vorgehend
Verwaltungsgericht Ansbach, 10 K 14.30121, 22.12.2014

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger ist (nach eigenen Angaben) russischer Staatsangehöriger georgischer Volkszugehörigkeit. Nach einem Aufenthalt in Belgien ab Februar 2013, wo sein Asylantrag abgelehnt wurde, reiste er von dort am 25. Oktober 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) seine Anerkennung als Asylberechtigter. Nachdem die belgischen Behörden dem Übernahmeersuchen des Bundesamts am 11. Dezember 2013 zugestimmt hatten, erklärte das Bundesamt den Asylantrag mit Bescheid vom 14. Januar 2014 für unzulässig (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Belgien an (Nr. 2). Belgien sei aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags für dessen Behandlung zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Gründe gegen eine Überstellung nach Belgien und die dortige Prüfung seines Asylantrags habe der Kläger nicht vorgebracht.

Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach zunächst mit Beschlüssen vom 5. Februar 2014 und 14. Mai 2014 abgelehnt. Mit Beschluss vom 24. September 2014 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung an. Nach Mitteilung des Bundesamts vom 8. September 2014 sei die Überstellungsfrist am 11. Juni 2014 abgelaufen. Hierdurch sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden. Daraufhin teilte das Bundesamt dem Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 25. November 2014 mit, Nr. 2 des Bescheids vom 14. Januar 2014 werde aufgehoben.

Mit Urteil vom 22. Dezember 2014 hat das Verwaltungsgericht Nr. 1 des Bescheids vom 14. Januar 2014 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Soweit sich die Klage nach wie vor auch gegen die bereits aufgehobene Abschiebungsanordnung richte, sei sie mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im Übrigen sei die Klage zulässig und begründet. Die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylbegehrens sei rechtswidrig geworden, weil die Überstellungsfrist abgelaufen sei und die Beklagte weder vorgetragen habe noch sonst ersichtlich sei, dass der Kläger dennoch in absehbarer Zeit in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt werden könne. Hierdurch sei der Kläger in seinen Rechten verletzt, weil er Gefahr laufe, sein Schutzbegehren in keinem der Mitgliedstaaten zulässig anbringen zu können. Der Bescheid könne auch nicht in eine ablehnende Entscheidung über einen Zweitantrag umgedeutet werden.

Gegen die Aufhebung der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylbegehrens wendet sich die Beklagte mit ihrem auf Divergenz und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht vorliegen.

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) ab. Dieser Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem das erstinstanzliche Verwaltungsgericht die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aussetzung der Überstellung des Klägers in den zuständigen Mitgliedsstaat verpflichtet hatte. Aufgrund dieses Umstands kam der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens sei nicht auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellungsfrist erst zu laufen beginne, wenn die Überstellung sichergestellt sei und lediglich deren Modalitäten noch geregelt werden müssten (BayVGH, U. v. 28.2.2014 a. a. O. Rn. 35). In einem solchen Fall könne der Asylbewerber seiner Überstellung in den für ihn zuständigen und aufnahmebereiten Mitgliedstaat nur mit systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat entgegentreten (ebenso BayVGH, U. v. 13.4.2015 - 11 B 15.50031 - juris Rn. 23 und 30). Auch im Fall, der dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2014 (10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677) zugrunde lag, war der Entscheidung des Berufungsgerichts zufolge die Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen (OVG NW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790, Rn. 52 und 63).

Hiervon weicht die vorliegende Fallgestaltung ab und unterliegt damit auch einer anderen rechtlichen Beurteilung. Die Beklagte ist selbst vom Ablauf der Frist zur Überstellung des Klägers nach Belgien am 11. Juni 2014 ausgegangen und hat daraufhin die in Nr. 2 ihres Bescheids ausgesprochene Abschiebungsanordnung aufgehoben. Das Bundesamt, dem insoweit die Darlegungslast zukommt (vgl. BayVGH, B. v. 11.2.2015 - 13a ZB 15.50005 - juris Rn. 4), hat auch nicht vorgetragen, dass Belgien trotz des Ablaufs der Überstellungsfrist nach wie vor bereit wäre, den Kläger wieder aufzunehmen. Da somit nicht feststeht, ob und wenn ja in welchen Mitgliedstaat der Kläger überstellt werden soll, ist dieser auch nicht in der Lage, hinsichtlich des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel geltend zu machen. Er ist auch nicht imstande, eine Entscheidung des zunächst zuständigen Mitgliedstaats herbeizuführen, ob dieser sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist beruft oder nicht. Es hätte dem Bundesamt oblegen, diese Frage rechtzeitig zu klären und das Ergebnis in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzuführen.

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Die Beklagte hält (hilfsweise) für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob der Asylantragsteller gerichtlich die Aufhebung einer Ablehnung gemäß § 27a AsylVfG deshalb begehren kann, weil die Überstellungsfrist in den als zuständig bestimmten Staat im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt abgelaufen ist, und ob dies insbesondere bereits dann gilt, wenn (noch) nicht feststeht, dass der bislang zuständige Mitgliedsstaat wegen Ablaufs der Überstellungsfrist dauerhaft die Übernahme ablehnt.“ Vorliegend hat jedoch das Bundesamt die Abschiebungsanordnung nach Ablauf der Überstellungsfrist selbst aufgehoben. Für eine noch mögliche Überstellung des Klägers nach Belgien oder in einen anderen Mitgliedstaat sind keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich. Hebt das Bundesamt die Abschiebungsanordnung selbst auf, ist es auch nicht Sache des Verwaltungsgerichts, im Wege der Amtsermittlung der Frage nachzugehen, ob der ursprünglich zuständige Mitgliedsstaat trotz des Ablaufs der Überstellungsfrist nach wie vor zur Wiederaufnahme des Asylbewerbers bereit wäre. Bei einer nicht durch konkrete Fakten belegten Überstellungsmöglichkeit in einen anderen Mitgliedstaat bedarf es keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, dass die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags (§ 27a AsylVfG) nicht isoliert aufrecht erhalten bleiben kann.

3. Der Kläger hat damit Anspruch darauf, dass das Bundesamt erneut in das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und - sollte Belgien nicht mehr zur Übernahme des Klägers bereit und auch kein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein - selbst in die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 71 a AsylVfG eintritt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

5. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 13. Apr. 2015 - 11 B 15.50031

bei uns veröffentlicht am 13.04.2015

Tenor I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Würzburg wird geändert und die Klage abgewiesen. II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist i

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2015 - 13a ZB 15.50005

bei uns veröffentlicht am 11.02.2015

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung

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Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Würzburg wird geändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger sind nach eigenen Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie gaben an, am 8. November 2012 in der Republik Polen Anträge auf Asyl gestellt und ihre Reisepässe abgegeben zu haben. Am 15. November 2012 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 22. November 2012 erneut Asylanträge.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) befragte die Klägerin zu 1. am 8. Januar 2013 zur Vorbereitung der Anhörung nach § 25 AsylVfG. Die Klägerin führte aus, in Polen gäbe es viele Landsleute vom Geheimdienst der Kadirov-Regierung, deshalb habe sie Angst um sich und ihre Kinder, wenn ihr Asylantrag dort geprüft werde. Sie wurde darauf hingewiesen, dass zunächst überprüft werde, ob Deutschland für die Prüfung ihres Asylantrags zuständig sei. Die Kläger fragten mit Schreiben vom 1. März, 25. Juni und 26. Juli 2013 beim Bundesamt nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 10. Juni 2013 übersandte die Deutsche Liaisonmitarbeiterin des Bundesamts im polnischen Amt für Ausländer die Reisepässe der Kläger.

Am 2. September 2013 richtete die Beklagte ein Wiederaufnahmegesuch an die Republik Polen. Die polnischen Behörden stimmten mit Schreiben vom 3. September 2013 nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO zu. Mit Bescheid vom 27. September 2013 erklärte die Beklagte die Asylanträge für unzulässig (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2).

Das Verwaltungsgericht Würzburg ordnete mit Beschluss vom 5. November 2013 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 27. September 2013 an (W 7 S 13.3084). Die Klägerin zu 1. hatte vorgetragen, dass sie unter gesundheitlichen Einschränkungen leide. Sie befinde sich in ambulanter Behandlung wegen akuten gesundheitlichen Beschwerden im orthopädischen Bereich und sie leide unter Magen-Keimen und benötige dafür eine Dauermedikation. In den Aufnahmezentren in Polen sei keine ausreichende medizinische Behandlung möglich. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Überstellung nach Polen das Recht der Klägerin auf körperliche und geistige Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 EuGrCh verletze und zudem eine menschenrechtswidrige und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrCH beinhalte. Es würden auch systemische Mängel im Asylverfahren in Polen vorliegen. Die Klägerin als alleinerziehende Mutter mit drei minderjährigen Kindern gehöre zudem zu den besonders schutzbedürftigen Personen nach Art. 21 der RL 2013/33/EU. Die Beklagte müsse entweder nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst eintreten oder von der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO Gebrauch machen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2014 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 27. September 2013 auf und verpflichtete die Beklagte, für die Kläger ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klage sei als Verpflichtungsklage auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zulässig, da mit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt werde. Den Dublin-Zuständigkeitsvorschriften komme zwar grundsätzlich keine drittschützende Wirkung zu, bei grundrechtlich überlagerten Konstellationen sei jedoch ein Anspruch auf Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO nicht von vornherein ausgeschlossen. Drittschutz müsse zumindest bei überlanger Verfahrensdauer anerkannt werden. Ein solcher Fall liege hier vor, weil erst ca. neun Monate nach der Befragung der Klägerin zu 1., bei der diese angegeben habe, in Polen einen Asylantrag gestellt zu haben, ein Wiederaufnahmeersuchen an die Republik Polen gerichtet worden sei. Zwar gäbe es für ein Wiederaufnahmeersuchen in der Dublin II-VO keine Frist, die Beklagte habe aber keinerlei Ausführungen zur Ursache der langen Bearbeitungszeit gemacht und auch keine Ermessenserwägungen nachgeschoben, weshalb sie trotz der langen Verfahrensdauer davon absehe, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Es bestehe daher eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts. Die Verpflichtung zum Selbsteintritt bedeute dabei ausschließlich, dass der Asylantrag der Kläger durch die Beklagte zu prüfen sei. Handele es sich um einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG müsse die Beklagte zuerst prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorlägen und sich dazu Kenntnis vom Inhalt des Asylvorbringens in Polen verschaffen und eine Anhörung der Kläger zu ihrem materiellen Asylvorbringen durchführen.

Mit Beschluss vom 6. Februar 2015 (11 ZB 14.50042) hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung zugelassen.

Die Beklagte macht im Berufungsverfahren geltend, eine Verpflichtungsklage sei nicht statthaft, sondern es hätte nur eine Anfechtungsklage erhoben werden können. Selbst wenn eine Verpflichtungsklage die richtige Klageart sei, müsse das Verwaltungsgericht im Rahmen des hier vorliegenden Zweitantrags nach § 71a AsylVfG die Sache spruchreif machen und dürfe nicht nur zum Selbsteintritt verpflichten. Im Übrigen könnten die Kläger nach der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zur Wiederaufnahme ihrer Überstellung in diesen Mitgliedstaat nur mit systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegengetreten. Solche Mängel würden in der Republik Polen aber nicht vorliegen. Des Weiteren könne die Nr. 1 des Bescheids auch dahingehend umgedeutet werden, dass der Zweitantrag nach § 71a AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG als unzulässig abgelehnt werde. Die Kläger hätten keine Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens geltend gemacht. Eine Anhörung diesbezüglich sei daher entbehrlich.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie seien durch den angefochtenen Bescheid aufgrund der unangemessen langen Verfahrensdauer in ihren Rechten verletzt. Zwar treffe es zu, dass die Dublin II-VO dem Flüchtling kein subjektives Recht darauf einräume, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft werde. Eine Ausnahme stelle aber z.B. Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO dar, der dem schutzwürdigen Interesse des Flüchtlings diene, dass sein Schutzgesuch – nach Ablauf eines gewissen Zeitraums, welcher der Klärung von Zuständigkeitsfragen vorbehalten sei – in angemessener Zeit in der Sache geprüft werde. Insoweit stehe ihm ein Anspruch auf sachliche Prüfung seines Asylantrags zu mit der Folge, dass er gegen seine Überstellung deren Rechtswidrigkeit wegen Zuständigkeitsübergangs infolge Fristablaufs als eigene Rechtsverletzung geltend machen könne. Im vorliegenden Fall sei der Grundsatz des unionsrechtlichen Gebots der beschleunigten Durchführung des Verfahrens auf Prüfung des Asylantrags verletzt. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG komme nicht in Betracht.

Das Gericht hat Erkenntnisquellen zur Situation in Polen gemäß der Liste vom 20. Februar 2015 mit Schreiben vom 23. Februar 2015 in das Verfahren eingeführt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Über die Berufung konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

I. Die Berufung der Beklagten ist begründet. Nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 27. September 2013 rechtmäßig und die Klage deshalb unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 23. Oktober 2014 abzuweisen.

II. Die Klage ist zulässig. Gegen den Bescheid des Bundesamts vom 27. September 2013, mit dem die Asylanträge der Kläger nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt werden und die Abschiebung nach Polen angeordnet wird, ist eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) die statthafte Klageart (BayVGH, U.v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 17 m.w.N.; U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – BayVBl 2014, 628). Eine Anfechtungsklage ist auch ausreichend, um das Klageziel, nämlich eine materielle Entscheidung über die Asylanträge, zu erzielen. Durch die Aufhebung eines Bescheids, mit dem ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt wurde, wird das Verfahren in den Zustand vor Erlass des Bescheids zurückversetzt. Das Bundesamt muss dann erneut über den Asylantrag entscheiden. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte rechtskonform verhält und auch eine materielle Entscheidung trifft, wenn das Gericht den Bescheid nach § 27a AsylVfG aufgehoben hat, weil dieser rechtswidrig und die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Kläger haben im erstinstanzlichen Verfahren zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 27. September 2013 zu verpflichten, sich als zuständig gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für die Bearbeitung der Asylanträge zu erklären und diese materiell zu prüfen. Dies schließt auch einen statthaften Anfechtungsantrag gegen den Bescheid vom 27. September 2013 mit ein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 42 Rn. 6 und 29).

Die Kläger sind auch klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO, denn sie können geltend machen, durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt zu sein. Zwar sind auch die Kläger selbst der Auffassung, dass sich aus der Dublin II-VO kein subjektives Recht eines Asylbewerbers ergibt, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird. Allerdings machen sie geltend, bei Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO handele es sich um eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Im Übrigen kann ein Asylbewerber im Rahmen des nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelfs geltend machen, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 10.12.2013 – C-394/12, Abdullahi – NVwZ 2014, 208, Rn. 56 ff.). Die Kläger haben im Klageverfahren systemische Mängel im polnischen Asylsystem geltend gemacht.

III. Die Klage ist aber unbegründet, da der Bescheid vom 27. September 2013 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Zutreffend hat die Beklagte in Nr. 1 des Bescheids festgestellt, dass die gestellten Asylanträge nach § 27a AsylVfG unzulässig sind. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit kann sich z.B. aus den Kriterien in Kapitel II der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl L 50 S. 1, Dublin II-VO), ergeben. Hier ist nach der Dublin II-VO die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig. Nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend, illegal überschritten hat. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn die Kläger haben nach eigenen Angaben die Grenze von Weißrussland nach Polen illegal überschritten. Nachdem die Kläger nach eigenen Angaben und gemäß dem von der Beklagten festgestellten Eurodac-Treffer auch Asylanträge in Polen gestellt haben, sind für das Verfahren zur Wiederaufnahme in Polen die Vorschriften des Art. 16 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 20 Dublin II-VO anwendbar.

2. Die Kläger können der Überstellung nach Polen auch nicht damit entgegentreten, dass ihnen ein Anspruch auf Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zustehe oder die Beklagte aus anderen Gründen zuständig geworden sei, denn die Republik Polen hat der Überstellung zugestimmt (a), es bestehen keine systemischen Mängel im Asylsystem in Polen (b), eine von Grundrechten überlagerte Ausnahmesituation ist nicht gegeben (c), die Überstellungsfrist ist nicht abgelaufen (d) und die Beklagte ist auch nicht durch die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheids in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG konkludent selbst eingetreten (e).

a) Nach der Zustimmung eines gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaats zur Überstellung eines Asylbewerbers kann dieser der Überstellung nur noch mit systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem aufnehmenden Mitgliedstaat entgegentreten (EuGH, U.v. 10.12.2013 a.a.O. Rn. 60; vgl. auch BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – NVwZ 2014, 1677; BayVGH, U.v. 28.2.2014 a.a.O. Rn. 37). Weitere Überprüfungsmaßnahmen würden das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entgegen den wohlverstandenen Interessen des Asylbewerbers und der Mitgliedstaaten verzögern, ohne dass ersichtlich wäre, welche Nachteile dem Asylbewerber daraus erwachsen könnten, dass er in den nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats hat der Asylbewerber insbesondere keinen Anspruch darauf, dass sein Asylbegehren in dem von ihm gewünschten Mitgliedstaat geprüft wird. Eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch die Bestimmung eines zuständigen Mitgliedstaats nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist deshalb ausgeschlossen, solange dort keine systemischen Mängel im Asylsystem bestehen. Dieses Ergebnis wird auch durch Sinn und Zweck der Dublin II-VO getragen. Nach ihrem vierten Erwägungsgrund soll die Dublin II-VO insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf der Annahme beruht, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens soll die Behandlung der Asylanträge rationalisiert und verhindert werden, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen (EuGH, U.v. 10.12.2013 a.a.O. Rn. 52 f.). Dies bezweckt hauptsächlich, dass die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigt wird (EuGH, U.v. 10.12.2013 a.a.O. Rn. 53). Sind sich die beteiligten Mitgliedstaaten im Falle des Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann ist ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung regelmäßig nicht gegeben, da damit nur eine weitere Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens einhergehen würde. Ein solcher Fall liegt hier vor, da die Republik Polen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig ist und ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme gegeben hat.

b) Es besteht auch keine Pflicht der Beklagten, die Prüfung der Kriterien nach Kapitel III der Dublin II-VO fortzusetzen und ggf. eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO anzunehmen (vgl. EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – NVwZ 2014, 129 Rn. 36), denn systemische Mängel im Asylsystem der Republik Polen bestehen nicht. Systemische Mängel im Asylsystem liegen dann vor, wenn in dem als zuständig bestimmten Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Fassung vom 26. Oktober 2012 (ABl EG C 326 S. 392, EuGrCH) ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 14.11.2013 a.a.O. Rn. 36). Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommen kann (BVerwG, B.v. 6.6.2014 a.a.O. Rn. 6). An die Feststellung systemischer Mängel sind mithin hohe Anforderungen zu stellen und es kann nur bei strukturellen und landesweiten Missständen davon ausgegangen werden, dass eine individuelle und konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eines jeden einzelnen oder zumindest einer nennenswerten Anzahl von Asylbewerbern von den nationalen Behörden tatenlos hingenommen wird (OVG Lüneburg, B.v. 1.4.2014 – 13 LA 22/14 – juris).

Die Kläger haben mit ihrer Berufungserwiderung keine systemischen Mängel im polnischen Asylsystem dargelegt. Auch den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln lassen sich keine solchen gravierenden Mängel entnehmen. Insbesondere aus dem „National Country Report – Poland“ des AIDA-Projekts (Asylum Information Database, Stand Juni 2014) ergibt sich, dass keine strukturellen Mängel bestehen, die landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten lassen. Nach dem Bericht werden Asylbewerber in Polen üblicherweise in zwölf Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. Es besteht dort auch kein Mangel an Plätzen (National Country Report – Poland, S. 39). Asylbewerber erhalten Mahlzeiten, Unterstützung zum Erwerb von Kleidung und Hygieneartikeln, einen Geldbetrag zur persönlichen Verfügung, medizinische Versorgung, Sprachkurse und notwendigen Schulbedarf (National Country Report – Poland, S. 37 f.). Die medizinische Versorgung wird auf dem gleichen Niveau gewährt wie polnischen Staatsbürgern ohne Krankenversicherung und umfasst daher eine Notfallbehandlung sowie eingeschränkten Zugang zu der allgemeinen Krankenversorgung (National Country Report – Poland, S. 49).

Des Weiteren existieren mehrere geschlossene Einrichtungen, in denen Asylbewerber und andere Ausländer zum Zwecke der Rückführung untergebracht werden (National Country Report – Poland, S. 51 ff.). Insbesondere werden dort auch aus anderen EU-Mitgliedstaaten im Dublin-Verfahren rückgeführte Personen untergebracht, die entgegen den Weisungen polnischer Behörden ihr Erstaufnahmeland verlassen und somit gegen die Aufnahmerichtlinie verstoßen haben, denn das polnische Asylgesetz enthält den Grundsatz, dass Ausländer in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden können, wenn sie das Flüchtlingsverfahren oder den Flüchtlingsstatus missbrauchen (Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 6.12.2013). Zwar wird dort nur ein kleiner Teil der Asylbewerber festgehalten. Gleichwohl ist festzustellen, dass es sich bei einem großen Teil der dort in Gewahrsam Genommenen um Minderjährige handelt, die mit ihren erwachsenen Familienangehörigen dort untergebracht werden (National Country Report – Poland, S. 51). Seit 1. Mai 2014 ist die Haftdauer für Asylbewerber gesetzlich auf sechs Monate begrenzt. Für abgelehnte Asylbewerber und andere Einwanderer beträgt sie in Rückführungsfällen 12 Monate und kann um weitere sechs Monate verlängert werden, wenn der Betreffende Rechtsmittel gegen die Asylentscheidung eingelegt hat (National Country Report – Poland, S. 55). In dem Bericht des AIDA-Projekts wird weiterhin ausgeführt, dass jederzeit ein Entlassungsgesuch gestellt werden kann, bei der Entscheidung aber regelmäßig nicht auf die Rechtmäßigkeit der Unterbringung, sondern überwiegend auf die persönliche Situation des Betreffenden abgestellt wird. Zusammenfassend wird festgehalten, dass nur wenige Asylbewerber während der gesamten Verfahrensdauer ihres Asylverfahrens in den geschlossenen Einrichtungen verbleiben müssen, dies auf keinen Fall alle Asylbewerber betrifft und dort sowohl der Zugang zu medizinischer Versorgung als auch die Religionsausübung gewährleistet sind (National Country Report – Poland, S. 55 f.). Der Zugang zu einem kostenfreien Rechtsbeistand wird zwar nach dem Gesetz gewährt, in der Praxis jedoch nur mangelhaft umgesetzt, während Besuch durch Nichtregierungsorganisationen und Verwandte auf jeden Fall gewährleistet ist (National Country Report – Poland, S. 56 und 62). Auch der Bericht des United States Department of State „Poland 2013 Human Rights Report“ (Human Rights Report) stellt fest, dass die Bedingungen in den Haft- und Unterbringungseinrichtungen grundsätzlich internationalen Standards entsprechen (Human Rights Report, S. 2). Die Helsinki Foundation for Human Rights kommt in ihrer Studie „Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners – Migration Is Not a Crime“ (Migration Is Not a Crime, Warschau 2013) zu dem Ergebnis, dass die geschlossenen Einrichtungen in gutem Zustand sind (Migration Is Not a Crime, S. 11), das Essen regelmäßig in Ordnung ist (S. 14), Zugang zu medizinischer Versorgung (S. 23 ff.) und Möglichkeit zu Kontakt mit Angehörigen und Nichtregierungsorganisationen (S. 22 f.) besteht, aber die Behandlung durch das Sicherheitspersonal teilweise unfreundlich ist (S. 13). Die durchschnittliche Verweildauer in den geschlossenen Einrichtungen habe im Jahr 2012 ca. zwei Monate betragen (S. 11). Auch die früher bemängelte Praxis, Asylbewerber in ihr Heimatland abzuschieben, bevor die Gerichte über deren Klagen gegen eine ablehnende Entscheidung entschieden haben, wurde durch das neue Ausländergesetz vom 1. Mai 2014 beseitigt. Nunmehr wird die Rückkehrentscheidung nicht mehr zeitgleich mit der Entscheidung über den Asylantrag getroffen und auch für Entscheidungen, die vor der Rechtsänderung erlassen wurden, wurde angeordnet, dass eine Abschiebung vor der Gerichtsentscheidung nicht erfolgen darf (National Country Report – Poland, S. 16 f.).

Es ist damit nicht ersichtlich, dass trotz mancher Defizite der Bedingungen für Asylbewerber in Polen, insbesondere in den geschlossenen Einrichtungen, systemische Schwächen vorliegen, die auf strukturellen Missständen beruhen, von den polnischen Behörden tatenlos hingenommen werden und zu massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen der Asylsuchenden führen würden.

c) Die Beklagte ist nicht verpflichtet, nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst in die materielle Prüfung des Asylbegehrens der Kläger einzutreten oder erneut über einen Selbsteintritt zu entscheiden. Insbesondere ergibt sich eine solche Pflicht nicht daraus, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats über neun Monate gedauert hat. Eine Pflicht zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nach erfolgter Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kommt nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht und ist selbst nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht zwingend anzunehmen (vgl. EuGH, U.v. 14.11.2013 a.a.O. Rn. 37). Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, muss im Falle der Unmöglichkeit der Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nur darauf achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird und erforderlichenfalls den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst prüfen (EuGH, U.v. 14.11.2013 a.a.O. Rn. 35). Mit dieser Konstellation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar, denn hier ist – wie oben ausgeführt – die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nicht nach der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats unmöglich geworden, sondern weiterhin möglich.

Selbst wenn durch die lange Dauer des Verfahrens bis zur Bestimmung der Republik Polen als zuständigen Mitgliedstaat eine Verschlimmerungen von Grundrechtsverletzungen der Kläger eingetreten wäre, hätte sich diese Situation durch die nunmehr erfolgte Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erledigt. Eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung könnte durch die lange Verfahrensdauer nicht mehr hervorgerufen werden, denn nunmehr steht der zuständige Mitgliedstaat fest und das Verfahren kann zügig fortgesetzt werden. Weitere Maßnahmen nach der Bestimmung und Zustimmung des zuständigen Mitgliedstaats würden das Verfahren nur weiter verzögern und damit den Interessen aller Beteiligten an einem zügigen Verfahren zuwider laufen. Im Übrigen ist für eine nur ausnahmsweise anzunehmende Pflicht zum Selbsteintritt auch erforderlich, dass nicht nur die Verletzung von Verfahrensrechten im Raum steht, sondern der Betreffende durch die lange Verfahrensdauer auch in anderen Grundrechten verletzt wird.

d) Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ist noch nicht abgelaufen, da das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. November 2013 (W 7 S 13.30384) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat.

e) Die Beklagte ist auch nicht durch Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheids in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG konkludent nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst eingetreten und der Bescheid vom 27. September 2013 damit rechtswidrig geworden. Zwar wäre die Durchführung eines Zweitantragsverfahrens durch die Beklagte nur dann möglich, wenn sie nach der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden wäre. Eine im Verwaltungsverfahren erfolgte Umdeutung des Bescheids vom 27. September 2013 in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG müsste daher wohl als konkludenter Selbsteintritt der Beklagten angesehen werden, unabhängig davon, ob die Umdeutung einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte aber erstmals mit ihrer Berufungsbegründungsschrift vorgetragen, dass der Bescheid ggf. auch im Wege einer Umdeutung aufrechterhalten werden könnte. Dabei handelte es sich nur um eine Hilfsargumentation, die das Gericht in Betracht ziehen sollte, wenn es eine Zuständigkeit der Beklagten nach der Dublin II-VO angenommen hätte. Dies ist aber gerade nicht der Fall.

3. Auch die Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids ist nach § 34a AsylVfG rechtmäßig, denn die Kläger sollen in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat abgeschoben werden und der Abschiebung stehen keine Hindernisse entgegen. Die Klägerin hat zwar im Verlauf des Verfahrens zahlreiche ärztliche Atteste vorgelegt. Daraus ergibt sich aber keine Erkrankung, die eine dauerhafte Unfähigkeit der Klägerin, in die Republik Polen zu reisen, zur Folge hat.

IV. Die Kosten beider Instanzen sind nach § 154 Abs. 1 VwGO von den Klägern zu tragen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

V. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungszulassungsverfahren mit Beschluss vom 29. Januar 2015 erstreckt sich auch auf das Berufungsverfahren (vgl. BVerwG, B.v. 29.11.1994 – 11 KSt 1/94 – DÖV 1995, 384).

VI. Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. November 2014 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 AsylVfG nicht vorliegen. Das Urteil betrifft die Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. April 2014 mit dem Ausspruch, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist.

Das Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 VwGO. Die Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht stelle darauf ab, dass der bislang zuständige Mitgliedstaat nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr zur Übernahme bereit sei, und nehme dadurch Tatsachen an, von denen ein sachkundiger Prozessbeteiligter nicht ausgehen müsse. Sie sieht darin eine Überraschungsentscheidung und beruft sich somit auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 -1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, könnte nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine generelle Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel oder den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers einschätzt. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt (BVerwG, B. v. 19.7.2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372; B. v. 19.6.1998 - 6 B 70.97 - Buchholz 448.6 § 1 KDVG Nr. 56 = NVwZ-RR 1998, 759).

Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen ist vorliegend eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht zu erkennen. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt mit Schreiben vom 12. November 2014 um Stellungnahme zum Ablauf der Überstellungsfrist gebeten. Dabei wurde Bezug genommen auf die Regelung in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), wonach der zuständige Mitgliedstaat nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Im Hinblick auf dieses gerichtliche Schreiben und einen fehlenden Hinweis der Beklagten, dass Ungarn vorliegend entgegen des gesetzlichen Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik ausnahmsweise dennoch zur Aufnahme bereit wäre, gibt die Einschätzung des Gerichts zur Übernahmebereitschaft Ungarns dem Rechtsstreit keine unerwartete Wende. Von einer Übernahmebereitschaft nach Ablauf der Überstellungsfrist kann angesichts des gesetzlichen Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik grundsätzlich nicht ausgegangen werden, so dass die Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht als fernliegend anzusehen sind. Mit Recht weist der Kläger darauf hin, dass es Sache der Beklagten wäre, eine ausnahmsweise trotz Fristablaufs vorhandene Bereitschaft zur (Wieder-)Aufnahme entsprechend mitzuteilen. Die gegenteilige Annahme im Urteil kommt bei dem hier vorliegenden Verfahrensablauf nicht überraschend.

Das Urteil weicht auch nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861) ab. Eine Divergenz i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B. v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Die Beklagte rügt insoweit, das Verwaltungsgericht lege den Rechtssatz zugrunde, gegen die gemäß § 27a AsylVfG erfolgte Antragsablehnung sei (nur) die Anfechtungsklage statthaft. Dies stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, weil im Gegensatz zu dessen Anforderungen keine das asylrechtliche Folgeverfahren abschließende Entscheidung getroffen werde.

Die Beklagte weist selbst zunächst selbst darauf hin, dass die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen ist. Vorliegend ist Klagegegenstand aber eine Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 27a AsylVfG. Das Bundesamt hat nur darüber entschieden und im Übrigen darauf verwiesen, dass eine materielle Prüfung nicht erfolgt ist. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem ausgeführt, dass der Aspekt, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich den geltend gemachten Anspruch auf Asylanerkennung betreffe. Dass die Anforderungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids erfüllt seien, sei Voraussetzung für den Anspruch auf Asyl, nicht aber gebe es einen selbstständig neben diesem stehenden und eigenständig einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch. Damit könne weder lediglich auf „Wiederaufgreifen“ geklagt noch vom Gericht „isoliert“ über die Frage, ob wiederaufzugreifen sei, entschieden werden. Eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben. Zum einen steht hier als Vorfrage zum Anerkennungsanspruch des Klägers die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens nach den Anforderungen der Dublin III-VO im Streit. Zum anderen klagt der Kläger weder „isoliert“ auf Wiederaufgreifen noch macht er (materiell) einen Anspruch auf Asylanerkennung geltend. Er geht vielmehr allein gegen die Feststellung vor, dass sein Asylantrag unzulässig sei und beantragt nur die Aufhebung dieses feststellenden Verwaltungsakts. Dem ist das Verwaltungsgericht gefolgt und davon ausgegangen, dass ein (isolierter) Anfechtungsantrag statthaft ist. Mit dieser Annahme wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung widersprechen würde, weil ein Anspruch auf Asylanerkennung und damit ein materielles Verpflichtungsbegehren, wie es der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation zugrunde lag, hier nicht im Raum stand.

Der Streitsache kommt schließlich auch nicht die ihr von der Beklagten hilfsweise zugemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Die Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „bei einem als unzulässig i. S. d. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag die prozessuale Dispositionsbefugnis der Klägerseite Einschränkungen bzw. Maßgaben unterliegt und deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine Verpflichtungsklage zu erheben ist, sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, dem folgend das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist“. Im in besonderer Weise von der Verwirklichung der Grundsätze einer Verfahrenskonzentration und -beschleunigung geprägten Asylverfahren sei nur eine auf Statuszuerkennung gerichtete Klage, nicht aber ein nur auf bloße Anfechtung oder auf Rückverweisung zur nochmaligen behördlichen Befassung gerichtetes Begehren zulässig.

Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung. Denn sie sind durch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Urteil vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) als statthafte Klageart gegen die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, die Anfechtungsklage angesehen. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu revisiblem Bundesrecht der Rechtssache nicht die grundsätzliche Bedeutung nimmt (BVerfG, B. v. 11.2.2008 - 2 BvR 2575/07 - InfAuslR 2008, 240) und eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht erfolgt ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf besteht aber im Gegensatz zu der Fallkonstellation, die der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, vorliegend dennoch nicht, weil die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs mit der allgemeinen obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang steht (siehe NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B. v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - AuAS 2014, 118 = DVBl 2014, 790; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Danach ist gegen Entscheidungen des Bundesamts, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27a AsylVfG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II- bzw. Dublin III-VO ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylverfahrens zu unterscheiden. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158; U. v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - NVwZ 1996, 80) im vergleichbaren Fall einer Einstellungsverfügung durch das Bundesamt nach §§ 32, 33 AsylVfG die vom Kläger beantragte (bloße) Aufhebung des Einstellungsbescheids für ausreichend erachtet mit der Folge, dass die Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleibt. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht zwar die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen habe, dies aber nicht ausnahmslos gelte. Es könne nicht generell Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz stehe im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Darüber hinaus ginge dem Asylantragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien wie persönliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ausgestattet sei. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen sei und nicht generell eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen werden könne. Diese Ausführungen können auf vorliegende Konstellation übertragen werden.

Das Urteil des zweiten Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2012 (A 2 S 1355/11 - AuAS 2012, 213), auf das sich die Beklagte beruft, unterscheidet sich dadurch, dass sich der Kläger hier in zulässiger Weise auf einen Anfechtungsantrag beschränkt, wohingegen der dortige Kläger einen Verpflichtungsantrag gestellt hatte. In diesem Zusammenhang erwähnt der Verwaltungsgerichtshof die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen. Zudem dürfte die Entscheidung durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zwischenzeitlich überholt sein, worauf auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Urteil vom 16. April 2014 (a. a. O.) hinweist.

Auch die weiter aufgeworfenen Rechtsfragen, „ob die Aufrechterhaltung einer mit Unzulässigkeit gemäß § 27a AsylVfG begründeten Ablehnung der inhaltlichen Asylantragsprüfung auf anderer Rechtsgrundlage bzw. die Umdeutung einer so begründeten Entscheidung nach der asylverfahrensrechtlichen Konzeption ausscheidet, insbesondere auch dann, wenn es sich um den Fall eines Zweitantrags i. S. d. § 71a AsylVfG handelt, und ob sich das Tatsachengericht darauf beschränken darf, in diesen Konstellationen, zumal wenn ein ohne Statuszuerkennung gebliebenes Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Dublin-Verordnung hinzukommt, für die Aufhebung eines behördlich zum Nachteil des Antragstellers mit Verweis auf § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides insoweit hinsichtlich des im Bundesgebiet gestellten Asylbegehrens nur zu prüfen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung nach § 27a AsylVfG nicht (mehr) erfüllt sind, oder ob es bei zugleich gegebenen Zweitanträgen noch der weitergehenden Feststellung bedarf, dass überhaupt ein verfahrensrelevanter Asylantrag vorliegt, nicht nur weil die Verfahrenszuständigkeit Deutschlands besteht, sondern zudem Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG dargetan sind“, begründen nicht die Zulassung der Berufung.

Da sich der Kläger zulässigerweise auf eine Anfechtungsklage beschränkt hat, mangelt es bereits an einem entsprechenden Verpflichtungsbegehren. Zudem bedarf die Frage einer Umdeutung keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sie durch eine Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 47 VwVfG beantwortet werden kann. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht zulässig, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Hier sind die beiden möglichen Verwaltungsakte, die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags einerseits und die inhaltliche Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG, schon nicht auf das gleiche Ziel gerichtet. Ersteres dient allein der Feststellung, dass nicht die Bundesrepublik, sondern ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Asylbegehren steht hierbei nicht inmitten. Die zweite Variante hingegen hat die materielle Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zum Ziel. Auch würde die Umdeutung der im Bescheid explizit genannten Absicht, den Asylantrag in der Bundesrepublik nicht materiell zu prüfen, widersprechen. Dadurch unterscheidet sich vorliegende Konstellation auch von derjenigen, die der von der Beklagten genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 24.11.1998 - 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302) zugrunde liegt. Dort hat das Bundesamt den Asylantrag materiell geprüft und eine Asylanerkennung zurückgenommen. In einem solchen Fall, der schon den Anerkennungsanspruch des Klägers zum Gegenstand hat, hat das Gericht der Entscheidung zufolge zu prüfen, ob sich der Aufhebungsbescheid als Widerruf der Asylanerkennung aufrechterhalten lässt. Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG. Da hiernach die Beklagte die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen hat, bedurfte es keiner Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.