Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2024 - IX ZB 29/23
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Amtliche Leitsätze
Eine Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auch dann nur statthaft, wenn sie durch das Beschwerdegericht zugelassen worden ist, wenn mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, es fehle die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 27. Juni 2023 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Auf den Antrag des Finanzamts Ibbenbüren vom 26. Oktober 2022, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 Sicherungsmaßnahmen angeordnet und den weiteren Beteiligten zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit seiner hiergegen am 28. Dezember 2022 eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Schuldner die fehlende internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts gerügt und behauptet, dass er bereits seit November 2021 alle seine beruflichen und privaten Belange sukzessive nach Irland verlegt habe. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner die Abweisung des Insolvenzantrags erreichen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen (§ 4 InsO, § 577 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO).
1. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. EU L 141 S. 19 ff; fortan: Europäische Insolvenzverordnung - EuInsVO) kann der Schuldner die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anfechten. Der Beschluss vom 14. Dezember 2022, mit dem das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat, ist eine Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens in diesem Sinne.
Eine Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist gemäß Art. 2 Nr. 7.ii EuInsVO auch die Entscheidung eines Gerichts zur Bestellung eines Verwalters. Unter diesen Begriff fällt gemäß Art. 2 Nr. 5 EuInsVO der in Anhang B angeführte vorläufige Insolvenzverwalter (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - IX ZB 72/19, ZIP 2021, 90 Rn. 7).
Es handelt sich auch um eine Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Sinne der Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO. Das Insolvenzgericht hat seine internationale Zuständigkeit in seiner Nichtabhilfeentscheidung über die Beschwerde des Schuldners ausdrücklich auf Art. 3 Abs. 1 EuInsO gestützt.
2. Als Rechtsbehelf gegen die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens sieht Art. 102c § 4 EGInsO, welcher der Durchführung des Art. 5 EuInsVO im deutschen Recht dient, die sofortige Beschwerde gemäß §§ 567 ff ZPO vor (BT-Drucks. 18/10823, S. 29). Die vom Schuldner eingelegte sofortige Beschwerde, mit der er die fehlende internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts gerügt hat, war statthaft und auch im Übrigen zulässig.
3. Eine Rechtsbeschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts steht dem Schuldner nicht zu.
a) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss findet statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie in dem Beschluss zugelassen hat (§ 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Entgegen der vom Schuldner vertretenen Auffassung ist die Rechtsbeschwerde auch nicht kraft Gesetzes statthaft.
b) Art. 5 Abs. 1 EuInsVO und Art. 102c § 4 EGInsO enthalten keine gesetzliche Anordnung für die Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
aa) Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bestimmt allein, dass die Überprüfung der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Gründen der internationalen Zuständigkeit vor einem Gericht statthaft ist. Alle weiteren Einzelheiten des eröffneten Rechtsschutzes regelt Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht. Die Ausgestaltung des Verfahrens ist vielmehr dem nationalen Recht überantwortet (Uhlenbruck/Knof, InsO, 16. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 8; Mankowski in Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO, 2016, Art. 5 Rn. 10; Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, 5. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 8); Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ordnet insoweit die Anwendung der lex fori concursus an. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO garantiert mithin für Schuldner und Gläubiger ein Rechtsmittel, mit dem die Eröffnungsentscheidung im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann; einen bestimmten Instanzenzug gebietet Art. 5 Abs. 1 EuInsVO indes nicht (Mankowski in Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO, 2016, Art. 5 Rn. 11; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 12).
bb) Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO erklärt die §§ 574 bis 577 ZPO für entsprechend anwendbar, wobei die Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 InsO erst mit Rechtskraft wirksam wird. Aus dem Wortlaut der Regelung wird in Teilen der Literatur geschlossen, dass die Rechtsbeschwerde im Fall des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO kraft Gesetzes statthaft sei im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO (FK-InsO/Schuster, 10. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 6; ebenso wohl Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, 2. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 9; HK-InsO/Dornblüth, 11. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 4). Nach überwiegender Auffassung ist die Rechtsbeschwerde nur nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, 5. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 10; Jaeger/Schmidt, InsO, 2020, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 23; MünchKomm-InsO/Thole, 4. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 8; Vallender/Sutschet, EuInsVO, 2. Aufl., Art. 19 Rn. 18 f; BeckOK-InsO/Skauradszun/Kümpel, 2024, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 12; Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 18; Schoppmeyer, NZI 2020, 593, 599). Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu.
(1) Bereits der Wortlaut des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO mit dem allgemeinen Verweis auf die §§ 574 bis 577 ZPO deutet darauf hin, dass die Rechtsbeschwerde nur statthaft ist, wenn sie vom Beschwerdegericht in seinem Beschluss ausdrücklich zugelassen wird. Die in Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO gewählte Formulierung unterscheidet sich von denjenigen Fällen, in denen die Rechtsbeschwerde schon kraft Gesetzes statthaft sein soll; in derartigen Fällen, wie etwa in § 522 Abs. 1 Satz 4, § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1115 Abs. 5 Satz 3 ZPO oder § 15 Abs. 1 AVAG wird die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ausdrücklich ausgesprochen.
(2) Auch der in der Gesetzesbegründung zur Einführung des Art. 102c § 4 EGInsO zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers spricht dafür, dass die Rechtsbeschwerde nur im Fall ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft sein sollte. Nach Art. 102c § 4 EGInsO handelt es sich bei dem vorgesehenen Rechtsbehelf um eine sofortige Beschwerde, auf die die §§ 567 ff ZPO und §§ 574 bis 577 ZPO anwendbar sind. Die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften über die Rechtsbeschwerde wird - wie auch in Art. 102 § 7 EGInsO - aus Gründen der Rechtsklarheit durch einen ausdrücklichen Verweis angeordnet (BT-Drucks. 18/10823, S. 29). Der ausdrückliche Verweis in der Gesetzesbegründung zur Einführung des Art. 102c § 4 EGInsO auf Art. 102 § 7 EGInsO spricht unter Berücksichtigung von dessen Gesetzesbegründung ebenfalls für eine Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nur bei vorheriger Zulassung durch das Beschwerdegericht.
Art. 102 § 7 Satz 2 EGInsO ordnet in den Fällen betreffend das Verfahren und die Zuständigkeit der öffentlichen Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungen über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Art. 21 EuInsVO aF und der Eintragung der Eröffnung des Hauptverfahrens in öffentliche Bücher und Register nach Art. 22 EuInsVO aF ebenfalls die entsprechende Anwendung der §§ 574 bis 577 ZPO an. In derartigen Fällen soll die Rechtsbeschwerde nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nach der Aufhebung von § 7 InsO durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vom 21. Oktober 2011 (BGBl. I S. 2082) nur noch statthaft sein, wenn das Beschwerdegericht sie zulässt (BT-Drucks. 17/5334, S. 9).
(3) Auch eine Einordnung des in Art. 5 Abs. 1 EuInsVO vorgesehenen Beschwerderechts in das Rechtsmittelsystem des deutschen Insolvenzrechts spricht für eine Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nur nach vorheriger Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Art. 102c § 4 EGInsO stellt mit dem Verweis auf die §§ 574 bis 577 ZPO das Rechtsmittel und den Rechtsmittelweg dem der Insolvenzordnung gleich.
Bereits vor und unabhängig von der Einführung des Beschwerderechts gegen die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens für den Schuldner und jeden Gläubiger nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO bestand für den Schuldner nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 4 InsO, §§ 567 ff ZPO die Möglichkeit, sofortige Beschwerde gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen durch das Insolvenzgericht einzulegen. Hierbei steht und stand es dem Schuldner stets offen, die fehlende internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts zu rügen (Schoppmeyer, NZI 2020, 593, 598 mwN). An dieser Beschwerdemöglichkeit im Hinblick auf die fehlende internationale Zuständigkeit hat sich für den Schuldner durch Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO nichts geändert. Diese Regelungen erweitern in Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO vielmehr die nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO bereits bestehende Beschwerdebefugnis des Schuldners auf jeden Gläubiger.
Es bestehen weiter keine Zweifel dahingehend, dass eine Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen eine Beschwerdeentscheidung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO nur bei vorheriger Zulassung durch das Beschwerdegericht nach § 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft ist. Das Rechtsmittelsystem der Insolvenzordnung beruht auf dem Verweis in § 4 InsO auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung und damit auch auf die Vorschriften zur Rechtsbeschwerde in §§ 574 ff ZPO, ohne dass weitere Besonderheiten zu beachten wären. Gesonderte Vorschriften für die Rechtsbeschwerde im Insolvenzverfahren bestehen seit der Aufhebung von § 7 InsO mit Wirkung vom 27. Oktober 2011 nicht mehr. In Insolvenzsachen ist eine Rechtsbeschwerde mithin nur statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Eine kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) gibt es im Insolvenzverfahren nicht mehr (Schoppmeyer, NZI 2020, 593, 594).
c) Auch verfassungsrechtliche Gründe zwingen nicht dazu, in dem Verfahren zur Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts einen Rechtsweg zum Bundesgerichtshof zu eröffnen. Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert. Dem Gesetzgeber steht es vielmehr frei zu entscheiden, ob gegen eine gerichtliche Entscheidung überhaupt ein Rechtsmittel statthaft sein soll, unter welchen Voraussetzungen es eingelegt werden kann und ob gegen die Rechtsmittelentscheidung ein weiteres Rechtsmittel möglich sein soll (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - IX ZB 26/14, WM 2014, 2011 Rn. 22 mwN).