Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2004 - KVR 2/03

13.07.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
KVR 2/03 Verkündet am:
13. Juli 2004
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Kartellverwaltungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Sanacorp/ANZAG

a) Bei der Heranziehung regionaler Teilmärkte zur räumlichen Marktabgrenzung
dürfen die Teilmärkte jedenfalls dann nicht durch einen bundeseinheitlichen
Kreisradius bestimmt werden, wenn dieser gerade in den Gebieten, in denen
eine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens in Betracht kommt,
die tatsächlich bestehenden und zu erwartenden regionalen Marktverhältnisse
nicht hinreichend widerspiegelt.

b) Ein über mehrere Jahre hinweg unangefochten bestehender hoher Marktanteil
stellt ein besonders aussagekräftiges und bedeutsames Indiz für eine
marktbeherrschende Stellung dar.

c) Die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung kann
auch dann zu bejahen sein, wenn zu erwarten ist, daß die Wettbewerber ihre
bestehenden Marktanteile trotz des Zusammenschlusses verteidigen können.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob sie noch zu einer Veränderung
der bestehenden Marktverhältnisse durch vorstoßenden Wettbewerb
in der Lage sein werden.
BGH, Beschluß vom 13. Juli 2004 - KVR 2/03 - OLG Düsseldorf
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Mai 2004 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum
und Dr. Meier-Beck

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluß des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Dezember 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 15 Mio. € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Beteiligte zu 1 (im folgenden: Sanacorp e.G.), eine eingetragene Genossenschaft mit mehr als 6.500 Apothekern aus dem gesamten Bundesgebiet als Mitgliedern, läßt ihr operatives Geschäft, den Großhandel mit pharmazeutischen Produkten und zugehörige Dienstleistungen, durch die "Sanacorp Pharmahandel AG" (im folgenden: S AG) ausüben. Von deren Grundkapital hält sie 75 %, die übrigen - stimmrechtslosen - Vorzugsaktien befinden sich in Streubesitz. Nicht nur regional tätig im pharmazeutischen Großhandel sind neben der S AG die Beteiligte zu 2 (im folgenden: ANZAG) und die Beigeladenen zu 1 - 3.
Der Großhandel mit pharmazeutischen Produkten in Deutschland hatte im Jahr 1999 ein Volumen von rund 32,3 Mrd. DM, von dem 13 % (3,8 Mrd. DM) auf die Sanacorp-Gruppe, 16 % (4,9 Mrd. DM) auf ANZAG, 28 % auf die Beigeladene zu 1 (im folgenden: Phoenix), 19,5 % auf die Beigeladene zu 2 (im folgenden: Celesio), 7 % auf die Beigeladene zu 3 (im folgenden: Noweda e.G.) und der Rest von 16,5 % auf zwölf nur regional tätige Pharmagroßhandlungen mit Vollsortiment entfielen. Bundesweit sind elektronische Bestellsysteme eingerichtet, über welche die mehr als 21.500 Apotheken ihre Lieferaufträge erteilen und sogleich die Rückmeldung erhalten, wann die Ware bei ihnen eintrifft. Dem Apotheker ist zugleich die Möglichkeit eröffnet, ohne besonderen Aufwand oder Kosten sofort einen anderen Großhändler zu beauftragen, wenn er z.B. nicht in der etwa gewünschten kurzen Frist beliefert werden kann. Durch dieses Ordersystem hat sich der unerläßlich notwendige Zeitraum zwischen dem Eingang der Bestellung bei der jeweiligen Niederlassung des Großhändlers und dem möglichen Start der Auslieferungstour auf 30 Minuten verringert. Üblicherweise stehen die Apotheken mit mindestens zwei Großhändlern in Lieferbeziehungen (sog. "Dual-supply"-Strategie), von denen der eine die Funktion des Erst- und der andere die des Zweitlieferanten wahrnimmt. Mit Rücksicht auf das ausgefeilte Bestell- und Liefersystem im pharmazeutischen Großhandel besteht bei den Apothekern die Erwartung, tagsüber mindestens zweimal - je nach Lage der Apotheke auch öfter - mit den von ihnen bestellten Produkten beliefert zu werden, so daß Lieferhäufigkeit und Lieferzuverlässigkeit die von allen Pharmagroßhändlern gewährleistete Grundvoraussetzung für deren Beauftragung sind. Aus der Sicht des die Ware bestellenden Apothekers spielt - wenn diese für ihn selbstverständliche Grundbedingung von den verschiedenen Anbietern gleichermaßen erfüllt wird - bei der Auswahl des Großhändlers der Preis für die Belieferung die entscheidende Rolle. Er wird wegen der nicht veränderbaren Endpreise für die Kunden durch Rabatte und Zahlungskonditionen bestimmt,
die die Pharmagroßhändler aus der ihnen von den Herstellern eingeräumten Marge - bei Zugrundelegen einheitlicher Abgabepreise - erwirtschaften müssen. Außer im Land Nordrhein-Westfalen, in dem schwerpunktmäßig die Noweda e.G. tätig ist, versorgt die S AG in allen Bundesländern Apotheken mit pharmazeutischen Produkten. Sie unterhält hierfür insgesamt 14 Niederlassungen, während die anderen bundesweit tätigen Pharmagroßhandelsunternehmen , nämlich ANZAG sowie Phoenix und Celesio über 23 bzw. 18 bzw. 20 Niederlassungen verfügen. Die 10.678.430 Stückaktien der ANZAG liegen zu je 24,99998 % bei der Sanacorp e.G. und der Noweda e.G., zu 25,0000234 % bei der Beteiligten zu 3 (im folgenden: D-Bank) und im übrigen bei zwei niederländischen Unternehmen. Die Sanacorp e.G. beabsichtigt, selbst oder über die S AG die bisher von der D-Bank gehaltene Beteiligung mit der Folge zu übernehmen, daß sie dann in Höhe von 50,0000034 % am Grundkapital der ANZAG beteiligt ist. Dieses von den Beteiligten angemeldete Vorhaben hat das Bundeskartellamt untersagt. Das Beschwerdegericht hat die Untersagungsverfügung aufgehoben und die Rechtsbeschwerde zugelassen (OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1033). Mit ihr erstrebt das Bundeskartellamt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Zurückweisung der Beschwerde der Sanacorp e.G..

B.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

I.

Zutreffend gehen die Parteien davon aus, daß sich das Verfahren nicht dadurch erledigt hat, daß die Noweda e.G. zwischenzeitlich ihr Aktienpaket je
zur Hälfte an Phoenix und Celesio veräußert hat. Denn der Sanacorp e.G. bleibt mit Rücksicht auf die ihr eingeräumte Call-Option und das der D-Bank eingeräumte Wiederkaufrecht die Möglichkeit erhalten, die 2.669.610 ANZAG-Aktien zu erwerben, sofern dies kartellrechtlich nicht untersagt wird.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluß begegnet sowohl hinsichtlich der von dem Oberlandesgericht gezogenen Marktabgrenzung als auch bezüglich der Hilfsbegründung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 1. a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, sachgerecht seien die regionalen Teilmärkte für den Pharmagroßhandel in Deutschland nicht - wie das Bundeskartellamt für richtig erachtet - anhand der von der Sanacorp e.G. selbst gezogenen Grenzen der Absatzgebiete ihrer 14 Niederlassungen zu ermitteln, erforderlich sei vielmehr eine Abgrenzung, die eine Fläche zugrundelegt, die durch einen Radius von 150 km - und nicht, wie Celesio für richtig hält, von 70 km - um die einzelnen Niederlassungen gebildet wird.
b) Dies greift die Rechtsbeschwerde mit Erfolg an. aa) Mit Recht - und auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt - hat das Beschwerdegericht allerdings für die Bestimmung des räumlichen Marktes auf das Bedarfsmarktkonzept abgestellt und - bei dem hier vorliegenden Angebotsmarkt - geprüft, welche Pharmagroßhändler aus der Sicht der Apotheker, die im Versorgungsgebiet der jeweiligen Niederlassung der Sanacorp e.G. liegen, zur Deckung ihres Bedarfs in Betracht kommen, also eine Ausweichmöglichkeit gegenüber einer Belieferung durch die Betroffene bieten.
bb) Zutreffend im Ausgangspunkt ist ferner, daß das Beschwerdegericht bei seiner tatrichterlichen Würdigung die danach gebotene Marktabgrenzung des Bundeskartellamts als ungeeignet verworfen hat, weil sie den tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Pharmagroßhandelsmarkt nicht gerecht wird. Da für die Apotheker die regelmäßige, pünktliche und mehrmals täglich stattfindende Belieferung mit den bestellten Waren des Vollsortiments wesentlich ist, hat das Beschwerdegericht im Ansatz zutreffend alle diejenigen Großhändler den jeweiligen regionalen Märkten zugeordnet, die dieser Erwartung der Apotheker entsprechen und nach vernünftigen kaufmännischen Erwägungen imstande sind, die Bestellung auszuführen. Zu diesem Kreis gehören nicht nur die Großhändler , deren Sitz in dem Gebiet der jeweiligen Niederlassung der Sanacorp e.G. liegt, wie das Bundeskartellamt für richtig hält. Dessen Auffassung, die einzelnen Niederlassungen der Sanacorp e.G. seien derart zugeschnitten, daß sie in nicht weiter zu verbessernder Weise den Lieferwünschen der Apotheken nachkommen können, hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler nicht als mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmend feststellen können: Praktisch alle Apotheken unterhalten Lieferbeziehungen zu mindestens zwei Lieferanten , nach Zahl und Umsatz wird derselbe Apotheker in nennenswertem Umfang von mehreren Niederlassungen der Sanacorp e.G. gleichzeitig beliefert. Demgemäß betrifft das von der Sanacorp e.G. aufgebaute Verbundliefersystem nicht, wie das Bundeskartellamt gemeint hat, ausschließlich sog. "Defektlieferungen". Schließlich zeigen die vorgelegten Routenpläne, daß die Niederlassungen regelmäßig Lieferungen über Entfernungen vornehmen, die die Grenzen des Gebiets der einzelnen Niederlassung deutlich überschreiten und Strekken von bis zu 200 km um ihren Sitz umfassen. cc) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist ferner die Feststellung des Beschwerdegerichts, daß zwischen den verschiedenen Pharmagroßhändlern ein deutlicher Rabattwettbewerb besteht. Der Pharmagroßhandel in
Deutschland ist nach den verfahrensrechtlich einwandfreien Feststellungen des Beschwerdegerichts dadurch gekennzeichnet, daß er die Verteilung identischer Produkte betrifft, für welche sowohl der Hersteller- als auch der den Kunden der Apotheke in Rechnung gestellte Preis gebunden ist. Da eine größere Abnahmemenge eines Großhändlers danach für ihn keinen Spielraum für eine Reduzierung seines Einkaufspreises gibt, die Apotheker andererseits hinsichtlich des Verkaufspreises gegenüber den Kunden gebunden sind, beschränkt sich der wirtschaftliche Gestaltungsspielraum des Pharmagroßhandels auf die Spanne zwischen diesen beiden Preisen. Von der Höhe des eigenen Aufwandes für Lagerung, Verteilung und Auslieferung auf der einen Seite und dem Rabatt auf den Endverkaufspreis, den der Großhändler dem Apotheker als Erst-, Zweitoder Drittlieferant einräumt, hängt der eigene Erfolg der geschäftlichen Tätigkeit ab. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts machen allein die durch den Aufbau und die Unterhaltung der Logistik entstehenden fixen Kosten zwischen 80 und 90 % des den Pharmagroßhändlern entstehenden Aufwands aus. Die Transportkosten fallen demgegenüber - insofern anders als bei der Belieferung mit Transportbeton, die das Bundeskartellamt zum Vergleich herangezogen hat - deutlich weniger ins Gewicht, zumal die Auslieferung weitgehend nicht mit eigenen Fahrzeugen und eigenem Personal, sondern von Drittunternehmern vorgenommen wird, denen ein fester Satz je gefahrenem Kilometer gezahlt wird. Da das Bestellsystem, der Beratungsservice, die Pünktlichkeit , die Zuverlässigkeit und die Frequenz der Ausführung von Bestellungen weitgehend standardisiert sind - das Beschwerdegericht spricht in diesem Zusammenhang treffend von der "Eintrittskarte" in den Markt -, ist der dem Apotheker angebotene Nachlaß auf seinen Verkaufspreis für jeden Pharmagroßhändler ein wesentliches Mittel, einen Kunden zu gewinnen oder an sich zu binden, zumal die Apotheker nach den Verhältnissen des deutschen Gesund-
heitssystems auf die Erzielung eines möglichst hohen Rabatts angewiesen sind, um auf Dauer existieren zu können. dd) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde jedoch, daß die Radiusbetrachtung , in die die Erwägungen des Beschwerdegerichts zur Marktabgrenzung münden, ungeeignet ist festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Untersagung nach § 36 Abs. 1 GWB bestehen. Relevant für das Untersagungsverfahren sind nicht die Verhältnisse in der Bundesrepublik insgesamt. Die Frage, ob der Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung der Sanacorp e.G. begründet, stellt sich hier nur für die drei Teilmärkte Stralsund, Ulm und Tuttlingen. Gerade für diese drei Gebiete verfehlt die von dem Oberlandesgericht für richtig erachtete Bestimmung des räumlichen Marktes auf der Grundlage einer Radiusbetrachtung von 150 km um den Sitz der Niederlassung die tatsächlichen Verhältnisse. Alle drei Gebiete umfassen, wenn man die weitesten Ausdehnungen in Nord/Süd- und Ost/West-Richtung zugrunde legt, Flächen von gut 11.000 bzw. gut 7.000 km2 (Stralsund: 80 x 140 = 11.200; Ulm: 120 x 95 = 11.400; Tuttlingen: 60 x 120 = 7.200), während die von dem Beschwerdegericht herangezogene kreisförmige Abgrenzung bei einem Radius von 150 km (70.650 km2) zu einer mehr als sechsmal bzw. zehnmal so großen Fläche führt und das Oberlandesgericht sich außerdem darüber hinwegsetzt, daß das von ihm zugrunde gelegte tatsächliche Liefergebiet nicht durch eine Kreisform, sondern eher durch ein Rechteck beschrieben wird. Die danach jedenfalls für die drei Problemgebiete nach den eigenen Feststellungen des Beschwerdegerichts unhaltbare Ausdehnung der relevanten räumlichen Teilmärkte verfehlt das durch die Marktabgrenzung verfolgte Ziel, das Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung zu prüfen, um so mehr, als das Oberlandesgericht bei seiner pauschalierenden Vorgehensweise nicht hinreichend berücksichtigt, daß nicht überall innerhalb des von ihm für richtig erachteten Radius von 150 km um den Sitz einer Niederlassung mit gleicher Intensität von Apotheken nachgefrag-
te Produkte von der Beteiligten zu 1 ausgeliefert werden. Dabei drängt es sich auf, daß nicht nur die Nähe einer Apotheke zu der jeweiligen Niederlassung, sondern auch die geographischen Gegebenheiten und die jeweilige Verkehrsinfrastruktur in dem betreffenden Teilmarkt einen wesentlichen Einfluß auf die Verteilung der erzielten Umsätze ausüben. 2. a) Eine eigene Entscheidung ist dem Senat verwehrt. Vielmehr bedarf es zur Bestimmung der jeweiligen räumlichen Märkte für die drei genannten Gebiete ergänzender Feststellungen des Beschwerdegerichts dazu, in welchem Umfang die Sanacorp e.G. tatsächlich über das Gebiet der jeweiligen Niederlassung hinaus Apotheken beliefert. Dabei kommt es nicht allein auf die Kundenzahl , sondern auch auf andere Kriterien wie z.B. die erzielten Umsätze, die Häufigkeit der Belieferung oder die Erst-, Zweit- oder Drittlieferanteneigenschaft an.
b) Von einer Zurückverweisung an das Beschwerdegericht kann auch nicht im Hinblick auf dessen Hilfsbegründung abgesehen werden, auch bei Zugrundelegen der von dem Bundeskartellamt für richtig erachteten Marktabgrenzung , die zu besonders hohen Marktanteilen der zusammengeschlossenen Unternehmen führt, begründe der Zusammenschluß keine marktbeherrschende Stellung. Auch sie ist von Rechtsirrtum beeinflußt. aa) Es trifft zwar zu, daß die Höhe des Marktanteils im Rahmen der Prüfung der Untersagungsvoraussetzungen nach § 36 Abs. 1 GWB nur ein Merkmal unter mehreren und nicht schlechthin das entscheidende Kriterium ist. Gleichwohl handelt es sich - zumal, wenn ein hoher Marktanteil über mehrere Jahre hinweg unangefochten besteht - um ein besonders aussagekräftiges und bedeutsames Indiz, aus dem sich eine marktbeherrschende Stellung jedenfalls dann ableiten läßt, wenn nicht andere Kriterien festgestellt werden können, aus
denen sich ergibt, daß das zusammengeschlossene Unternehmen trotz des hohen Marktanteils nicht über einen überragenden, nicht mehr hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum verfügt. Gerade wenn ein hoher Marktanteil über Jahre hinweg unangefochten besteht, deutet dies nämlich darauf hin, daß den anderen möglicherweise gegenläufigen Faktoren keine wesentliche Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang gewinnen im hier zu entscheidenden Fall die oben behandelten besonderen Strukturmerkmale des Pharmagroßhandels ebenso Bedeutung wie die Finanzkraft der mit der Sanacorp e.G. in Wettbewerb stehenden anderen Großhändler. Denn angesichts der von allen Großhändlern vorgehaltenen teuren Logistik und des dadurch verursachten großen Kostenblocks besteht für jeden Marktteilnehmer ein großer Anreiz, auf den von ihm ohnehin eingerichteten Strecken zusätzliche Apotheken zu beliefern, dabei auch Umwege in Kauf zu nehmen oder den Radius der Belieferung auszudehnen , wobei als Mittel, neue Kunden zu gewinnen, die Einräumung besserer Konditionen, als sie die Konkurrenz gewährt, eingesetzt wird. Daß z.B. Phoenix und Celesio mit ihrer deutlich höheren Finanzkraft in diesem Rabattwettbewerb gegenüber der Sanacorp e.G. und der ANZAG deutlich überlegen sind, ist ordnungsgemäß festgestellt worden und kann u.U. bei der Frage, ob der Zusammenschluß trotz des dadurch entstehenden hohen Marktanteils keine marktbeherrschende Stellung begründet, bedeutsam sein. bb) Ob dies der Fall ist, läßt sich jedoch nicht aufgrund der pauschalen Betrachtung des Beschwerdegerichts beurteilen. Vielmehr kommt es auch in diesem Zusammenhang darauf an, wie sich die Marktverhältnisse in dem jeweiligen Teilmarkt tatsächlich darstellen. Dazu gehört nicht allein die Feststellung der Lieferströme, es kommt auch darauf an zu klären, inwieweit hier konkreter Wettbewerb stattfindet und ob und in welchem Umfang etwa traditionell begründete Lieferbeziehungen - die Sanacorp e.G. hat im Hinblick auf die Nieder-
lassung Tuttlingen selbst von "Stammlanden" gesprochen - einer Abwanderung von Apothekern zu anderen Pharmagroßhändlern entgegenstehen. Im Ansatz unzutreffend in diesem Zusammenhang ist allerdings die Erwägung des Beschwerdegerichts, auch bei einer Steigerung des Marktanteils des zusammengeschlossenen Unternehmens von - gerundet - 25 % auf 55 % (Stralsund), von 40 % auf 60 % (Ulm) bzw. von 40 % auf 75 % (Tuttlingen) könne deswegen keine marktbeherrschende Stellung entstehen, weil nicht anzunehmen sei, daß Phoenix und Celesio ihre stabilen Marktanteile in den entsprechenden Gebieten nicht verteidigen könnten. Entscheidend ist vielmehr, ob diese Unternehmen - etwa wegen ihrer überlegenen Finanzkraft oder anderer Umstände , die geeignet sind, ihre Position im Wettbewerb zu stärken - imstande sind, im vorstoßenden Wettbewerb ihre Marktstellung zu Lasten des zusammengeschlossenen Unternehmens zu erweitern, oder ob abzusehen ist, daß sie in diesem Bemühen an der durch den hohen Marktanteil gekennzeichneten Position der fusionierten Unternehmen scheitern werden. cc) Ferner hat das Beschwerdegericht in seine Betrachtung nicht einbezogen , daß die nach dem Zusammenschluß von der Sanacorp e.G. im Sinne von § 17 AktG abhängige ANZAG mit ihr im wettbewerblichen Sinn (vgl. Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. § 36 Rdn. 38) ein einheitliches Unternehmen bildet, in dem beide Beteiligte gleichgerichtete Interessen verfolgen. Mangels Widerlegung der Vermutung des § 17 AktG ist davon auszugehen, daß nach dem Zusammenschluß weitestgehend auf die Erzielung von Synergieeffekten hingearbeitet wird, die zu einer weiteren Stärkung der Stellung des zusammengeschlossenen Unternehmens in den drei Teilmärkten führen kann. Dazu gehören nicht allein Kosteneinsparungen beim Einkauf nicht preisgebundener Produkte oder bei der Durchführung von Werbemaßnahmen; Einsparmöglichkeiten, die den Gestaltungsspielraum im Rahmen des Rabatt-
wettbewerbs erhöhen, ergeben sich auch im sehr kostenintensiven Bereich der Pflege und Fortentwicklung der Logistik. In besonderem Maße gilt dies aber für Änderungen der Niederlassungsstruktur, die die Sanacorp e .G. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht ausgeschlossen hat. Denn mit der Schließung einzelner oder der Zusammenlegung mehrerer Niederlassungen, die die bisher unabhängig voneinander am Markt auftretenden Unternehmen aufgebaut und unterhalten haben und deren unveränderte Fortführung nach dem Zusammenschluß schwerlich ökonomisch sinnvoll ist, entfällt ein das einheitliche Unternehmen erheblich belastender Kostenfaktor mit der Folge, daß über den hohen Marktanteil hinaus Verhaltensspielräume erweitert werden, die möglicherweise bei der gebotenen Gesamtbetrachtung gegenläufigen Umständen wie der Finanzkraft von anderen Pharmagroßhändlern die Bedeutung nehmen. Hirsch Goette Bornkamm Raum Meier-Beck

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2004 - KVR 2/03

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2004 - KVR 2/03

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2004 - KVR 2/03 zitiert 5 §§.

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB | § 19 Verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen


(1) Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten. (2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren

Aktiengesetz - AktG | § 17 Abhängige und herrschende Unternehmen


(1) Abhängige Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. (2) Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehme

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB | § 36 Grundsätze für die Beurteilung von Zusammenschlüssen


(1) Ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, ist vom Bundeskartellamt zu untersagen. Dies gilt nicht, wenn

Referenzen

(1) Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.

(2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen

1.
ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen;
2.
Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen;
3.
ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist;
4.
sich weigert, ein anderes Unternehmen gegen angemessenes Entgelt mit einer solchen Ware oder gewerblichen Leistung zu beliefern, insbesondere ihm Zugang zu Daten, zu Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, und die Belieferung oder die Gewährung des Zugangs objektiv notwendig ist, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein und die Weigerung den wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten droht, es sei denn, die Weigerung ist sachlich gerechtfertigt;
5.
andere Unternehmen dazu auffordert, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren; hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Aufforderung für das andere Unternehmen nachvollziehbar begründet ist und ob der geforderte Vorteil in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung steht.

(3) Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 und Nummer 5 gilt auch für Vereinigungen von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen im Sinne der §§ 2, 3 und 28 Absatz 1, § 30 Absatz 2a, 2b und § 31 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 4. Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt auch für Unternehmen, die Preise nach § 28 Absatz 2 oder § 30 Absatz 1 Satz 1 oder § 31 Absatz 1 Nummer 3 binden.

(1) Ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, ist vom Bundeskartellamt zu untersagen. Dies gilt nicht, wenn

1.
die beteiligten Unternehmen nachweisen, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese Verbesserungen die Behinderung des Wettbewerbs überwiegen, oder
2.
die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf Märkten vorliegen, auf denen seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr im Inland insgesamt weniger als 20 Millionen Euro umgesetzt wurden, es sei denn, es handelt sich um Märkte im Sinne des § 18 Absatz 2a oder einen Fall des § 35 Absatz 1a, oder
3.
die marktbeherrschende Stellung eines Zeitungs- oder Zeitschriftenverlags verstärkt wird, der einen kleinen oder mittleren Zeitungs- oder Zeitschriftenverlag übernimmt, falls nachgewiesen wird, dass der übernommene Verlag in den letzten drei Jahren jeweils in der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 275 des Handelsgesetzbuchs einen erheblichen Jahresfehlbetrag auszuweisen hatte und er ohne den Zusammenschluss in seiner Existenz gefährdet wäre. Ferner muss nachgewiesen werden, dass vor dem Zusammenschluss kein anderer Erwerber gefunden wurde, der eine wettbewerbskonformere Lösung sichergestellt hätte.

(2) Ist ein beteiligtes Unternehmen ein abhängiges oder herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17 des Aktiengesetzes oder ein Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, sind die so verbundenen Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. Wirken mehrere Unternehmen derart zusammen, dass sie gemeinsam einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können, gilt jedes von ihnen als herrschendes.

(3) Steht einer Person oder Personenvereinigung, die nicht Unternehmen ist, die Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen zu, gilt sie als Unternehmen.

(1) Abhängige Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann.

(2) Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, daß es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist.