Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Okt. 2004 - III ZB 32/04


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 2.470,77 €
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Provisionszahlung f ür die Vermittlung von Versicherungsverträgen in Anspruch. Gegen das ihre Klage abweisende Versäumnisurteil des Amtsgerichts hat die Klägerin Einspruch eingelegt und am Abend vor dem angesetzten Verhandlungstermin durch Telefax dem Amtsgericht angezeigt, die Parteien hätten sich darauf verständigt, daß der Verhandlungstermin beiderseits nicht wahrgenommen werde; die Parteien wür-
den einen außergerichtlichen Güteversuch unternehmen. In der Sitzung des Amtsgerichts am nächsten Morgen war die Klägerin nicht vertreten. Auf Antrag der Beklagten ist gegen sie ein zweites Versäumnisurteil ergangen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin vorgetragen, wegen der ausdrücklichen Abrede zwischen ihrem Prozeßbevollmächtigten und dem Geschäftsführer der Beklagten, daß der Verhandlungstermin beiderseits nicht wahrgenommen werde, habe ein Fall schuldhafter Säumnis nicht vorgelegen. Die Beklagte hat eine solche Vereinbarung bestritten. Das Landgericht hat die Berufung wegen nicht hinreichender Begründung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Klägerin mit ihrer Berufung in ausreichendem Maße begründet, warum ein Fall schuldhafter Säumnis nicht vorgelegen habe (§ 514 Abs. 2 ZPO). Richtig ist zwar, daß die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil in dieser Hinsicht eine schlüssige Darlegung voraussetzt (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98 - NJW 1999, 724). Dem ist die Klägerin jedoch nachgekommen, indem sie eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen ihrem Prozeßbevollmächtigten und dem Geschäftsführer der Beklagten des Inhalts behauptet hat, wegen eines Versuchs zur außergerichtli-
chen Einigung beiderseits den Verhandlungstermin nicht wahrzunehmen. Auf eine derartige Zusage der Beklagten - die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt - durfte der Anwalt der Klägerin vertrauen; daß sie in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, hätte daher ein Verschulden der Klägerin ausgeschlossen (vgl. dazu LG Mönchengladbach NJW-RR 1998, 1287; LAG Köln AnwBl. 1984, 159; s. auch OLG Karlsruhe NJW 1974, 1096, 1097).
Das Landgericht überspannt die Anforderungen an die Darlegung eines derartigen Entschuldigungsgrunds, wenn es über die von der Klägerin in der Berufungsbegründung nicht weiter ausgeführte Behauptung einer entsprechenden Einigung hinaus zur Schlüssigkeit eine Erläuterung verlangt, auf welchen Umständen im einzelnen diese Verständigung beruhe. Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Sachvortrag erheblich ist, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind (beispielsweise BGH, Urteil vom 21. Januar 1999 - VII ZR 398/97 - NJW 1999, 1859, 1860; Urteil vom 20. September 2002 - V ZR 170/01 - NJW-RR 2003, 69, 70). Diese Grundsätze lassen sich auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen. Die Behauptung einer ausdrücklichen Abrede mit der Beklagten war darum zur Begründung der Berufung ausreichend; auf die näheren Umstände dieser Vereinbarung oder deren Wahrscheinlichkeit kommt es erst im Rahmen einer Beweiserhebung und Beweiswürdigung an. Dem Landgericht bleibt es unbenommen, bei der Beweisaufnahme den von der Klägerin angebotenen Zeugen nach allen Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit seiner Bekundung erforderlich erscheinen.
Es kann aber diese Einzelheiten nicht wegen möglicher Zweifel schon von der beweispflichtigen Partei verlangen (BGH, Urteil vom 21. Januar 1999 aaO).
Infolgedessen ist der angefochtene Beschluß aufzuheben un d die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Ein Versäumnisurteil kann von der Partei, gegen die es erlassen ist, mit der Berufung oder Anschlussberufung nicht angefochten werden.
(2) Ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung oder Anschlussberufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. § 511 Abs. 2 ist nicht anzuwenden.