Bundesgerichtshof Urteil, 04. Apr. 2002 - III ZR 70/01

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Hanggrundstücks in M. (V.). Das oberhalb liegende Gelände wurde bis zum Jahre 1992 landwirtschaftlich genutzt. Zwischen den Grundstücken der Kläger und ihrer seitlichen Nachbarn einerseits sowie den bergseits angrenzenden, damals im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Parzellen andererseits befanden sich ursprünglich ein Erdwall und ein kleiner Graben, die Niederschlagswasser von den Unterliegern abhalten sollten.
1992 beschloû die Beklagte die Aufstellung eines Bebauungsplans, der die höher gelegenen Felder als Baugebiet auswies. Im Zuge der Bebauung lieû die Beklagte Erdwall und Graben beseitigen.
In den Nacht- und Morgenstunden des 23. August 1994 kam es in M. zu heftigen Niederschlägen, wie sie nur alle fünf, wenn nicht alle 50 Jahre einmal auftreten. Die abflieûenden Wassermassen ergossen sich auf das Grundstück der Kläger und überschwemmten den Keller des Wohnhauses. Ihren auf 97.752,85 DM bezifferten Schaden machen die Kläger vorliegend geltend.
Landgericht und Oberlandesgericht haben, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Schadensersatzforderung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht verneint Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte wegen einer fehlerhaften Überplanung des Baugebiets, weil die Kläger
insoweit - anders als in den sogenannten Altlastenfällen - jedenfalls nicht geschützte "Dritte" im Sinne des § 839 BGB seien. Auch Pflichtverletzungen bei der Sammlung und Beseitigung der Abwässer im Gemeindegebiet schieden aus, wobei dahingestellt bleiben könne, ob im Schadenszeitpunkt die Beseitigung des Abwassers nicht dem Zweckverband Wasser-Abwasser V. übertragen gewesen sei. Bei dem abflieûenden Niederschlagswasser habe es sich nämlich nicht um Abwasser im Sinne des § 62 Abs. 1 des Sächsischen Wassergesetzes (SächsWG) gehandelt. Ebensowenig stehe den Klägern ein Schadensersatzanspruch unter den Gesichtspunkten des Hochwasserschutzes oder der Verkehrssicherung zu. Entwässerungssysteme, die derart groûe Niederschlagsmengen wie die hier angefallenen abführen könnten, brauche die Gemeinde grundsätzlich nicht zu schaffen. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daû der bisherige Graben mit dem Erdwall ausreichend gewesen sei, um vor dem Hochwasser zu schützen, und daû deswegen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, diese Einrichtungen vor Errichtung einer funktionsfähigen Kanalisation aufrechtzuerhalten. Denn aufgrund des vom Landgericht eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Sch. stehe fest, daû selbst die Aufrechterhaltung des Wassergrabens und des Erdwalls die Überschwemmung vom 23. August 1994 nicht verhindert hätte. Die Berechnungen des Sachverständigen beruhten zwar - entgegen dem Berufungsvorbringen der Kläger - auf der Annahme, der Graben habe keine seitlichen Abflüsse gehabt. Der hiervon abweichende Parteivortrag sei jedoch im Berufungsverfahren neu und könne darum wegen Verspätung nicht mehr zugelassen werden. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 93 Abs. 3 SächsWG sei ebenfalls nicht begründet. Danach dürfe der natürliche Ablauf wild abflieûenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder verändert werden. Gegen dieses Verbot habe je-
doch die Beseitigung des Erdwalls nicht verstoûen, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, künstliche Abfluûhindernisse dieser Art zu errichten. Allerdings könne eine Verstärkung des Wasserablaufs dadurch erfolgen, daû wie im vorliegenden Fall Mutterboden abgetragen werde, der einen Teil des Niederschlagswassers binde, und Flächen versiegelt würden. Insoweit scheitere ein Ersatzanspruch der Kläger indes erneut daran, daû sie die Kausalität dieser Maûnahmen für die Überschwemmung nicht nachgewiesen hätten. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff seien durch das in Sachsen damals noch geltende Staatshaftungsgesetz ausgeschlossen. Auûerdem fehle es bereits an einer Darlegung oder an sonstigen Anhaltspunkten dafür, daû die Beklagte bei Durchführung der Bauarbeiten hoheitlich tätig geworden sei.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.1. Der Beklagten oblag gemäû § 123 BauGB nach Maûgabe der Vorschriften des Landesrechts die Erschlieûung des Baugebiets, insbesondere die Herstellung der Erschlieûungsanlagen wie der öffentlichen Straûen und der Einrichtungen zur Sammlung und Beseitigung des Abwassers; eine Verpflichtung zum Hochwasserschutz schied hingegen mangels Vorhandenseins eines Gewässers aus. Für Fehler bei der Planung oder der Errichtung derartiger Anlagen hat die Gemeinde nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB, Art. 34 GG) einzustehen (vgl. für den Straûenbau Senatsurteile vom 13. Mai 1982 - III ZR 180/80 - VersR 1982, 772, 773 = NVwZ 1982, 700, 701 und vom
13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - NJW 1996, 3208, 3209; für Entwässerungsanlagen Senatsurteil BGHZ 140, 380, 384).
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war zum Schadenszeitpunkt die Straûen- und Grundstücksentwässerung im Erschlieûungsgebiet noch nicht vorhanden oder jedenfalls nicht funktionstüchtig. Derartige Unvollständigkeiten ergeben sich freilich aus der Natur der Sache und lassen sich der Beklagten darum grundsätzlich nicht zum Vorwurf machen. Das gilt unabhängig davon, inwieweit der im Neubaugelände aufkommende Niederschlag als Abwasser im Sinne der §§ 18 a WHG, 62 SächsWG anzusehen war, was das Berufungsgericht insgesamt (aber jedenfalls für die aus technischen Gründen notwendig schon vorhandenen Erschlieûungsstraûen unzutreffend; vgl. Czychowski , WHG, 7. Aufl., § 7 a Rn. 5) verneint. Es kann sich somit nur darum handeln, ob für das unmittelbar an das Baugebiet angrenzende Grundstück der Kläger vorläufige Sicherungsmaûnahmen gegen Überschwemmungen geboten waren (s. auch Senatsurteil vom 13. Mai 1982 aaO), wobei es sich aufgedrängt hätte, die schon existierenden Schutzvorkehrungen in Gestalt von Damm und Graben vor einem Anschluû der höher gelegenen Flächen an die Kanalisation der Beklagten nicht zu beseitigen.
Das Berufungsgericht nimmt zu diesem Fragenkreis nicht ausdrücklich Stellung, unterstellt allerdings im Zusammenhang mit dem "Hochwasserschutz" eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten. Die Frage ist aus einem doppelten Grund zu bejahen: Zum einen war wegen der steilen Hanglage das Hausgrundstück der Kläger ohnehin bei stärkeren Niederschlägen von Überflutungen bedroht. Zum anderen hatte die Beklagte - und dies vor allem be-
gründet ihre besondere, nicht an den Grenzen des Erschlieûungsgebiets endende Verantwortung - durch ihre Erschlieûungsmaûnahmen diese Gefahr deutlich vergröûert. Mit der Abtragung von Mutterboden, der einen Teil des Niederschlagswassers gebunden hätte, und der Versiegelung weiterer Flächen hatte die Gemeinde, wie das Berufungsgericht mit Blick auf § 93 Abs. 3 SächsWG bindend feststellt, den natürlichen Ablauf des wild abflieûenden Wassers verstärkt. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht aber eine allgemeine Amtspflicht der Gemeinde - auch gegenüber den betroffenen Grundstückseigentümern -, die Wohngrundstücke eines Baugebiets im Rahmen des Zumutbaren (auch) vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können (BGHZ 140, 380, 388). Das gilt entsprechend für daran angrenzende Bereiche. Unzumutbarkeit für die Beklagte, insbesondere zwingende tatsächliche oder rechtliche Gründe für eine Beseitigung der das Grundstück der Kläger schützenden Einrichtungen, hat sie nicht geltend gemacht, vielmehr in erster Instanz sogar behauptet, vor dem Schadensereignis wieder einen Erdwall in zumindest der ursprünglichen Höhe aufgeschüttet zu haben, nachdem es bereits zwei Monate zuvor zu einer Überflutung dieser Parzelle gekommen war.
3. Das Berufungsgericht hat im Anschluû an die Berechnungen des Sachverständigen Sch. gemeint, jedenfalls sei die Kausalität jener Maûnahmen der Beklagten für den von den Klägern geltend gemachten Schaden nicht nachgewiesen. Diese Feststellungen sind freilich, wie die Revision mit Recht rügt, verfahrensfehlerhaft getroffen. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht das den Rechengrundlagen des Sachverständigen widersprechende Berufungsvorbringen der Kläger, das von dem Graben aufgenommene Niederschlagswasser habe links und rechts wieder abflieûen können, zu Recht als
verspätet zurückgewiesen hat. Selbst wenn man trotz Bedenken mit dem Oberlandesgericht von den im Sachverständigengutachten berechneten Wassermengen ausgeht, durfte das Berufungsgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung annehmen, die Schäden wären in gleichem Umfang auch bei noch vorhandenem Wall und Graben entstanden. Der Sachverständige Sch. ist unter der Voraussetzung eines geringsten anzunehmenden Niederschlags von 476 m³ im Einzugsbereich und eines maximalen Retentionsvolumens durch Damm und Graben von 411 m³ zu dem Ergebnis gelangt, daû das Grundstück der Kläger (Anrainerlänge 20 m bei einer Gesamtlänge des Grabens von 75 m) auch bei den für die Kläger günstigsten Werten noch mit Wassermassen von 17 m³ überflutet worden wäre. Diese hypothetische Menge beläuft sich indes auf weniger als ein Siebtel des hiernach tatsächlich auf das Grundstück geflossenen Niederschlags von 127 m³. Angesichts dieses Miûverhältnisses liegt es nahe - läût sich zumindest nicht ausschlieûen -, daû der Schaden bei Existenz von Wall und Graben trotz des ungewöhnlichen Starkregens jedenfalls erheblich geringer ausgefallen wäre, zumal nach dem Klagevortrag das Wasser im Keller des Wohnhauses lediglich 20 cm hoch gestanden hat.
III.
Hiernach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.Rinne Streck Schlick Kapsa Dörr

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(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Die Erschließung ist Aufgabe der Gemeinde, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt.
(2) Die Erschließungsanlagen sollen entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs kostengünstig hergestellt werden und spätestens bis zur Fertigstellung der anzuschließenden baulichen Anlagen benutzbar sein.
(3) Ein Rechtsanspruch auf Erschließung besteht nicht.
(4) Die Unterhaltung der Erschließungsanlagen richtet sich nach landesrechtlichen Vorschriften.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.