Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 5 StR 332/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit der Beanstandung sachlichen Rechts den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterhielten der Angeklagte und die Nebenklägerin viereinhalb Jahre lang eine platonische Beziehung. Das änderte sich zunächst auch nicht, nachdem sie im März 2011 geheiratet hatten. Sie hatten vereinbart, dass die Ehe auf der im April 2011 stattfindenden Hochzeitreise in einem Hotel in der Türkei auch geschlechtlich vollzogen werden solle. Am ersten Tag des Hotelaufenthalts lehnte die Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr jedoch ab, weil sie Angst vor mit der Entjungferung womöglich verbundenen Schmerzen hatte. Den verärgert reagierenden Angeklagten vertröstete sie auf den nächsten Tag. Am darauf folgenden Abend tauschten die Eheleute Zärtlichkeiten aus. Abermals erwachte dann aber in der Nebenklägerin die Furcht vor etwaigen Schmerzen, weswegen sie den Angeklagten zurückwies. Der Angeklagte geriet in Wut und wollte sich nicht weiter „hinhalten“ lassen. Er warf die Nebenklägerin auf das Bett und vollzog gewaltsam den Geschlechtsverkehr an ihr, obwohl sie vor Schmerzen schrie (Tat 1: Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten
).
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- Am 27. April 2011 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin in der ehelichen Wohnung nach einem Streit beim Abendessen zum Oralverkehr auf, was sie ablehnte. Er setzte sich neben sie, zog ihren Kopf an den Haaren herab und penetrierte ihren Mund mit seinem erigierten Glied für einige Sekunden. Sie konnte sich befreien und drohte, laut zu schreien. Der Angeklagte packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie. Außerdem schlug er ihr in den Nacken und zog sie an den Haaren. Die Nebenklägerin erlitt eine Verrenkung der Halswirbelsäule, eine Prellung des rechten Ellenbogens sowie Quetschungen der Nackenmuskulatur (Tat 2: Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten).
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- 2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Tat 1 rechtsfehlerhaft die Prüfung unterlassen, ob die Voraussetzungen des minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ) gegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist es auch bei Erfüllung eines in § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB aufgeführten Regelbeispiels nicht ausgeschlossen , die Tat als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 StGB zu bewerten , sofern zugunsten des Angeklagten streitende Umstände außerge- wöhnlichen Umfangs vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 – 3 StR 253/99, BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 1, und vom 13. April 2011 – 4 StR 100/11, StraFo 2011, 325 mwN). Eine Vielzahl sehr gewichtiger strafmildernder Umstände führt das Landgericht im Rahmen der – rechtsfehlerfreien – Ablehnung der Anwendung des Strafrahmens nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB auf (unter anderem: nicht bestrafter, in geordneten Verhältnissen lebender und geständiger junger Angeklagter, keinerlei Gewalt während der vorhergehenden mehrjährigen Beziehung, Entschuldigung, Bereitschaft zur Zahlung von Schmerzensgeld, Versprechen des ersten Geschlechtsverkehrs am Vortag und Eingehen auf Zärtlichkeiten durch die Nebenklägerin am Tattag, keine schweren Folgen für die Nebenklägerin und „unauffälliger“ Verlauf des weiteren Urlaubs; UA S. 22 f.). Bei dieser Sachla- ge drängt sich die Prüfung des § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB auf.
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- b) Auf die Tat 2 wendet das Landgericht den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB an. Angesichts der dafür gegebenen Begründung, die maßgebend auf bei dieser Tat – anders als bei Tat 1 – fehlende Entlastungsgründe abstellt (hier sei dem Angeklagten die Weigerung der Nebenklägerin von vornherein klar gewesen, UA S. 23), besorgt der Senat, dass sich das Landgericht den Blick auf die weiteren auch für diese Tat geltenden Milderungsgründe (spezifisch hinzukommend: sehr kurzzeitige und mit vergleichsweise geringer Gewalt durchgeführte Sexualstraftat, UA S. 23) und damit auf eine eigenständige Würdigung dieser Tat im Lichte der gesamten Strafzumessungstatsachen verstellt hat. Soweit das Landgericht die Tat als „Machtdemonstration“ und als „Bestrafung“ bewertet (UA S. 8 f., 23), findet dies in der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung im Übrigen keine Grundlage.
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- 3. Der Senat vermag angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für den Angeklagten sprechenden Umstände nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Würdigung niedrigere Einzelfreiheitsstrafen und eine geringere, aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie durch die Bewertungsfehler nicht berührt werden. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
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- Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in die vorzunehmende Strafzumessung auch der Umstand einzustellen sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 2 StR 210/96, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 13), dass der Angeklagte und die Nebenklägerin nach den gegenständlichen Taten von Mitte Mai bis Mitte Juni 2011 im Rahmen einer versuchten Versöhnung zusammengelebt haben, was nach den Feststellungen letztlich nicht tatbedingt, sondern daran scheiterte, dass der Angeklagte aus Sicht der Nebenklägerin „nicht bereit war, seine Vorstellun- gen von der Ehe zu ändern“ (UA S. 9 f.). Ferner wird es auch unter dem Aspekt des § 46a StGB darzulegen haben, wie die Nebenklägerin auf die Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten reagiert hat.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Hat der Täter
- 1.
in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder - 2.
in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,