Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juli 2004 - III ZB 71/03

bei uns veröffentlicht am29.07.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 71/03
vom
29. Juli 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BRAGO § 34 Abs. 2
Eine Verwertung beigezogener Akten oder Urkunden als Beweis setzt deren Würdigung
in einer gerichtlichen Entscheidung voraus.
BGH, Beschluß vom 29. Juli 2004 - III ZB 71/03 - OLG Karlsruhe
LG Konstanz
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juli 2004 durch den Vorsitzenden
Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. September 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Der Gegenstandswert wird auf 2.320,82 € festgesetzt.

Gründe:


I.


Die klagende Gemeinde nahm den früheren Beklagten zu 1 als Bauleiter und die Beklagte zu 2 (künftig: die Beklagte) als Erbin ihres als Bodengutachter tätig gewesenen verstorbenen Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich unter anderem damit, sie sei nicht Erbin ihres Ehemannes geworden. Das Landgericht ließ die Passivlegitimation der Beklagten offen und wies die gegen sie gerichteten Schadensersatzansprüche wegen Verjährung ab. In dem nur gegen die Beklagte durchgeführten Berufungsverfahren zog das Oberlandesgericht "vorsorglich zu Informationszwecken" die
Nachlaßakten bei. Im Verhandlungstermin wies das Berufungsgericht die Parteien darauf hin, daß unabhängig von der Frage, ob die Beklagte Erbin ihres Ehemannes geworden sei, grundsätzlich eine Eintrittspflicht der hinter dem Ehemann stehenden Versicherung in Betracht komme. Auf dieser Grundlage schlossen die Parteien und der zu diesem Zweck dem Rechtsstreit auf seiten der Beklagten beigetretene B. G. -V. auf Vorschlag des Gerichts einen Vergleich. Danach verpflichtete sich der Streithelfer zur Zahlung von 65.000 € an die Klägerin bei einer Kostenverteilung von 75 % zu 25 % zu deren Lasten.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte beantragt , gegen die Klägerin eine Beweisgebühr festzusetzen. Die Nachlaßakten seien, da der Berufungssenat die Passivlegitimation der Beklagten als höchst fraglich angesehen habe, als Beweis verwertet worden. Das Landgericht hat nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des Berufungsgerichts den Antrag abgelehnt, das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen. Es hat angenommen, eine Beweisgebühr sei jedenfalls deshalb nicht angefallen, weil es an einer gerichtlichen Sachentscheidung fehle. Eine vorläufige Aussage des Gerichts über seine Überzeugung stelle schon deshalb keine Beweisverwertung dar, weil es an diese Äußerung nicht ge bunden sei. Es handele sich nicht um eine Verwertung von Beweisen, sondern um eine Prognose. Auch wenn sich die Parteien auf dieser Grundlage verglichen und damit die vorläufige Würdigung akzeptierten, könne dies einer gerichtlichen Beweiswürdigung , auf die durch den Vergleich verzichtet werde, nicht gleichgestellt werden.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Beschwerd egericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.


Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Ausführungen de s Oberlandesgerichts (veröffentlicht in NJW-RR 2004, 357 = OLG-Report Karlsruhe 2004, 67, 68) sind zutreffend.
1. Rechtsgrundlage der Entscheidung ist weiterhin § 34 Abs. 2 BRAGO. Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ist zwar inzwischen aufgehoben und mit Wirkung vom 1. Juli 2004 durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ersetzt worden (Art. 3, 6 Nr. 4 und Art. 8 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718), das keine Beweisgebühr mehr kennt. Im Streitfall ist die Vergütung der Prozeßbevollmächtigten aber gemäß § 60 Abs. 1, § 61 Abs. 1 RVG noch nach bisherigem Recht zu bemessen.
2. Werden Akten oder Urkunden beigezogen, so erhält der Rechtsanwalt nach § 34 Abs. 2 BRAGO die Beweisgebühr nur dann, wenn die Akten oder Urkunden durch Beweisbeschluß oder sonst erkennbar zum Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden. Von den darin geregelten drei Gebührentatbeständen scheiden die beiden ersten im Streitfall ersichtlich aus. Das Berufungsgericht hat die Nachlaßakten ausdrücklich nur "zu Informationszwekken" beigezogen und daran ausweislich des Protokolls auch in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Fraglich kann deswegen nur sein, ob die beigezogenen Akten dessen ungeachtet "als Beweis verwertet" worden sind, obwohl
das Oberlandesgericht auch keine Sachentscheidung mehr gefällt hat, weil die Parteien sich aufgrund des von ihm unterbreiteten Vergleichsvorschlags anschließend verglichen haben. Die Frage ist mit dem Beschwerdegericht und der von ihm herangezogenen neueren Rechtsprechung und einem Teil der Fachliteratur zu verneinen (so OLG Hamburg MDR 2000, 234, 235 = JurBüro 2000, 138; OLG München Rpfleger 1996, 215 f. = MDR 1996, 644 = OLGReport 1996, 71 f.; Rpfleger 2001, 98, 99 = OLG-Report 2001, 91, 92; Hartmann , Kostengesetze, 33. Aufl., § 34 BRAGO Rn. 29; Riedel/Sußbauer/Keller, BRAGO, 8. Aufl., § 34 Rn. 19 m.w.N.; s. auch OLG Schleswig JurBüro 1987, 1188, 1189; a.A. OLG Hamburg JurBüro 1983, 1524, 1525; OLG Karlsruhe AnwBl. 1982, 438; OLG Koblenz AnwBl. 1989, 293; Gebauer, BRAGO, § 34 Rn. 39; Gerold/Schmidt/v. Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 34 Rn. 17 m.w.N.; Hansens , BRAGO, 8. Aufl., § 34 Rn. 13; ders., JurBüro 1996, 359). Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift reicht es nicht aus, daß das Gericht die von ihm beigezogenen Urkunden oder Akten zur Erläuterung und zum besseren Verständnis des Parteivortrags oder zu dessen Ergänzung verwendet hat, die Urkunden müssen vielmehr in der dritten Tatbestandsvariante gerade zum Beweis einer für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsamen Tatsache verwendet worden sein. Das setzt ihre Würdigung in einer gerichtlichen Entscheidung voraus. Jede vorausgehende Einschätzung des Gerichts ist selbst dann, wenn sie den Parteien mit dem Ziel einer gütlichen Erledigung des Rechtsstreits mitgeteilt wird und dadurch zur Grundlage für deren eigene Disposition über den Streitgegenstand (Prozeßvergleich, Anerkenntnis, Klage- oder Rechtsmittelrücknahme ) wird, nur vorläufig und enthält noch keine endgültige gerichtliche Beweiswürdigung , sondern lediglich eine darauf hinweisende, letzten Endes aber unverbindliche Prognose. Davon abgesehen müssen Gebührentatbestände schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität regelmäßig an
formale, leicht zu handhabende Kriterien anknüpfen. Dem würde es widersprechen , auf eine in vielen Fällen - und so auch hier - nicht einmal protokollierte und für die Kostenfestsetzung daher mit allen weiteren Unsicherheiten erst zu ermittelnde Äußerung einer Rechtsauffassung seitens des vor her mit der Sache befaßten Spruchkörpers abzustellen. Auch die beiden übrigen Fallvarianten des § 34 Abs. 2 BRAGO machen die Beweisgebühr von einer aus den Akten feststellbaren Entscheidung des Gerichts - hier über die Durchführung einer Beweisaufnahme - abhängig. Infolgedessen ist vorliegend ohne Belang, ob es für das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung auf den Inhalt der beigezogenen Nachlaßakten ankam, was die beteiligten Richter in ihrer dienstlichen Stellungnahme ohnehin verneint haben, und ob der Bearbeitungsaufwand für die Anwälte in beiden Fällen gleich groß gewesen ist, worauf die Rechtsbeschwerde hinweist.
Schlick Wurm Kapsa
Dörr Galke

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juli 2004 - III ZB 71/03 zitiert 2 §§.

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 60 Übergangsvorschrift


(1) Für die Vergütung ist das bisherige Recht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist. Dies gilt auch für einen Vergütungsanspruch gegen die Staats

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 61 Übergangsvorschrift aus Anlass des Inkrafttretens dieses Gesetzes


(1) Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 368-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 6 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), und Verwei

Referenzen

(1) Für die Vergütung ist das bisherige Recht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist. Dies gilt auch für einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse (§ 45, auch in Verbindung mit § 59a). Steht dem Rechtsanwalt ein Vergütungsanspruch zu, ohne dass ihm zum Zeitpunkt der Beiordnung oder Bestellung ein unbedingter Auftrag desjenigen erteilt worden ist, dem er beigeordnet oder für den er bestellt wurde, so ist für diese Vergütung in derselben Angelegenheit bisheriges Recht anzuwenden, wenn die Beiordnung oder Bestellung des Rechtsanwalts vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung wirksam geworden ist. Erfasst die Beiordnung oder Bestellung auch eine Angelegenheit, in der der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird, so ist insoweit für die Vergütung neues Recht anzuwenden. Das nach den Sätzen 2 bis 4 anzuwendende Recht findet auch auf Ansprüche des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts Anwendung, die sich nicht gegen die Staatskasse richten. Die Sätze 1 bis 5 gelten auch, wenn Vorschriften geändert werden, auf die dieses Gesetz verweist.

(2) Sind Gebühren nach dem zusammengerechneten Wert mehrerer Gegenstände zu bemessen, gilt für die gesamte Vergütung das bisherige Recht auch dann, wenn dies nach Absatz 1 nur für einen der Gegenstände gelten würde.

(3) In Angelegenheiten nach dem Pflegeberufegesetz ist bei der Bestimmung des Gegenstandswerts § 52 Absatz 4 Nummer 4 des Gerichtskostengesetzes nicht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem 15. August 2019 erteilt worden ist.

(1) Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 368-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 6 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), und Verweisungen hierauf sind weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 vor dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Ist der Rechtsanwalt am 1. Juli 2004 in derselben Angelegenheit und, wenn ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, in demselben Rechtszug bereits tätig, gilt für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, dieses Gesetz. § 60 Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Auf die Vereinbarung der Vergütung sind die Vorschriften dieses Gesetzes auch dann anzuwenden, wenn nach Absatz 1 die Vorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte weiterhin anzuwenden und die Willenserklärungen beider Parteien nach dem 1. Juli 2004 abgegeben worden sind.