Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2015 - 13a ZB 15.30050

published on 10/08/2015 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2015 - 13a ZB 15.30050
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Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. November 2014 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob

1. derzeit in der Provinz N. von einem internen bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15 c QRL auszugehen ist, der so massiv ist, dass grundsätzlich für alle Personen eine individuelle Gefahr für Leib und Leben durch willkürliche Gewalt besteht;

2. bei jungen Männern im wehrfähigen Alter eine Gefährdung durch Zwangsrekrutierung als mögliche Gruppenverfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG besteht;

3. ob angesichts der neuen Entwicklungen in Afghanistan die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei jungen arbeitsfähigen männlichen Afghanen ohne Familienverantwortung grundsätzlich nicht von einer Extremgefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auszugehen ist, noch aufrechterhalten werden kann.

Gemäß dem UNHCR-Bericht vom August 2014 (Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013), des IRIN-Berichts vom April 2014 und des UNAMA-Berichts vom Juli 2014 sei für ganz Afghanistan von einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage und der Situation von Zivilpersonen auszugehen. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle sei in letzter Zeit stark angestiegen. Junge Männer im wehrfähigen Alter seien als potentielle Kämpfer dem Risiko der Zwangsrekrutierung durch Taliban ausgesetzt, teilweise sogar durch die afghanische Polizei. In der Provinz N. habe eine erhebliche Verschärfung der Lage stattgefunden, so dass nunmehr die Annahme einer Extremgefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG [a. F.] gerechtfertigt sei. Außerdem sei eine Extremgefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben. Junge arbeitsfähige männliche Afghanen könnten als Tagelöhner nur dann das Existenzminimum erlangen, wenn sie ihre Arbeitskraft voll und ungestört einsetzen können. Dies sei aber wegen der zu befürchtenden Rekrutierungsversuche von Aufständischen nicht gewährleistet.

Die Frage zu 1. ist nicht klärungsbedürftig, weil sie für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von Bedeutung war. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes aufgrund eines bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG (in der jeweils seit 1.12.2013 geltenden Fassung) ist unionsrechtlicher Natur. Hierbei handelt es sich um einen eigenen Streitgegenstand, der von dem nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu unterscheiden ist (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319). Da der Kläger im vorliegenden Fall die Klage zurückgenommen hatte, soweit sie nicht den nationalen Abschiebungsschutz betraf (s. Bl. 2 und Bl. 71 der VG-Akte), war über subsidiären Schutz nicht zu entscheiden.

Die Frage zu 2. ist nicht klärungsbedürftig bzw. nicht klärungsfähig. Soweit sich die Antragsbegründung auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer möglichen Gruppenverfolgung nach § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG bezieht, war die aufgeworfene Frage infolge der Klagerücknahme nicht entscheidungserheblich. Insofern als sich die Frage einer Gefährdung durch Zwangsrekrutierung auf den nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK (unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) bezieht, lässt sie sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten, weil die konkreten Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend sind (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 29; BayVGH, B. v. 9.1.2015 - 13a ZB 14.30449 - juris).

Der Hinweis des Klägers auf den UNHCR-Bericht vom August 2014 („3. Potentielle Risikoprofile von Schutzsuchenden“) vermag die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. UNHCR empfiehlt eine besonders sorgfältige Prüfung der Asylanträge bestimmter Risikogruppen, zu denen auch Männer und Jungen im wehrfähigen Alter zählten. Diese könnten auf internationalen Schutz angewiesen sein. Damit wird jedoch deutlich, dass es auf die spezifischen Umstände des Einzelfalls ankommt.

Auch die Frage zu 3. ist nicht erneut klärungsbedürftig. Durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U. v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris; U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris = KommunalPraxisBY 2014, 62 -LS-; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris = AuAS 2013, 119 -LS-). Der Verwaltungsgerichtshof geht, worauf sich auch das Verwaltungsgericht bezieht (UA S. 9), davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Im Übrigen hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab, wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen; es entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 = NVwZ-RR 2011, 48). Gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013 (HCR/EG/AFG/13/01) haben alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter die Chance, ohne externe Unterstützung das Existenzminimum zu erlangen (a. a. O., S. 9). Im Übrigen hat der Kläger keinen substantiierten Hinweis für seine Annahme gegeben, dass die Aktualität der vom Verwaltungsgerichtshof laufend ausgewerteten und zugrunde gelegten Auskünfte zweifelhaft sein könnte (vgl. BVerwG, B. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12 - NVwZ-RR 2013, 620). Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass etwaige Zwangsrekrutierungsversuche durch Aufständische die Chance, in Kabul als Tagelöhner zu arbeiten, vereiteln würden. Gemäß den Erkenntnissen von UNHCR (a. a. O., S. 45) kommen Rekrutierungsversuche regierungsfeindlicher Kräfte in Gebieten vor, welche ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen oder die zwischen der Regierung und den Aufständischen umkämpft sind. Dies ist in Kabul nicht der Fall. Der Hinweis von UNHCR auf Berichte über Pressionsversuche in einzelnen Distrikten von drei Provinzen seitens der lokalen afghanischen Polizei (a. a. O., S. 46) bezog sich nicht auf die Zentralregion mit Kabul oder die Ostregion mit Nangarhar, ist also ohnehin nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
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Annotations

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.