderung tritt.

(3) Bei einer bedingten oder befristeten Rechtshandlung bleibt der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht.