Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 362/11
vom
27. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. September 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts vom 19. Mai 2008 wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Das Landgericht hatte ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung mit der Maßgabe angeordnet, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen sei. Auf die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 28. April 2009 im gesamten Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben , die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen.
2
Das Landgericht hat gegenüber dem Angeklagten nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten; er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten kamen der Angeklagte und der gesondert verfolgte Mittäter F. unmittelbar nach Verbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 23. Januar 2002 im Februar 2007 überein, durch Überfälle auf Geschäfte Bargeld zu erlangen. In Ausführung dieses Tatentschlusses betrat der Angeklagte am 9. März 2007, einem Freitag, mit Sonnenbrille und Kapuze maskiert das Ladengeschäft der Geschädigten G. , die dort u.a. eine Lottoannahmestelle betrieb, in deren Kasse die Täter an diesem Tag einen hohen Geldbetrag vermuteten. F. wartete währenddessen abfahrbereit in einem Fahrzeug in der Nähe. Da die Geschädigte die Forderung des Angeklagten nach Herausgabe des Geldes zunächst nicht ernst nahm, zog dieser eine ungeladene Schreckschusspistole hervor, richtete sie auf die Geschädigte und täuschte ein Durchladen vor. Die verängstigte Zeugin, die die Pistole für eine echte Schusswaffe hielt, begann zu schreien und schubste den Angeklagten mehrfach in Richtung des Ausgangs vor sich her, wobei sie sich bei einem der kraftvollen Stöße einen Finger brach. Der von der Gegenwehr überraschte Angeklagte floh ohne Beute und entfernte sich gemeinsam mit dem gesondert verfolgten F. in dem Fahrzeug vom Tatort. Kurze Zeit später fassten der Angeklagte und F. den Plan zum Überfall auf ein Bettengeschäft, da der Angeklagte von einer dort tätigen Auszubildenden erfahren hatte, dass an einem bestimmten Tag ein Kunde wahrscheinlich einen Bareinkauf in Höhe von 10.000 € tätigen würde. Während der gesondert verfolgte F. absprachegemäß in der Nähe in einem Pkw wartete, betrat der Angeklagte, der in seiner Kleidung erneut die ungeladene Schreckschusspistole mit sich führte, den Geschäftsraum und forderte von dem dort beschäftigten Zeugen B. die Herausgabe von Bargeld. Als dieser erwiderte , er habe nur wenig Geld in der Kasse, deutete der Angeklagte mit einer Handbewegung an, eine Waffe aus seiner Jacke hervorzuholen, und äußerte: „Machen Sie die Kasse auf, ichwill das sehen, oder soll ich erst meine Pistole rausholen?“ Der ZeugeB. sah lediglich, dass der Angeklagte einen Ge- genstand in der Tasche mit sich führte, den er aber nicht identifizieren konnte. Eine weitere Zeugin sah den Griff der Pistole und hielt diese für echt. Nach Öffnung der Kassenschublade legte der Zeuge B. entsprechend der Aufforderung des Angeklagten alle Geldscheine auf einen Tresen. Der Angeklagte nahm das Geld, insgesamt etwa 1.150 € und entfernte sich.
4
Das Landgericht hat Einzelstrafen von drei Jahren (Tat 1) und von vier Jahren sechs Monaten (Tat 2) verhängt.
5
2. Zur Vorbelastung des mehrfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten hat die Strafkammer u.a. folgendes festgestellt :
6
2001 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den damaligen Feststellungen hatte er zum Jahreswechsel 1999/2000 mit einem fünfzig Zentimeter langen und zwei Zentimeter dicken Bambusstab aus nichtigem Anlass auf sein Opfer eingeschlagen , ihm CS-Gas ins Gesicht gesprüht und es mit einem einer Machete ähnlichen Messer bedroht. Ferner hatte er zwei Bekannte aufgefordert, sich mit Stahlkappen versehene Schuhe anzuziehen und auf das Opfer einzutreten, was diese auch getan hatten. Wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tatein- heit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen wurde der Angeklagte am 23. Januar 2002 unter Einbeziehung der zuvor erwähnten Bewährungsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Um sein Opfer zur Hergabe von Geld als Rückzahlung angeblicher Schulden zu veranlassen , hatte er gemeinsam mit Mittätern u.a. zunächst mehrfach mit einem metallenen Baseballschläger, dann mit einem solchen aus Holz, auf die Arme seines Opfers eingeschlagen. Als das Geräusch brechender Knochen zu hören gewesen war, hatte er dem Geschädigten nach entsprechender Ankündigung weitere kräftige Schläge auf dessen Beine versetzt. Sodann hatte er den Kopf seines knienden Opfers hochgerissen und diesem mit einem mitgebrachten Messer unvermittelt in eine Wange und die Stirn geschnitten. Nachdem der Geschädigte noch längere Zeit der Einwirkung des Angeklagten ausgesetzt gewesen war, war es ihm gelungen, von seiner Freundin 250 € zu erhalten, die er an den Angeklagten weitergegeben hatte, der daraufhin von ihm abgelassen hatte. Das Langgericht verhängte in diesem Tatkomplex eine Einsatzstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
7
3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB bejaht und, insoweit durch einen Psychiater und einen Psychologen sachverständig beraten, auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung als erfüllt angesehen. Von dem Angeklagten seien weiterhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Soziale Kompetenzen seien bei ihm nicht ansatzweise ausgeprägt, weshalb er aggressive und wenig durchdachte Konfliktlösungen bevorzuge, was auch die zahlreichen Disziplinarverstöße in der Strafhaft belegten. Mangels Fähigkeit zur Empathie bagatellisiere er die Folgen seiner Taten für die Opfer. Nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft zur Gewalt habe er im Straftätermilieu Anerkennung erfahren und ein Selbstverständnis als Krimineller entwickelt, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Ferner besitze er ein übertriebenes Selbstwertgefühl , seine Persönlichkeit weise narzisstische Züge auf, die jedoch noch nicht die Schwere einer antisozialen bzw. dissozialen Störung angenommen hätten. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen zur Erlangung eigener Vorteile und gehe dabei hochmanipulativ vor. Die Anlasstaten seien symptomatisch für seine verbrecherische Neigung, die Delinquenzentwicklung des Angeklagten sei gleichermaßen durch eine hohe Tatfrequenz und eine hohe Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet. Es sei daher von einem eingeschliffenen Verhaltensmuster auszugehen.

II.


8
Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang zu erheblichen Straftaten bejaht hat, hält unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.; NJW 2011, 1931) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Si- cherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“, wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, Tz. 172). Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „erheblichen Straftaten“, durch welche die Op- fer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, Tz. 12). Ob die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit dazu führt, hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen ohne Hinzutreten besonderer Umstände generell als nicht ausreichend für die Anordnung der Maßregel anzusehen (dies bejahend BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11, Tz. 14, für Verstöße gegen das BtMG ohne konkrete Gefährdung von Leib oder Leben Dritter; verneinend BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 6, für schwere räuberische Erpressungen im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB), kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hier schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten den Blick für die Besonderheiten des Falles verstellt hat. Daher kann auch dahinstehen, ob hinsichtlich des zweiten Elements der Gefährlichkeit, also der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erheblichen Straftat, ebenfalls ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, Tz. 18; Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 5).
10
2. Nach den getroffenen Feststellungen ließ sich der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe durch verhältnismäßig geringe Gegenwehr der Geschädigten G. von der weiteren Tatausführung abhalten. Nachdem diese zu schreien begonnen und den Angeklagten durch mehrere kraftvolle Stöße in Richtung Ausgangstür geschubst hatte, setzte er die Tatausführung nicht etwa durch Anwendung von Gewalt fort, sondern entfernte sich ohne Beute sofort vom Tatort und ergriff mit seinem Mittäter die Flucht. Im Fall III. 2 der Urteilsgründe beließ es der Angeklagte zunächst bei drohenden Worten, um die Herausgabe von Bargeld zu erreichen, und sodann bei einer angedeuteten Handbewegung , die darauf schließen ließ, dass er in seiner Jacke eine Waffe mit sich führte. Lediglich die hinzutretende Zeugin W. sah den Griff der in der Jacke steckenden Waffe und hielt sie für echt. Die Strafkammer hat sich in ihrer Beurteilung des Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten den Sachverständigen angeschlossen, die u.a. maßgeblich darauf abgestellt haben, diesen kennzeichne – neben einer Reihe von Persönlichkeitsdefiziten wie der mangelnden Fähigkeit zur Empathie und einer hohen Rückfallgeschwindigkeit – die Bereitschaft zu aggressiven Konfliktlösungen sowie zu körperlicher Gewalt, mit der er im Straftätermilieu zu imponieren versuche und auch tatsächlich Anerkennung erfahre, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Diese Erwägung nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass die Tatausführung in den beiden abgeurteilten Fällen der schweren räuberischen Erpressung nicht durch die Anwendung von Gewalt gegen die Opfer gekennzeichnet war. Auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorverurteilung, die eine räuberische Erpressung mit Ausübung erheblicher Gewalt gegenüber dem Tatopfer betrifft, erweist sich die Annahme der Strafkammer, beim Angeklagten bestehe die Gefahr weiterer schwerer Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts, als nicht tragfähig. Der Tatrichter hat das Vorliegen des Hangs unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände darzulegen (Senatsbeschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Daher hätten die Unterschiede in der jeweiligen Tatausführung hier besonderer Erörterung bedurft.

III.


11
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter, der die Gesamtwürdigung – mit sachverständiger Hilfe – unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erneut vornehmen muss, Tatsachen feststellt, die auch bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafgesetzbuch - StGB | § 250 Schwerer Raub


(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Wider

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 208/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
2. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 10. Februar 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen, sexuellen Missbrauch eines Kindes in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, Tatwerkzeuge eingezogen und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge sowie eine Einzelbeanstan- dung gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während der Schuld- und Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hält die Maßregelanordnung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, die Anordnung verstoße gegen das Verbot der doppelten Bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (NStZ 2010, 263) die Sicherungsverwahrung als Strafe eingeordnet habe; eine solche dürfe neben der erkannten Freiheitsstrafe nicht mehr verhängt werden.
4
Diese Einordnung der Sicherungsverwahrung hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB, § 7 Abs. 2 JGG) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - Nr. 24478/03 G. ./. Deutschland - sowie Urteile vom 9. Juni 2011 - Nr. 30493/04 S. ./. Deutschland - und 31047/04 und 43386/08 M. ./. Deutschland; vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. September 1995 - 2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122).
5
2. Hingegen bestehen gegen die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durchgreifende Bedenken. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09). Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204).
6
An dieser sorgfältigen Gesamtwürdigung fehlt es vorliegend. Es hätte der Würdigung auch all der Umstände bedurft, die das Landgericht (ausschließlich ) zur Begründung seiner Überzeugung angeführt hat, warum die bei dem Angeklagten festgestellte "homosexuelle Hauptströmung" mit einer "Präferenz auf vorpubertierende Jungen" nicht zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Die Strafkammer hat dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte zwar in den Jahren 1978, 1981, 1983, 1986 und 1994 immer wieder bestraft wurde, indes nach seiner letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Frühjahr 1997 beruflich einen Abschluss erlangte, wieder über längere Phasen hinweg arbeitete sowie mehrere Jahre eine auch sexuell erfüllte Beziehung zu einer erwachsenen Frau hatte. Auch nach deren Beendigung im Jahr 2003 habe er sich weitere sechs Jahre straffrei verhalten. Dies belege, dass der Angeklagte grundsätzlich zu normgerechtem Verhalten fähig sei. Diese Umstände, die das Landgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erwogen hat, hätten auch bei der über einen Hang nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Erörterung bedurft.
7
3. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Landgericht bei der auf § 66 Abs. 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung des ihm dabei eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438). Dass das Landgericht eine Ermessensentscheidung getroffen hat, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Der Senat kann dies - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht sicher entnehmen. Die Erwägungen des Landgerichts zur möglicherweise eintretenden Haltungsänderung des Angeklagten während des Strafvollzugs befinden sich in dem Abschnitt der Urteilsgründe, der sich mit der Gefährlichkeit des Angeklagten befasst. Sie schließen auch sprachlogisch ("Dabei ist …") an die Darlegung der Gefahrenprognose an. Die dabei neben anderen zitierte Entscheidung (BGH, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337) betrifft die Frage, unter welchen (außergewöhnlichen) Umständen bei der Prognose ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entlassung abgestellt werden kann.
8
Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten (BGH, Beschluss vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12).
9
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Be- stimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
11
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
12
a) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstrafta- ten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
13
Nach Ansicht des Senats sind Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
14
b) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Der neue Tatrichter wird, sofern er erneut zur Feststellung eines Hangs gelangt, die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte über einen langen Zeitraum straffrei verhalten hat. VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 184/11
vom
7. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
6. Juli 2011 in der Sitzung am 7. Juli 2011, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 5. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aufgrund einer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil aufgehoben, soweit von der Anordnung der Maßregel abgesehen wurde. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht erneut ausgesprochen, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Maßregel zurückgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachbeschwerde gestützt ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Anlasstat hatte der frühere Mitangeklagte T. von dem Geschädigten S. die Zahlung von 5.000 Euro als „Strafe“ dafür gefordert, dass dieser Wohnungen, welche die Lebensgefährtin des T. angemietet hatte, um sie Prostituierten als „Ter- minwohnungen“ anzubieten, Dritten gegenüber als unrentabel bezeichnet hatte. Der Zahlungsforderung hatte T. mit der Bemerkung Nachdruck verliehen , dass er S. „mit dem Schädel an die Wand schlagen“ werde, „dass das Blut spritzt“. Am 17. August 2008 sollte die Geldübergabe erfolgen. Der vielfach vorbestrafte Angeklagte begleitete T. zur Gaststätte von S. , wobei er zwei Taschenmesser und einen Teleskopschlagstock mit sich führte und eine Weste mit dem Emblem des Motorradclubs Hell´s Angels trug. Spätestens auf dem Weg zu der Gaststätte erfuhr der Angeklagte von der unberechtigten Zahlungsforderung und der Drohung durch T. gegenüber S. . Bei der polizeilich überwachten Geldübergabe wurden T. und der Angeklagte verhaftet.
3
Das Landgericht hat festgestellt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Es hat jedoch ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass der Angeklagte im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei ist das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. gefolgt. Danach liege bei dem Angeklagten zwar eine akzentuierte Persönlichkeit mit dissozialen Zügen vor, die aber nicht als dissoziale Persönlichkeitsstörung einzustufen sei und auch keine Psychopathie nach dem Konzept von Hare darstelle. In der Haft wegen früherer Straftaten habe er mit Erfolg ein Antiaggressionstraining absolviert. Es sei auch eine Nachreifung der Persönlichkeit eingetreten. Früher unter Alkohol- oder Drogeneinfluss begangene aggressive Durchbrüche spielten nun keine Rolle mehr. Der Angeklagte habe erkannt, dass seine früheren Körperverletzungstaten im Kneipenmilieu sinnlos gewesen seien und bereue nun die Verletzung der Opfer. Jüngere Betäubungsmitteldelikte des Angeklagten seien von anderer Bedeutung als die vorher begangenen Gewaltdelikte, die nun nicht mehr zu erwarten seien. Anders zu bewerten seien geplante Taten im kriminellen Milieu. Insoweit sei dem Angeklagten zwar eine Problematik bewusst, aber er distanziere sich bisher nicht von dem Motorradclub. Immerhin sei aber eine Veränderung in seinem Verhalten auch während der Haft zu verzeichnen. Er habe einen stabilen Familiensinn und zeige eine darauf bezogene Lebensführung. Insgesamt könne nicht von einer persönlichkeitsgebundenen Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten ausgegangen werden. Die versuchte schwere räuberische Erpressung sei ein Vermögensdelikt, die auch durch die bloße Drohung mit Gewalt begangen werden könne, ohne dass es zu einer Gewaltanwendung und der Verletzung von Opfern kommen müsse. Hintergrund dieser Tat und der vorangegangenen, auf Gewinnerzielung gerichteten Betäubungsmitteldelikte seien Schulden des Angeklagten gewesen. Der früher auch vorhandene übermäßige Alkohol- und Drogenkonsum spiele keine Rolle mehr.

II.

4
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil ist unbegründet.
5
1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
6
Ihr liegt zu Grunde, dass die Staatsanwaltschaft den Hilfsbeweisantrag gestellt hatte, zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte sich nach der letzten Haftentlassung weiterhin in einem kriminellen Umfeld bewege, in dem die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis der Gruppe gehöre, die Vernehmung des für Rockerkriminalität zuständigen Kriminaloberkommissars als Zeuge durchzuführen. Das Landgericht hat den Beweisantrag im Urteil mit Hinweis darauf abgelehnt, dass die Strafkammer von derselben Tatsacheneinschätzung ausgehe und der Befund offenkundig sei. Die Beschwerdeführerin hält dies für rechtsfehlerhaft, nachdem die vernommenen Sachverständigen milieubedingte Straftaten des Angeklagten wegen der Zugehörigkeit zu den Hell´s Angels für wahrscheinlich erachtet hatten.
7
Die Rüge ist unbegründet. Die Annahme von Allgemeinkundigkeit der behaupteten Tatsache ist rechtlich unbedenklich. Eine Verkennung der Zielrichtung des Antrags der Staatsanwaltschaft liegt nicht vor. Das Landgericht hat nicht übersehen, dass „die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis“ des Motorradclubs Hell´s Angels gehört und die Zugehörigkeit des Angeklagten zu diesem Umfeld ein Risikofaktor für die künftige Begehung von Straftaten durch den Angeklagten ist. Das Landgericht ist demnach von denselben Tatsachen ausgegangen wie die Beschwerdeführerin; es hat sie nur anders bewertet.
8
2. Die Sachrüge ist ebenfalls unbegründet.
9
a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 66 StGB nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10 - (NJW 2011, 1931 ff.) verfassungswidrig ist. Er gilt vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013 weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungs- widrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf nur nach Maßgabe einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab als bisher (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11).
10
b) Jedenfalls nach diesem Maßstab ist es ausgeschlossen, dass das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler beruht.
11
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dies wäre bei einer Gefahr der Wiederholung solcher Körperverletzungstaten, wie sie der Angeklagte in der Vergangenheit mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer begangen hatte, der Fall, sofern ein Hang zu derartigen Taten noch als gegenwärtiger Zustand festzustellen wäre (vgl. BGHSt 50, 188, 196). Insoweit hat das Landgericht aber im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen ausgeführt, solche Körperverletzungen infolge impulsiver Durchbrüche und vor dem Hintergrund eines damaligen Substanzmissbrauchs seien nicht mehr zu erwarten.
12
Rechtlich bedenklich kann die weitere Überlegung des Landgerichts erscheinen , dass die nach dem Jahr 1998 begangenen Taten des Angeklagten nicht mehr auf aggressive Impulsdurchbrüche zurückzuführen seien, sondern dabei handele es sich um „Straftaten, zu denen sich der Angeklagte bewusst entschlossen“ habe. Dies stünde der Annahme eines Hangs nicht entgegen; gerade vorausgeplante Taten können auf einen Hang zurückzuführen sein. Das Landgericht hat jedoch bei seiner Überlegung zugleich einen Bezug zu Art und Schwere der Delikte, die vom Angeklagten wahrscheinlich in Zukunft zu erwar- ten sind, dahin hergestellt, die „Integration in die kriminelle Subkultur“ ergebe noch keine „fest verwurzelte Neigung“ des Angeklagten, „sich auf `kriminelle Weise´ Geld oder andere Wertgegenstände zumeist mittels Gewaltanwendung oder Drohung zu verschaffen“. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Straftaten, für deren künftige Begehung durch den Angeklagten nach Ansicht des Landgerichts ein Hang und eine Wahrscheinlichkeit besteht, besitzen nicht die erforderliche Erheblichkeit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach dem Übergangsrecht; für schwerere Delikte besteht hingegen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit.
13
Der Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss sich auf „erhebli- che“ Straftaten beziehen (Fischer, StGB 58. Aufl. § 66 Rn. 30; LK/Rissing-van Saan StGB 12. Aufl. § 66 Rn. 143 ff.; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 66 Rn. 29). Was darunter zu verstehen sein soll, ist im Gesetzestext nicht nach Deliktsgruppen bestimmt. Insbesondere ist dies auch dadurch geschehen , dass unter den erheblichen Straftaten „namentlich“ solche zu verste- hen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“ (vgl. BGHSt 24, 153, 154). Während nach der anfänglichen Fassung des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Tätern in Betracht gekommen war, von denen vorwiegend kleinere Diebstähle oder Betrügereien zu erwarten waren, sollte nach der Neufassung die Maßregelanordnung bei Tätern, die zu derartigen und zu ähnlichen Taten neigen, welche die öffentliche Sicherheit nicht schwerwiegend stören, vermieden werden. Im Rahmen der jüngeren Reformen (vgl. dazu Boetticher in: Festschrift für Widmaier, 2008, S. 871, 881 ff.; Schöch in: Festschrift für Roxin, 2011, Bd. 2, S. 1193, 1196 ff.) wurde der Cha- rakter der Sicherungsverwahrung als „letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik“ (BT-Drucks. V/4094 S. 19) zur Verhinderung besonders schwerer Kriminalität weiter betont. Dies gilt für die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 bestehende Rechtslage in der Übergangszeit erst recht. Demgemäß darf ein Täter, dessen Hang sich nur auf die Begehung von Straftaten der leichten oder allenfalls mittleren Kriminalität richtet, nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden. Die Annahme, ein Angeklagter sei ein Hangtäter , setzt allerdings nicht voraus, dass die Straftaten, aus denen diese Eigenschaft abgeleitet wird, gleichartig sind oder sich gegen dasselbe Rechtsgut richten. Es ist andererseits selbstverständlich, dass bei Straftaten verschiedener Art der Nachweis ihrer für einen kriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters kennzeichnenden Bedeutung einer besonders sorgfältigen Begründung bedarf (vgl. BGHSt 16, 296, 297; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10). Diese hat das Landgericht abgegeben. Hierbei hat es die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände durchaus gesehen, aber im Einzelnen dargelegt, weshalb es ein dauerhaft stabiles Verhaltensmuster nicht annehmen kann.
14
Betäubungsmitteldelikte, deren künftige Begehung durch den Angeklagten im Umfeld der Hell´s Angels möglich erscheinen, sind nach dem im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu § 66 StGB geltenden Maßstab kein ausreichender Grund zu der Annahme, der Angeklagte habe einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten. Durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, auch in nicht geringer Menge, wird zwar das Rechtsgut der Volksgesundheit verletzt oder gefährdet (vgl. BGHSt 38, 339, 342 f.). Das reicht aber, soweit jedenfalls keine besonderen Umstände hinzutreten, die den Betäubungsmittelhandel für Leib oder Leben Anderer im Einzelfall konkret gefährlich erscheinen lassen, nach dem derzeit geltenden Verhältnismäßigkeitsmaßstab nicht zur Anordnung der Sicherungsverwahrung aus. Gleiches gilt erst recht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis durch den Angeklagten mit seinem Motorrad. Zwar hat der Angeklagte einen Hang hierzu, jedoch wiegt ein solches Vergehen schon nach bisherigem Recht nicht schwer genug (vgl. BGHSt 19, 98, 99).
15
Das Landgericht hat schließlich nicht übersehen, dass es sich bei der versuchten schweren räuberischen Erpressung um ein Vermögensdelikt mit einer Droh- und Gewaltkomponente handelte. Weil diese Tat jedoch von dem Angeklagten nur im Sinne einer sukzessiven Mittäterschaft aufgrund eines spontanen Entschlusses zur Mitwirkung an der von dem Mittäter T. bereits begonnenen Tat gefördert wurde und es nicht zu einer Gewaltanwendung gekommen ist, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, diese Tat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten anzusehen. Dafür war es nach Ansicht des Landgerichts von Bedeutung, dass eine räuberische Erpressung auch mit einer bloßen Drohung begangen werden kann. Einen Symptomcharakter der Tat für ein hangbedingtes Raubdelikt, das mit einer Anwendung von Gewalt mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer verbunden ist, musste es aus der Anlasstat für die Maßregelprüfung nicht entnehmen.
16
Auch im Übrigen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Mitgliedschaft zu dem Motorradclub Hell´s Angels den äußeren Umständen zugeordnet hat, bei denen es sich nicht um ein die Persönlichkeit des Ange- klagten bestimmendes Element handele. Seiner „Integration in die kriminelle Subkultur“ ist nicht schon als solcher zu entnehmen, dass deshalb ein „Hang“ des Angeklagten zur Begehung schwerer Straftaten bestehe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht zugleich eine Neigung zur Tatbegehung dauerhaft oder sogar irreversibel (vgl. NK/Böllinger/Pollähne StGB 3. Aufl. § 66 Rn. 90) im Persönlichkeitsgefüge des Täters verankert ist. Eine solche Verankerung hat das Landgericht aber mit seinem Hinweis auf die festgestellten Veränderungen in der Persönlichkeit und im Verhalten des Angeklagten ausgeschlossen. Fischer Appl Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 235/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1., 2. b) und 3. auf dessen Antrag -
am 4. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. März 2011 aufgehoben
a) im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit das Landgericht von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
2. a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.

b) Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der zur Tatzeit zweiundzwanzigjährige, in vollem Umfang geständige Angeklagte, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und einer Polytoxikomanie leidet, vor dem 1. Januar 2011 innerhalb weniger Wochen zweimal in die Filiale einer deutschen Großbank und erzwang dort unter Vorhalt einer ungeladenen Schreckschusspistole die Herausgabe von mehreren tausend Euro.
3
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
2. Die vom Landgericht nach § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung angeordnete Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält bereits für sich betrachtet sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie erweist sich nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) als nicht mehr verhältnismäßig.
5
a) Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird "in der Regel" nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172). Diese vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).
6
b) Zwar sind schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und den für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend "schwere Straftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen (vgl. für Straftaten nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Dies gilt auch dann, wenn der Täter - wie hier - die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dadurch verwirklicht, dass er bei einem Banküberfall mit einer ungeladenen Schreckschusspistole droht.
7
c) Jedoch verstößt die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleichwohl bei angemessener Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles mit Blick auf die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung durch den Gesetzgeber, die einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Abstandsgebot begründet (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172), gegen das Übermaßverbot. Dabei ist neben Art und Gewicht der vom Landgericht prognostizierten Straftaten insbesondere das noch junge Alter des Angeklagten von Belang. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt für den bei Tatbegehung erst 22 Jahre alten Angeklagten einen besonders belastenden Eingriff dar. Bereits nach der früheren fachgerichtlichen Rechtsprechung war die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei derart jungen Tätern zwar nicht ausgeschlossen; sie kam jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1; Beschluss vom 6. August 1997 - 2 StR 199/97, juris Rn. 13). In Ermangelung einer umfassend als Gesamtkonzept ausgestalteten Regelung der Sicherungsverwahrung kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung eine erhöhte Resozialisierungschance des Angeklagten bewirkt (zu den Defiziten beim Zugang zu sozialtherapeutischen Anstalten aus dem regulären Strafvollzug vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 121). Zu beachten ist schließlich der Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, der eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.
8
d) Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
9
3. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
10
a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt : "Die Strafkammer hat diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen - die jedoch insoweit nicht näher mitgeteilt werden - damit begründet, dass 'trotz des Substanzmittelkonsums' des Angeklagten , der in den Monaten vor den beiden in Rede stehenden Taten vermehrt Alkohol trank und auch Kokain konsumierte (UA S. 3 bis 5, 15 f.)‚ 'die Feststellung eines Hanges im Sinne von § 64 StGB' nicht 'mit hinreichender Sicherheit zu treffen' sei (UA S. 17 f.). Diese äußerst knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 S[atz] 1 StGB verkannt hat. Ein solcher ist nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden (erheblichen) Abhängigkeit zu bejahen; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5, Senat Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10 Rdnr. 4; Fischer[, StGB, 58. Aufl. 2011,] § 64 Rdnr. 9 m.w.N.). Dass eine derartige Neigung beim Angeklagten besteht , liegt nach den getroffenen Feststellungen nahe, denn nach der Einschätzung des Sachverständigen, die sich die Strafkammer zu eigen gemacht hat, hat der Angeklagte zur Tatzeit im Hinblick auf Alkohol und Kokain eine 'Polytoxikomanie (F 19.2)' - mithin ein psychisch bedingtes Abhängigkeitssyndrom - entwickelt (UA S. 15, 23). Mit diesem Umstand hätte sich das Tatgericht bei der Frage des Hanges nach § 64 StGB zwingend auseinandersetzen müssen. … Außerdem hält die sachverständig beratene Strafkammer die in § 64 StGB normierten Anordnungsvoraussetzungen für nicht gegeben, weil 'eine kausale Verknüpfung zwischen dem Alkohol- und Drogenkonsum und den aktuell zu beurteilenden Taten' nicht 'eindeutig herzustellen' sei (UA S. 18). Auch dies stellt keine ausreichende Begründung dar. Ihr kann nicht entnommen werden, ob sich die Strafkammer bewusst war, dass der symptomatische Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und dem Hang i.S.d. § 64 S[atz] 1 StGB auch dann zu bejahen ist, wenn der Hang zum Rauschmittelgenuss - neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Der Zusammenhang kann daher nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel - etwa die vorliegend bei dem Angeklagten zusätzlich zu seiner Polytoxikomanie diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung (UA S. 15) - eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09 Rdnr. 12 m.w.N.). Dass die festgestellte Polytoxikomanie des Angeklagten für die in Rede stehenden Banküberfälle zumindest mitursächlich gewesen sein kann, ist hier jedenfalls nicht auszuschließen, denn er nutzte die erbeuteten Geldmittel in beiden Fällen jeweils - neben der Erfüllung von Verbindlichkeiten für Hotelkosten u.ä. - für seinen Alkohol- und Kokainkonsum (UA S. 11, 13). Mithin steht zu besorgen, dass das Landgericht auch das Vorliegen des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstaten i.S.v. § 64 S[atz] 1 StGB von zu engen Voraussetzungen abhängig gemacht hat."
11
Dem schließt sich der Senat an.
12
b) Aus den vom Generalbundesanwalt im Einzelnen dargelegten Gründen scheiden die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht von vorneherein aus. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 ff.; Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ff.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Über die Anordnung der Maßregel muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden ; hierzu werden unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neue Feststellungen zu treffen sein.
13
c) Der Strafausspruch wird durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregel nicht berührt und kann daher bestehen bleiben. Es ist auszuschließen , dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
VRiBGH Becker befindet sich Pfister Schäfer im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Mayer Menges

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 175/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 25. Januar 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten und der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete, auf zwei Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung beantragt. Dies steht jedoch mit dem übrigen Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Unrecht abgesehen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln. Nach dem insoweit maßgeblichen und hier eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein die Nichtanordnung der Maßregel angefochten und das Urteil im Übrigen vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat bemerkt jedoch, dass, zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnötig belastet, wenn der Umfang der Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09 mwN).
3
Die Beschränkung der Revision ist indes unwirksam, soweit der Strafausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen wird. Dieser steht hier in einem nicht trennbaren Zusammenhang mit der Maßregelanordnung.
4
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
5
1. Gegenstand der Verurteilung sind vier Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zwang der Angeklagte die Nebenklägerin in der Nacht zum 5. Mai 2009 durch erhebliche, zum Verlust von Zähnen führende Gewalt zuerst zum Oralverkehr und sodann zum Geschlechtsverkehr. Am Abend des Vortages hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, die Beziehung zu ihm beenden zu wollen, und ihn aufgefordert , spätestens am nächsten Tag ihre Wohnung zu verlassen.
7
b) Nachdem es im Dezember 2009 zu einer Versöhnung und erneutem Zusammenleben gekommen war, trennte sich die Nebenklägerin Anfang Mai 2010 ein weiteres Mal vom Angeklagten. Dieser "passte" sie daraufhin Ende Mai / Anfang Juni in den Abendstunden auf einem Spaziergang "ab" und zwang sie unter Todesdrohungen und Einsatz einfacher körperlicher Gewalt in einem Waldstück zum Geschlechtsverkehr.
8
c) Am 24. Juli 2010 überraschte der Angeklagte die Nebenklägerin erneut auf einem Abendspaziergang. Er zwang sie, indem er sie bis zur Luftnot würgte und mit dem Tod bedrohte, zur Herausgabe ihres Mobiltelefons und verbrachte sie auf den Rücksitz ihres Autos.
9
d) Im Anschluss daran fuhr der Angeklagte mit ihr zu seiner Wohnung. Dort schlug er sie mehrfach ins Gesicht, zerrte an ihren Haaren, riss ihren Kopf nach hinten und nötigte sie damit zum Oralverkehr. Sodann zwang er sie mit weiteren Schlägen, sich auszuziehen und sich selbst zu befriedigen, was der Angeklagte mit einer Kamera filmte. Danach nötigte er die Nebenklägerin mit Gewalt insgesamt zweimal zum Geschlechtsverkehr.
10
2. Das Landgericht hat hierfür Einzelstrafen von vier Jahren, drei Jahren und sechs Monaten, neun Monaten sowie von sechs Jahren verhängt und dar- aus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten gebildet. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und dazu ausgeführt: Es bestehe aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zwar eine eher hohe Rückfallgefahr, indes könne bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht festgestellt werden. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung weise keine sadistischen Anteile auf; die Merkmale der "Psychopathy" seien nur im "unteren Bereich" zu bejahen; antisoziale Denkstile seien beim Angeklagten nicht festzustellen ; eine progrediente Entwicklung der Straftaten sei nicht zu erkennen; zwischen den früheren Straftaten lägen teilweise lange Zeitabschnitte; es könne "bei keiner der Vergewaltigungstaten festgestellt werden, dass der Angeklagte nicht lediglich sich ihm bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wahrgenommen" habe.
11
3. Die Begründung, mit der das Landgericht beim Angeklagten einen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie geht in Teilen von falschen Maßstäben aus oder steht im Widerspruch zu den Feststellungen.
12
a) Das Landgericht hat das Fehlen sadistischer Anteile in der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten fehlerhaft bewertet. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN). Ein Hang zur Begehung von erheblichen, gewalttätigen Sexualdelikten kann auch dann vorliegen, wenn der Täter in der Verletzung oder Demütigung seines Opfers nicht die hauptsächliche Quelle der Erregung oder der Befriedigung findet (vgl. zum Sadismus Elsner/Leygraf in Kröber u.a., Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 2, 1. Aufl., S. 472, 485).
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts verläuft die Kriminalitätsentwicklung des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen durchaus progredient. Unzutreffend ist zudem die Einschätzung, es habe sich bei den Straftaten des Angeklagten jeweils um Gelegenheitstaten gehandelt.
14
Die Vergewaltigung, die der Angeklagte im Alter von 23 Jahren zum Nachteil der Ehefrau eines Freundes begangen hatte und wegen der er 1985 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war, war zwar noch eine Spontantat. Dagegen hat der Angeklagte im Jahr 2003 die Vergewaltigung und Körperverletzung seiner damaligen Ehefrau, für die 2004 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gegen ihn verhängt worden ist, begangen , nachdem er sein Opfer mittels einer Finte ins Haus gelockt hatte. Die Tat zog sich zudem über einen längeren Zeitraum hin und war von einer besonderen Erniedrigung geprägt. Die nunmehr abgeurteilten Taten zeigen sowohl in der Intensität der Gewaltausübung als auch der abgenötigten Handlungen eine weitere Steigerung. Zudem verkürzten sich die Abstände zwischen den Übergriffen deutlich. Zwei von ihnen beruhten zuletzt auf planvollem Vorgehen des Angeklagten.
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4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist, führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruches. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN; Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172).
16
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
17
a) Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
18
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
19
(1) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
20
Nach Ansicht des Senats sind Vergewaltigungen (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) wegen der dafür im Regelfall angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
21
(2) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Das Landgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - zur Gefahrenprognose lediglich ausgeführt, die Rückfallgefahr sei "eher hoch" und die Gefährlichkeit des Angeklagten würde "bejaht". Solche verkürzten Darlegungen würden selbst den hergebrachten Anforderungen nicht genügen. Der neue Tatrichter wird ggf. die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere damit auseinandersetzen müssen , dass die Taten des Angeklagten aus dem situativen Zusammenhang einer Beziehungskrise begangen worden und zwischen den abgeurteilten Taten und den früheren Vergewaltigungen Zeiträume von fünfeinhalb bzw. 19 Jahre verstrichen sind.
22
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung könnte, sofern der neue Tatrichter einen Hang zu erheblichen Straftaten und eine auf ihm beruhende Gefährlichkeit des Angeklagten bejahen sollte, nur auf § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB aF gestützt werden. § 66 Abs. 1 StGB aF kommt als Grundlage dafür nicht in Betracht, da die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung aus dem Jahr 1985 auf Grund der eingetretenen "Rückfallverjährung" (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB aF) als Vorverurteilung ausscheidet und deshalb die formelle Voraussetzung einer zweiten Vorstrafe fehlt.
23
c) Die Anordnung läge sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen. Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen (Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 mwN).
VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister
Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 235/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1., 2. b) und 3. auf dessen Antrag -
am 4. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. März 2011 aufgehoben
a) im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit das Landgericht von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
2. a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.

b) Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der zur Tatzeit zweiundzwanzigjährige, in vollem Umfang geständige Angeklagte, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und einer Polytoxikomanie leidet, vor dem 1. Januar 2011 innerhalb weniger Wochen zweimal in die Filiale einer deutschen Großbank und erzwang dort unter Vorhalt einer ungeladenen Schreckschusspistole die Herausgabe von mehreren tausend Euro.
3
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
2. Die vom Landgericht nach § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung angeordnete Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält bereits für sich betrachtet sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie erweist sich nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) als nicht mehr verhältnismäßig.
5
a) Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird "in der Regel" nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172). Diese vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).
6
b) Zwar sind schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und den für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend "schwere Straftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen (vgl. für Straftaten nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Dies gilt auch dann, wenn der Täter - wie hier - die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dadurch verwirklicht, dass er bei einem Banküberfall mit einer ungeladenen Schreckschusspistole droht.
7
c) Jedoch verstößt die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleichwohl bei angemessener Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles mit Blick auf die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung durch den Gesetzgeber, die einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Abstandsgebot begründet (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172), gegen das Übermaßverbot. Dabei ist neben Art und Gewicht der vom Landgericht prognostizierten Straftaten insbesondere das noch junge Alter des Angeklagten von Belang. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt für den bei Tatbegehung erst 22 Jahre alten Angeklagten einen besonders belastenden Eingriff dar. Bereits nach der früheren fachgerichtlichen Rechtsprechung war die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei derart jungen Tätern zwar nicht ausgeschlossen; sie kam jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1; Beschluss vom 6. August 1997 - 2 StR 199/97, juris Rn. 13). In Ermangelung einer umfassend als Gesamtkonzept ausgestalteten Regelung der Sicherungsverwahrung kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung eine erhöhte Resozialisierungschance des Angeklagten bewirkt (zu den Defiziten beim Zugang zu sozialtherapeutischen Anstalten aus dem regulären Strafvollzug vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 121). Zu beachten ist schließlich der Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, der eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.
8
d) Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
9
3. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
10
a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt : "Die Strafkammer hat diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen - die jedoch insoweit nicht näher mitgeteilt werden - damit begründet, dass 'trotz des Substanzmittelkonsums' des Angeklagten , der in den Monaten vor den beiden in Rede stehenden Taten vermehrt Alkohol trank und auch Kokain konsumierte (UA S. 3 bis 5, 15 f.)‚ 'die Feststellung eines Hanges im Sinne von § 64 StGB' nicht 'mit hinreichender Sicherheit zu treffen' sei (UA S. 17 f.). Diese äußerst knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 S[atz] 1 StGB verkannt hat. Ein solcher ist nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden (erheblichen) Abhängigkeit zu bejahen; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5, Senat Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10 Rdnr. 4; Fischer[, StGB, 58. Aufl. 2011,] § 64 Rdnr. 9 m.w.N.). Dass eine derartige Neigung beim Angeklagten besteht , liegt nach den getroffenen Feststellungen nahe, denn nach der Einschätzung des Sachverständigen, die sich die Strafkammer zu eigen gemacht hat, hat der Angeklagte zur Tatzeit im Hinblick auf Alkohol und Kokain eine 'Polytoxikomanie (F 19.2)' - mithin ein psychisch bedingtes Abhängigkeitssyndrom - entwickelt (UA S. 15, 23). Mit diesem Umstand hätte sich das Tatgericht bei der Frage des Hanges nach § 64 StGB zwingend auseinandersetzen müssen. … Außerdem hält die sachverständig beratene Strafkammer die in § 64 StGB normierten Anordnungsvoraussetzungen für nicht gegeben, weil 'eine kausale Verknüpfung zwischen dem Alkohol- und Drogenkonsum und den aktuell zu beurteilenden Taten' nicht 'eindeutig herzustellen' sei (UA S. 18). Auch dies stellt keine ausreichende Begründung dar. Ihr kann nicht entnommen werden, ob sich die Strafkammer bewusst war, dass der symptomatische Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und dem Hang i.S.d. § 64 S[atz] 1 StGB auch dann zu bejahen ist, wenn der Hang zum Rauschmittelgenuss - neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Der Zusammenhang kann daher nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel - etwa die vorliegend bei dem Angeklagten zusätzlich zu seiner Polytoxikomanie diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung (UA S. 15) - eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09 Rdnr. 12 m.w.N.). Dass die festgestellte Polytoxikomanie des Angeklagten für die in Rede stehenden Banküberfälle zumindest mitursächlich gewesen sein kann, ist hier jedenfalls nicht auszuschließen, denn er nutzte die erbeuteten Geldmittel in beiden Fällen jeweils - neben der Erfüllung von Verbindlichkeiten für Hotelkosten u.ä. - für seinen Alkohol- und Kokainkonsum (UA S. 11, 13). Mithin steht zu besorgen, dass das Landgericht auch das Vorliegen des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstaten i.S.v. § 64 S[atz] 1 StGB von zu engen Voraussetzungen abhängig gemacht hat."
11
Dem schließt sich der Senat an.
12
b) Aus den vom Generalbundesanwalt im Einzelnen dargelegten Gründen scheiden die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht von vorneherein aus. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 ff.; Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ff.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Über die Anordnung der Maßregel muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden ; hierzu werden unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neue Feststellungen zu treffen sein.
13
c) Der Strafausspruch wird durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregel nicht berührt und kann daher bestehen bleiben. Es ist auszuschließen , dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
VRiBGH Becker befindet sich Pfister Schäfer im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Mayer Menges

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.