Bundesgerichtshof Beschluss, 22. März 2007 - IX ZR 136/06

bei uns veröffentlicht am22.03.2007
vorgehend
Landgericht Duisburg, 4 O 533/04, 15.09.2005
Oberlandesgericht Düsseldorf, 19 U 12/05, 07.06.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 136/06
vom
22. März 2007
in dem Rechtsstreit
schlägt der Senat den Parteien vor, sich wie folgt zu vergleichen:
1. Die Beklagten zahlen als Gesamtschuldner an den Kläger zum
1. Mai 2007 den Betrag von 37.000,00 Euro.
2. Damit sind sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche erledigt.
3. Die Kosten des Verfahrens und dieses Vergleichs werden gegeneinander
aufgehoben.

Gründe:


1
Für den Vergleichsvorschlag sind insbesondere folgende Erwägungen maßgebend:
2
1. Das Prozessrisiko ist für beide Seiten hoch.
3
a) Zur doppelten Entnahme der Vergütung
4
Die erste Belastungsbuchung vom 5. September 2000 konnte schwerlich verhindert werden. Es kann nur darum gehen, ob sie nachträglich als unberechtigt entdeckt werden konnte. Es handelt sich um eine herausgehobene Position. Wäre nachgefragt worden, hätte S. keinen Beleg vorweisen können.
5
b) Zum Veräußerungserlös
6
Hier ist fraglich, ob die Beklagten, falls sie die Überweisung an die Leasinggesellschaft in den Blick zu nehmen hatten, auf den Gedanken kommen mussten, dass es auch einen Geldzufluss gegeben hatte. Die zweite Überweisung an das Finanzamt, ein viertel Jahr später, war nicht so auffallend.
7
Problematisch ist ferner, ob sich die erforderliche Kontrolldichte durch frühere Kontrolldefizite, die Schädigungen der Masse zur Folge hatten, steigern kann. Müssen die Mitglieder des Gläubigerausschusses dann auch für weitere Schädigungen einstehen, die nicht mit normalen, wohl aber mit gesteigerten Kontrollmaßnahmen hätten verhindert werden können? Werden die Überwachungspflichten auch durch solche vorangegangenen Schädigungen gesteigert, die objektiv erkennbar waren, von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses aber nicht erkannt worden sind?
8
c) Zu den Verrechnungsschecks
9
Aus der Kontrolle der Konten konnten die Beklagten nicht erkennen, dass S. Schecks erhalten hatte. Fraglich ist nur, ob sie von Anfang an (die beiden Schecks betrafen die ersten Geldflüsse, die von dem Büro P. eingingen) organisatorisch sicherzustellen hatten, dass der Geldverkehr P. /S. in für die Beklagten nachprüfbarer Form abgewickelt wurde.
10
d) Zur Kausalität und zum Schaden
11
Fraglich ist, ob die Pflicht zur Überwachung des Verwalters dazu dient, solche Straftaten zu verhindern, die auch bei sorgfältiger Überwachung nicht erkennbar sind (Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw. rechtmäßiges Alternativverhalten). Hier ist unter anderem die Reichweite des Anscheinsbeweises zu prüfen, den die Rechtsprechung auch und gerade bei Straftaten des Verwalters eingreifen lässt (BGHZ 49, 121, 123; 124, 86, 94). Bedeutet er, dass die "Kontrolleure" die (künftigen) Taten des Verwalters schon dadurch verursacht haben, dass sie ihm durch oberflächliche Kontrollen das Gefühl vermittelt haben, er könne sich relativ risikolos bedienen? Gegebenenfalls müssten die Beklagten beweisen, dass es zu der zweiten und der dritten Tat auch dann gekommen wäre, wenn die erste frühzeitig aufgedeckt worden wäre.
12
Es müsste festgestellt werden, ob S. zu dem Zeitpunkt, in dem er nach dem ordnungsgemäßen Gang der Dinge von den Beklagten aufgefordert worden wäre, den Fehlbetrag infolge der doppelt entnommenen Vergütung auszugleichen, in der Lage war, diesen aus dem eigenen Vermögen zu entnehmen. Beweisbelastet ist insoweit der Kläger. Für die Schäden aus der zweiten und dritten Tat gilt Entsprechendes, falls auch insoweit nur die unterbliebene Aufdeckung vorwerfbar sein sollte.
13
Hier wird es möglicherweise darauf ankommen, ob den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zum Vorwurf zu machen ist, die Taten nicht verhindert oder aber nur sie nicht aufgedeckt zu haben. Hatte der Verwalter die veruntreuten Beträge erst einmal vereinnahmt, ist fraglich, ob der Schaden noch behoben werden konnte. Dies ist nicht der Fall, wenn der Verwalter zum Ausgleich der entdeckten Fehlbeträge nur in der Lage ist, indem er aus anderen Insolvenzmassen sich bedient. Dann hat nämlich nach seiner Ablösung der neue Verwalter der anderen Masse das Recht (§ 55 Abs. 1 InsO, § 31 BGB) und die Pflicht, die Rückzahlung zu verlangen (BGH, Beschl. v. 29. Juni 2006 - IX ZR 48/04, NZI 2006, 592).
14
Zweifelhaft ist, ob der Schadensersatzanspruch durch Verrechnung mit einem Vergütungsanspruch des S. als endgültiger Insolvenzverwalter hätte ausgeglichen werden können. Am 3. April 2001 ist ihm ein Vorschuss von 108.319,15 DM bewilligt worden. Dieser Betrag bleibt hinter der Klagesumme von 115.051,07 DM zurück. Die am 12. Dezember 2001 bewilligte Vergütung von 125.128,07 DM (netto) liegt zwar höher. Es ist jedoch fraglich, ob der Vorschuss und die endgültige Vergütung auch dann bewilligt worden wären, wenn die Straftaten vorher aufgedeckt worden wären, was - auch nach Ansicht des Klägers - bei ordnungsgemäßer Kontrolle durch die Beklagten nahezu unvermeidlich gewesen wäre. Möglicherweise hätte S. wegen seiner Straftaten eine Vergütung verwirkt gehabt (vgl. BGHZ 159, 122, 131 f.).
15
Zwar ist gegebenenfalls durch die Auszahlung dieser weiteren Vergütung der Masse ein weiterer Schaden entstanden. Dieser Schaden ist jedoch nicht Streitgegenstand.
16
2. Mit einer baldigen Beendigung des Verfahrens ist möglicherweise nicht zu rechnen.
17
Insbesondere wegen der oben unter 1 d angesprochenen Problematik liegt eine Aufhebung und Zurückverweisung nahe. Die Aufklärung der Vermögenslage des S. dürfte zeitraubend und mühsam werden.
18
3. Bei Abwägung der beiderseitigen Risiken, die teilweise alle drei Schadenspositionen in gleicher Weise betreffen, teilweise aber auch bei diesen unterschiedlich ausgeprägt sind, kommt als Vergleichssumme etwa die hälftige Schadenssumme , also rund 30.000 €, in Betracht. Hinzuzählen wären Zinsen für etwa 2 ¾ Jahre, also etwa 7.000 €.

19
4. Die Parteien erhalten Gelegenheit, bis zum 15. Mai 2007 zu dem Vorschlag Stellung zu nehmen.
Ganter Raebel Kayser
Cierniak Fischer
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 15.09.2005 - 4 O 533/04 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.06.2006 - I-19 U 12/05 -

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Insolvenzordnung - InsO | § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten


(1) Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten: 1. die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzv

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 31 Haftung des Vereins für Organe


Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende

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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2006 - IX ZR 48/04

bei uns veröffentlicht am 29.06.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR 48/04 vom 29. Juni 2006 in dem Rechtsstreit Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Ganter, Vill und Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer am 29. Juni 2006 beschlo
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Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2013 - IX ZR 109/10

bei uns veröffentlicht am 21.03.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR 109/10 vom 21. März 2013 in dem Rechtsstreit Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer

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(1) Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten:

1.
die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören;
2.
aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muß;
3.
aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse.

(2) Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, gelten nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

(3) Gehen nach Absatz 2 begründete Ansprüche auf Arbeitsentgelt nach § 169 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch auf die Bundesagentur für Arbeit über, so kann die Bundesagentur diese nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Satz 1 gilt entsprechend für die in § 175 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Ansprüche, soweit diese gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben.

(4) Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich:

1.
sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
2.
bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern,
3.
die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und
4.
die Lohnsteuer.

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 48/04
vom
29. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Ganter, Vill
und Cierniak, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer
am 29. Juni 2006

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Streithelfer zu 1) und 2) tragen die durch die Nebenintervention verursachten Kosten selbst.
Streitwert: 230.081,35 Euro.

Gründe:


1
Die Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig (§ 544 ZPO); sie sind jedoch unbegründet, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
2
Die von der Nichtzulassungsbeschwerde für rechtsgrundsätzlich angesehene Frage nach der Zurechnung unerlaubter Handlungen eines Konkurs- oder Insolvenzverwalters, der in mehreren Verfahren bestellt ist, bedarf keiner Klärung. Voraussetzung der Haftung der Masse nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) für ein deliktisches Verhalten des Verwalters ist, dass dieses Verhalten im Zusammenhang mit der Konkurs- bzw. Insolvenzverwaltung steht. Schädigt der Konkursverwalter bei Verwaltung der Masse einen Dritten , hat dieser Schadensersatzansprüche gegen die Masse (MünchKommInsO /Hefermehl, § 55 Rn. 36; Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl. § 55 Rn. 22; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 55 Rn. 31; Breutigam/Kahlert in Breutigam /Blersch/Goetsch, InsO § 55 Rn. 19; Hess, InsO § 55 Rn. 54 f; Nerlich/ Römermann/Andres, InsO § 55 Rn. 22; FK-InsO/Schumacher, 4. Aufl. § 55 Rn. 15; Smid, InsO 2. Aufl. § 55 Rn. 10; Jaeger/Henckel, InsO § 55 Rn. 11 f).
3
Die Zurechnung von unerlaubten Handlungen erfolgt nach heute allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwendung von § 31 BGB (Jaeger /Henckel, aaO § 55 Rn. 14; Nerlich/Römermann/Andres, aaO Rn. 22; MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 55 Rn. 36; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 14.10; Breutigam/Kahlert in Breutigam/Blersch/Goetsch, aaO; Palandt/ Heinrichs, BGB 65. Aufl. § 31 Rn. 3). Danach ist für eine Zurechnung Voraussetzung , dass zwischen den Aufgaben des Verwalters und der schädigenden Handlung ein sachlicher, nicht bloß zufälliger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht. Der Verwalter darf sich nicht so weit von seinen Aufgaben entfernt haben, dass er für Außenstehende erkennbar außerhalb des allgemeinen Rahmens der ihm übertragenen Aufgaben gehandelt hat (BGHZ 99, 298, 300 f; Palandt/Heinrichs, aaO § 31 Rn. 10).
4
Das Erfordernis dieses Zusammenhangs hat das Berufungsgericht gesehen und zutreffend bejaht. Der frühere Verwalter hat fremde Gelder zu der jetzt von dem Beklagten verwalteten Masse gezogen. Eine Divergenz zu BGHZ 99, 298, 300 und OLG Frankfurt/Main OLGZ 1985, 112 liegt nicht vor.
5
Der Anrechnung eines Mitverschuldens steht der Schutzzweck des § 254 BGB entgegen, da die Klage lediglich die Rückführung der durch unerlaubte Handlung entzogenen Vermögenswerte bezweckt. Grundsatzfragen stellen sich in diesem Zusammenhang nicht.
6
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Ganter Vill Cierniak
Lohmann Fischer

Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 16.05.2003 - 10 O 355/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.01.2004 - I-7 U 81/03 -