Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2003 - IV ZR 59/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.135,50 nebst 4 % Zinsen hieraus seit 24. Februar 2000 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt als Bezugsberechtigte einer Kapitallebensversicherung mit Mehrfachauszahlung von dem beklagten Versicherer die Zahlung eines ersten Teilbetrages der Versicherungssumme.Der Ehemann der Klägerin hatte im Jahre 1987 bei der Beklagten eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen. Vereinbart war eine Versicherungssumme von 30.000 DM, die im Erlebensfall in Teilbeträgen ausgezahlt werden sollte. Der erste Teilbetrag von 12.000 DM wurde am 1. Dezember 1999 fällig. Im Versicherungsantrag hatte der Ehemann der Klägerin als Bezugsberechtigte seine "Rechtsnachfolger" angegeben, ohne das Widerrufsrecht auszuschließen. Im Jahr 1994 bestimmte er die Klägerin als unwiderruflich Bezugsberechtigte im Erlebensfall, was die Beklagte schriftlich bestätigte.
Am 4. März 1999 erwirkte die Beklagte aufgrund einer ihr gegen den Ehemann der Klägerin zustehenden titulierten Forderung die Pfändung und Überweisung aller Rechte aus dem Versicherungsvertrag einschließlich des Rechts zur Kündigung. Mit an sich selbst gerichtetem Schreiben vom 6. April 1999 widerrief die Beklagte die bisher bestellten Bezugsrechte und kündigte den Versicherungsvertrag.
Die Klägerin hält die Pfändung der Ansprüche aus der Lebensversicherung aufgrund des ihr eingeräumten unwiderruflichen Bezugsrechts für unwirksam. Sie begehrt deshalb die Auszahlung des vereinbarten ersten Teilbetrages in Höhe von 12.000 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen (VersR 2002, 963). Dagegen wendet sich die zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte aufgrund des erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses den Versicherungsvertrag wirksam gekündigt, weshalb der hierdurch entstandene Anspruch auf den Rückkaufswert der Beklagten zustehe. Das der Klägerin unwiderruflich auf den Erlebensfall eingeräumte Bezugsrecht habe nur ein aufschiebend bedingtes Recht begründet. Eine ausdrückliche Bestimmung über den Zeitpunkt des Rechtserwerbs seitens der Klägerin habe deren Ehemann nicht vorgenommen. Deshalb komme es darauf an, wie seine Willenserklärung gemäß allgemeinen Regeln nach Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen sei. Zwar gebe es, wie der Bundesgerichtshof (BGHZ 45, 162, 165) ausgeführt habe, im Versicherungsrechtsverkehr seit einiger Zeit die tatsächliche Übung, in einer unwiderruflichen Bezugsrechtseinräumung zugleich den erklärten Willen für einen sofortigen Rechtserwerb des Bezugsberechtigten zu sehen, da nur so der sich im Verzicht auf einen Widerruf offenbarende Zweck uneigennütziger Fürsorge zu erreichen sei. Bei einer gemischten Todes- und Erlebensfallversicherung bestehe jedoch die Besonderheit geteilter Berechtigung. Die jeweiligen Rechte müssten daher in ein Verhältnis zueinander gebracht werden, und zwar dergestalt, daß ein sofortiger Rechtserwerb nur hinsichtlich eines der beiden Anspruchsberechtigten erfolgen könne. Da dem Versicherungsnehmer das Recht zur jederzeitigen Kündigung verbleibe, müsse feststehen, wem gegebenenfalls der Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts zu-
stehe. Bei einer privaten Lebensversicherung stehe die Fürsorge des für den Todesfall Bezugsberechtigten im Vordergrund. Deshalb sei - sofern wie hier keine besonderen Umstände im Einzelfall auf einen abweichenden Willen des Versicherungsnehmers hindeuteten - entgegen der vom 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (NJW-RR 2001, 676 = VersR 2002, 219) vertretenen Rechtsauffassung nur im Falle eines unwiderruflichen Bezugsrechts auf den Todesfall ein sofortiger Rechtserwerb unter einer auflösenden Bedingung anzunehmen und demgegenüber das Recht des unwiderruflich auf den Erlebensfall Bezugsberechtigten grundsätzlich als aufschiebend bedingt anzusehen. Daher habe die Klägerin nur eine Anwartschaft erlangt, die infolge der Kündigung nicht zur Entstehung gelangt sei.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin hat als unwiderruflich Bezugsberechtigte für den Erlebensfall Anspruch auf die am 1. Dezember 1999 fällig gewordene Teilleistung von 12.000 DM. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß es entscheidend auf die Auslegung der dem Versicherer gegenüber abzugebenden Erklärung des Versicherungsnehmers über die Begründung des Bezugsrechts ankommt (vgl. Senatsurteil vom 25. April 2001 - IV ZR 305/00 - VersR 2001, 883 unter II 2 a). Es hat jedoch rechtsfehlerhaft den vom Ehemann der Klägerin mit der Begründung des unwiderruflichen Bezugsrechts verfolgten Zweck verkannt und zu Unrecht angenommen, er habe keine ausdrückliche Bestimmung über den Zeitpunkt des Rechtserwerbs getroffen.
1. Nach § 13 der dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kapital-Lebensversicherung (AVB,
wortgleich mit § 13 ALB 86, VerBAV 1986, 209, 212 f.) kann der Versicherungsnehmer über die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag durch Abtretung, Verpfändung und Einräumung eines Bezugsrechts verfügen. Wem in welchem Umfang ein Bezugsrecht und die daraus folgenden Ansprüche auf die Versicherungsleistungen zustehen, bestimmt der Versicherungsnehmer durch eine einseitige, empfangsbedürftige schriftliche Willenserklärung gegenüber dem Versicherer, die Verfügungscharakter hat (vgl. BGH, Urteile vom 28. September 1988 - IVa ZR 126/87 - VersR 1988, 1236 unter 2 und vom 25. April 2001 - IV ZR 305/00 - aaO). Entscheidend für die Zuordnung der Ansprüche ist daher nicht eine theoretische rechtliche Konstruktion, sondern der im rechtlich möglichen Rahmen geäußerte Gestaltungswille des Versicherungsnehmers.
a) Dieser richtet sich bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht regelmäßig auf einen sofortigen Rechtserwerb, weil nur so der mit dem Verzicht auf den Widerruf verfolgte Zweck erreicht werden kann, die Ansprüche auf die Versicherungsleistungen aus dem Vermögen des Versicherungsnehmers auszusondern und sie damit dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen (BGHZ 45, 162, 165 f.). Da unter diesem Gesichtspunkt eine bloße unwiderrufliche Anwartschaft praktisch wertlos wäre, bildet der sofortige Rechtserwerb den eigentlichen Inhalt der unwiderruflichen Bezugsberechtigung (BGHZ aaO S. 165; BGH, Urteil vom 19. Juni 1996 - IV ZR 243/95 - VersR 1996, 1089 unter 1). Die Auffassung des Berufungsgerichts führt dazu, den Eintritt dieser vom Versicherungsnehmer gewollten Rechtsfolge zu vereiteln und das unwiderrufliche Bezugsrecht auf den Erlebensfall im Ergebnis seines eigentlichen Inhalts zu entkleiden, wie der 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zutreffend erkannt hat (NJW-RR 2001, 676 = VersR 2002, 219; vgl. auch Baroch Ca-
stellvi, VersR 1998, 410, 415 und AG Hechingen VersR 1999, 569 m. Anm. Baroch Castellvi).
b) Hier hat der Versicherungsnehmer sogar ausdrücklich eine auf den sofortigen Rechtserwerb der Klägerin gerichtete Erklärung abgegeben. Er hat der Beklagten mit Schreiben vom 9. März 1994 unter Bezugnahme auf den Versicherungsvertrag die Klägerin als unwiderruflich Bezugsberechtigte im Erlebensfall benannt. Da nach § 13 Abs. 2 AVB der Versicherungsnehmer ausdrücklich bestimmen kann, daß der Bezugsberechtigte die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag unwiderruflich und damit sofort erwerben soll, war sein Schreiben in diesem Sinne zu verstehen. Die Beklagte hat es auch so verstanden. Sie hat ihm mit Schreiben vom 9. Juni 1994 gemäß § 13 Abs. 2 AVB die Unwiderruflichkeit bestätigt und ihn darauf hingewiesen, daß diese Begünstigung künftig nicht mehr einseitig aufgehoben oder beschränkt werden könne.
c) Diese Grundsätze gelten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bei der kapitalbildenden (gemischten) Lebensversicherung nicht nur für das unwiderrufliche Bezugsrecht auf den Todesfall. Sie sind in gleicher Weise auf das unwiderrufliche Bezugsrecht für den Erlebensfall anzuwenden.
Aus der Entscheidung in BGHZ 45, 162 ergibt sich nichts anderes. Sie enthält zunächst allgemeine Ausführungen zum Inhalt des unwiderruflichen Bezugsrechts, ohne zwischen dem auf den Erlebensfall und dem auf den Todesfall zu unterscheiden. Sodann leitet sie daraus für den dort gegebenen Fall der Teilung der Begünstigung - unwiderrufliche Bezugsberechtigung eines Dritten auf den Todesfall, Berechtigung des
Versicherungsnehmers im Erlebensfall - ab, daß der Anspruch auf die Versicherungsleistungen auch in Gestalt des Rückkaufswerts bis zum Eintritt des Erlebensfalles dem unwiderruflich Bezugsberechtigten und nicht dem Versicherungsnehmer zusteht und damit dem Zugriff der Gläubiger des Versicherungsnehmers entzogen ist. Für einen generellen Vorrang des Bezugsrechts auf den Todesfall vor dem für den Erlebensfall läßt sich daraus nichts entnehmen, es gibt ihn auch nicht. Die Annahme des Berufungsgerichts, bei einer privaten Lebensversicherung stehe die Fürsorge des für den Todesfall Bezugsberechtigten im Vordergrund , mag in vielen Fällen zutreffen. Häufig wird die Lebensversicherung aber auch im Wege der Abtretung oder der unwiderruflichen Bezugsrechtseinräumung zur Absicherung von Darlehen verwendet. Unabhängig von möglichen Zwecken einer Lebensversicherung kommt es entscheidend darauf an, welche Ausgestaltung der Versicherungsnehmer dem Bezugsrecht in seiner Erklärung gegeben hat.
2. Auch den theoretischen Überlegungen des Berufungsgerichts zur Zuordnung des Rückkaufswerts und den daraus gezogenen Schlußfolgerungen ist nicht zuzustimmen.
a) Die Beklagte hat durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß kein Recht zur Kündigung des Versicherungsvertrages erlangt. Sie konnte das dem Versicherungsnehmer trotz unwiderruflicher Bezugsrechtseinräumung verbliebene Kündigungsrecht nicht pfänden, da es nicht selbständig, sondern nur zusammen mit dem Recht auf den Rückkaufswert übertragen und gepfändet werden kann (vgl. BGHZ aaO S. 167 f.). Der durch die - hier nicht ausgesprochene - Kündigung des Versicherungsnehmers bedingte Anspruch auf den Rückkaufswert nach
§ 176 VVG a.F., § 4 AVB stand nicht mehr dem Versicherungsnehmer, sondern der Klägerin zu. Die Pfändung des Rückkaufswerts und des Kündigungsrechts ging damit ins Leere (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2001 - IV ZR 47/01 - VersR 2002, 334 unter II 3 a).
b) Die Klägerin hat - wie dargelegt - die Ansprüche auf die Versicherungsleistungen sofort erworben. Zu den vertraglich versprochenen Leistungen bei einer Lebensversicherung gehört auch der Rückkaufswert nach Kündigung des Vertrages, denn das Recht auf den Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme (BGH, Urteil vom 22. März 2000 - IV ZR 23/99 - VersR 2000, 709 unter II 3 a und b). Die Begünstigungserklärung ist in der Regel so zu verstehen, daß das Recht des Bezugsberechtigten sämtliche aus dem Versicherungsvertrag fällig werdenden Ansprüche umfassen soll (Bruck/Möller/Winter, VVG 8. Aufl. 5. Bd. 2. Halbbd. H 117).
Der Versicherungsnehmer kann allerdings über die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit unterschiedlich verfügen, insbesondere auch das unwiderrufliche Bezugsrecht gegenständlich und zeitlich einschränken (vgl. das Senatsurteil vom 19. Juni 1996 aaO unter 2 und das Senatsurteil vom 25. April 2001 - IV ZR 305/00 - aaO). Er könnte beispielsweise den Rückkaufswert vom unwiderruflichen Bezugsrecht auf den Erlebensfall ausnehmen und bestimmen, daß der Rückkaufswert nach Kündigung vor Ablauf der Versicherung ihm verbleibt oder dem für den Todesfall eingesetzten Bezugsberechtigten oder einem beliebigen Dritten zustehen solle. Derartiges hat der Versicherungsnehmer hier nicht getan. Deshalb hat die Klägerin sämtliche Ansprüche auf die Versicherungsleistungen sofort erwor-
ben, also den auf den Rückkaufswert und die künftig entstehenden Ansprüche. Dieser Rechtserwerb war auflösend bedingt durch den vorzeitigen Todesfall, der aber nicht eingetreten ist.
Da der Versicherungsnehmer selbst nicht gekündigt hat und die Kündigung der Beklagten unwirksam war, hat die Klägerin Anspruch auf den zum 1. Dezember 1999 fällig gewordenen Teilbetrag von 12.000 DM.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
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Annotations
(1) Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, wandelt sich mit der Kündigung die Versicherung in eine prämienfreie Versicherung um. Auf die Umwandlung ist § 165 anzuwenden.
(2) Im Fall des § 38 Abs. 2 ist der Versicherer zu der Leistung verpflichtet, die er erbringen müsste, wenn sich mit dem Eintritt des Versicherungsfalles die Versicherung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt hätte.
(3) Bei der Bestimmung einer Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 hat der Versicherer auf die eintretende Umwandlung der Versicherung hinzuweisen.
(4) Bei einer Lebensversicherung, die vom Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschlossen worden ist, hat der Versicherer die versicherte Person über die Bestimmung der Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 und die eintretende Umwandlung der Versicherung in Textform zu informieren und ihnen eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Monaten einzuräumen.
Die §§ 150 bis 170 sind auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten dieser Versicherung nicht entgegenstehen.