Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 215/17

bei uns veröffentlicht am27.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 215/17
vom
27. September 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Mordes durch Unterlassen
ECLI:DE:BGH:2017:270917B4STR215.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 27. September 2017 einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 1. Februar 2017 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften vom 18. Mai 2017 bemerkt der Senat: Die beim unechten Unterlassungsdelikt erforderliche sog. Quasi-Kausalität , wonach ein Unterlassen nur dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung gesetzt werden kann, wenn die- ser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 f.; Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087, jeweils mwN), ist durch die im angefochtenen Urteil mitgeteilten Ergebnisse des Gutachtens der obduzierenden Rechtsmedizinerin Dr. H. unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe hinreichend belegt. Auch wenn eine ins Einzelne gehende Darstellung der tatsäch- lichen Grundlagen ihres Gutachtens fehlt (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. nur BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 31 mwN), genügt hier die ausführliche, zusammenfassende Bewertung, wonach wegen des geringen Umfangs der subduralen Blutung „bei ärztlicher Hilfe die Chance auf eine Verlängerung der Lebenszeit des Tatopfers in nicht unerheb- lichem Maße bestanden hätte“ und selbst bei fortgeschrittener Bewusstlosigkeit durch eine Intubation akut Hilfe möglich gewesen wäre. Dass das Landgericht durch seine missverständliche Formulierung den rechtlichen Maßstab für die hypothetische Kausalität verkannt haben könnte, besorgt der Senat nicht, zumal das Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. H. jedenfalls pauschal von dem Leiter des rechtsmedizinischen Instituts der Universität M. , Prof. Dr. Dr. U. , der an der Obduktion teilnahm, bestätigt wurde. Nach des- sen Bewertung wäre das Leben des Tatopfers „mit Sicherheit verlängert“ wor- den.
Sost-Scheible RiBGH Cierniak ist urlaubsabwe- Franke send und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Bundesgerichtshof Urteil, 12. Jan. 2010 - 1 StR 272/09

bei uns veröffentlicht am 12.01.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 272/09 vom 12. Januar 2010 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Januar 2010, an der teilgenommen haben: Vors

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Sept. 2014 - 4 StR 473/13

bei uns veröffentlicht am 04.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 473/13 vom 4. September 2014 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- StGB § 13 Abs. 1, § 222, § 239 Abs. 1 und Abs. 4 1. Hat es der h

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 473/13
vom
4. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne
richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der
er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche
unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie
gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet
, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der
zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung
- unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten
des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.
BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 - LG Magdeburg
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom
28. August 2014 und in der Sitzung am 4. September 2014, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung
-,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung
-
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger M. D. in Person - bei der Verkündung
-,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger B. D. und A.
D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers M. D. ,
Herr S. aus Frankfurt am Main
als allgemein vereidigter Dolmetscher für die Sprache Fulla,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ferner werden der Staatskasse die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nachdem der Bundesgerichtshof das den Angeklagten nach 58-tägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freisprechende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008 mit Urteil vom 7. Januar 2010 mit den Feststellungen wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben hatte, verurteilte das Landgericht Magdeburg nach 67-tägiger Hauptverhandlung den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 €. Ferner hat es bestimmt, dass davon infolge einer dem Angeklagten nicht anzulastenden Verfahrensverzögerung 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dreier Nebenkläger jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte sowie die Nebenkläger beanstanden zudem das Verfahren. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Verfahren betrifft den Tod des damals knapp 22 Jahre alten, in Sierra-Leone geborenen J. in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers De. am 7. Januar 2005, in dem der damals 44jährige Angeklagte als Dienstgruppenleiter tätig war.
3
1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 7. Januar 2005 ab 8.03 Uhr teilte die Zeugin Be. , die mit weiteren Frauen im Rahmen eines sogenannten 1-Euro-Jobs Pflegearbeiten in den Verkehrs- und Grünflächen im Bereich der T. straße in De. verrichtete, der Polizeibeamtin H. telefonisch mehrfach mit, dass sie von einem "Ausländer belästigt" werden. Frau H. war damals beim Polizeirevier De. als stellvertretende Dienstgruppenleiterin und "Streifeneinsatzführerin" tätig. Die daraufhin von ihr verständigten Polizeibeamten Mä. und Sc. trafen um 8.20 Uhr vor Ort ein. Ihnen war zum Grund des Einsatzes mitgeteilt worden, dass vier weibliche Personen durch einen Ausländer massiv belästigt werden, der hinter ihnen herrenne und versuche, sie "anzutatschen". Während der Zeuge Mä. sich zunächst den anwesenden Frauen zuwandte, fragte der Zeuge Sc. den ihm nicht bekannten, in der Nähe stehenden und sich unauffällig verhaltenden J. nach seinem "Passport". Nachdem J. dessen Herausgabe verweigert hatte, forderte der Zeuge Sc. ihn auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen; er wollte " J. erst einmal vor Ort weg und ins Revier bringen". Auch dies lehnte J. ab. Als der Polizeibeamte Sc. ihn daraufhin zu dem Polizeifahrzeug verbringen wollte, setzte sich J. dagegen durch Hin- und Herdrehen zu Wehr. Ihm wurden sodann bei fortdauernder Gegenwehr Handfesseln angelegt und er wurde vom Zeugen Mä. und dessen Kollegen in das Polizeifahrzeug und zum Polizeirevier De. verbracht. Der Grund hierfür wurde J. weder zu diesem Zeitpunkt noch später mitgeteilt; auch wurde er zu keinem Zeitpunkt belehrt oder befragt, ob jemand von seiner Ingewahrsamnahme unterrichtet werden soll. Noch im Polizeifahrzeug versuchte J. nach dem Polizeibeamten Sc. zu treten, wobei entweder durch diesen oder durch einen weiteren Tritt die Plastikverkleidung an der Kurbel der hinteren Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs beschädigt wurde. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier machte J. "weiterhin sich wehrende Körperbewegungen", wobei er möglicherweise mit der Nase gegen die Fahrzeugscheibe stieß und sich hierbei leicht verletzte.
5
Auf dem Polizeirevier wurde J. von den Polizeibeamten Mä. und Sc. zunächst in das im Untergeschoss im Gewahrsamsbereich gelegene sogenannte "Arztzimmer" verbracht, wo er sich "erneut renitent" verhielt und unter anderem mit seinem Kopf in Richtung Wand und Tisch schlug, woraufhin er vom Zeugen Mä. durch Wegrücken des Stuhles, auf dem er saß, und Festhalten "von erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten wurde. Bei seiner Durchsuchung wurde eine seine Personalien ausweisende, hinsichtlich einzelner Buchstaben oder Ziffern (des Geburtsjahres und der Straße seines Wohnsitzes) allerdings nicht oder nur schlecht lesbare, mit einem Lichtbild versehene "Duldung" (Aussetzung der Abschiebung) des Landkreises An. aufgefunden. Hiervon wurde der Angeklagte unterrichtet, der von der Polizeibeamtin H. auch über den Grund der Verbringung des J. in den Gewahrsam, nämlich dessen Belästigung von Passanten, seine Widerstandhandlung bei dem Versuch der Personalienfeststellung, seine unklaren Personalien und seinen alkoholisierten Zustand unterrichtet worden war. Der Angeklagte versuchte daraufhin um 8.44 Uhr vergeblich, Auskunft über J. beim Einwohnermeldeamt zu erhalten. Nachdem er auch vom Ausländeramt keine vollständigen Daten erhalten hatte, führte der Angeklagte eine INPOL-Abfrage durch, die die Personalien aus der "Duldung" im Wesentlichen bestätigte und ergab, dass J. bereits in den Jahren 2000, 2001 und 2002 unter anderem in De. und in R. jeweils durch Fertigung eines Lichtbildes sowie von Finger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden war. Eine erkennungsdienstliche Behandlung von J. hatte zwischenzeitlich auch der Zeuge Mä. angeordnet. Ferner verständigte der Angeklagte um 8.47 Uhr den Arzt Dr. Bl. , der J. eine Blutprobe entnehmen sollte und - trotz weiterer Gegenwehr - um 9.15 Uhr entnahm. Deren spätere Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille ; ferner wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Dr. Bl. bejahte auch die Gewahrsamsfähigkeit von J. .
6
Im Anschluss an die Blutentnahme wurde der etwa 170 cm große und 60 kg schwere J. von mehreren Polizeibeamten - da er auch hierzu nicht freiwillig bereit war - in die Gewahrsamszelle Nr. 5 gebracht und - nach Rücksprache mit Dr. Bl. - auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw.Fußfesseln auf einer Matratze fixiert, indem an jedem Hand- bzw. Fußgelenk eine entsprechende Fessel angebracht und mit jeweils einem in den Podest, auf dem die Matratze lag, bzw. in der Wand eingelassenen Metallbügel verbunden wurde. Trotz dieser Fixierung war es J. möglich, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufzurichten und seine Hosentaschen mit den Händen zu erreichen.
7
In der Zelle befand sich - an der Decke - ein Rauchmelder, der bei einem Auslösen in dem im ersten Stock des Dienstgebäudes befindlichen Zimmer des Dienstgruppenleiters einen Piepton und eine blinkende Diode am Bedienele- ment der Alarmanlage einschaltete. Ferner war in der in der Wand der Zelle befindlichen Belüftungsanlage ein ebenfalls auf Rauch reagierender Alarmmelder angebracht. Auch dieser löste - allerdings später als der an der Decke angebrachte Rauchmelder - im Zimmer des Dienstgruppenleiters ein akustisches Signal aus. In der Zelle befand sich zudem eine mit dem Zimmer des Dienstgruppenleiters verbundene Wechselsprechanlage. Vor der Zelle war am Anfang und am Ende des Flures jeweils eine Kamera angebracht, deren Bilder - ohne Aufzeichnung - auf einen Monitor im Zimmer des Dienstgruppenleiters übertragen wurden. In der Zelle selbst war keine Kamera angebracht. Eine Überwachung durch einen im Zellentrakt ununterbrochen anwesenden Polizeibeamten fand nicht statt.
8
Nachdem die Zellentür und die Tür zum Flur der Zellenräume abgeschlossen worden waren, brachte der Polizeibeamte Mä. die hierfür benötigten Schlüssel sowie die Schlüssel der Fußfesseln in das Zimmer des Dienstgruppenleiters. Er informierte den Angeklagten darüber, dass J. fortdauernd renitent geblieben sei, sich selbst zu verletzen versucht habe und er deshalb in der Zelle Nr. 5 vierfach fixiert worden sei, nunmehr sei aber alles in Ordnung. Der Angeklagte trug daraufhin die Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Uhrzeiten sowie den Personalien von J. in das Buch über Freiheitsentziehungen ein und gab als Grund "Identitätsfeststellung § 163 StPO" an; auch die "Fixierung zur Eigensicherung" vermerkte er und versah die Eintragung mit dem Zusatz "i.O.". Er ging davon aus, dass J. zum eigenen Schutz aufgrund seines alkoholisierten Zustands sowie zur genaueren Identitätsfeststellung wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (an dem Polizeifahrzeug ) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ordnungsgemäß festgenommen worden war und bis etwa 14.00 Uhr in der Zelle bleiben muss. Davon, ob durch die Fixierung weitere selbstgefährdende Handlungen von J. - etwa ein Schlagen des Kopfes gegen die Zellenwand - ausgeschlossen waren, überzeugte er sich nicht. Auch einen Richter verständigte der Angeklagte von der Ingewahrsamnahme des J. nicht, da ihm die entsprechenden Vorschriften unbekannt waren und während seiner Zeit als Dienstgruppenleiter seit 1993 noch nie ein Richter über eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Identitätsfeststellung oder nach dem damals in SachsenAnhalt geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) informiert worden war. Vielmehr ging er davon aus, dass solche Ingewahrsamnahmen (ohne richterliche Anordnung) bis zu 12 Stunden andauern dürfen. Auch nach dem Tod von Ma. Bi. im Oktober 2002, der "zum Ausnüchtern" in die Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers De. verbracht und dort während der Dienstschicht des Angeklagten 16 Stunden später an den Folgen eines Schädelbruchs verstorben war, und dem hierzu gegen den Angeklagten eingeleiteten - schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte auf einen - im damaligen Verfahren "nicht thematisierten" - Richtervorbehalt bei Ingewahrsamnahmen nicht hingewiesen, obwohl seinen Vorgesetzten die Praxis der Beamten des Polizeireviers De. , keine richterlichen Entscheidungen zu erholen, bekannt war. Auch der vom Angeklagten gegen 11.30 Uhr von der Ingewahrsamnahme des J. unterrichtete Einsatzleiter K. wies ihn nicht darauf hin, dass er hiervon einen Richter informieren müsse. Dem Angeklagten hätte jedoch bewusst sein müssen, dass es einer ständigen optischen Überwachung des stark alkoholisierten J. , der zuvor schon versucht hatte, sich selbst zu verletzen, bedurft hätte, um diesen von weiteren Selbstgefährdungen abzuhalten, und allein die akustische Überwachung und die Überwachung zu bestimmten Kontrollzeiten nicht geeignet waren, eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder -verschlechterung bei ihm zu verhindern. Einer Überwachung der Zelle durch einen im Zellentrakt ständig anwesenden Beam- ten stand indes zumindest aus Sicht des Angeklagten die geringe Personalstärke an jenem Tag entgegen; seinen Vorgesetzten teilte er das Problem oder entsprechende Bedenken aber nicht mit. Vielmehr sollten - wie bei Ma. Bi. - neben den in Betrieb befindlichen Alarmmeldern lediglich regelmäßige , bei J. in halbstündlichem Abstand erfolgende Zellenkontrollen sowie die akustische Überwachung über die Wechselsprechanlage stattfinden.
9
Um 10.03, 10.37 und 11.05 Uhr wurde J. in seiner Zelle von einem bzw. mehreren Polizeibeamten auch kontrolliert; eine weitere, vom Angeklagten für 9.30 Uhr eingetragene Kontrolle war - wie er wusste - nicht erfolgt. Ferner betrat möglicherweise gegen 11.30 Uhr der Polizeibeamte Mä. die Gewahrsamszelle , um nach seinem Feuerzeug zu suchen, das er dort jedoch nicht auffand. Um 11.45 Uhr begab sich die Polizeibeamtin H. mit einem Kollegen zur Zelle des J. , da dieser schon einige Zeit lang durch lautes Schimpfen und Rufen über die Wechselsprechanlage zu hören war und verlangt hatte, dass ihm die Fesseln gelöst werden. J. bat auch die Beamtin , seine Fesseln zu lösen, und fragte, warum er sich in der Zelle befinde, was die Zeugin damit beantwortete, er wisse schon, warum er dort sei.
10
Nachdem J. auch bei dieser Kontrolle der Grund seines Gewahrsams nicht genannt worden war und er den Eindruck hatte, dass er mit einer alsbaldigen Lösung der Fixierung nicht rechnen konnte, kam er auf die Idee, in der Zelle ein Feuer anzuzünden, wobei er davon ausging, dass Polizeibeamte alsbald auf das Feuer aufmerksam und ihn aus der Zelle herausholen werden. Mit einem Feuerzeug, das er entweder bei sich hatte, weil es bei seiner Durchsuchung übersehen worden war, oder das der Polizeibeamte Mä. in der Zelle verloren hatte, gelang es J. , die schwer entflammbare Polyesterummantelung der etwa neun Zentimeter dicken Matratze durch Erhitzen mit dem in der rechten Hand gehaltenen Feuerzeug aufzuweichen und aufzureißen und die aus Polyurethan bestehende Füllung der Matratze auf einer Länge von bis zu 50 cm und einer Breite von maximal 30 cm freizulegen. Anschließend setzte er kurz vor 12.05 Uhr das Füllmaterial der Matratze in Brand, wobei bis zu dessen selbständigem Brennen weder Rauch noch Ruß entstand, der ausreichte , um einen der Rauchmelder auszulösen. Entweder um dem sich ausbreitenden Feuer auszuweichen oder bei dem Versuch, das Feuer auszublasen , geriet J. bei leicht erhobenem Oberkörper mit der Nase über oder in die heißen Gase der Flamme oder in die Flamme selbst und atmete Luft mit einer Temperatur von 180ºC oder mehr ein. Hierbei erlitt er einen inhalativen Hitzeschock, der zu seinem sofortigen Tod führte. Ob J. zuvor Hilfeoder Schmerzensschreie ausgestoßen hatte, vermochte das Schwurgericht nicht festzustellen.
11
Am Arbeitsplatz des Angeklagten waren über die Wechselsprechanlage zu Beginn des Brandgeschehens von dem Feuer verursachte Geräusche zu hören, die dort wie Plätschern zu vernehmen waren. Auf diese Geräusche machte die Zeugin H. den Angeklagten aufmerksam, der sie aber ebenfalls nicht einordnen konnte. Kurz darauf wurde von dem in der Decke der Zelle angebrachten Rauchmelder Alarm ausgelöst und im Zimmer des Dienstgruppenleiters mit einem lauten Piepen und einer blinkenden Diode angezeigt. Daraufhin schaltete der Angeklagte den Alarm ab, da er ihn für einen im Jahr 2004 schon mehrmals ausgelösten Fehlalarm hielt. Auch das etwa zehn Sekunden später erneut einsetzende Alarmsignal wurde entweder vom Angeklagten oder von der Zeugin H. abgeschaltet. Der Angeklagte - der bis dahin J. nicht zu Gesicht bekommen hatte - verließ sodann das Zimmer in Richtung Gewahrsamsbereich. Da er nicht alle Schlüssel mitgenommen hatte, musste er jedoch umkehren und diese holen, wobei er entweder zuvor oder auf dem Weg zum Zellentrakt den Einsatzleiter K. von dem Alarm verständigte. Nachdem der Angeklagte sodann mit einem auf dem Weg in den Gewahrsamsbereich hinzugebetenen Kollegen die Türen zum Zellentrakt und zur Zelle Nr. 5 geöffnet hatte und ihm dort "eine große Menge verrußter Luft" entgegengekommen war, lief der Angeklagte auf den Parkplatz des Polizeireviers, während sein Kollege vergeblich versuchte, das Feuer in der Zelle zu löschen. Dies gelang letztlich erst der um 12.20 Uhr eingetroffenen Feuerwehr.
12
2. Das Landgericht ist nach umfangreicher Beweisaufnahme von einer Brandlegung durch J. selbst überzeugt. Misshandlungen von J. durch den Angeklagten oder andere Polizeibeamte vermochte die Kammer auch hinsichtlich eines bei der zweiten Obduktion entdeckten Nasenbeinbruchs des J. nicht festzustellen. Andere Brandursachen - insbesondere einen technischen Defekt oder eine Brandlegung durch Polizeibeamte oder Dritte - schloss das Schwurgericht aus. Zugunsten des Angeklagten ging es davon aus, dass J. schon im Zeitpunkt des im Zimmer des Dienstgruppenleiters über die Wechselsprechanlage zu hörenden Plätscherns verstorben war und er deshalb auch bei einem sofortigen Hinuntereilen des Angeklagten nach dem Wahrnehmen dieses Plätscherns oder des ersten Alarmsignals nicht mehr hätte gerettet werden können.
13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung stützt das Schwurgericht auf der Grundlage der diesem bekannten, damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung darauf, dass er trotz des Wissens um die Selbstverletzungsversuche des J. und um die Einschränkung seiner Willensbestimmung dessen Gewahrsam ohne ständige optische Überwachung und - falls ihm dies wegen der knappen Personallage nicht möglich gewesen sei - ohne Remonstration bei seinen Vorgesetzten zugelassen habe. Zwar habe der An- geklagte - insbesondere aufgrund der Mitteilungen des Zeugen Mä. - davon ausgehen dürfen, dass die Ingewahrsamnahme des J. rechtmäßig gewesen sei, da gegen diesen der Verdacht einer Straftat bestanden habe, seine Personalien noch nicht abschließend geklärt gewesen seien und die Gefahr einer Selbstschädigung bestanden habe. Auch sei die Fixierung des J. rechtmäßig gewesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hätte dem Angeklagten aber zumindest aufgrund seiner Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod von Ma. Bi. sowie der erkennbar starken Alkoholisierung des J. und seiner Versuche, sich zu verletzen, bewusst sein können und müssen, dass eine Zellenkontrolle im halbstündlichen Abstand nicht ausreichend gewesen sei, um bei Fortsetzung des selbstschädigenden Verhaltens oder einer Gesundheitsgefahr aus anderen Gründen rechtzeitig eingreifen zu können. Der Tod von J. sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Der Angeklagte hätte ihn auch vermeiden können, zumal Ziffer 5.2 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung geregelt habe, dass - sollte während der Unterbringungszeit ausreichend Personal für den Gewahrsamsdienst nicht zur Verfügung stehen - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen habe. Für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts fehle es dagegen am Vorsatz. Eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge, die nach Ansicht des Schwurgerichts wegen der Missachtung des Richtervorbehalts nach der Ingewahrsamnahme des J. in Betracht gekommen wäre, scheide aus, weil der Angeklagte insofern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.

II.


14
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
15
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe den Sachverhalt "nicht umfassend genug aufgeklärt", weil es den Angeklagten hinsichtlich der - im Urteil bejahten - Pflicht zur Remonstration nicht zum Inhalt seines Gesprächs mit dem Zeugen K. befragt habe, ist bereits unzulässig. Denn die Revision teilt das Beweisergebnis , also die zu erwartenden Angaben des Angeklagten hierzu, nicht mit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN).
16
Eine Rüge, das Gericht hätte den Angeklagten darauf hinweisen müssen , dass es die Verletzung der Pflicht zur Remonstration zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs heranziehen könnte, ist nicht erhoben. Die Beanstandung wurde vom Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründungsschrift vielmehr (mehrfach) ausdrücklich als Aufklärungsrüge bezeichnet. Der dortige Vortrag zu dem gerichtlichen Hinweis diente ersichtlich allein dazu, deutlich zu machen, dass für den Angeklagten und seine Verteidiger in der Hauptverhandlung kein Anlass bestand, sich zu diesem Punkt zu äußern bzw. hierauf die Befragung des Angeklagten auszuweiten. Dem Senat ist es daher verwehrt, sich in diesem Zusammenhang mit einer Verletzung des § 265 StPO zu befassen. Denn Voraussetzung und Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 449/05, StV 2006, 57, 58 mwN). Allein die sich hieraus ergebende Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts, da es einem Revisionsführer wegen seiner Dispositionsbefugnis freisteht, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zulässigkeit 1 mwN).
17
2. Soweit der Angeklagte geltend macht, das Schwurgericht "hätte den Fall Bi. weiter ausermitteln müssen", ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da schon nicht mitgeteilt wird, welcher Beweismittel es sich hierbei hätte bedienen sollen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).
18
3. Auch die zur Vorhersehbarkeit des Taterfolgs für den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die Revisionsbegründung insofern konkrete Beweismittel benennt, wurden die Beweise vom Schwurgericht erhoben.
19
4. Die Rüge, das Schwurgericht habe gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen , weil es den Angeklagten nicht darauf hingewiesen habe, "dass er wegen seiner Erfahrungen aus dem Fall Bi. und aus einer vermeintlichen allgemeinen Lebenserfahrung hätte erkennen müssen, dass eine stetige visuelle Beobachtung geboten war und deshalb eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werde", ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 12. Dezember 2013 aufgeführten Erwägungen jedenfalls unbegründet.

III.


20
Die Verfahrensrüge des Nebenklägers M. D. , mit der er geltend macht, dass an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 für ihn kein Dolmetscher zugezogen worden sei, greift nicht durch. Auch die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben keinen Erfolg.
21
1. a) Der Rüge des Nebenklägers M. D. liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zugrunde:
22
Am 14. Januar 2011 war für den Nebenkläger M. D. bei Sitzungsbeginn zwar eine Dolmetscherin für die französische Sprache anwesend ; diese wurde aber nach kurzer Zeit entlassen, weil der Nebenkläger M. D. nicht französisch, sondern nur Fulla spricht. Lediglich am Nachmittag wurde für die Abgabe einer Erklärung des Nebenklägers ein Dolmetscher für Fulla zugezogen. Die Hauptverhandlung im Übrigen, unter anderem die Vernehmung zweier Zeugen, wurde an diesem Tag ohne Dolmetscher für den Nebenkläger durchgeführt. Auch am 6. Dezember 2011 wurden mehrere Zeugen vernommen, Urkunden verlesen und ein Augenschein eingenommen , ohne dass für den Nebenkläger ein Dolmetscher tätig war.
23
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
24
aa) Der Nebenkläger gehört nicht zu den Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 338 Rn. 42). Seine Abwesenheit in der Hauptverhandlung führt daher nicht zum Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO, vielmehr kann er sie lediglich nach § 337 StPO rügen (BGH aaO; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO). Nichts anderes gilt in Fällen, in denen der Nebenkläger zwar anwesend ist, ihm aber kein Dolmetscher zur Seite steht. Zwar ist nach § 185 GVG von Amts wegen ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn in der Hauptverhandlung ein Beteiligter - ein solcher ist auch der Nebenkläger - der deutschen Sprache nicht mächtig ist (BGH, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 StR 298/02, BGHR GVG § 185 Zuziehung 3). Da die Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers aber für den Nebenkläger zur Folge hat, dass er der Hauptverhandlung nicht folgen und er dort seine Rechte nicht wahrnehmen, sie also nicht beeinflussen kann, kann er bei Vorliegen einer solchen Gesetzesverletzung - revisionsrechtlich - nicht besser gestellt sein, als wenn er gar nicht anwesend war. Wie seine eigene Abwesenheit kann er deshalb auch die Abwesenheit des für ihn notwendigen Dolmetschers lediglich als relativen Revisionsgrund geltend machen.
25
bb) Die hierfür erforderliche Verfahrensrüge ist jedoch nicht zulässig erhoben.
26
(1) Zwar braucht sich die Revisionsbegründung mit der Frage des Beruhens grundsätzlich nicht zu befassen (vgl. dazu indes BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es aber erforderlich, dass die Revisionsbegründung den zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vorträgt. Hierfür muss sie im Fall einer Nebenklägerrevision auch - soweit sich dies nicht schon aus dem Antrag ergibt oder von selbst versteht - darlegen, dass sie mit der Verfahrensrüge ein nach § 400 StPO zulässiges Ziel verfolgt. Beanstandet der Nebenkläger daher, dass er an der Hauptverhandlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen konnte, muss er vortragen, dass er - läge die Gesetzesverletzung nicht vor - Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können, die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259).
27
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Vortrag der Revision, die ohne weitere Konkretisierung lediglich behauptet, dass der Nebenkläger "Anträge oder Erklärungen abgegeben hätte, die das Urteil hätten beeinflussen können", jedenfalls angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der bei dem Tatgeschehen nicht anwesende Nebenkläger, dessen anwaltlicher Beistand auch an den in Frage stehenden Hauptverhandlungstagen ununterbrochen anwesend war, ohne die Abwesenheit des Dolmetschers zu beanstanden, an diesen beiden Tagen Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können , die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten, zumal an mehreren weiteren Hauptverhandlungstagen für ihn Dolmetscher tätig waren und ihm auf Anregung seiner Rechtsanwältin auch am Nachmittag des 14. Januar 2011 für die Abgabe einer Erklärung ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dass der Nebenkläger M. D. in seinen Rechten dadurch betroffen wurde, dass er bei anderer Gelegenheit keine (sachdienlichen) Erklärungen abgeben, Tatsachen vorbringen oder Beweisanträge stellen konnte, weil er der an den beiden Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme bzw. Hauptverhandlung im Übrigen ohne einen Dolmetscher nicht folgen konnte, hat die Revision nicht behauptet und nicht geltend gemacht.
28
(3) Im Übrigen versäumt es die Revision vorzutragen, dass die Vertreterin des Nebenklägers M. D. selbst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 mitgeteilt hat, dass ihr Mandant in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher für die französische Sprache benötige. Auch dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zur Folge (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
29
2. Die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben bereits aus diesen Gründen keinen Erfolg, soweit sie ebenfalls beanstanden , dass für den Nebenkläger M. D. an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 kein Dolmetscher für Fulla zugezogen worden war; denn auch ihr Revisionsvortrag geht nicht weiter als der des Nebenklägers M. D. . Soweit sie ferner geltend machen, auch sie seien der deutschen Sprache nicht mächtig, trägt die Revision selbst vor, dass diese Nebenkläger an keinem der Hauptverhandlungstage zugegen waren. Auf einer Gesetzesverletzung zu ihrem Nachteil durch die Abwesenheit eines Dolmetschers kann das Urteil daher nicht beruhen.

IV.


30
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
31
1. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung hält der Überprüfung stand. Insbesondere ist das Schwurgericht rechtsfehlerfrei von einer Pflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen, dem es aufgrund des Zustandes und des Verhaltens von J. oblag, dessen ständige (auch) optische Überwachung in der Zelle zu veranlassen, um hierdurch der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. zu begegnen.
32
a) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , und die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58).
33
b) Diese Voraussetzungen hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht.
34
aa) Insbesondere ist das Landgericht aufgrund einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Würdigung von einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen.
35
Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).
36
Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für denGewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung vom 27. März 1995, MBl. LSA Nr. 34/1995 S. 1211 ff.; im Folgenden abgekürzt als PGO). Diese forderte schon in Nummer 3.1. Satz 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nummer 5.2. Sätze 5 und 6 PGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal - insbesondere für den Gewahr- samsdienst (dazu Nummer 7. PGO) - zur Verfügung stehen muss oder - soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nummer 31.3. PGO, dass betrunkene Personen im Abstand von "höchstens" 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind.
37
Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das Schwurgericht bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J. gesorgt hat. Denn der Angeklagte war - wie erwusste - trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J. gemäß Nummer 2.1. Satz 4 PGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. entgegenzuwirken. Eine solche - erforderliche und geeignete - Maßnahme hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J. gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nummer 31.3. PGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er - wie der Angeklagte wusste - an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seines (alkoholisierten) Zustandes bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angeklagten auch das zuvor von J. gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht - auch angesichts der Erfahrungen des Angeklagten im "Fall Bi. " - das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J. durch den Angeklagten als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat.
38
bb) Da die genannten Regelungen in den Nummern 3.1., 5.2. und 31.3. der Polizeigewahrsamsordnung zumindest auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der verwahrten Person bestimmt waren, hat der Angeklagte mit deren Missachtung gegen eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts gedient hat.
39
cc) Auch konnte der Angeklagte, der eingeräumt hat, die Polizeigewahrsamsordnung und deren hier einschlägige Regelungen gekannt zu haben, nach den Feststellungen des Landgerichts die Pflichtverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten insbesondere dadurch vermeiden, dass er die dauerhafte optische Überwachung von J. von einem der im "üblichen Streifeneinsatzdienst" befindlichen Polizeibeamten als einem im Zellenbereich ununterbrochen anwesenden Gewahrsamsbeamten vornehmen lässt oder er die Verbringung des J. in eine Justizvollzugsanstalt veranlasst.
40
dd) Das Schwurgericht ist ferner ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat.
41
Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt , dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).
42
Dies war hier nach den Feststellungen und rechtsfehlerfreien Wertungen des Schwurgerichts der Fall. Dass der betrunkene J. , der bereitszuvor versucht hatte, sich selbst zu verletzten, dieses Verhalten fortsetzen und für sich gefährliche Handlungen vornehmen wird, lag unter den gegebenen Umständen - auch angesichts seiner fortwährenden Beschwerden über die Fortdauer des Gewahrsams und der Fesselung - nach dem Maßstab des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches eines Polizeibeamten nicht fern und war daher objektiv und subjektiv für den Angeklagten als erfahrenem Polizeibeamten vorhersehbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 389/52, BGHSt 3, 218, 220; vom 23. April 1953 - 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187; vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78). Jedoch musste der Angeklagte zum einen, wie die Selbstverletzungsversuche belegen, mit irrationalen Handlungen des J. gerade rechnen. Zum anderen entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere - anders als hier - nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Eine die Vorhersehbarkeit möglicherweise beseitigende eigenverantwortliche Selbsttötung liegt nicht vor, weil es nach den Feststellungen des Landgerichts an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers, sich zu töten, gefehlt hat (vgl. dazu auch nachfolgend ee) (2) sowie BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).
43
ee) Die Kausalität des Nicht-Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Erfolges hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei ebenfalls nicht in Frage gestellt. Auch die insbesondere von Teilen des Schrifttums geforderte Zurechenbarkeit des Todes ist zu bejahen.
44
(1) Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert , dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).
45
Die danach gebotene Prüfung, ob eine ständige auch optische Überwachung von J. dessen Tod verhindert hätte, hat das Schwurgerichtvorgenommen und rechtsfehlerfrei bejaht. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn schon der zwischen dem Ansengen des Matratzenbezugs und dem Inbrandsetzen der Füllung vergangene Zeitraum sowie die festgestellten Tätigkeiten des J. , die er bis zum Inbrandsetzen vorgenommen hat, belegen hinreichend den Schluss des Landgerichts, dass bei einer ständigen optischen Überwachung der Tod von J. verhindert worden wäre.
46
(2) In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN). Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60). Auch macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60 mwN). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGH aaO).
47
Es kann dahinstehen, ob und inwiefern diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren, wenn der sich selbst Gefährdende oder Tötende hoheitlich verwahrt wird. Denn nach den Feststellungen des Schwurgerichts wollte J. sich gerade nicht selbst verletzen oder töten, sondern wollte mittels der Brandlegung das Lösen der Fixierung und seine Freilassung ohne eigene Schädigung erreichen (vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184; vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137 mwN). Auch dass J. bei der Brandlegung bewusst das Risiko einer Selbstverletzung oder -tötung eingegangen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass dieser darauf vertraut hat, dass die Polizeibeamten "alsbald" auf das Feuer aufmerksam werden und ihn (rechtzeitig) aus der Zelle holen.
48
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
49
Insbesondere ist bei Verhängung einer Geldstrafe diese bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern - wie dies das Schwurgericht getan hat - die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen , dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
50
Auch dass das Landgericht die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB nicht erörtert hat, stellt angesichts der Tatumstände und des Fahrlässigkeitsdelikten ohnehin immanenten Unterlassens der gebotenen Sorgfalt keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

V.


51
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge ebenfalls keinen Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Tötung weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
52
1. Insbesondere begegnet es im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
53
a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.
54
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.
55
b) Jedoch begegnet es aus einem anderen Grund keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
56
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass J. nach seiner Verbringung in die Gewahrsamszelle fixiert worden war. Denn diese Fesselung war zulässig. Rechtsgrundlage für sie war § 64 Nr. 3 SOG LSA (Schutz vor Selbstschädigung), dessen Voraussetzungen auf der Grundlage des vorangegangenen Verhaltens von J. und der entsprechenden - indes den Angeklagten nicht bindenden (vgl. Nummer 11.1. Satz 2 PGO) - Empfehlung des seine Gewahrsamsfähigkeit bestätigenden Arztes gegeben waren (zur Fortdauer der Fixierung: unten dd) (3) (c) (aa)).
57
Ebenso wenig kann die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Angeklagten allein deshalb angelastet werden, weil J. der Grund seiner Ingewahrsamnahme nicht mitgeteilt und er nicht belehrt wurde (vgl. dazu u.a. §§ 136, 137, 163c Abs. 1 Satz 3 StPO; § 39 SOG LSA; Nummer 15. PGO; Art. 36 Abs. 1 WÜK). Zwar erfolgte die Ingewahrsamnahme nicht mit dem Einverständnis von J. , jedoch hatte der Angeklagte, der weder die Festnahme vorgenommen hat, noch unmittelbar mit der Vernehmung von J. befasst war, nach den Feststellungen der Strafkammer keine Kenntnis davon, dass dieser weder vom Grund seiner Festnahme informiert, noch über seine Rechte belehrt worden war. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des entsprechenden Ablaufs der Ingewahrsamnahme hätte haben müssen oder er sich aus sonstigen Gründen hiervon hätte überzeugen müssen, liegen nicht vor, zumal es sich um eine gängige polizeiliche Maßnahme ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Problematik handelte.
58
bb) Ferner nimmt das Schwurgericht rechtsfehlerfrei an, dass dem Angeklagten hinsichtlich der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fortdauer der Freiheitsentziehung des J. kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Last zu legen wäre.
59
Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6; Urteile vom 7. September 2011 - 2 StR 600/10, NJW 2011, 3528, 3529; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
60
Daran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht hinsichtlich des hier maßgeblichen Zeitraums ab etwa 9.30 Uhr von einem Unterlassen ausgegangen ist. Denn der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angeklagten lag ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von J. ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun (vgl. RG, Urteil vom 20. Oktober 1893 - Rep. 2727/93, RGSt 24, 339, 340). Hinsichtlich des davor liegenden Zeitraums kann dahinstehen, ob insofern ein aktives Tun des Angeklagten (insbesondere mit der in dem Eintrag in das Buch über Freiheitsentziehungen liegenden Entscheidung ["i.O."]) oder ein Unterlassen vorliegt. Denn ein aktives Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
61
cc) Der Angeklagte war jedenfalls insofern auch Garant für den Schutz des J. vor rechtswidriger Freiheitsentziehung, als deren Rechtmäßig- keit von Handlungen oder Unterlassungen abhing, die ihm oblagen oder für die er die Verantwortung trug.
62
Denn als Dienstgruppenleiter trug er an diesem Tag die Verantwortung dafür, dass die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung nicht überschritten wird (Nummer 33.2. PGO) und der Gewahrsam "ordnungsgemäß" vollzogen wird (Nummer 2.1. Satz 4 PGO). Dementsprechend oblag es dem Angeklagten auch, dafür Sorge zu tragen, dass in den ihm bekannten Gewahrsamsfällen die der Polizei zugeordneten Voraussetzungen der gesetzesgemäßen Fortdauer einer Ingewahrsamnahme gewahrt und erfüllt werden bzw. bleiben. Deshalb hat er es zu Recht als seine Aufgabe angesehen, "das Dienstgeschehen zu überwachen" und dies auch auf den Gewahrsam von J. bezogen, für den er als Dienstgruppenleiter verantwortlich gewesen ist.
63
dd) Als sogenanntem "Beschützergaranten" (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 82 ff., 91 f. mwN) oblag dem Angeklagten eine Erfolgsabwendungspflicht, hier mithin die Pflicht, die unverzügliche Vorführung von J. beim zuständigen Richter zu veranlassen bzw. unverzüglich dessen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen.
64
(1) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 49).
65
(2) Dieser Pflichtenkreis umfasste beim Angeklagten - wie sich aus obigen Ausführungen zu seiner Garantenstellung ergibt - die Wahrung der der Polizei zugeordneten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von J. .
66
Dabei bedarf es - wie ausgeführt - schon wegen der fehlenden Kenntnis und des damit fehlenden Vorsatzes hinsichtlich eines entsprechenden Pflichtenverstoßes auch an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob die Ingewahrsamnahme von J. als solche rechtmäßig war. Maßgeblichist vielmehr, ob die Freiheitsentziehung zur Wahrung ihrer Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte mit ihr befasst war, weiteren polizeilichen Handelns bedurfte und ob bejahendenfalls der Angeklagte vorsätzlich ihm obliegende und mögliche Handlungen unterlassen hat, um einen drohenden oder bestehenden rechtswidrigen Zustand zu verhindern oder zu beseitigen.
67
Dies hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht, da dem Angeklagten bekannt war, dass die Freiheitsentziehung weder mit dem Einverständnis von J. erfolgt war noch von einem Richter angeordnet oder bestätigt worden war. Dass er hierauf gerichtete Handlungen gleichwohl unterließ, ist angesichts des Gewichts eines solchen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen und der Bedeutung der für eine solche Maßnahme erforderlichen richterlichen Entscheidung grundsätzlich geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
68
(a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit, die Freiheitsentziehung , fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, Urteil vom 30. April 1987 - 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 368 mwN; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 S 2963/11, NVwZ-RR 2012, 346; Nr. 37 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt).
69
(b) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Freiheitsrecht des J. in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich zu erholende richterliche Entscheidung voraus (vgl. zur vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat: § 128 Abs. 1 StPO; zur Festnahme zur Identitätsfeststellung: § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA; zum "Schutzgewahrsam" und zum Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit: § 38 Abs. 1 SOG LSA).
70
(c) Ausnahmen von diesem Grundsatz waren im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
71
Soweit § 128 Abs. 1, § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA die "unverzügliche" Vorführung bzw. das "unverzügliche" Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung fordern, ist dem schon im Hinblick auf den seit der Ingewahrsamnahme des J. (ca. 8.30 Uhr) und Befassung des Angeklagten (spätestens ab 8.44 Uhr) bis zum Tod des J. (nach 12.00 Uhr) vergangenen Zeitraum nicht genügt. Denn "unverzüglich" ist - wie bei Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, aaO; vom 19. Januar 2007 - 2 BvR 1206/04, NVwZ 2007, 1044, 1045; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Zwar sind nicht vermeidbar z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung , ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG aaO). Solche Umstände waren vorliegend aber nicht gegeben bzw. ihnen konnte - etwa hinsichtlich des renitenten Verhaltens des J. - durch geeignete Maßnahmen, wie sie etwa mit seiner Fesselung und der Überwachung durch Polizeibeamte schon nach der Festnahme ergriffen worden waren, zumindest so weit entgegengewirkt werden, dass eine Vorführung möglich gewesen wäre. Dass sich J. in einem Zustand befunden hat, der seine unverzügliche Vorführung schlechterdings unmöglich machte, ergeben die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Auch lagen die Voraussetzungen des § 420 Abs. 2 FamFG, die ohnehin lediglich ein Absehen von der Anhörung, nicht aber der richterlichen Befassung ermöglichen , ersichtlich nicht vor (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2012, 346). Unabhängig davon, ob der Zustand von J. dazu ausgereicht hätte, zumindest eine lediglich "symbolische" Vorführung - wie sie Nr. 51 RiStBV für Fälle des § 128 StPO vorsieht (siehe dazu auch Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 239 Rn. 23) - vorzunehmen, zielt der Richtervorbehalt auf eine Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345, 1346 [zu § 81a StPO]), erschöpft sich mithin nicht in der bloßen Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern dient auch dazu, dem Richter insbesondere in den Fällen des "Schutzgewahrsams" die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 1 BvR 338/07, NJW 2007, 3560 mwN).
72
Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden -Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. - zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG - auch BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, aaO).
73
Es bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung längere Zeit in Anspruch genommen hätte als die Identitätsfeststellung (vgl. § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO; § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA) bzw. erst nach dem Wegfall des Grundes für den "Schutzgewahrsam" ergangen wäre (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sowie VGH Baden-Württemberg aaO). Denn der 7. Januar 2005 war ein Werktag und die Vorführung wäre zu einer üblichen Arbeitszeit erfolgt, so dass - entsprechend den Feststellungen des Schwurgerichts - davon auszugehen ist, dass die richterliche Entscheidung alsbald ergangen wäre. Zudem sollte mit der erkennungsdienstlichen Behandlung von J. erst um 14.00 Uhr begonnen werden; dies war auch der vom Angeklagten prognostizierte Zeitpunkt, bis zu dem J. in der Zelle verbleiben sollte.
74
(3) Jedoch fehlt es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung.
75
(a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann - ontologisch - nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur - notwendigerweise normativen - Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die "hypothetische Kausalität" , die so genannte "Quasi-Kausalität", ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Nach ihr ist ein Unterlassen mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen und zu prüfen, ob dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, ob also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53, BGHSt 6, 1, 2; vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126; vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 93). Hierfür muss - da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt - das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Schluckebier, aaO, § 239 Rn. 8 a.E. mwN).
76
Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Ebenso wenig genügt es, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN). Vielmehr muss sich die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85, NStZ 1986, 217; vom 25. April 2001 - 1 StR 130/01; vom 6. März 2008- 4 StR 669/07, BGHSt 52, 159, 164; Urteile vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
77
Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen, bedeutet jedoch nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 127).
78
(b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende:
79
Welche Handlung eines Unterlassungstäters im Rahmen der Kausalitätsprüfung hinzuzudenken ist, bestimmt sich bei bestehenden Handlungsalternativen vorrangig danach, ob und gegebenenfalls welche von ihnen geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern. Bei erfolgsqualifizierten Delikten wie § 239 Abs. 4 StGB ist dabei der für diese Prüfung maßgebliche "Erfolg" - jedenfalls zunächst - nicht die Todesfolge, sondern der des Grunddelikts, mithin eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, da deren Verhinderung bei Vornahme einer der gebotenen Handlungen zur Straflosigkeit führen würde. Kommen dabei - wie vorliegend - alternative Handlungen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (z.B. durch Entlassen des J. aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang" von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Wille des Angeklagten als dem Unterlassenden auf die Fortsetzung des Gewahrsams gerichtet war (im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624; Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17).
80
Da die gebotene Handlung des Angeklagten bei Fortführung des Gewahrsams das Veranlassen der unverzüglichen (zumindest "symbolischen") Vorführung des J. beim zuständigen Richter bzw. das unverzügliche Herbeiführen von dessen Entscheidung war, entfällt die Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte (ähnlich für den Fall der Fixierung eines Heiminsassen ohne vormundschaftgerichtliche Anordnung: Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624). Hierbei ist eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrunde zu legen. Soweit dem Richter dabei jedoch Beurteilungsspielräume eingeräumt sind, gebietet es der Grundsatz in dubio pro reo, diese zugunsten des Angeklagten auszu- schöpfen (vgl. dazu auch Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 20 a.E.).
81
(c) Auf dieser Grundlage ist für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Gewahrsam des J. angeordnet hätte. Damit entfällt die Ursächlichkeit des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des J. .
82
(aa) Die Annahme, der zuständige Richter hätte den diesen Zeitraum umfassenden Gewahrsam des J. angeordnet, kann sich zwar nichtauf § 127 StPO (vorläufige Festnahme nach einer Straftat) bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA (Gewahrsam zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit bzw. zur Verhinderung deren Fortsetzung) stützen. Denn es war schon bei der Festnahme weder Fluchtgefahr gegeben, noch lagen die weiteren Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vor oder bestanden tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten unmittelbar bevorstehen bzw. deren Fortsetzung droht, zu deren Verhinderung die Ingewahrsamnahme von J. unerlässlich war.
83
Auch die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage für das Festhalten des J. in Betracht kommenden § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (Identitätsfeststellung für Zwecke der Strafverfolgung), des § 127 Abs. 1 StPO (in der die Identitätsfestellung betreffenden Alternative) oder von § 20 Abs. 4 SOG LSA (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr) lagen jedenfalls schon geraume Zeit vor dem unmittelbar zum Tod von J. führenden Geschehen nicht mehr vor. Denn ein hierauf gegründeter Eingriff in das Freiheitsgrundrechtdes J. kam erst dann in Betracht bzw. durfte - wenn er rechtmäßig begonnen worden war - nur fortgesetzt werden, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des J. noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig zu bestimmen. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit der bei seiner Durchsuchung aufgefundenen, mit seinem Lichtbild und seinen Personalien versehenen "Duldung" zu zweifeln. Für eine solche Annahme bestand indes ab dem Zeitpunkt, in dem die vom Angeklagten vorgenommene INPOL-Abfrage diese Personalien zumindest im Wesentlichen bestätigt hatte, kein Anhalt mehr. Jedenfalls mit dem ersichtlich zeitnah möglichen Abgleich mit dem Ergebnis bereits früher - auch in De. - durchgeführter erkennungsdienstlicher Behandlungen war die Rechtsgrundlage für ein weiteres Festhalten des J. zur Identitätsfeststellung entfallen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90, NVwZ 1992, 767; vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04, NStZ-RR 2006, 381 mwN). Selbst wenn der zuständige Richter zunächst noch die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung angeordnet hätte, wäre diese von ihm derart befristet worden, dass J. lange vor dem tödlichen Geschehen entlassen worden wäre.
84
Jedoch ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter den "Schutzgewahrsam" des J. gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte. Nach dieser Vorschrift waren die Ingewahrsamnahme und deren weiterer Vollzug zulässig, "wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet". Diese Voraussetzungen waren - am oben dargelegten Maßstab gemessen - gegeben. Denn J. war stark alkoholisiert. Die bei ihm um 9.15 Uhr entnommene Blut- probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille, die Blutalkoholkonzentration im Leichenblut betrug noch 2,68 Promille; zudem wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Hinzu kam sein - bis hin zum Anzünden der Matratze - gezeigtes selbstgefährdendes Verhalten, das schon kurz nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier und den Kopfstößen in Richtung Tisch und Wand einen Polizeibeamten zum Eingreifen zugunsten von J. gezwungen und den Arzt, der ihn auf seine Gewahrsamstauglichkeit untersucht hat, dazu veranlasst hat, die Fixierung von J. zu empfehlen. Auch war sein zunächst noch anlasslos belästigendes, später aber aggressives und - bei den Widerstandshandlungen - mit körperlicher Gewalt verbundenes Verhalten mit der Gefahr verbunden, dass sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen und hierdurch (berechtigt) die Gesundheit von J. beeinträchtigen. Dabei belegen insbesondere die hohe Alkoholisierung und das schon vor dem Eingreifen der Polizeibeamten von J. gezeigte Verhalten hinreichend, dass die Gefahr für dessen Gesundheit nicht lediglich durch die seiner (möglichen) Einschätzung nach unberechtigte Ingewahrsamnahme, sondern zumindest wesentlich durch seine Alkoholisierung und den Drogenkonsum bedingt waren.
85
Aufgrund dieser Tatsachen ist "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass der zuständige Richter - bei Ausschöpfen ihm eröffneter Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer des Gewahrsams des J. auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte.
86
Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre, bestehen nicht. Dies liegt aufgrund des von J.
gezeigten Verhaltens auch nicht nahe. Zwar darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine solche Sicherungsmaßnahme nicht länger aufrechterhalten werden als es notwendig und angemessen ist; sie ist ferner zu beenden , wenn mildere Mittel den Zweck ebenfalls erreichen würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98, NStZ 1999, 428, 429). Im Hinblick auf die bestehende Gefahr selbstgefährdenden Verhaltens des J. , das sich bis hin zum Anzünden der Matratze fortsetzte, überschritt der Zeitraum der Fixierung aber trotz der zunehmenden Dauer und der mit ihr verbundenen Belastungen aus den oben dargelegten Gründen (noch) nicht den Beurteilungsspielraum, der (auch) den Polizeibeamten bei ihrer Anordnung und dem Vollzug einer solchen Sicherungsmaßnahme zukommt. Einer besonderen richterlichen Gestattung oder Anordnung der Fixierung bedurfte es jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA; ferner BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 213/93, NJW 1994, 1339; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 28 [Stand: 2014]).
87
(bb) Für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten kommt es in Fällen parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten zwar nicht auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft an (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 87 mwN). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
88
Sollte nämlich das Verhalten anderer, für den Gewahrsam des J. verantwortlicher Polizeibeamter ebenfalls als pflichtwidrig zu bewerten sein, würde nicht eine Garantengemeinschaft im obigen Sinn vorliegen, sondern Nebentäterschaft. Denn der Angeklagte hätte allein durch eigenes Handeln , mithin unabhängig vom (Nicht-)Handeln der anderen, die ihm obliegenden Voraussetzungen für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung herbeiführen können. Ein Fall des objektiven Ineinandergreifens jeweils individuell rechtswidrigen Verhaltens im Sinn einer Garantengemeinschaft liegt daher nicht vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
89
(cc) Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Prüfung der "Quasi-Kausalität" selbst vorzunehmen.
90
Dabei steht der Entscheidung durch den Senat nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Schwurgerichts dahin versteht, dieses habe nicht feststellen können, ob die Ingewahrsamnahme von J. zu dessen Schutz unerlässlich gewesen sei. Denn die - wie ausgeführt - normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens bezieht sich nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte. Dafür stand dem Schwurgericht und steht dem Senat angesichts der von jenem rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen, im - wie die (erfolglosen) Verfahrensrügen belegen - angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung.
91
2. Soweit das Schwurgericht die Verwirklichung anderer Straftatbestände durch den Angeklagten ausgeschlossen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
92
Wegen Totschlags durch Unterlassen hätte sich der Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. BGH, Be- schluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380 mwN). Letzteres hat das Landgericht indes ebenso rechtsfehlerfrei verneint wie hinsichtlich weiterer in Betracht kommender Strafvorschriften den Vorsatz.
93
Ein strafbarer Versuch der Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) liegt nicht vor, da bei diesem der Tatplan - von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - auf einen nach der Vorstellung des Täters kausal durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolg gerichtet sein muss (vgl. SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 16, 24). An einem entsprechenden Vorsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 [Rn. 36]) fehlt es - wie oben ausgeführt - jedoch.
94
3. Auch der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

VI.


95
Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung mit Todesfolge war und ist - entgegen der Ansicht der Verteidiger des Angeklagten - nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 10).
96
Im Revisionsverfahren ist eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der dort Beteiligten nur insofern veranlasst, als diese das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 473 Rn. 10a, 15, 18 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 272/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Januar 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin ,
Herr
als gesetzlicher Vertreter der Nebenklägerin ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger
1. und
2.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger D. S. , R. S. , M. , H. , B. und Z. wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. November 2008, soweit es den Angeklagten Sp. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieser Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten - in einem Verfahren gegen insgesamt drei Angeklagte - von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung in 15 tateinheitlichen Fällen rechtlich zusammentreffend mit fahrlässiger Körperverletzung in sechs tateinheitlichen Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und sechs Nebenkläger mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Urteils, soweit es diesen Angeklagten betrifft.

I.


2
Das angefochtene Urteil betrifft den Einsturz des Daches der von der Stadt Bad Reichenhall betriebenen Eissporthalle am 2. Januar 2006. 15 Besucher fanden dabei den Tod, sechs weitere wurden schwer verletzt.
3
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten, einem Diplomingenieur (FH), Fachbereich Ingenieurbau, zur Last gelegt, er habe den Tod und die Verletzung dieser Besucher durch unzureichende Überprüfung der Dachkonstruktion der Eishalle im Rahmen eines ihm von der Stadt Bad Reichenhall erteilten Auftrags zur Ermittlung des Sanierungsaufwands fahrlässig verursacht. Unter Verletzung der gebotenen Sorgfalt habe er es unterlassen, die Träger des Daches umfassend aus nächster Nähe - „handnah“ - zu betrachten. Risse und weitere Schäden seien so unentdeckt geblieben. Auf diese mit dem gebotenen Nachdruck hingewiesen, hätten die Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall tiefer gehende Untersuchungen veranlasst und schließlich Maßnahmen ergriffen , um der Gefahr, die von der eingeschränkten Tragfähigkeit der Dachkonstruktion der Eishalle ausging, zu begegnen, etwa durch Schließung der Halle oder zumindest durch Begrenzung der Schneelast.
4
Das Landgericht hat die vorgeworfene Pflichtverletzung zwar festgestellt. Es sah es jedoch nicht mit dem erforderlichen Maß an Sicherheit für erwiesen an, dass das Fehlverhalten des Angeklagten für das Unglück ursächlich war. Denn es bestünden erhebliche Zweifel, dass die Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall die Befunde, wären sie denn vom Angeklagten erhoben und mitgeteilt worden, zum Anlass für weitere Maßnahmen genommen hätten.

II.


5
Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
6
1. Planung und Bau des Hallenkomplexes.
7
Die Stadt Bad Reichenhall betrieb seit dem Jahr 1973 auf dem Gelände Münchner Allee 18 eine Schwimm- und Eissporthalle. Die Eissporthalle wurde während der Sommermonate als Tennishalle genutzt. Es handelte sich um zwei eigenständige, von einander getrennte Gebäudeteile, die durch einen Mitteltrakt verbunden waren. Die Dächer der beiden Hallen waren jeweils als Flachdachkonstruktion in Holz-Leim-Bauweise ausgeführt. Die Eissporthalle wurde zunächst in einer zweiseitig offenen Bauweise hergestellt. Von vorneherein war die Erstellung einer rundum geschlossenen Halle ins Auge gefasst und beim Bau planerisch zu berücksichtigen. Die Verglasung der zunächst noch offenen Seiten erfolgte dann im Jahre 1977.
8
Die Planung der Eissporthalle war hinsichtlich der Tragfähigkeit der aus geleimten Holzteilen gebildeten Überdachung, einer sogenannten Kämpferträgerkonstruktion , von vorneherein mit Mängeln behaftet. Auch die Errichtung verlief nicht fehlerfrei.
9
Für die Kämpferträgerkonstruktion gab es eine allgemeine baurechtliche Zulassung. Diese erstreckte sich aber nur auf eine Ausführung der Kämpferträger als Doppel-T-Träger bis zu einer maximalen Höhe von 1,20 m. Wegen der großen Spannweite (ca. 40 m) erhielten die (ca. 48 m langen) Träger jedoch eine Höhe von 2,87 m. Außerdem entschieden sich die Planer für Hohlkastenträ- ger. Eine baurechtliche Zulassung im Einzelfall wurde nicht eingeholt. Ob diese hätte erteilt werden können, ist offen. Jedenfalls hätte die dann zuständige oberste bayerische Baubehörde besondere und erhöhte Anforderungen bezüglich der Güteklasse der Holzauswahl (ausschließlich Güteklasse I) und des verwendeten Leims (ausschließlich feuchtigkeitsunempfindliche Resorcinharzprodukte ) gestellt, Auflagen hinsichtlich der Ebenheit der Kämpferstegplatten vor der Verklebung erteilt und Hinweise auf die mindere Belastbarkeit bei der Verwendung von Generalkeilzinkenstößen sowie zur Holzfeuchte bei der Herstellung der Bauteile gegeben.
10
Tatsächlich wurde dann Holz der Güteklasse II und überwiegend feuchtigkeitsempfindlicher Formaldehydharnstoffleim (Harnstoffharzleim) verwendet.
11
Die gewählte Konstruktion bewirkte, dass die Biege-, Druck- und Zugspannungen die nach der entsprechenden DIN-Norm maximal zulässigen Werte um 42 % überschritten. Dies blieb verborgen, da der zuständige Bauingenieur die erforderlichen statischen Nachweise nicht oder unzutreffend erbrachte.
12
Die Überschreitung der zulässigen Belastungswerte führte dazu, dass statt des vorgeschriebenen statischen Sicherheitswerts von mindestens 2,1 von vorneherein nur der Faktor 1,5 erreicht wurde. Aufgrund des üblichen Alterungsprozesses war bis zum Tag des Einsturzes - ca. 33 Jahre nach der Errichtung der Eissporthalle - mit einer Minderung des Sicherheitswertes um den Faktor 0,5 - 0,6 zu rechnen, bei ordnungsgemäßer Bauweise also mit einem verbleibenden Sicherheitsfaktor von mindestens 1,5. Wegen des tatsächlich geringeren Ausgangswerts verblieb am Einsturztag rechnerisch nur noch ein Sicherheitsfaktor „unter 1“.
13
Hinsichtlich der Schneelast war zum Zeitpunkt der Errichtung der Eisspothalle - ordnungsgemäße Planung und mängelfreier Bau vorausgesetzt - 150 kg/m² der richtige Bemessungswert. In einem handschriftlichen Zettel aus der Statik wurde der Wert der maximal zulässigen Schneelast sogar mit 175 kg/m² beziffert.
14
Die Verwendung des wasserlöslichen Harnstoffharzleims hätte aufgrund dreier Aspekte keine Verwendung finden dürfen:
15
- Zum einen schon wegen der großen Spannweite und der damit bedingten hohen Belastung der Konstruktion.
16
- Weiter wegen der erhöhten Feuchtigkeit (Kondenswasser) in geschlossenen Hallen. Hierauf hatte der Architekt der Halle schon in seinem Schreiben vom 22. Juli 1971 an die Stadt Bad Reichenhall hingewiesen.
17
- Schließlich wegen der sogenannten Blockverklebung der vorgefertigten Stege auf die vorgefertigten Gurte statt der Verbindung der einzelnen Brettlagen durch Nagelpressklebung. Die Blockverklebung - sie war nicht Stand der Technik - hatte zur Folge, dass die Klebefugen häufig größer als ein Millimeter waren. Dann ist Harnstoffharzleim nicht mehr geeignet.
18
Statt des Harnstoffharzleims hätten in allen Bereichen Resorcinharzprodukte als Klebstoff verwendet werden müssen. Die Mehrkosten bezifferte der Architekt seinerzeit auf 25.000,-- DM.
19
Über die Planungsfehler hinaus war der Herstellungsprozess mangelhaft , da die Zinkenprofile der Generalzinkenstöße der Stegplatten und die Generalkeilzinkenstöße der Gurte unterschiedliche Profile aufwiesen, so dass die Verklebungen nicht durchgehend gleichmäßig waren, und da zwischen der Fräsung der Kämpferstegplatten und deren Verklebung zur fertigen Trägerlänge beim Transport mehr als die nach DIN zulässige Maximalzeit von 24 Stunden verstrichen war.
20
2. Die Betriebszeit.
21
Die ständige Feuchtigkeit als Folge bauphysikalisch bedingter Kondenswasserbildung löste den Harnstoffleim im Laufe der Zeit immer weiter auf. Dies schwächte die - ohnehin vermindert tragfähige - Dachträgerkonstruktion bis sie schließlich nicht mehr in der Lage war, die - bei starkem Schneefall - erforderlichen Lasten zu tragen.
22
Hinzu kam Folgendes, wenn dies auch - wie die Untersuchungen nach dem Unglück am 2. Januar 2006 ergaben - für den Einsturz der Halle nicht ursächlich war:
23
- Wegen Mängeln in der Dacheindeckung (zu geringe Neigung) und zu gering bemessener Regenablaufrohre kam es während der gesamten Betriebsdauer der Eissporthalle immer wieder zu größeren Wassereinbrüchen, woran auch Nachbesserungsarbeiten im Jahre 1975 nichts änderten. Seit Ende der siebziger Jahre wurden an den Hohlkastenträgern deutliche Wasserablaufspuren und Wasserflecken erkennbar.
24
- Mit der Verglasung der Eissporthalle im Jahr 1977 erfolgte der Einbau von vier Abluftanlagen auf die Dachfläche mit einem Gewicht von jeweils 575 kg. Dies erfolgte ohne Baugenehmigungsverfahren und ohne statische Überprüfung.
25
Bei einer Untersuchung der Sekundärkonstruktion über dem Dach der Schwimmhalle hatte der Angeklagte schon im Jahre 2001 in einem Kurzgutachten in diesem Bereich starke Beschädigungen und fehlende Standfestigkeit die- ses Teils festgestellt, die er auf die besonderen klimatischen Verhältnisse in der Schwimmhalle zurückführte. Dem Tragwerk des Daches der Schwimmhalle attestierte er in einem weiteren Kurzgutachten vom Mai 2002 zwar uneingeschränkte Tragfähigkeit. Er wies aber darauf hin, dass die Rohrleitungssysteme in diesem Bereich in äußerst bedenklichem Zustand seien. Die in Folge drohender Undichtigkeiten eintretenden Durchnässungen hätten dann negativen Einfluss auf die gesamte Holzkonstruktion mit möglichen Schäden, die nicht ohne weiteres erkannt werden könnten.
26
Außerdem weise - so der Angeklagte schon im Jahre 2001 - die frei tragende Vordachkonstruktion über dem Eingangsbereich der Hallen erhebliche Schäden auf. „Die Tragfähigkeit der Holzleimbinder scheint nicht mehr gegeben , da sich die einzelnen Leimverbindungen bereits lösen. ... Eine Sanierung kann nur durch Ersatz des gesamten Vordachs erfolgen.“
27
Der Angeklagte wiederholte diese Hinweise auf Mängel bei der Schwimmhalle und am Vordach in der hier maßgeblichen Studie für die Sanierung des Gesamtkomplexes im März 2003.
28
Die Stadt Bad Reichenhall sah sich zunächst nicht veranlasst, bezüglich der im Jahr 2001 festgestellten Mängel irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Erst als im Jahr 2005 ein Bauteil des Vordachs heruntergefallen war, wurde die Stadt tätig, indem sie das Vordach abstützte und später abriss.
29
Die Strafkammer „ist der Überzeugung“, dass die Stadt möglichst wenig Geld in den Hallenkomplex investieren wollte. Insbesondere ab dem Jahr 2000 wurde seitens der Stadt nur mehr das unbedingt Nötigste veranlasst aufgrund finanzieller Probleme und der Unschlüssigkeit darüber, was mit der Halle geschehen sollte.
30
Seit dem Jahr 2001 stellte die Stadt Bad Reichenhall - allgemeine - Überlegungen an, was mit dem Gebäudekomplex Eislauf- und Schwimmhalle in Zukunft geschehen solle, da die Technik insbesondere der Schwimmhalle veraltet und der Betrieb unwirtschaftlich war. Dabei war für die Stadt auch eine Option, den Gebäudekomplex vollständig abzureißen. In diesem Zusammenhang sollte vorab der im Falle einer Sanierung erforderliche Aufwand ermittelt werden.
31
Dazu trat die Stadt zunächst an den Architekten J. heran. Dieser sollte die Schwimm- und Eissporthalle begutachten, um erforderliche Sanierungskosten zu ermitteln und die Frage zu klären, ob sich eine Sanierung bei der vorhandenen Bausubstanz überhaupt lohne. Bei einem deshalb anberaumten Ortstermin fielen dem Zeugen in der Eishalle Betonschäden und an den Nebenträgern des Dachtragewerks Wasserspuren auf. Aufgrund des „augenfälligen Zustands des gesamten Gebäudekomplexes“ teilte der Zeuge mündlich und zudem mit Schreiben vom 9. Juli 2002 den Verantwortlichen der Stadt mit, dass, bevor ein Sanierungsplan mit Kostenschätzung gemacht werden könne, Spezialfachleute das Gebäude genauer, d.h. in ausreichender Tiefe untersuchen müssten. Nachdem der Zeuge dann wochenlang nichts mehr von der Stadt gehört hatte, rief er dort an. Er bekam die Auskunft, dass man es sich anders überlegt habe.
32
Nach den Darlegungen eines von der Strafkammer gehörten Sachverständigen hätte eine umfassende und tiefgehende Untersuchung, insbesondere eine ordnungsgemäße und fachgerechte Standsicherheitsprüfung mindestens 30.000,-- € gekostet.

33
3. Der dem strafrechtlichen Vorwurf zugrunde liegende Vorgang.
34
Statt des Architekten J. wurde nunmehr der Angeklagte am 27. Januar 2003 mit der Abgabe des hier maßgeblichen Bestandsgutachtens - später auch Studie genannt - gegen eine Pauschalvergütung in Höhe von 3.000,-- € einschließlich Mehrwertsteuer, beauftragt.
35
Gefordert waren in einem „Gesamtgutachten“ - so die Strafkammer - mit den „technischen Erläuterungen“ die Kostenschätzungen für die als notwendig erkannten Sanierungsmaßnahmen für folgende Bauteile: Dachhaut, Dachkonstruktion , Dachentwässerung, Abdichtungen, Stahlbetonkonstruktion und Fassadenkonstruktion der Schwimm- und der Eislaufhalle, Sekundärdachkonstruktion und Wärmedämmung der Schwimmhalle, Abdichtungen und Stahlbetonkonstruktion der Tiefgarage sowie Bodenaufbau, Dämmung und Estrich der Eislaufhalle. „Die Erstellung eines Standsicherheitsgutachtens war seitens der Stadt Bad Reichenhall nicht in Auftrag gegeben worden und auch nicht gewollt“. Der Angeklagte war deshalb auch nicht verpflichtet, die statischen Unterlagen anzusehen und zu überprüfen.
36
Dagegen war eine „handnahe“ Untersuchung, so die Feststellung der sachverständig beratenen Strafkammer, also eine Betrachtung der gesamten Dachkonstruktion aus nächster Nähe vom Auftrag umfasst.
37
Der Angeklagte überprüfte den Gebäudekomplex bei Ortsterminen, nachdem ihm verschiedene Unterlagen hierzu übergeben worden waren. Eine (geprüfte) Statik über die Dachkonstruktion befand sich nicht darunter.
38
Die gebotene „handnahe“ Untersuchung der Dachkonstruktion, insbesondere aller Leimbinder, nahm der Angeklagte dabei nicht vor. Vielmehr untersuchte er lediglich den ersten Leimbinder genauer, der einen deutlich sichtbaren Wasserfleck aufwies, ohne hier jedoch Schäden festzustellen. Die übrigen Leimbinder begutachtete er nur mit einem Teleobjektiv im Bereich der Auflager der Träger auf den Betonpfeilern. Bei einer „handnahen“ Überprüfung hätte der Angeklagte offene Fugen zwischen der Verleimung der Untergurte und den seitlichen Stegplatten und Verfärbungen an den Kleinfugen der Holzkonstruktion vorgefunden. In den Fugen hätte man feststellen können, dass hier brüchige Leimverbindungen vorliegen. Die Verfärbungen wären Hinweise auf das Eindringen von Feuchtigkeit in die Holzkonstruktion gewesen.
39
Unter dem Datum des 13. Februar 2003 erstellte der Angeklagte eine Grobgliederung für einen Maßnahmenkatalog, die er dem Bauamt der Stadt Bad Reichenhall übergab. Darin führte er aus, die Dachkonstruktion der Eishalle sei in Ordnung. Anschließend fand ein weiterer Ortstermin statt.
40
Das Ergebnis seiner Untersuchungen fasste der Angeklagte dann in seiner „Studie für die Sanierung des Bauvorhabens Eislauf- und Schwimmhalle, Münchner Allee 18 in 83435 Bad Reichenhall“ vom 21. März 2003 zusammen. Darin führte er unter anderem aus: „… baulicher Zustand der Eislaufhalle: Die Tragkonstruktionen - sowohl Holz- als auch Stahlbetonkonstruktion der gesamten Eissporthalle - befinden sich in einem allgemein als gut zu bezeichnenden Zustand. In der Holzkonstruktion sind lediglich Wasserflecken aufgrund von Unregelmäßigkeiten/Wassereinbrüchen aus der Dachentwässerung festzustellen. Diese haben jedoch weder auf die Qualität noch auf die Tragfähigkeit des Tragwerks Einfluss. Schäden sind aufgrund der aufgetretenen Durchfeuchtung nicht erkennbar. … Fazit: Abschließend ist festzustellen, dass die Gesamtanlage aus tragwerkplanerischer Sicht einen guten Eindruck macht.“
41
Der Angeklagte schrieb ergänzend, dass aufgrund der Lebensdauer der Anlage verschiedene Bauteile nunmehr sanierungs- bzw. erneuerungsbedürftig seien. Insbesondere gelte dies für die Dachkonstruktion der Schwimmhalle mit ihren untergeordneten Bauteilen, die umlaufende Attikaverkleidung in der Schwimm- sowie in der Eislaufhalle, Betonsanierungsarbeiten in der Eislaufhalle , sowie die Kompletterneuerung des Eingangsbereichs. Einen Sanierungsoder Erneuerungsbedarf hinsichtlich der Dachkonstruktion der Eissporthalle erwähnte der Angeklagte nicht.
42
4. Weiteres zur Betriebszeit.
43
Im März 2004 erstellte der Architekt L. , Referent für Bäderbau des Bayerischen Schwimmverbands, im Auftrag der Stadt Bad Reichenhall nach einer Ortsbesichtigung eine Stellungnahme, in der er betonte, dass jedenfalls bezüglich der Dachkonstruktion der Schwimmhalle genauere Untersuchungen nötig seien. Eine Reaktion seitens der Stadt erfolgte hierauf nicht.
44
Während der gesamten Dauer der Betriebszeit der Eislaufhalle erfolgte keine Behandlung der Dachträger, wie z.B. das Aufbringen eines Schutzan- strichs. Genauso wenig sah sich die Stadt Bad Reichenhall veranlasst, zu irgend einem Zeitpunkt eine Überprüfung der Leimhölzer durch einen Sachverständigen auf ihre Tragfähigkeit vorzunehmen, obwohl aufgrund der häufigen Wassereinbrüche und der sichtbaren Wasserablaufbahnen an den Trägern hierzu Anlass bestanden hätte. Bis zum Zeitpunkt des Einsturzes am 2. Januar 2006 hatte die Stadt Bad Reichenhall auch keine konkreten Maßnahmen für eine Sanierung oder Erneuerung des Gebäudekomplexes in die Wege geleitet. Im städtischen Bauamt bestanden bei den Verantwortlichen bis dahin keine Bedenken hinsichtlich der Standsicherheit der Dachkonstruktion. Tatsächlich bestand trotz aller Mängel keine akute Gefahr des Einsturzes der Eissporthalle, sofern nicht zusätzliche Belastungen, etwa durch Schnee, hinzukamen.
45
5. Der Einsturz der Halle.
46
Bedingt durch Schneefälle vor und am 2. Januar 2006 befand sich auf dem Dach der Eissporthalle eine hohe Schneedecke. Am Vormittag des 2. Januar 2006 ermittelte der Betriebsleiter um 10.00 Uhr eine Schneelast von 166 kg/m². Dies empfand er im Hinblick auf den ihm vorliegenden oben genannten Zettel aus einer Statik mit dem darauf vermerkten Belastungsgrenzwert von 175 kg/m² als unproblematisch. Möglicherweise betrug die Schneelast zu dem genannten Zeitpunkt sogar nur 146 kg/m² und lag damit unter dem zur Bauzeit als statisch richtig angesehenen Höchstwert von 150 kg/m². Deshalb entschloss sich das Betriebspersonal, - erst - nachdem vom Deutschen Wetterdienst eine Warnung vor weiteren starken Schneefällen ab 15.00 Uhr herausgegeben worden war, die Eissporthalle ab 16.00 Uhr nach Beendigung des Publikumslaufs zu sperren, um das Dach am nächsten Tag vom Schnee räumen zu lassen, wie dies in früheren Jahren schon geschehen war. Nicht berücksichtigt waren bei diesen Werten, die das Betriebspersonal zum Maßstab nahm, die konstruktiven und baulichen Mängel und die alterungsbedingte Schwächung der Dachkonstruktion , die deshalb tatsächlich nicht mehr in der Lage war, die Lasten zu tragen.
47
Um 15.55 Uhr stürzte das Dach der Eissporthalle ein. 15 Menschen wurden durch herabfallende Teile getötet, sechs weitere wurden schwer verletzt.

III.


48
1. Das Landgericht hat die Pflichtverletzung des Angeklagten in der Unterlassung der „handnahen“ Untersuchung der Dachkonstruktion gesehen, also in der fehlenden Begutachtung der Dachträger aus nächster Nähe. Ohne diese hätte er in seiner Bestandsstudie vom 21. März 2003 den guten Zustand der Dachkonstruktion nicht bescheinigen dürfen.
49
Bei einer „handnahen“ Untersuchung hätte der Angeklagte die oben genannten Schäden (offene Fugen zwischen der Verleimung der Untergurte und den seitlichen Stegplatten, Verfärbungen an den Kleinfugen der Holzkonstruktion , brüchige Leimverbindungen, mit den Verfärbungen Hinweise auf das Eindringen von Feuchtigkeit in die Holzkonstruktion) feststellen können. Dies hätte ihn dann veranlassen müssen, der Stadt eine aufwändigere und tiefergehende Untersuchung vorzuschlagen. In Betracht gekommen wäre die Erweiterung seines Auftrags oder die Hinzuziehung weiterer Spezialsachverständiger. Dies hätte der Angeklagte nachdrücklich empfehlen sowie eine statische Standsicherheitsprüfung anraten müssen.

50
Den Schwerpunkt der Pflichtverletzung des Angeklagten hat die Strafkammer im Unterlassen der „handnahen“ Untersuchung gesehen und nicht in der Bescheinigung des guten Zustandes der Tragekonstruktion in seiner in Schriftform übersandten Studie.
51
2. Die Strafkammer hat allerdings nicht mit dem erforderlichen Maß an Sicherheit festzustellen vermocht, dass das Fehlverhalten des Angeklagten für den Einsturz der Halle am 2. Januar 2006 ursächlich war. Die Kammer hat sich nicht davon überzeugen können, dass der tatsächlich eingetretene Erfolg bei pflichtgemäßem Handeln des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre.
52
Aufgrund der pflichtgemäßen Untersuchungen wäre kein Zustand festgestellt worden, der ein sofortiges Handeln unbedingt erfordert hätte, weil etwa akute Einsturzgefahr bestanden hätte.
53
Aufgrund dessen, dass die oben geschilderten Vorgänge, die schon genügend Anlass zu tiefergehenden Untersuchungen hätten geben müssen, nicht fruchteten, hat es die Strafkammer sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen , dass entsprechende Vorschläge des Angeklagten zu weitergehenden Untersuchungen bei den Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall Gehör gefunden hätten. Darauf weise insbesondere hin, dass die entsprechenden Forderungen der Architekten J. im Juli 2002 und L. im März 2004 zu genaueren Untersuchungen unbeachtet blieben.

IV.


54
Der Freispruch des Angeklagten hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, da die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern ist.
55
1. Die Strafkammer ist von zutreffenden rechtlichen Überlegungen ausgegangen.
56
a) Der Angeklagte hatte im Rahmen des ihm von der Stadt Bad Reichenhall erteilten Prüfungsauftrags zur Feststellung des Sanierungsbedarfs der Eishalle eine von der Stadt übernommene - abgeleitete - Garantenstellung gegenüber der Allgemeinheit. Im Rahmen des Umfangs seines Prüfungsauftrags hatte er alles zu tun, um mögliche Gefahren für Leib und Leben der Besucher der Eissporthalle zu vermeiden.
57
aa) Begehen durch Unterlassen ist nach § 13 Abs. 1 StGB nur dann strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv tätig zu werden. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt deshalb voraus, dass der Täter als Garant für die Abwendung des Erfolgs einzustehen hat (BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00 - [BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 16] m.w.N.).
58
bb) Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Schadensabwendung dem Herbeiführen des Schadens gleichzustellen , ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entscheidung letztlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und des Verantwortungsbereichs der Beteiligten. Vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften reichen demgemäß nicht ohne weiteres zur Begründung einer strafbewehrten Garantenpflicht aus. Eine strafrechtlich relevante Hinweis- und Aufklärungspflicht im Rahmen vertraglicher Beziehungen setzt deshalb voraus, dass besondere Umstände - wie etwa ein besonderes Vertrauensverhältnis, eine ständige Geschäftsverbindung , überlegenes Fachwissen oder generell Situationen, in denen der eine darauf angewiesen ist, dass ihm der andere die für seine Entschließung maßgebenden Umstände offenbart - vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00 - [BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 16]; Beschl. vom 22. März 1988 - 1 StR 106/88; Urt. vom 15. Juni 1954 - 1 StR 526/53 - [BGHSt 6, 198, 199]; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 22 f.).
59
cc) Nach diesen Maßstäben oblag es dem Angeklagten - der auch bereits zuvor für die Stadt Bad Reichenhall Begutachtungen in Bezug auf etwaige Bauwerksmängel der Eis- und Schwimmhalle vorgenommen hatte und der als Bauingenieur über entsprechendes Fachwissen verfügte -, die im Rahmen des ihm erteilten Auftrags erforderlichen Untersuchungen der Eishalle auf bauliche Mängel ordnungsgemäß vorzunehmen. Dazu gehörte auch, die Stadt Bad Reichenhall bei der Schätzung des Sanierungsbedarfs über die im Rahmen seines Prüfungsauftrags erkennbaren Hinweise auf gravierende Mängel zu unterrichten. Nur so konnte die Stadt gegebenenfalls Maßnahmen zur Abwendung der davon ausgehenden Gefahren für Leib und Leben der Besucher der Eissport- halle veranlassen. Diese - neben die Verantwortlichkeit der Stadt Bad Reichenhall als Betreiberin der Eissporthalle tretende - Garantenstellung des Angeklagten erwuchs aus seiner Übernahme der Feststellung von Bauwerksmängeln im Rahmen des Gutachtensauftrags. Sie bezog sich auch auf die Beseitigung der von diesen Mängeln für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahren. Denn die vertragliche Übernahme der Feststellung sanierungsbedürftiger Bauwerksmängel begründete zugleich eine Schutzfunktion gegenüber der Allgemeinheit, die in den durch eine unzureichende Mängelfeststellung und -beseitigung geschaffenen Gefahrenbereich geraten würde.
60
b) Der sachkundige Angeklagte, ein Bauingenieur, musste auch wissen, dass - selbst nur pauschale - Aussagen zum Sanierungsbedarf der Dachkonstruktion nicht verlässlich gemacht werden können, ohne die Leimbinder aus nächster Nähe auf Risse und Fugen hin zu überprüfen. Die möglichen Konsequenzen unzureichender Prüfung und damit weiterhin verborgen gebliebener Mängel in der Dachkonstruktion eines in die Jahre gekommenen Hallenkomplexes mit großer Spannweite, bei der er selbst schon - gerade an Leimverbindungen - erhebliche Schäden festgestellt hatte, waren für ihn vorhersehbar.
61
c) Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung sind Erfolgsdelikte. Strafbarkeit liegt bei diesen nur dann vor, wenn das tatbestandsrelevante Verhalten den Erfolg verursacht, wenn der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht. Folgenlose Fahrlässigkeit ist nur bei fahrlässigen Tätigkeitsdelikten (z.B. § 316 Abs. 2 StGB) strafbar und kann gegebenenfalls als Gefährdungsdelikt erfasst werden. „Fahrlässiger Versuch“ ist straflos (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 179).
62
Zur Beurteilung der Kausalität bei den (unechten) Unterlassungsdelikten ist auf die hypothetische Kausalität, die so genannte „Quasi-Kausalität“ abzustellen. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung zu setzen, wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53 - [BGHSt 6, 1, 2]; Urt. vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96 - [BGHSt 43, 381, 397]; Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89 [BGHSt 37, 106, 126]; Urt. vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01 - [BGHSt 48, 77, 93]; Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 70; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 13 Rdn. 61; Kudlich in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB § 13 Rdn. 10; Fischer, StGB 57. Aufl. Vor § 13 Rdn. 39 jew. m.w.N.).
63
Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten also nur dann angenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht dazu gekommen wäre, wenn der Erfolg nicht unabhängig davon eingetreten wäre. Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Vielmehr muss sich dies aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichten, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57 - [BGHSt 11, 1]; Beschl. vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85 -; Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89 - [BGHSt 37, 106, 126 f.]; Urt. vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99 - [BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1]; Beschl. vom 6. März 2008 - 4 StR 669/07 - [BGHSt 52, 159, 164]).
64
Es genügt nicht, dass ein Unterlassen der gebotenen Handlung das Risiko erhöht (zur Risikoerhöhungstheorie vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 193). Es kann hier dahinstehen, ob Ursächlichkeit angenommen werden kann, wenn bei Vornahme der Handlung der Erfolg zwar nicht vermieden, aber mit Sicherheit die dem Erfolg zugrunde liegende Gefahrensituation durch Beeinflussung des Kausalverlaufs verändert worden wäre (so Roxin, Kausalität und Garantenstellung bei den unechten Unterlassungen, GA 2009, 73, 76 f.).
65
Die nach den bisherigen Feststellungen vorliegende Situation nacheinander erfolgter Unterlassungen ist nicht mit der auf gleicher Ebene angesiedelten Entscheidung von Kollektivorganen vergleichbar, nichts zu veranlassen, (vgl. dazu BGH, Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89 - [BGHSt 37, 106] - Lederspray -Fall) bzw. mit kollektivem Untätigbleiben der Mitglieder entsprechender Gremien (vgl. dazu BGH, Urt. vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01 - [BGHSt 48, 77] - Politbüro-Fall). Beschließen etwa die Geschäftsführer einer GmbH einstimmig, eine gebotene Handlung zu unterlassen, so liegt - nur - hinsichtlich dieser Entscheidung selbst mittäterschaftliches Handeln vor. Keiner der Beteiligten kann dann seinen Beitrag zu dieser Pflichtverletzung damit in Frage stellen, dass er sich darauf beruft, im Falle seines Widerspruchs wäre er überstimmt worden (BGHSt 37, 106, 129). Entsprechendes gilt beim stillschweigenden Konsens der Angehörigen eines Gremiums, dem die Schadensabwendungspflicht als Ganzes obliegt, nichts zu tun. Auch dann kann sich keines der - parallel - schweigenden Mitglieder darauf berufen, sein Widerspruch hätte ohnehin kein Gehör gefunden. Die Frage, ob die so getroffene Kollegialentscheidung - das kollektive Unterlassen, die kollektive Pflichtwidrigkeit - für den Erfolg kausal war, beantwortet sich auch dann nach den Regeln der hypothetischen Kausalität (vgl. BGHSt 37, 106, 126 f.).
66
2. Allerdings ist die Beweiswürdigung, aufgrund derer die Strafkammer zum Ergebnis fehlender Ursächlichkeit des Pflichtenverstoßes für den Tod und die Verletzung der Besucher der Eishalle am 2. Januar 2006 kommt, nicht frei von Rechtsfehlern.
67
a) Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg feststehen, besagt nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89 - [BGHSt 37, 106, 127]). Da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt, muss das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden. Hierbei „nach höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit abzustufen, trifft die Art und Weise der Überzeugungsbildung nicht“ (Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 72).
68
b) Die Strafkammer hat für ihre Bewertung, die Verantwortlichen der Stadt wären entsprechend ihrer bisherigen Handhabung auf jeden Fall untätig geblieben, insbesondere darauf abgestellt, dass auch der Architekt J. im Jahre 2002 - wie später auch noch der Architekt L. im Jahre 2004 - vergebens vertiefte Untersuchungen anregten. Dabei hat sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt, dass sich die Entscheidungsgrundlage für die Verantwortlichen der Stadt bei pflichtgemäßer „handnaher“ Untersuchung der Deckenkonstruktion der Eissporthallendecke durch den Angeklagten nicht vergleichbar dargestellt hätte. Der Architekt J. hatte zwar - bei oberflächlicher Betrachtung zur Abklärung der Frage, ob er einen Prüfungsauftrag über- haupt übernimmt - Mängel erkannt, wie Betonschäden und Wasserspuren sowie einen - gemeint ist wohl: schlechten - Allgemeinzustand. Dies führte dann bei ihm, wie im Jahre 2004 beim Architekten L. , - nur - zur Einsicht, ohne vertiefte Untersuchungen sei der Sanierungsbedarf nicht zu ermitteln. Auf konkrete Schäden, die erhöhte Risiken unmittelbar hätten signalisieren können, haben beide nicht hingewiesen. Das konnten und mussten sie auch nicht. Demgegenüber hätte der Angeklagte bei „handnaher“ Untersuchung im Februar/März 2003 signifikante, konkret auf Gefahr hindeutende Erscheinungen an Trägerelementen der Dachkonstruktion der Eissporthalle entdeckt und diese Information an die Stadt weitergegeben. Insbesondere Hinweise auf die brüchigen Leimverbindungen wären Alarmsignale gewesen, selbst wenn bei der Stadt Unkenntnis darüber geherrscht haben sollte, dass weitgehend wasserlöslicher Klebstoff verwendet worden war. Das Ausmaß der Schäden und der Umfang der tatsächlichen Gefahr wären zwar erst bei weitergehenden Untersuchungen zutage getreten. Dass das Aufdecken konkreter auf eine mögliche Gefahrenlage hindeutender Schäden an der Tragkonstruktion bei den Verantwortlichen der Stadt überhaupt keine Reaktion ausgelöst hätte, hätte jedenfalls der Erörterung bedurft.
69
c) Als durchgreifender Darstellungsmangel (Lücke) erweist sich in diesem Zusammenhang insbesondere, dass sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt hat, ob die Stadt bei einer Mitteilung der oben genannten, konkreten auf eine potentielle Gefahrenlage hinweisenden Mängel im Tragwerk des Daches der Eissporthalle nicht wenigstens für den Fall höherer Schneelasten vorsorglich mit einer Begrenzung des Betriebs bzw. der Veranlassung früherer Räumung des Daches reagiert hätte. Im Hinblick auf das Alter der Halle und in Kenntnis der früheren Warnhinweise (Mängel an der Dachkonstruktion der Schwimmhalle, Auflösung der Leimverbindungen am Vordach, herabstür- zende Teile) hätte es sich den zuständigen Mitarbeitern im Bauamt der Stadt Bad Reichenhall dann aufdrängen können, dass nicht mehr ohne weiteres von der zum Zeitpunkt der Erbauung des Hallenkomplexes statisch maximal zulässigen Schneelast ausgegangen werden darf. Zumal die Stadt nach den bisherigen Feststellungen den Kostenaufwand für eine vertiefte Untersuchung scheute , hätte es möglicherweise nahe gelegen, dass sie dann zunächst die kostengünstigere Variante gewählt hätte und dem Betriebspersonal neue Anweisungen für die während des Betriebs der Halle maximal zulässige Belastung des Daches mit Schnee gegeben hätte. Auch dies hätte jedenfalls der Erörterung bedurft.
70
d) Vor allem aber hätte sich die Strafkammer mit folgender Frage auseinandersetzen müssen, die sich ihr nach den bisherigen Feststellungen hätte aufdrängen müssen:
71
Es liegt nicht fern, dass der Angeklagte mit seiner positiven Äußerung in seiner Studie vom 21. März 2003 zur Tragkonstruktion - auch des Daches der Eissporthalle - der Erwartungshaltung seitens der Verantwortlichen der Stadt entsprechen wollte. Diese waren möglicherweise erkennbar an einer solchen kostengünstigen - scheinbar - zweifelsfreien sachverständigen Äußerung interessiert. Denkbar ist dann, dass ihnen eine solche Information willkommen war, um teure tiefergehende Untersuchungen zu vermeiden und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen vordergründig risikolos hinausschieben zu können.
72
Folgende Punkte könnten hierauf hindeuten:
73
Nach den bisherigen Feststellungen bestand keine Pflicht des Angeklagten zur Überprüfung der Standsicherheit der Hallen. Er ermittelte deren Stand- festigkeit und die Tragkraft der Dachkonstruktion auch nicht. Er äußerte sich in seiner „Studie“ vom 21. März 2003 gleichwohl - zwar vorsichtig (guter Eindruck, allgemein als gut zu bezeichnender Zustand) - aber letztlich ausdrücklich positiv zur Tragfähigkeit sowohl der Stahlbeton- wie auch der Holzkonstruktion. Dies lag außerhalb des Auftrags. Und er äußerte sich zudem zur Tragkonstruktion der Eissporthalle, ohne sich hierzu eine ausreichende Erkenntnisgrundlage verschafft zu haben. Dessen dürfte er sich als Fachmann auch bewusst gewesen sein. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass er selbst bereits im Jahre 2001 am Vordach des Eingangsbereichs beschädigte Leimverbindungen festgestellt hatte. Außerdem wies der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Äußerung zur Sekundärkonstruktion des Daches der Schwimmhalle und zum dortigen Rohrsystem selbst darauf hin, dass eindringendes Wasser zu Schäden führt, die nicht leicht von außen erkennbar sind. Trotz allem stellte er seine positiven Äußerungen nicht unter den Vorbehalt vertiefter Überprüfungen. Der allgemeine Hinweis, dass Teile der in die Jahre gekommenen Hallenkomplexe einer Sanierung bedürften, beinhaltet dies jedenfalls nicht, zumal das Dach der Eissporthalle dabei gerade nicht genannt wird.
74
Auch den Verantwortlichen der Stadt waren nach den bisherigen Feststellungen die genannten früheren Warnhinweise (Vordach und Schwimmhalle) und das Alter der Halle bekannt. Sie hätten wohl auch erkannt haben können, dass der Auftragsumfang (kein Gutachten zur Standfestigkeit) und das Auftragsvolumen (3.000,-- €) im Widerspruch standen zu der uneingeschränkt positiven Aussage des Angeklagten zum Tragwerk - auch des Daches - der Eissporthalle ohne jeden Vorbehalt vertiefter Prüfungen. Denn auch im zuständigen Amt der Stadt dürften Fachleute mitgewirkt haben. Die Verantwortlichen der Stadt könnten die positive Aussage zum Tragwerk der Halle in der „Studie“ des Angeklagten als willkommenen - nur scheinbar - tragfähigen und bewusst nicht hinterfragten Freibrief dafür genommen haben, weiterhin keine ernsthaften Aktivitäten zur Abwehr von Gefahren zu entfalten, die bei einer 33 Jahre alten, möglicherweise in einem ersichtlich schlechten Zustand befindlichen und nie auf ihre Standfestigkeit überprüften Halle dieser Bauweise nicht völlig auszuschließen waren.
75
Dies hätte jedenfalls der Erörterung bedurft.
76
Denn damit könnte sich die Auswirkung der - nach den bisherigen Feststellungen vorwerfbar - auf unzureichender Grundlage erstellten „Studie“ des Angeklagten auf das Verhalten der Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall anders, als bisher festgestellt, darstellen. Der Schwerpunkt könnte dann beim positiven Tun, der Abgabe dieser Erklärung liegen. Dessen Ursächlichkeit für die Untätigkeit der Stadt und in der Folge für den Einsturz und für den Tod sowie die Verletzungen der Besucher am 2. Januar 2006 könnte sich bei entsprechenden Feststellungen dann geradezu aufdrängen.
77
Sollte sich das Verhalten der Verantwortlichen der Stadt in diesem Zusammenhang ebenfalls als pflichtwidrig herausstellen, könnte Nebentäterschaft mit einer Fahrlässigkeitstat des Angeklagten vorliegen. Zwar kann die Zurechnung eines Erfolgs nicht allein auf ein bloßes objektives Ineinandergreifen jeweils individuell fahrlässigen Verhaltens gestützt werden. Denn bei fahrlässigen Delikten entfällt die bei Vorsatztaten begrenzende Funktion der Zurechnung des Tatplans (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 26). Wenn sich jedoch in der Pflichtwidrigkeit des einen auch die Pflichtwidrigkeit des anderen verwirklicht, kann Nebentäterschaft gegeben sein (vgl. Fischer aaO § 15 Rdn. 16c, vgl. auch BGH, Urt. vom 22. Januar 1953 - 4 StR 417/52 - [BGHSt 4, 20, 21]). Da die Mitursächlichkeit jedes Tatbeitrags auch in diesen Fällen erwiesen sein muss, wird der Begriff der Nebentäterschaft zwar heute vielfach als überflüssig angesehen (vgl. etwa Schünemann in LK 12. Aufl. § 25 Rdn. 222). In Fällen der vorliegenden Art könnte dies die gemeinsame Verursachung - ohne dass Mittäterschaft vorliegt - jedoch treffend kennzeichnen, zumal in derartigen Fällen hinsichtlich der Zurechnung des Erfolgs auch normative Gesichtspunkte von Bedeutung sein könnten (vgl. Murmann in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB § 25 Rdn. 3; Kudlich aaO Vor § 13 Rdn. 38, 48 ff.).
78
Mittäterschaftliche Verursachung läge vor, wenn zwischen dem Angeklagten und den Verantwortlichen der Stadt gar - ausdrücklich oder stillschweigend - bewusstes Zusammenwirken festzustellen wäre.
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3. Nach allem bedarf die Sache daher - diesen Angeklagten betreffend - der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
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