Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2007 - I ZB 56/06

bei uns veröffentlicht am19.07.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 56/06
vom
19. Juli 2007
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Marke Nr. 397 12 539
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Büscher,
Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den an Verkündungs Statt am 29. Juni 2006 zugestellten Beschluss des 26. Senats (MarkenBeschwerdesenats ) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Markeninhaberin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Gegen die am 20. März 1997 angemeldete und am 15. April 1997 eingetragene Wortmarke Nr. 397 12 539 Revean für "Weine, Schaumweine" hat die Widersprechende aus der für "Mineralwasser" mit Priorität vom 11. November 1985 eingetragenen Wortmarke Nr. 1 185 308 EVIAN Widerspruch eingelegt.
2
Der Erstprüfer des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch zurückgewiesen. Auf die Erinnerung der Widersprechenden hat die Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts die Eintragung der Marke gelöscht. Die Beschwerde der Markeninhaberin ist ohne Erfolg geblieben.
3
Dagegen wendet sich die Markeninhaberin mit der (vom Bundespatentgericht nicht zugelassenen) Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine teilweise fehlende Begründung rügt.
4
II. Das Bundespatentgericht ist davon ausgegangen, dass die Widersprechende mit den von ihr verwendeten Flaschenetiketten eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke glaubhaft gemacht habe. Die Abweichungen der Etiketten von der Widerspruchsmarke durch Kleinschreibung, abweichende Schrifttypen und Hinzufügung eines stilisierten Bergmotivs bewirkten keine maßgebliche Veränderung des kennzeichnenden Charakters. In klanglicher Hinsicht sei die Ähnlichkeit der Kollisionsmarken groß. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durch jahrelange intensive Benutzung erhöht. Da außerdem jedenfalls eine gewisse Warenähnlichkeit vorliege, bestehe eine beachtliche unmittelbare Verwechslungsgefahr. Daher bliebe kein Raum für die Anwendung der Grundsätze einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne. Die Entscheidungspraxis des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften und des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt ge- be weder Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG noch zu einer Aussetzung des Verfahrens nach § 82 MarkenG i.V. mit § 148 ZPO.
5
III. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
6
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist auch ohne Zulassung statthaft, weil die Markeninhaberin im Gesetz aufgeführte, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnende Verfahrensmängel - die Versagung des rechtlichen Gehörs und eine teilweise fehlende Begründung (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 und 6 MarkenG) - mit konkreter Begründung gerügt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2003 - I ZB 5/03, GRUR 2004, 76 = WRP 2004, 103 - turkey & corn; Beschl. v. 1.3.2007 - I ZB 33/06, GRUR 2007, 534, 535 = WRP 2007, 643 - WEST).
7
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet, weil der gerügte Verfahrensmangel nicht vorliegt.
8
a) Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit haben, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfGE 83, 133, 144; BVerfG NJW-RR 2004, 1710, 1712). Diese Verfahrensgrundrechte der Markeninhaberin hat das Bundespatentgericht nicht verletzt.

9
b) Die Rechtsbeschwerde rügt als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, das Beschwerdegericht habe übergangen, dass die Widersprechende ausschließlich die nationale französische und die IR-Marke, nicht aber die Widerspruchsmarke benutzt habe. Das Bundespatentgericht hat jedoch im Einzelnen begründet, warum die Verwendung auf dem Flaschenetikett der Widersprechenden eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke darstellte. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Widersprechende über eine den Flaschenetiketten vollständig entsprechende französische oder IR-Marke verfügt. Ein Verstoß des Bundespatentgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Dasselbe gilt, soweit das Bundespatentgericht aus der jahrelangen intensiven Benutzung der Widerspruchsmarke in Form der Flaschenetiketten auf eine erhöhte Kennzeichnungskraft geschlossen hat.
10
c) Soweit die Markeninhaberin ihre Verfahrensrechte dadurch verletzt sieht, dass das Bundespatentgericht weitere Feststellungen mit der Begründung für entbehrlich gehalten habe, die erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei in den Markenverletzungsprozessen vor den Hamburger Gerichten zwischen den Beteiligten bereits rechtskräftig festgestellt worden, wird schon kein Gehörsverstoß gerügt.
11
d) Die Rechtsbeschwerde meint weiter, das Bundespatentgericht habe Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es zur Frage der erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke Glaubhaftmachung habe ausreichen lassen. Damit rügt die Rechtsbeschwerde ebenfalls keine Gehörsverletzung, sondern lediglich eine von ihrer Auffassung abweichende Rechtsansicht des Bundespatentgerichts.

12
e) Das rechtliche Gehör der Markeninhaberin ist auch weder durch die vom Bundespatentgericht vorgenommene Verwertung eines Werbeprospekts zur parallelen Bewerbung von Wein und Mineralwasser noch durch eine fehlende Auseinandersetzung mit Ausführungen des Harmonisierungsamts zur Warenähnlichkeit von Wein und Wasser verletzt worden. Der Werbeprospekt ist entgegen der Behauptung der Rechtsbeschwerde nicht nur im Parallelverfahren , sondern - als Anlage 1 zum Schriftsatz vom 29. August 2002 (GA I 48) - auch in diesem Verfahren vorgelegt worden. Im übrigen rügt die Rechtsbeschwerde insoweit wiederum eine nach ihrer Auffassung fehlerhafte Würdigung durch das Bundespatentgericht, womit sie im Verfahren der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nicht gehört werden kann. Das Bundespatentgericht hat die Beschwerdeentscheidung des Harmonisierungsamts zur Kenntnis genommen und kritisch gewürdigt. Ebenso wenig liegt in der Rechtsansicht des Bundespatentgerichts , zwischen den Kollisionszeichen bestehe bereits beachtliche unmittelbare Verwechslungsgefahr, eine Gehörsverletzung. Nichts anderes gilt, soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Bundespatentgericht habe rechtsfehlerhaft eine Aussetzung des Verfahrens nach § 82 MarkenG, § 148 ZPO abgelehnt.
13
f) Schließlich liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Markeninhaberin auch nicht darin, dass das Bundespatentgericht die Ablehnung der Aussetzung mit fehlender Präjudizialität der Entscheidungen des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften und des Harmonisierungsamts für das vorliegende Verfahren begründet hat. Diese Rechtsansicht entspricht dem Wortlaut des § 148 ZPO und lässt eine fehlende Würdigung von Vortrag der Markeninhaberin nicht erkennen.

14
3. Nicht begründet ist auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, dem angefochtenen Beschluss fehle teilweise die Begründung (§ 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG ), da er sich überhaupt nicht mit der angemeldeten Marke "Revean" befasse. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Bundespatentgericht vergleicht ausdrücklich die für die deutsche Sprache ungewöhnliche und klangstarke Vokalfolge E-I-A (in EVIAN) mit der sehr ähnlichen Vokalfolge der angegriffenen Marke E-E-A. Die Vokalfolge E-E-A enthält nur die Marke "Revean", nicht jedoch die Marke "REVIAN".
15
IV. Danach ist die Rechtsbeschwerde auf Kosten der Markeninhaberin (§ 90 Abs. 2 MarkenG) zurückzuweisen.
Bornkamm Büscher Schaffert
Kirchhoff Bergmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 29.06.2006 - 26 W (pat) 23/02 -

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(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde

Markengesetz - MarkenG | § 83 Zugelassene und zulassungsfreie Rechtsbeschwerde


(1) Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Bundespatentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 66 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat die Rechtsbeschwerde in dem Beschl

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(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundespatentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht di

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Bundesgerichtshof Beschluss, 01. März 2007 - I ZB 33/06

bei uns veröffentlicht am 01.03.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 33/06 vom 1. März 2007 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend die IR-Marke Nr. 730 038 Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGHR : ja WEST MarkenG § 83 Abs. 3 Nr. 3 Ist im markenrechtlichen Löschungsverfahre

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2003 - I ZB 5/03

bei uns veröffentlicht am 28.08.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 5/03 vom 28. August 2003 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend die Markenanmeldung Nr. 399 66 451.3/29 Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGHR : ja turkey & corn MarkenG § 83 Abs. 3 Nr. 3; § 78 Abs. 2; GG

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(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundespatentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen. § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden. Im Verfahren vor dem Bundespatentgericht gilt für die Gebühren das Patentkostengesetz, für die Auslagen gilt das Gerichtskostengesetz entsprechend.

(2) Eine Anfechtung der Entscheidungen des Bundespatentgerichts findet nur statt, soweit dieses Gesetz sie zuläßt.

(3) Für die Gewährung der Akteneinsicht an dritte Personen ist § 62 Absatz 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. Über den Antrag entscheidet das Bundespatentgericht.

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

(1) Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Bundespatentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 66 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat die Rechtsbeschwerde in dem Beschluß zugelassen hat. Die Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.

(3) Einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bedarf es nicht, wenn gerügt wird,

1.
daß das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
daß bei dem Beschluß ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
daß einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
daß der Beschluß aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
daß der Beschluß nicht mit Gründen versehen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 5/03
vom
28. August 2003
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung Nr. 399 66 451.3/29
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
turkey & corn

a) Verwendungsbeispiele, auf die das Bundespatentgericht seine Entscheidung
stützt, müssen den Verfahrensbeteiligten zuvor zur Kenntnis gegeben worden
sein. Ergeht die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung, müssen sie
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sein (im Anschluß
an BGH, Beschl. v. 30.1.1997 – I ZB 3/95, GRUR 1997, 637 = WRP
1997, 762 - Top Selection).

b) Eine Entscheidung beruht auf der Versagung des rechtlichen Gehörs, wenn
Umstände, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten, zur
Begründung herangezogen werden. Dabei ist unerheblich, ob die weiteren
Begründungselemente, auf die sich die Entscheidung stützt, auch für sich genommen
das Ergebnis hätten tragen können.
BGH, Beschl. v. 28. August 2003 – I ZB 5/03 – Bundespatentgericht
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. August 2003 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg,
Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Büscher

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der am 10. Januar 2003 an Verkündungs Statt zugestellte Beschluß des 28. Senats (Marken -Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 esetzt.

Gründe:


I. Die Anmelderin hat die Eintragung des Zeichens
turkey-corn
zur Kennzeichnung der Waren
lebendes und geschlachtetes Geflügel und Geflügelteile sowie daraus hergestellte Geflügelspezialitäten, auch Convenience-Waren, insbesondere in panierter, marinierter Form, sowie als Fertiggerichte, Halb-
fertiggerichte und Suppen, letztere auch in Instantform, ausgenommen Mais als Ingredienzie; Tierfuttermittel aus Geflügel und Geflügelteilen
beantragt.
Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Eintragung mit der Begründung abgelehnt, die angemeldete Wortfolge bedeute „Truthahnfleisch mit/und Korn (i.S. von Getreide)“ und sei deshalb unmittelbar beschreibend.
Die Beschwerde hatte lediglich hinsichtlich der beanspruchten Ware „lebendes Geflügel“ Erfolg.
Gegen die Zurückweisung ihrer Beschwerde wendet sich die Anmelderin mit der – vom Bundespatentgericht nicht zugelassenen – Rechtsbeschwerde.
II. Das Bundespatentgericht hat angenommen, daß das angemeldete Zeichen „turkey-corn“ – soweit seine Eintragung für andere Waren als für lebendes Geflügel begehrt werde – wegen des absoluten Schutzhindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht eingetragen werden könne. Hierzu hat es ausgeführt:
Das angemeldete Zeichen sei bezogen auf die Waren, für die die Eintragung versagt worden sei, eine unmittelbar beschreibende Angabe, die freizuhalten sei. Die lexikalisch nicht nachgewiesene englischsprachige Wortfolge bedeute „Truthahn -Mais“ oder „Truthahn-Korn“ und beschreibe die damit gekennzeichneten Waren als ein aus Truthahnstücken und Mais oder Korn bestehendes Gericht oder Futter, und zwar mit Begriffen, die – wie eine Umschau in Lebensmittelgeschäften und eine Internetrecherche ergeben hätten – auch deutschen Verkehrskreisen geläufig seien. So werde die in Frage stehende Wortfolge beispielsweise in diversen Rezepten als Bezeichnung für Truthahngerichte verwendet. Soweit die An-
melderin im Wege eines Disclaimers im Warenverzeichnis die Verwendung von Mais ausschließen wolle, führe das entweder zum Eintragungshindernis der Irreführung oder die Eintragung scheitere daran, daß „corn“ auch „Korn“ oder „Getreide“ bedeuten könne und daher auch in der eingeschränkten Verwendung nicht aus dem beschreibenden Bereich herausführe.
Danach dränge sich der Eindruck auf, daß die beanspruchte Wortfolge von den beteiligten Verkehrskreisen als Hinweis auf ein Truthahngericht verwendet und benötigt werde. Auch wenn es sich regelmäßig verbiete, fremdsprachige Begriffe mit der deutschen Übersetzung gleichzustellen, gelte doch etwas anderes, wenn ein Begriff von den inländischen Verkehrskreisen ohne weiteres erkannt oder von den Mitbewerbern benötigt werde. Beides sei vorliegend der Fall. Zum einen erkenne der Verkehr bei „turkey corn“ unschwer die Bedeutung „TruthahnMais“ oder „Truthahn-Getreide“. Zum anderen dürfe es Mitbewerbern nicht verwehrt werden, die Wortfolge unmittelbar beschreibend einzusetzen, und zwar auch für „Tierfuttermittel aus Geflügel und Geflügelteilen“, zumal im Internet bereits „Turkey Bites“ für Hunde angeboten würden.
III. Die Rechtsbeschwerde der Anmelderin hat Erfolg.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das Bundespatentgericht hat sie zwar nicht zugelassen. Ihre Statthaftigkeit folgt jedoch daraus, daß im Gesetz aufgeführte, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnende Verfahrensmängel gerügt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.2002 – I ZB 27/00, GRUR 2003, 546 = WRP 2003, 655 – TURBO-TABS, m.w.N.). Hier beruft sich die Rechtsbeschwerde auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs sowie darauf, daß der angefochtene Beschluß nicht mit Gründen versehen sei (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 und 6 MarkenG). Dies hat sie im einzelnen begründet. Darauf, ob die
Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Die Rüge der Anmelderin, der angefochtene Beschluß sei nicht mit Gründen versehen (§ 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG), greift allerdings nicht durch.
Die Rechtsbeschwerde steht auf dem Standpunkt, es mangele dem angefochtenen Beschluß insofern an einer Begründung, als das Verständnis des Verkehrs von „turkey-corn“ als einer beschreibenden Angabe auch durch eine Umschau in Lebensmittelgeschäften begründet wird. Der Beschluß sei insoweit nicht nachvollziehbar, weil die bei der Umschau gewonnenen Erkenntnisse nicht mitgeteilt würden.
Mit diesem Vorbringen hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die Vorschrift des § 83 Abs. 3 Nr. 6 MarkenG soll allein den Begründungszwang sichern. Es kommt deshalb darauf an, ob erkennbar ist, welcher Grund – mag dieser tatsächlich vorgelegen haben oder nicht, mag er rechtsfehlerhaft beurteilt worden sein oder nicht – für die Entscheidung über die einzelnen Ansprüche und Verteidigungsmittel maßgebend gewesen ist; dies kann auch bei lückenhafter und unvollständiger Begründung der Fall sein. Dem Erfordernis einer Begründung ist deshalb schon dann genügt, wenn die Entscheidung zu jedem selbständigen Angriffs - und Verteidigungsmittel Stellung nimmt, das ein Verfahrensbeteiligter vorgetragen hat (vgl. BGH GRUR 2003, 546, 548 – TURBO-TABS, m.w.N.). Diesen Anforderungen an den Begründungszwang genügt der angefochtene Beschluß. Ihm läßt sich insbesondere entnehmen, daß der Verkehr nach der Beurteilung des Bundespatentgerichts „turkey-corn“ als beschreibenden Begriff versteht und daß sich diese Beurteilung auf entsprechende Kennzeichnungspraktiken stützt. Daß
der angefochtene Beschluß nicht im einzelnen aufführt, welche Beobachtungen dieser Beurteilung zugrunde liegen, ist vorliegend ohne Belang.

b) Das Verfahren vor dem Bundespatentgericht verletzt die Anmelderin jedoch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG).
aa) Mit Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, daß der Anmelderin keine Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Beobachtungen Stellung zu nehmen, die die Richter des Bundespatentgerichts in Lebensmittelgeschäften gemacht haben. Das Gericht kann seine Entscheidung auf derartige offenkundige Tatsachen stützen. Handelt es sich dabei nicht um Umstände, die allen Beteiligten ohne weiteres gegenwärtig sind, ist Voraussetzung aber stets, daß die Beteiligten erfahren, welche Erkenntnisse die Richter außerhalb des Verfahrens gewonnen haben und ins Verfahren einführen möchten (BGH, Beschl. v. 30.1.1997 – I ZB 3/95, GRUR 1997, 637, 638 = WRP 1997, 762 – Top Selection). Da die Niederschrift über die mündliche Verhandlung in der Beschwerdeinstanz ebenso wie die Gründe des angefochtenen Beschlusses insoweit schweigen, muß für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon ausgegangen werden, daß ein entsprechender Hinweis im Streitfall unterblieben ist.
bb) Das Bundespatentgericht hat sich ferner zur Begründung und zum Beleg dafür, daß die Begriffe „turkey“ und „corn“ auch deutschen Verkehrskreisen als Sachhinweis auf Truthahn und Mais oder Getreide geläufig sind, auf die aus dem Internet gezogene Speisekarte von „A. Schloßwirtschaft in N. “ gestützt. Auch hinsichtlich dieser Belegstelle muß – wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls rügt – davon ausgegangen werden, daß sie der Anmelderin nicht zur Kenntnis gegeben worden ist. Sie findet sich nicht unter den Verwendungsbeispielen aus dem englischen Sprachraum, die das Bundespatentgericht der Anmelderin rechtzeitig
vor der mündlichen Verhandlung in Kopie überlassen hat, sondern in einer Hülle, in der sich in erster Linie zwei von der Anmelderin im Verhandlungstermin vorgelegte Unterlagen befinden, mit denen für die Anmelderin günstige Tatsachen belegt werden sollten („turkey corn“ als englische Bezeichnung von Lerchensporn; Nachweis der Eintragung von „turkey-corn“ als Gemeinschaftsmarke). Allein der Umstand, daß sich die fragliche Speisekarte in einer mit „Anlagen zum Protokoll vom 18.09.2002“ gekennzeichneten Hülle befindet, besagt nicht, daß sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Denn es ist kaum anzunehmen, daß die Anmelderin dem Gericht diese für sie ungünstige Belegstelle vorgelegt hat. Dies gilt nicht zuletzt für den hier in Rede stehenden Beleg aus „A. Schloßwirtschaft“, der – nach dem Datum in der Fußzeile zu urteilen – erst am 2. Dezember 2002, also zweieinhalb Monate nach dem Verhandlungstermin, ausgedruckt worden ist.
cc) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. dazu BGH GRUR 1997, 637, 638 f. – Top Selection). Das Bundespatentgericht hat sich gerade auch auf Beobachtungen in Lebensmittelgeschäften berufen, zu denen sich die Anmelderin nicht äußern konnte. Auch die Verwendungsbeispiele aus dem Internet, die nach dem im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellenden Verfahrensablauf nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und auf die daher die Entscheidung nicht hätte gestützt werden dürfen (§ 78 Abs. 2 MarkenG), sind vom Bundespatentgericht ausdrücklich zur Begründung der Entscheidung herangezogen worden. Ob die gegebene Begründung das Ergebnis auch ohne diese Hinweise auf das Verkehrsverständnis tragen könnte, bedarf unter diesen Umständen keiner Erörterung.
IV. Die Begründetheit der Rüge nach § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht (§ 89 Abs. 4 MarkenG).
Eine Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses auf sonstige Verstöße gegen das formelle oder gegen das materielle Recht findet – anders als bei der zugelassenen Rechtsbeschwerde (§ 83 Abs. 2 MarkenG) – bei Begründetheit einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nicht statt (vgl. BGH GRUR 1997, 637, 639 – Top Selection, m.w.N.).
Ullmann v. Ungern-Sternberg Bornkamm
Pokrant Büscher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 33/06
vom
1. März 2007
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die IR-Marke Nr. 730 038
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
WEST
Ist im markenrechtlichen Löschungsverfahren nicht auszuschließen, dass die
angefochtene Beschwerdeentscheidung auf der Versagung rechtlichen Gehörs
beruht, so muß der Rechtsbeschwerdeführer nicht vortragen, was er auf einen
Hinweis des Gerichts ausgeführt hätte; die insoweit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
nach § 544 ZPO geltenden Grundsätze sind nicht anzuwenden.
BGH, Beschl. v. 1. März 2007 - I ZB 33/06 - Bundespatentgericht
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2007 durch die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Bergmann
und Dr. Kirchhoff

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss des 26. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 25. Januar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Widersprechende ist Inhaberin der für "Filterzigaretten" aufgrund von Verkehrsdurchsetzung eingetragenen Marke Nr. 1 152 164 WEST.
Aus dieser Marke hat sie gegen die Schutzbewilligung für die IR-Marke der Markeninhaberin Nr. 730 038
WELT
in der Bundesrepublik Deutschland Widerspruch erhoben. Diese Marke ist für "Cigarettes et autres articles de tabac" eingetragen.
2
Die Markenstelle hat den Widerspruch sowie die Erinnerung der Widersprechenden zurückgewiesen. Zwischen der Widerspruchsmarke, bei der nur von normaler Kennzeichnungskraft ausgegangen werden könne, und der angegriffenen Marke bestehe trotz einer teilweisen Identität der Waren keine Verwechslungsgefahr.
3
Der hiergegen eingelegten Beschwerde der Widersprechenden hat das Bundespatentgericht stattgegeben. Gegen diesen Beschluss richtet sich die - vom Bundespatentgericht nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin.
4
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht (§ 89 Abs. 4 MarkenG).
5
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist auch ohne Zulassung statthaft, weil die Markeninhaberin einen im Gesetz aufgeführten, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnenden Verfahrensmangel - die Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG) - mit konkreter Be- gründung gerügt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28.8.2003 - I ZB 5/03, GRUR 2004, 76 = WRP 2004, 103 - turkey & corn; Beschl. v. 1.6.2006 - I ZB 121/05, Umdruck S. 4).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung des Bundespatentgerichts auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Markeninhaberin beruht (Art. 103 Abs. 1 GG).
7
a) Das Bundespatentgericht hat bei seiner Entscheidung maßgeblich auf eine erheblich überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke abgestellt. Dafür hat es sich auf den Umsatz und den Marktanteil der Widerspruchsmarke sowie den großen Werbeaufwand für diese Marke gestützt. Dass die Widerspruchsmarke für Zigaretten dauerhaft und intensiv beworben worden sei, ergebe sich aus der Vielzahl der im Verfahren vor der Markenstelle zu den Akten gereichten Werbebeispiele und sei zudem gerichtsbekannt. Die Werbung für die Widerspruchsmarke sei in allen Bereichen, in denen für Zigaretten geworben werden dürfe, nahezu omnipräsent. Aufgrund der Dauer und des Umfangs dieser Werbung, z.B. auf Werbewänden, auf Litfasssäulen, in Zeitungen und Zeitschriften sowie anlässlich von Sportveranstaltungen, insbesondere solchen des Motorrennsports, sei davon auszugehen, dass die Widersprechende den Bekanntheitsgrad ihrer Marke seit dem Zeitpunkt der Eintragung nochmals nicht unerheblich gesteigert habe.
8
b) Die Rechtsbeschwerde rügt u.a., das Bundespatentgericht habe anders als das Deutsche Patent- und Markenamt festgestellt, die für eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke maßgeblichen Umstände seien gerichtsbekannt und damit nicht beweisbedürftig, ohne der Markeninhaberin zuvor durch einen entsprechenden Hinweis Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies sei jedoch zur Wahrung des Anspruchs der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör notwendig gewesen, weil die Markeninhaberin vor dem Deutschen Patent- und Markenamt eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bestritten habe.
9
c) Das Bundespatentgericht hat das Recht der Markeninhaberin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es seiner Entscheidung bestimmte Tatsachen als gerichtsbekannt zugrunde gelegt hat. Dabei handelt es sich um die Ausführungen zu Bereichen, Dauer und Umfang der Werbung für die Widerspruchsmarke. Möchte das Gericht offenkundige Tatsachen (§ 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i.V. mit § 291 ZPO), zu denen auch die gerichtsbekannten Tatsachen zählen, seiner Entscheidung zugrunde legen, so muss es sie zuvor in das Verfahren einführen, damit die Beteiligten Stellung nehmen können (BGH, Beschl. v. 30.1.1997 - I ZB 3/95, GRUR 1997, 637, 638 = WRP 1997, 762 - Top Selection; Beschl. v. 19.6.1997 - I ZB 21/95, GRUR 1998, 396, 397 = WRP 1998, 184 - Individual). Sofern keine mündliche Verhandlung stattfindet, ist ein schriftlicher Hinweis an die Verfahrensbeteiligten geboten.
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Eine derartige Hinweispflicht besteht allerdings dann nicht, wenn es sich um Umstände handelt, die allen Beteiligten ohne Weiteres gegenwärtig sind und von deren Entscheidungserheblichkeit sie wissen. Denn in einem solchen Fall kann angenommen werden, dass die Beteiligten auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme haben (BGHZ 31, 43, 45; BGH GRUR 1997, 637, 638 - Top Selection). Im Streitfall kann jedoch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Markeninhaberin , einem polnischen Unternehmen, Einzelheiten der Zigarettenwerbung in Deutschland geläufig sein müssen.
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Nach der Begründung des angefochtenen Beschlusses kann auch nicht angenommen werden, dass die als gerichtsbekannt behandelten Tatsachen neben den von der Widersprechenden vor der Markenstelle eingeführten Tatsachen nur als zusätzliche, die Entscheidung letztlich nicht tragende Begründung herangezogen werden sollten. Damit ist nicht auszuschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf der Versagung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (BGH GRUR 1997, 637, 638 - Top Selection). Die Markeninhaberin musste nicht vortragen, was sie auf einen Hinweis des Gerichts zu den für gerichtsbekannt erachteten Tatsachen ausgeführt hätte. Die insoweit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO geltenden Grundsätze (vgl. BGH, Beschl. v. 11.2.2003 - XI ZR 153/02, NJW-RR 2003, 1003) sind im markenrechtlichen Löschungsverfahren, das durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt ist, nicht anzuwenden.
v.Ungern-Sternberg Büscher Schaffert
Kirchhoff Bergmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.01.2006 - 26 W(pat) 324/03 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundespatentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen. § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden. Im Verfahren vor dem Bundespatentgericht gilt für die Gebühren das Patentkostengesetz, für die Auslagen gilt das Gerichtskostengesetz entsprechend.

(2) Eine Anfechtung der Entscheidungen des Bundespatentgerichts findet nur statt, soweit dieses Gesetz sie zuläßt.

(3) Für die Gewährung der Akteneinsicht an dritte Personen ist § 62 Absatz 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. Über den Antrag entscheidet das Bundespatentgericht.

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

(1) Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Bundespatentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 66 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat die Rechtsbeschwerde in dem Beschluß zugelassen hat. Die Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.

(3) Einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bedarf es nicht, wenn gerügt wird,

1.
daß das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
daß bei dem Beschluß ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
daß einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
daß der Beschluß aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
daß der Beschluß nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Sind an dem Verfahren mehrere Personen beteiligt, so kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Kosten des Verfahrens einschließlich der den Beteiligten erwachsenen Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Wahrung der Ansprüche und Rechte notwendig waren, einem Beteiligten ganz oder teilweise zur Last fallen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Die Bestimmung kann auch getroffen werden, wenn der Beteiligte die Rechtsbeschwerde, die Anmeldung der Marke, den Widerspruch oder den Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ganz oder teilweise zurücknimmt oder wenn die Eintragung der Marke wegen Verzichts oder wegen Nichtverlängerung der Schutzdauer ganz oder teilweise im Register gelöscht wird. Soweit eine Bestimmung über die Kosten nicht getroffen wird, trägt jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst.

(2) Wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen oder als unzulässig verworfen, so sind die durch die Rechtsbeschwerde veranlaßten Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Hat ein Beteiligter durch grobes Verschulden Kosten veranlaßt, so sind ihm diese aufzuerlegen.

(3) Dem Präsidenten oder der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts können Kosten nur auferlegt werden, wenn er oder sie die Rechtsbeschwerde eingelegt oder in dem Verfahren Anträge gestellt hat.

(4) Im Übrigen gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) entsprechend.