Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06

bei uns veröffentlicht am20.06.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 169/06
vom
20. Juni 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2006 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 25. November 2005 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen B. , S. und E. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Zu der von dem Angeklagten P. erhobenen Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Terminsanberaumung des Vorsitzenden bemerkt der Senat ergänzend: 1. Das vor dem Schwurgericht anhängige Verfahren richtete sich gegen fünf Angeklagte, die sich bereits seit einem Jahr in Untersuchungshaft befanden. Neben sechs Verteidigern waren drei Nebenklägerinnen sowie deren anwaltliche Vertreter an dem Verfahren beteiligt. 23 Zeugen waren zu laden. Nach wochenlangen intensiven Terminsabklärungen beraumte der Vorsitzende am 4. Oktober 2005 Termin zur Hauptverhandlung auf den 25., 26., 27. und 28. Oktober 2005 an. Dem Beschwerdeführer , der durch Rechtsanwalt L. als Wahlverteidiger verteidigt wurde, ordnete er zusätzlich einen Pflichtverteidiger bei, nachdem Rechtsanwalt L. zuvor mitgeteilt hatte, dass er am 26. Oktober 2005 verhindert sei, weil er an diesem Tag ei- nen Termin vor dem Schöffengericht Saarbrücken wahrnehmen werde. Dem von Rechtsanwalt L. daraufhin gestellten Antrag auf Aufhebung des Hauptverhandlungstermins vom 26. Oktober 2005 lehnte der Vorsitzende ab, weil die anberaumten Termine nur nach wochenlangen Abstimmungen mit allen Beteiligten hätten ermöglicht werden können und weiteren Verfahrensverzögerungen das Beschleunigungsgebot entgegenstünde. 2. Weder die Terminsanberaumung vom 4. Oktober 2005 noch die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Hauptverhandlungstermins vom 26. Oktober 2005 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren. Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BGH NStZ 1998, 311, 312; Senat, Beschluss vom 19. Januar 2006 - 1 StR 409/05 -). Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber und insbesondere über Anträge auf Terminsverlegungen oder -aufhebungen hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden. Nichts anderes gilt bei entsprechenden Anträgen, die mit der Verhinderung eines Verteidigers begründet werden (Senat aaO).
Das Landgericht hat sich ersichtlich an diesen Grundsätzen ausgerichtet, nach denen die Terminierung wie auch die Ablehnung einer Verlegung des Termins vom 26. Oktober 2005 sachgerecht erscheint. Zu Recht hat das Landgericht insbesondere das dem Interesse der Angeklagten dienende und das gesamte Strafverfahren erfassende Beschleunigungsgebot in den Vordergrund gestellt. Dieses Gebot unterliegt strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. etwa BVerfG NJW 2006, 672, 673; BVerfG StraFo 2006, 196). Insbesondere in Haftsachen zwingt es dazu, dass die Hauptverhandlung so bald und so schnell wie möglich durchgeführt wird. Das Landgericht hatte sich entsprechend seiner prozessualen Fürsorgepflicht ernsthaft bemüht, zeitnahe Termine zu finden, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden. Die verbleibende Terminskollision des Wahlverteidigers des Beschwerdeführers betraf einen der fünf inhaftierten Angeklagten für einen von vier Verhandlungstagen. Eine Vermeidung dieser Kollision wäre nur durch eine Verlängerung der Hauptverhandlung möglich gewesen, deren Ausmaß wegen der notwendigen terminlichen Abstimmung mit den zahlreichen Prozessbeteiligten und der Terminslage der Kammer ungewiss war. Bei dieser Sachlage hatte das Landgericht der schnellstmöglichen Durchführung der Hauptverhandlung Vorrang zu geben, zumal es davon ausgehen konnte, dass der zur Verfahrenssicherung bestellte Verteidiger zu ordnungsgemäßer Verteidigung des Beschwerdeführers in der Lage war. Der Senat kann dabei offenlassen, ob der Wahlverteidiger hinreichend deutlich gemacht hat, warum der Termin vor dem Amtsgericht Saarbrücken gegenüber dem vorliegenden Schwurgerichtsverfahren für ihn vorrangig sein musste. Nack Wahl Kolz Elf Graf

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2006 - 1 StR 409/05

bei uns veröffentlicht am 19.01.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 409/05 vom 19. Januar 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2006 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06.

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2007 - 1 StR 32/07

bei uns veröffentlicht am 09.05.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 32/07 vom 9. Mai 2007 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja (nur I 1 c) Veröffentlichung: ja _____________________________ StPO § 244 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 Var. 6, § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5, § 246 Abs. 1 1. Bei der Ab

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 409/05
vom
19. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Konstanz vom 7. April 2005 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt
der Senat:
Der Rüge der Revision, das Landgericht habe das Recht des Angeklagten
auf Beistand durch den Verteidiger seines Vertrauens
und damit zugleich seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt
(§ 265 Abs. 4 StPO i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO), liegt folgendes
Prozessgeschehen zugrunde: Die Hauptverhandlung umfasste
zunächst zwei Sitzungstage, den 17. und 18. März 2005. Am zweiten
Hauptverhandlungstag, dem 18. März 2005, beschloss die
Strafkammer, noch ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt einzuholen.
Die Hauptverhandlung wurde sodann zur Fortsetzung am
7. April 2005, 8.00 Uhr, unterbrochen. Nach Ablauf des zweiten
Hauptverhandlungstages empfand der Angeklagte Unzufrieden-
heit über den Ablauf der Hauptverhandlung und fand sich durch
seinen Wahlverteidiger Dr. S. nicht mehr hinreichend verteidigt.
Er nahm deshalb Kontakt zu anderen Rechtsanwälten auf
und vereinbarte einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dr.
D. auf den 1. April 2005. Mit Rechtsanwalt Dr. S. vereinbarte
er einen weiteren Besprechungstermin auf den 4. April
2005. Nachdem er beide Termine wahrgenommen hatte, entzog
er mit Schreiben vom 5. April 2005 Rechtsanwalt Dr. S. unter
Hinweis auf das seines Erachtens gestörte Vertrauensverhältnis
das Mandat, wovon Rechtsanwalt Dr. S. das Landgericht am
6. April 2005 per Telefax in Kenntnis setzte. Der Kammervorsitzende
bestellte daraufhin Rechtsanwalt Dr. S. zum Pflichtverteidiger
, weil der Angeklagte bisher nur behauptet habe, das Vertrauensverhältnis
sei gestört, dies jedoch nicht näher dargelegt
habe. Ebenfalls am 6. April 2005 erteilte der Angeklagte Rechtsanwalt
Dr. D. Verteidigervollmacht. Mit Schriftsatz vom
gleichen Tage teilte Rechtsanwalt Dr. D. dies dem Landgericht
mit und bat um Akteneinsicht und Aufhebung des Termins
vom 7. April 2005; ab 14.00 Uhr sei er zur Erörterung der Angelegenheit
erreichbar. Das Landgericht teilte ihm am Nachmittag telefonisch
mit, dass es bei dem für den folgenden Tag vorgesehenen
Fortsetzungstermin bleibe und er auf der Geschäftsstelle Einsicht
in die Akten nehmen könne. Die Akteneinsicht noch an diesem
Nachmittag war Rechtsanwalt Dr. D. wegen anderer Termine
nicht möglich. Zum Fortsetzungstermin am 7. April 2005 erschien
der Angeklagte mit Rechtsanwalt Dr. S. als Pflichtverteidiger
und Rechtsanwalt Dr. D. als Wahlverteidiger. Auf
Frage des Gerichts erklärte Rechtsanwalt Dr. D. , dass
weitere Angaben zur Störung des Vertrauensverhältnisses des
Angeklagten zu Rechtsanwalt Dr. S. nicht erfolgen würden. Um
8.30 Uhr verließ Rechtsanwalt Dr. D. den Sitzungssaal,
um einen anderen Termin wahrzunehmen. Seine Anträge auf
Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung und Aufhebung
der Pflichtverteidigung lehnte das Gericht ab. Nach Fortsetzung
der Beweisaufnahme, in der u.a. ein Zeuge vernommen
wurde und der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten erstattete
, wurde gegen Mittag das Urteil verkündet.
Die Rüge ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag auf
Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung rechtsfehlerfrei
abgelehnt.
Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren
von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen
zu lassen (BGH StV 1992, 53; BGH NStZ 1998, 311, 312). Daraus
folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers
eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht
durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich
Sache des Vorsitzenden; allerdings ist er gehalten, über Anträge
auf Verlegung des Termins nach pflichtgemäßem Ermessen unter
Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung
des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung
und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu
entscheiden (BGH NStZ 1998, 311, 312). Für die Beurteilung eines
Antrags, die Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers
auszusetzen oder zu unterbrechen, gilt nichts anderes.
Hier war für das Landgericht zur Klärung der Frage, ob wegen des
nicht vorbereiteten und am 7. April 2005 verhinderten neuen
Wahlverteidigers die Hauptverhandlung unterbrochen oder gar
ausgesetzt werden sollte, schon im Ausgangspunkt nicht ersichtlich
, dass der zum Pflichtverteidiger bestellte bisherige Wahlverteidiger
nicht zu einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten
in der Lage gewesen wäre. Der Angeklagte hat die Störung
des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwalt Dr. S. ohne
jeden inhaltlichen Beleg lediglich behauptet und auch auf Nachfrage
keine Gründe hierfür genannt. Schon von daher war das
Landgericht nicht ohne weiteres gezwungen, von einer von dem
Angeklagten nicht zu vertretenden Veränderung der Sachlage im
Sinne des § 265 Abs. 4 StPO auszugehen. Dabei musste das
Landgericht auch noch in Rechnung stellen, dass die nach § 229
Abs. 1 StPO höchstmögliche Unterbrechungsdauer bereits am folgenden
Tag, dem 8. April 2005, endete.
Es kommt hier folgendes hinzu: Wenn der Angeklagte von seinem
Recht Gebrauch machte, seinem bisherigen Wahlverteidiger das
Mandat zu entziehen und einen neuen Verteidiger zu beauftragen,
so war ihm in der vorliegenden konkreten Prozesssituation zuzumuten
, dies so rechtzeitig vor dem nächsten Verhandlungstag zu
veranlassen, dass der neue Verteidiger sich hinreichend auf die
weitere Verhandlung vorbereiten konnte. Er erteilte Rechtsanwalt
Dr. D. jedoch erst 19 Tage nach der Unterbrechung der
Hauptverhandlung und nur einen Tag vor dem nächsten Hauptverhandlungstermin
das Mandat. Ferner hatte der Angeklagte ausreichend
Gelegenheit, einen Verteidiger zu wählen, der auch in
der Lage war, den bevorstehenden Termin wahrzunehmen. Die
weitere Durchführung des Hauptverhandlungstermins vom 7. April
2005 in Abwesenheit eines neuen Verteidigers beruhte daher auf
Umständen, auf die der Angeklagte sich rechtzeitig hätte einstellen
können. Das Landgericht konnte daher auch eine kurzfristige
Unterbrechung der Hauptverhandlung ermessensfehlerfrei ablehnen.
Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend
von dem dem Beschluss des 2. Strafsenats vom 14. Januar 2004
(NStZ 2004, 637) zugrunde liegenden Fall, auf den die Revision
hingewiesen hat. Dort war das Recht auf eine sachgerechte Verteidigung
aufgrund von Umständen, die der Angeklagte nicht zu
vertreten hatte - nämlich die rechtswidrige Inverwahrnahme des
Angeklagten -, beeinträchtigt.
Nack Wahl Kolz
Elf Graf