Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2011 - 4 StR 472/11

08.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 472/11
vom
8. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. November 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 16. Mai 2011, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben,
a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 1 und 7 (Handeltreiben mit jeweils 50 Gramm Kokain),
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Anordnung des Vorwegvollzugs.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe vor der Maßregel von einem Jahr und sechs Monaten aus- gesprochen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
3
Sie genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer stützt den behaupteten Verstoß gegen § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO auf im Hauptverhandlungsprotokoll beurkundete Verfahrensvorgänge, ohne den diesbezüglichen Inhalt der Sitzungsniederschrift in der Revisionsrechtfertigung mitzuteilen. Eine bloße Bezugnahme reicht nicht aus. Die Rüge hätte auch in der Sache keinen Erfolg. Eine Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO liegt schon deshalb nicht vor, weil es, wie die Revision selbst vorträgt, zu einer Verständigung nicht gekommen ist.

II.


4
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat zum Schuldspruch, zum Ausspruch über die vom Landgericht in den Fällen 2 – 6, 8 und 9 verhängten Einzelstrafen und hinsichtlich der Anordnung der Maßregel keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 15. September 2011 Bezug.
5
2. Soweit der Angeklagte in den Fällen 1 und 7 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Einzelstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt worden ist, hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte unter Mitwirkung seiner Mitangeklagten vom 11. September 2010 bis zum 28. Oktober 2010 in sechs Fällen je 50 Gramm „reines“ Heroin nebst Streckmitteln und in zwei Fäl- len je 50 Gramm Kokain durchschnittlicher Qualität (mindestens 24 % Kokainhydrochlorid ) von Hintermännern erwarb und gewinnbringend im Straßenverkauf absetzte, nachdem er das Heroin gestreckt (Heroinhydrochloridgehalt im Endverkauf: ca. 14 %) und ebenso wie das Kokain verkaufsfertig portioniert hatte. In den das Handeltreiben mit Heroin betreffenden Fällen 2 bis 6 sowie 8 hat das Landgericht jeweils eine Einzelstrafe von zwei Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe verhängt, in den beiden das Handeltreiben mit Kokain betreffenden Fällen jeweils drei Jahre. Bei der Wahl des Strafrahmens sowie im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten unter anderem erwogen, er habe mit seinen Taten eine erhebliche Menge besonders gefährlicher harter Drogen mit einem hohen Gefährdungsund Suchtpotential auf den Markt gebracht.
7
b) Mit dieser für sich genommen rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägung vermag das Landgericht indes die im vorliegenden Fall vorgenommene Abstufung der Einzelstrafen nicht hinreichend zu vermitteln.
8
Im Hinblick auf das durch die Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes geschützte Rechtsgut der Gesundheit der Allgemeinheit kommt in Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) der Gesamtmenge des Wirkstoffs bezogen auf die einfache nicht geringe Menge für die Beurteilung der Schwere der Tat und für die Strafzumessung wesentliche Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 8. November 1989 – 3 StR 368/89, NJW 1990, 846, Tz. 6). Das Gewicht des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut drückt sich gerade in dem Vielfachen der nicht geringen Menge des Betäubungsmittels aus und stellt daher regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar (vgl. BGH aaO; Franke/Wienroeder, BtMG, 3. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 29 m.w.N.).
9
c) Danach erweist sich die für die Fälle des Handeltreibens mit nicht geringen Mengen des Betäubungsmittels Kokain in den Fällen 1 und 7 jeweils verhängte Einzelstrafe von drei Jahren als unzureichend und damit rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten begründet. Die Strafzumessungserwägungen lassen insoweit besorgen, dass die Strafkammer bei der Festsetzung der um jeweils vier Monate höheren Einzelstrafen im Vergleich zu den Fällen des Handeltreibens mit jeweils 50 Gramm Heroin nicht ausreichend in den Blick genommen hat, dass der Wirkstoffgehalt des „reinen“ Heroins den des Kokains, das von nur durchschnittlicher Qualität war, deutlich überstieg und dem Angeklagten deshalb durch Streckung eine erhebliche Vergrößerung der Handelsmenge im gewinnbringenden Straßenverkauf möglich war. Damit hat sich der Angeklagte in diesen Fällen auch eines deutlich gewichtigeren Angriffs auf das geschützte Rechtsgut schuldig gemacht. Über diesen für die Zumessung untereinander gerecht abgewogener Einzelstrafen gewichtigen Umstand hätte der Tatrichter jedenfalls nicht ohne nähere Erläuterung hinweggehen dürfen.

III.


10
Die Aufhebung der beiden Einzelstrafen, die zugleich die Einsatzstrafen darstellen, zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Daher muss der neue Tatrichter notwendig auch erneut über die Anordnung des Vorwegvollzugs entscheiden.
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29a Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer1.als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder2.

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.