Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2001 - 1 StR 197/01

bei uns veröffentlicht am26.06.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 197/01
vom
26. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2001 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 1. Dezember 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Der Antrag der Nebenklägerin, ihr für die Revisionsinstanz Rechtsanwältin H. aus M. als Beistand zu bestellen , ist gegenstandslos, da die Bestellung durch das Landgericht fortwirkt (BGH, Beschl. vom 18. August 2000 - 3 StR 146/00).

Gründe:


1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, wegen Körperverletzung in vier Fällen sowie wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Aufklärungsrüge Erfolg.
Die Straftaten hat der Angeklagte überwiegend zum Nachteil seiner Ehefrau begangen; zwei Körperverletzungen betreffen seinen Sohn und die
Bedrohung erfolgte zum Nachteil einer Bekannten seiner Ehefrau. Der die Taten bestreitende Angeklagte wurde im wesentlichen durch die Angaben der Ehefrau überführt.
Auf Anregung der Verteidigung hatte das Landgericht eine Sozialpädagogin des Allgemeinen Sozialdienstes der Stadt M. , welche die Familie des Angeklagten betreute, als Zeugin geladen. Die Zeugin erschien zur Hauptverhandlung nicht, da das Sozialreferat der StadtM. die Aussagegenehmigung mit der Begründung versagte, die Aussage würde die Erfüllung der Aufgaben der Behörde ernsthaft gefährden.
Mit der Aufklärungsrüge macht die Revision geltend, die Aussagegenehmigung sei von der unzuständigen Stelle versagt worden. Das Gericht hätte sich um eine Aussagegenehmigung der zuständigen Stelle bemühen müssen, denn die Zeugin hätte bekundet, daß die Ehefrau ihr gegenüber niemals von den verfahrensgegenständlichen Taten berichtet habe.
2. Die Verfahrensrüge hat Erfolg.

a) Die Aussagegenehmigung wurde nicht von der zuständigen Stelle versagt (§ 54 Abs. 1 StPO). Nach den hier einschlägigen bayerischen beamtenrechtlichen Vorschriften (Art. 70 Abs. 3 Satz 1 1. Halbs. BayBG i.V.m. § 1 der Verordnung über die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Versagung der Aussagegenehmigung für Kommunalbeamte, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 18/1993 S. 490 sowie der Allgemeinen Geschäftsanweisung der Landeshauptstadt München) war für die Versagung der Aussagegenehmigung die Regierung von Oberbayern zuständig.


b) Um die Erteilung der Genehmigung hätte sich das Landgericht bemühen müssen (vgl. BGHSt 29, 390, 391; Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 54 Rdn. 15; Senge in KK 4. Aufl. § 54 Rdn. 13; Kleinknecht/MeyerGoßner , StPO 45. Aufl. § 54 Rdn. 17), denn die Aussage der Zeugin war hier - da Aussage gegen Aussage stand - im Hinblick auf die innerfamiliären Verhältnisse für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Ehefrau von Bedeutung. Das Sozialgeheimnis stünde bei dem Vorwurf eines Verbrechens der Offenbarungsbefugnis nicht entgegen (§ 67 SGB X).

c) Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Das gilt auch für die Straftaten zum Nachteil des Sohnes und der Bekannten der Ehefrau, denn das Landgericht hat auch insoweit seine Überzeugung auf die Angaben der Ehefrau gestützt.
3. Zur Frage der Unterbringung verweist der Senat auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
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Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 67 Begriffsbestimmungen


(1) Die nachfolgenden Begriffsbestimmungen gelten ergänzend zu Artikel 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freie

Strafprozeßordnung - StPO | § 54 Aussagegenehmigung für Angehörige des öffentlichen Dienstes


(1) Für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage gelten die besonderen beamtenrechtli

Referenzen

(1) Für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage gelten die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.

(2) Für die Mitglieder des Bundestages, eines Landtages, der Bundes- oder einer Landesregierung sowie für die Angestellten einer Fraktion des Bundestages und eines Landtages gelten die für sie maßgebenden besonderen Vorschriften.

(3) Der Bundespräsident kann das Zeugnis verweigern, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.

(4) Diese Vorschriften gelten auch, wenn die vorgenannten Personen nicht mehr im öffentlichen Dienst oder Angestellte einer Fraktion sind oder ihre Mandate beendet sind, soweit es sich um Tatsachen handelt, die sich während ihrer Dienst-, Beschäftigungs- oder Mandatszeit ereignet haben oder ihnen während ihrer Dienst-, Beschäftigungs- oder Mandatszeit zur Kenntnis gelangt sind.

(1) Die nachfolgenden Begriffsbestimmungen gelten ergänzend zu Artikel 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72; L 127 vom 23.5.2018, S. 2) in der jeweils geltenden Fassung.

(2) Sozialdaten sind personenbezogene Daten (Artikel 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/679), die von einer in § 35 des Ersten Buches genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch verarbeitet werden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind alle betriebs- oder geschäftsbezogenen Daten, auch von juristischen Personen, die Geheimnischarakter haben.

(3) Aufgaben nach diesem Gesetzbuch sind, soweit dieses Kapitel angewandt wird, auch

1.
Aufgaben auf Grund von Verordnungen, deren Ermächtigungsgrundlage sich im Sozialgesetzbuch befindet,
2.
Aufgaben auf Grund von über- und zwischenstaatlichem Recht im Bereich der sozialen Sicherheit,
3.
Aufgaben auf Grund von Rechtsvorschriften, die das Erste und das Zehnte Buch für entsprechend anwendbar erklären, und
4.
Aufgaben auf Grund des Arbeitssicherheitsgesetzes und Aufgaben, soweit sie den in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen durch Gesetz zugewiesen sind. § 8 Absatz 1 Satz 3 des Arbeitssicherheitsgesetzes bleibt unberührt.

(4) Werden Sozialdaten von einem Leistungsträger im Sinne von § 12 des Ersten Buches verarbeitet, ist der Verantwortliche der Leistungsträger. Ist der Leistungsträger eine Gebietskörperschaft, so sind der Verantwortliche die Organisationseinheiten, die eine Aufgabe nach einem der besonderen Teile dieses Gesetzbuches funktional durchführen.

(5) Nicht-öffentliche Stellen sind natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts, soweit sie nicht unter § 81 Absatz 3 fallen.