Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2002 - 4 StR 18/02

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht stützt die Verurteilung des bisher nicht bestraften Angeklagten , der sich zur Sache nicht eingelassen hat, ausschließlich auf die Angaben des Zeugen D. . Dieser Zeuge konsumierte seit Anfang 1998 Heroin und ist wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Frei-
heitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage oder - wie hier - nur die Aussage eines einzigen Belastungszeugen zur Überführung des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten zur Verfügung steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, muû die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen werden. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daû der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. BGHSt 44, 153, 158, 159 m.w.N.; BGH StV 1998, 250).
Eine solche Glaubwürdigkeitsprüfung läût das angefochtene Urteil vermissen.
Zwar verkennt das Landgericht nicht, daû ein überführter Betäubungsmittelhändler ein Interesse daran haben kann, sich durch Aufdeckung weiterer Taten die Vorteile des § 31 BtMG zu verschaffen. Es berücksichtigt auch, daû ein solcher Zeuge versucht sein kann, auch "Unschuldige anzuschwärzen, denen er etwas auswischen will" (UA 7). Die Strafkammer sieht ferner, daû sich die Vorwürfe, die der Zeuge D. gegen weitere Personen erhoben hat, nicht bestätigt haben.
Obwohl sie danach "im Ausgangspunkt der Beweiswürdigung" nicht ausschlieûen konnte, "daû der Zeuge D. bei seinen weit gestreuten Anschuldigungen aufgebauscht hat bzw. auch solche Personen des Umgangs mit Be-
täubungsmitteln beschuldigt hat, denen er lediglich aus persönlichen Zwistigkeiten heraus etwas auswischen wollte" (UA 10), stützt sie die Verurteilung des Angeklagten allein auf die Angaben des Zeugen D. . Sie bezweifelt deren Wahrheitsgehalt unter anderem deswegen nicht, weil keiner der von dem Zeugen D. ebenfalls Beschuldigten eventuelle Motive desD. zur Falschbezichtigung genannt habe; auûerdem habe sich ein Groûteil dieser Personen in der Betäubungsmittelszene bewegt. Mit diesen Erwägungen genügt das Landgericht seiner Pflicht, die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen, nicht.
Soweit die Strafkammer im Rahmen ihrer Beweiswürdigung meint, letzte Zweifel an der Schuld des Angeklagten müûten "deshalb entfallen, weil dessen Lebenswandel absolut nicht in Einklang zu bringen ist mit dessen offiziellen Einnahmen aus dem Bezug von Sozialhilfe" (UA 11), ist dies schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die fraglichen Ausgaben erst mehr als ein Jahr nach dem Tatzeitraum getätigt wurden. Im übrigen stellt die Annahme, diese Ausgaben seien ein Indiz für einen vom Angeklagten betriebenen Rauschgifthandel, nicht mehr als eine bloûe Vermutung dar.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neu entscheidende Tatrichter wird zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen D. auch dessen Angaben zu den dem Angeklagten in der Anklageschrift weiterhin vorgeworfenen sechs Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, zu berücksichtigen haben. Denn wenn der anfänglichen Schilderung weiterer Taten durch den einzigen Belastungszeugen nicht gefolgt wird, muû der Tatrichter jedenfalls regelmäûig auûerhalb der Zeugenaussage li e-
gende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im übrigen dennoch zu glauben (BGHSt 44, 153, 159).
VRinBGH Dr. Tepperwien Kuckein Solin-Stojanoviæ ist wegen Urlaubs verhindert , ihre Unterschrift beizufügen. Kuckein Ernemann Sost-Scheible

Annotations
Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.