Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2010 - 5 StR 405/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs (Fall 1) und versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Hausfriedensbruch (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt, ihn im Übrigen vom Vorwurf der Vergewaltigung im Fall 3 der Urteilsgründe freigesprochen. Die mit der allgemeinen Sachrüge gegen den Freispruch betreffend Fall 3 der Urteilsgründe geführte Revision der Nebenklage bleibt ohne Erfolg; Gleiches gilt für die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der – insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – die unterbliebene Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall 2 der Urteilsgründe gerügt wird.
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- Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Von einer Verurteilung des Angeklagten auch wegen Vergewaltigung der Nebenklägerin im Fall 2 der Urteilsgründe hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgesehen; insoweit vermochte sie nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Tatsituation fehlerhaft bewertete und den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin in der Annahme vollzog, diese verkehre freiwillig mit ihm.
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- 1. Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung stellt die Strafkammer wesentlich auf die nach dem widerrechtlichen Eindringen in die Wohnung der Nebenklägerin , seiner langjährigen früheren Lebensgefährtin, objektiv eingetretene „Entspannung der Situation“ ab (UA S. 26). Zwar hatte der Angeklagte der Nebenklägerin zunächst den Einsatz des mitgeführten Elektroschockgeräts für den Fall verweigerten Geschlechtsverkehrs angedroht und ihre Hände mit Klebeband gefesselt. Auf Wunsch der Nebenklägerin begab er sich allerdings anschließend zunächst zum Duschen ins Badezimmer und schilderte ihr währenddessen seine Gefühle wegen der kurz zuvor von der Nebenklägerin vollzogenen Trennung (UA S. 28). Anschließend tranken beide gemeinsam in der Küche bei ausführlicher Unterhaltung Kaffee (UA S. 26). Zu einem späteren, zeitlich nicht näher festgestellten Zeitpunkt begaben sie sich ins Schlafzimmer. Dort vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin zunächst den Analverkehr. Er brach ihn auf ihren Wunsch hin ab, weil sie diesen als schmerzhaft empfunden hatte, „fasste sie an und masturbierte“ und vollzog sodann den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr (UA S. 14). Anschließend entschuldigte er sich für den Einsatz des Klebebandes, kochte erneut Kaffee und beide unterhielten sich, bis der Angeklagte die Wohnung verließ und Zigaretten sowie eine Schachtel Schokoladenherzen für die Nebenklägerin kaufte.
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- Der psychiatrische Sachverständige, dessen Beurteilung die Strafkammer gefolgt ist, hat zur Persönlichkeitsstruktur ausgeführt, dass „kognitive Verzerrungen“ wegen der „narzisstischen und dissozialen Anteile“ der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten „sehr wahrscheinlich“ aufträten; es sei möglich, dass er „den gewaltsamen Beginn der konkreten Situation nach dem Eindringen in die Wohnung“ wegen der „eingetretenen Entspannung“ nicht mehr berücksichtigt habe und davon ausgegangen sei, dass die Nebenklägerin freiwillig mit ihm den Geschlechtsverkehr vollziehe (UA S. 28).
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- 2. Nachvollziehbar hat die Strafkammer das sich dynamisch entwickelnde Tatgeschehen verbunden mit der langjährigen, sexuellen TäterOpfer -Beziehung mit Blick auf eine mögliche Verkennung der Tatsituation gewürdigt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1988 – 1 StR 179/88; vgl. auch Schorsch, Sexualstraftäter S. 214 f.). Die Besonderheiten im Tatbild hat die Strafkammer überdies in eine Gesamtschau mit der festgestellten kombinierten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten eingestellt. Ohne Rechtsfehler hat sie dieser bereits im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite und nicht erst bei der Frage der Schuldfähigkeit besondere Bedeutung beigemessen (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 28. Februar 1991 – 4 StR 553/90, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 8).
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- Die Strafkammer überspannt dabei ersichtlich nicht die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung. In plausibler Weise hat sie bei ihrer Würdigung auf die das Tatgeschehen prägenden Umstände sowie das zwischen beiden übliche und früher einverständlich praktizierte Sexualverhalten abgestellt.
Annotations
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.