Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - 2 StR 306/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 16. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitzes eines verbotenen Gegenstandes (Schlagringmesser) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie hinsichtlich der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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- 2. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält hingegen rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 18. Lebensjahr Marihuana und Amphetamin. Bereits kurz nach Abschluss einer bis Mitte März 2018 dauernden sechsmonatigen Drogentherapie wurde er wieder rückfällig und konsumierte täglich 1 bis 3 Gramm Amphetamin und 2 bis 3 Gramm Marihuana.
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- Die Strafkammer hat das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB mit der Begründung verneint, nach den Ausführungen des Sachverständigen liege beim Angeklagten „noch keine Abhängigkeit von Marihuana oder Amphetamin , wohl aber ein schädlicher Gebrauch“ vor. Beim bisherigen Lebenswandel des Angeklagten seien Strukturen erkennbar, die ihm Halt geben könnten und die auf sein Potential hinwiesen, auch ohne die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu einem drogenfreien Leben zurück zu finden. Es sei davon aus- zugehen, dass der Drogenkonsum „noch kontrolliert erfolge und dass die Taten nicht allein auf seinen Hang, sondern primär auf seine kriminelle und bislang gleichgültige Einstellung zurückzuführen sind“.
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- b) Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht bei seiner Prüfung von einer zu engen Definition des Hangs und des symptomatischen Zusammenhangs ausgegangen ist.
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- (1) Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 9 mwN). Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Eine solche soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht , wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt ist, sondern insbesondere auch bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienender Beschaffungstaten (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2018 – 2 StR 200/18, juris Rn. 4 mwN).
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- (2) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist, mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Dies liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 23. April 2019 – 2 StR 61/19, NStZ-RR 2019, 244).
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- (3) Nach den Feststellungen zum Konsumverhalten hat der Angeklagte eine intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen. Da die verfahrensgegenständliche Betäubungsmittelstraftat zumindest auch der Finanzierung des Eigenkonsums des Angeklagten dienen sollte, liegt eine soziale Gefährlichkeit als Folge seines langjährigen, auch nach Absolvierung einer Therapie fortgesetzten Missbrauchs von Betäubungsmitteln ebenso nahe wie eine für den symptomatischen Zusammenhang ausreichende Mitursächlichkeit.
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- (4) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht. Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
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- c) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt, da ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
RiBGH Wenske ist erkrankt und daher an der Unterschrift gehindert. Schmidt Franke
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.