Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 441/19
vom
8. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:081019B5STR441.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 3. April 2019 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das Urteil hält auch insoweit rechtlicher Überprüfung stand, als die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen hat. § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt entsprechend zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Oldenburg VRS 55 1978, 120) und überwiegender Auffassung im Schrifttum (eingehend LK StGB/Geppert, 12. Aufl., § 69 Rn. 24; ebenso Lackner /Kühl/Heger, 29. Aufl., § 44 Rn. 3; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht , 45. Aufl., § 69 StGB Rn. 3a; a.M. z. B. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB 30. Aufl., § 69 Rn. 14) nicht voraus, dass die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verübte Tat im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt. Der Gesetzeswortlaut enthält keine diesbezügliche Einschränkung. Der mit der Maßregel verfolgte Zweck, fahrungeeignete Täter von einer Teilnahme als Kraftfahrer am Straßenverkehr auszuschließen, streitet gegen sie. Wie das Landgericht sorgfältig dargelegt hat, lässt eine Tat, mit der der Täter sein fahrendes Kraftfahrzeug gezielt als Mittel zur Begehung einer gefährlichen Körperverletzung oder gar Tötung eingesetzt hat (hier Totschlagsversuch durch Zufahren mit einem Transporter auf die Nebenklägerin im Hof eines Wohnhauses), auf tiefgreifende charakterliche Eignungsmängel schließen, die die Entziehung der Fahrerlaubnis gerade zur Sicherung des Straßenverkehrs gebietet (implizit wohl auch etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, DAR 2012, 389 m. Anm. Geppert; vom 14. Mai 1998 – 4 StR 211/98, NZV 1998, 418). Es könnte nicht überzeugen, die Anordnung der Maßregel von der oftmals durch Zufälligkeiten bedingten Frage abhängig zu machen, ob sich der Täter noch oder schon im öffentlichen Verkehrsraum zur Pervertierung seines Kraftfahrzeugs als Waffe entschließt.
Sander Schneider König Mosbacher Köhler

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis


(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2011 - 4 StR 401/11

bei uns veröffentlicht am 05.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 401/11 vom 5. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführ

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 401/11
vom
5. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 5. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 3. Februar 2011
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass hinsichtlich der zum Nachteil der Zeugen S. und Ko. (Tatkomplex: Zufahren auf den Eingangsbereich des Büroraums der Firma K. ) begangenen Tat die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt,
b) im Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelstrafe sowie die Gesamtstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Maßregel gemäß §§ 69, 69a und b StGB angeordnet.

I.


2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
3
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen des Schlages mit dem ausgeklappten Fahrzeugschlüssel gegen den Hinterkopf des Geschädigten Klaus T. wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) verurteilt hat, hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
4
2. Hingegen begegnet die Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da die Urteilsfeststellungen die von § 315b StGB vorausgesetzte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht belegen.
5
a) Geschütztes Rechtsgut der Bestimmung des § 315b StGB ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie bezieht sich nur auf den öffentlichen Verkehrsraum. Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist daher, dass durch die Tathandlung in den Verkehr auf solchen Wegen und Plätzen eingegriffen worden ist, die – mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Verfügungsberechtigten und ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse oder eine verwaltungsrechtliche Widmung – jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen und auch in dieser Weise benutzt werden (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 9 f.; Senatsurteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129). Jedoch erfüllt nicht jede Tathandlung, die vom öffentlichen Straßenraum ausgeht, den objektiven Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Zwar wird die Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 315b StGB nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die konkrete Gefahr oder gar der Schaden außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums eintritt, etwa, wenn der Täter sein Opfer bereits von der öffentlichen Straße aus mit dem Fahrzeug verfolgt, aber erst außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums erfasst. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich das Opfer in dem Zeitpunkt, in dem der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes der Straßenverkehrsgefährdung durch zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs als Waffe oder Schadenswerkzeug unmittelbar ansetzt, noch im öffentlichen Raum befindet, die abstrakte Gefahr also noch im öffentlichen Verkehrsraum entsteht. Hält sich das Opfer zu diesem Zeitpunkt außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums auf, fehlt es an einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 315b StGB (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2004 – 4 StR 160/04, NStZ 2004, 625 = DAR 2004, 529 m. zust. Anm. König DAR 2004, 656, jeweils m.w.N.; SSWStGB /Ernemann § 315b Rn. 9 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht , 41. Aufl. § 315b StGB Rn. 3). So liegt es hier.
6
b) Nach den Feststellungen befindet sich das Bürogebäude der geschädigten Firma K. im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes mit einem der Straßenseite abgewandten Eingang, der aus einer zweiflügeligen Glastür mit einer vorgebauten Betonstufe besteht. Zum Tatzeitpunkt hatte der Angeklagte das Mietfahrzeug, das er bei der Firma K. zurückgeben wollte, auf dem durch eine unverschlossene Zufahrt erreichbaren gepflasterten Hof vor dem Eingangsbereich des Büros abgestellt. Als er beschloss, sich für die ihm seitens der Beschäftigten der Firma K. widerfahrene, als ungerecht empfundene Behandlung zu rächen und das Bürogebäude mit dem als Rammbock eingesetzten Fahrzeug zu zerstören, befanden sich die beiden später verletzten Angestellten der Autovermietung, die Zeugin Ko. und der Zeuge S. , außen „unmittelbar vor der Glastür“, mithin auf der Betonstufe vor der Tür.
7
Danach befand sich zwar der Angeklagte zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung im öffentlichen Verkehrsraum, nämlich auf einem für einen unbestimmten Personenkreis allgemein zugänglichen Kunden- und Besucherparkplatz eines mehrstöckigen Gebäudes (vgl. dazu Senatsurteil vom 4. März 2004 aaO), nicht aber die Geschädigten, die auf der unmittelbar zum Eingangsbereich des Büros der Firma K. gehörenden Treppenstufe standen. Schon wegen des Höhenunterschiedes zu dem vorgelagerten Parkplatz rechnete diese Stufe, die den Zugang zu den Büroräumen der Firma K. ermöglichte und an der nach den Urteilsfeststellungen der erste Zufahrtversuch des Angeklagten scheiterte, nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum.
8
3. Infolge der Änderung des Schuldspruchs können die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, die zugleich die Einsatzstrafe bildet, sowie die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben.

II.


9
Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, da das Verfahren nunmehr keine Straftat im Sinne des § 74 Abs. 2 GVG zum Gegenstand hat.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin