I.
Gegenstand der Meinungsverschiedenheiten ist die Frage, ob die durch das Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Februar 2015 (GVBl S. 18) eröffnete Möglichkeit, Volksbefragungen durchzuführen, mit der Bayerischen Verfassung zu vereinbaren ist.
Die Bayerische Staatsregierung brachte am 29. April 2014 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes (Einführung von Volksbefragungen) im Bayerischen Landtag ein (LT-Drs. 17/1745). In der Ersten Lesung vom 7. Mai 2014 beschloss das Landtagsplenum, den Gesetzentwurf an den federführenden Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen zu überweisen (Plenar-protokoll 17/16 S. 948/954). Dort fand am 16. Oktober 2014 eine Expertenanhörung statt. Nach weiterer Beratung am 13. November 2014 empfahl der Ausschuss am 5. Februar 2015 die Zustimmung zu dem Entwurf mit der Maßgabe, dass der 1. März 2015 als Datum des Inkrafttretens eingefügt wird (LT-Drs. 17/5145). Am 11. Februar 2015 wurde der Entwurf vom Landtagsplenum in Zweiter Lesung beraten und anschließend beschlossen (Plenarprotokoll 17/37 S. 2906 ff.). Abgeordnete der Antragstellerinnen machten bei den Beratungen sowohl im federführenden Ausschuss als auch im Landtagsplenum geltend, die Einführung von Volksbefragungen sei in der vorgesehenen Form mit der Bayerischen Verfassung nicht zu vereinbaren. Das Gesetz wurde am 23. Februar 2015 vom Bayerischen Ministerpräsidenten ausgefertigt und in der Nr. 2/2015 des Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatts vom 27. Februar 2015 auf S. 18 f. bekannt gemacht.
Die in das Landeswahlgesetz eingefügte maßgebliche Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
Art. 88 a
Volksbefragung
(1) 1Über Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung wird eine Volksbefragung durchgeführt, wenn Landtag und Staatsregierung dies übereinstimmend beschließen. 2Über die Gesetzgebung findet keine Volksbefragung statt.
(2) Art. 75 Abs. 1, Art. 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 77 Sätze 1 und 2,
Art. 78 und 80 finden entsprechende Anwendung.
(3) Das Ergebnis einer Volksbefragung lässt die dem Landtag und der Staatsregierung nach der Verfassung zustehenden Befugnisse unberührt.
II.
1. Mit Schriftsatz vom 20. November 2014 beantragt die Antragstellerin zu I:
1. Es wird festgestellt, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung vom 29.04.2014 (LT-Drs. 17/1745) die Verfassung des Freistaates Bayern verletzt.
2. Für den Fall, dass während dieses Verfahrens der unter 1. genannte Gesetzentwurf vom Landtag als Gesetz beschlossen und dieses vom Ministerpräsidenten ausgefertigt sowie bekannt gemacht wird: Es wird festgestellt, dass das Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom ... (GVBl ...) die Verfassung des Freistaates Bayern verletzt und deswegen nichtig ist.
Der Antrag auf Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof könne bereits während des Gesetzgebungsverfahrens gestellt werden. Die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten müssten nicht warten, bis das Gesetz ausgefertigt und bekannt gemacht worden sei. Vielmehr könne im Rahmen einer vorbeugenden Normenkontrolle bereits vorher entschieden werden, ob die durch einen Gesetzentwurf ins Auge gefasste Regelung mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sei. Mit Schriftsatz vom 18. März 2015 weist die Antragstellerin darauf hin, dass der Entwurf zwischenzeitlich vom Landtag als Gesetz beschlossen worden sei. Daher richte sich der Antrag gemäß seiner Nr. 2 nicht mehr gegen den Entwurf, sondern gegen das Gesetz.
Das durch Änderung des Landeswahlgesetzes eingeführte Institut der Volksbefragung sei mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar.
a) Es verstoße gegen das Prinzip des Verfassungsvorbehalts.
aa) Der Grundsatz des formellen Verfassungsvorbehalts sei verletzt, weil der Gesetzgeber sich einer Regelungsmaterie annehme, derer er sich von Verfassungs wegen nicht annehmen dürfe. Thematisch vergleichbare Regelungen seien auf Verfassungsebene bereits abschließend normiert und einer Erweiterung oder Modifizierung durch den einfachen Gesetzgeber nicht zugänglich. Der Verfassungsgeber habe sich bei der Ausgestaltung des Demokratieprinzips grundsätzlich für das repräsentativ-demokratische System entschieden. Zwar sehe die Bayerische Verfassung auch plebiszitäre Elemente vor; jedoch stünden die repräsentativen zu den plebiszitären Elementen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Plebiszitäre Willensäußerungen seien nur insoweit möglich, als die Verfassung diese in Art. 18 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Art. 74 und 75 Abs. 2 BV selbst vorsehe und damit zulasse. Diese Regelungen seien schon wegen ihrer zumindest teilweisen Detailgenauigkeit als abschließend anzusehen und durch den einfachen Gesetzgeber nicht beliebig änderbar oder erweiterbar. Entgegen der Grundentscheidung der Verfassung, dass plebiszitäre Mechanismen (mit Ausnahme der Sondersituation der Verfassungsänderung in Art. 75 Abs. 2 BV) vom Volk selbst („von unten“) in Gang gesetzt werden könnten, ermögliche Art. 88 a LWG den Zugriff des Landtags und der Staatsregierung „von oben“ auf das Volk. Neuartige oder zusätzliche unmittelbare Beteiligungen des Volkes bedürften gemäß Art. 75 Abs. 4 BV einer Verankerung im Verfassungstext.
Die Zulassung von Volksbefragungen im Bereich des exekutivischen Handelns bedeute im Übrigen einen viel größeren Bruch mit dem verfassungsrechtlichen Regelungsgefüge als dies im Bereich der Legislative der Fall sei. Denn immerhin kenne die Verfassung die Volksbeteiligung im Zusammenhang mit der Gesetzgebung in den (freilich abschließenden) Art. 74 ff. BV, wohingegen im Bereich der Exekutive und Gubernative Volksbeteiligungen von der Verfassung überhaupt nicht vorgesehen seien.
bb) Aus dem materiellen Gehalt des Verfassungsvorbehalts und dem Prinzip des Vorrangs der Verfassung ergebe sich, dass die inhaltliche Grundkonzeption der Verfassung einer einfachgesetzlichen Regelung institutionell nicht entgegenstehen dürfe. Dies sei bei der Einführung von konsultativen Volksbefragungen oder Volksabstimmungen indes der Fall, da die vom Verfassungsgeber austarierte Kompetenz- und Machtverteilung in substanzieller Weise verändert werde.
(1) Die verfassungsmäßig vorgesehene Rolle des Landtags und des diesen konstituierenden sowie legitimierenden Wahlakts würden entwertet.
Die Verfassung stehe einer einfachgesetzlichen institutionellen Schwächung des Parlaments entgegen, die darin liege, dass es über grundlegende und landesweit bedeutsame Vorhaben trotz eines durch den Wahlakt legitimierten „Wählerauftrags“ nicht selbst entscheide, sondern als Grundlage seiner Entscheidung eine (wenn auch nur konsultative) Volksabstimmung herbeiführe, mithin eine Abstimmung über Punkte, die im Regelfall bereits Gegenstand der periodisch wiederkehrenden Landtagswahlen gewesen seien. Solche Fragen sollten nach den Vorstellungen der Verfassung in einem strukturierten Diskussionsprozess im Parlament erörtert und dort - gegebenenfalls mit fachlicher Unterstützung von Sachverständigen - einem politischen Bewertungs- und Abwägungsprozess unterzogen werden. Da das Volk selbst nicht organisiert sei und unterschiedliche Meinungen kaum bündeln könne, bewirke die Einführung punktueller konsultativer Volksbefragungen „zwischendurch“ auch eine zumindest partielle Relativierung des in der repräsentativen Demokratie vorausgesetzten Rationalitätsreservoirs. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass nach dem Gesetzentwurf nur Landtag und Staatsregierung gemeinsam eine Volksbefragung initiieren könnten. Ein solcher Einwand übersehe, dass sich die die Staatsregierung stützenden Fraktionen einem entsprechenden Ansinnen der Staatsregierung politisch kaum entziehen könnten.
Auch könne man daraus, dass das Parlament rechtlich an ein entsprechendes Votum des Volkes nicht gebunden sei, nicht schließen, dass damit jegliche Bindungswirkung ausgeschlossen wäre. Die Verfassungswirklichkeit und die faktische Dimension des Staatsorganisationsrechts könnten nicht unberücksichtigt bleiben. Das Ergebnis einer Volksbefragung werde, da es unmittelbares und starkes demokratisches Gewicht habe, nur im Ausnahmefall und unter besonderen Bedingungen vom Parlament ignoriert oder gar in sein Gegenteil verkehrt werden können. Auch durch rechtlich unverbindliche Volksbefragungen werde dem Volk eine Mitwirkung an der Staatswillensbildung eingeräumt. Als oberstes Verfassungsorgan übe das Volk insoweit Staatsgewalt aus. Dies stehe im Widerspruch zur Verfassung, die - außer dem Institut des Volksbegehrens und des Volksentscheids -als legitimatorischen Akt nur die periodisch wiederkehrenden Wahlen vorsehe. Zudem werde die Öffentlichkeit erwarten, dass von der Möglichkeit der konsultativen Volksbefragung Gebrauch gemacht werde; dies führe auch zu einer faktischen Schwächung von Parlament und Wahlakt.
(2) Die von der Verfassung konzipierte Stellung des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung werde zulasten des Landtags verschoben.
Auf der Basis des Art. 43 Abs. 1 BV könne und müsse sich die Staatsregierung als Gubernative aller den Freistaat Bayern betreffenden Themen politisch-grundsätzlicher Art eigenständig und eigenverantwortlich annehmen. Die Verfassung gehe davon aus, dass sich die Staatsregierung für ihre Gesetzentwürfe und sonstigen wesentlichen (meist auch haushaltswirksamen) Projekte im Parlament jeweils eine Mehrheit sichern müsse. Die Staatsregierung habe de constitutione lata kein Recht, über grundlegende Angelegenheiten der Leitungsfunktion eine Volksabstimmung herbeizuführen und sich damit gegenüber dem Landtag den politischen Vorteil höherer demokratischer Dignität zu verschaffen. Zwar sei es der Staatsregierung unbenommen, sich an Meinungsumfragen zu orientieren oder solche in Auftrag zu geben („Resonanzstudien“). Jedoch habe sie sich dabei auf informelle Meinungsäußerungen zu beschränken, die nicht den Eindruck einer institutionellen Willensbildung vermitteln dürften.
Im Rahmen der Exekutivtätigkeit könne die Durchführung von konsultativen Volksbefragungen zumindest tendenziell die Gefahr hervorrufen, dass sich die Staatsregierung im Fall der Diskrepanz des Ergebnisses der Volksabstimmung zu den einschlägigen rechtlichen Regelungen an das Votum des Volkes gebunden fühle. Besonders augenscheinlich sei dies bei großen Infrastrukturprojekten, an die die Staatsregierung bei der Formulierung des Gesetzentwurfs wohl in erster Linie gedacht habe. Für solche Projekte gelte in der Regel Bundesrecht. Schon kompetenzrechtlich dürfte es ausgeschlossen sein, dass der Landesgesetzgeber insoweit zusätzliche Volksbefragungen vorsehe, die in den Verfahrensvorschriften des einschlägigen Bundesrechts nicht vorgesehen seien. Es sei auch zu befürchten, dass die Exekutive etwa bei der Gesamtabwägung der betroffenen Belange dem Ergebnis einer Volksbefragung ein Gewicht beimesse, für welches das Bundesrecht keine Grundlage biete.
Es könne ein Konflikt zu dem in Art. 51 Abs. 1 BV verankerten Ressortprinzip entstehen. Das Recht der Staatsregierung, Volksbefragungen (mit) zu initiieren, differenziere nicht zwischen der Staatsregierung als Gremium und den ressortverantwortlichen Staatsministern. Soweit die Staatsregierung im Bereich der Ressortverantwortung Volksbefragungen anrege, handle sie rechtswidrig.
(3) Das Prinzip der parlamentarischen Verantwortung der Staatsregierung werde relativiert; dies führe zu einer weiteren Schwächung des Parlaments zugunsten der Staatsregierung.
Der Ministerpräsident und die Staatsminister trügen gemäß Art. 47 Abs. 2, Art. 51 Abs. 1 BV die Verantwortung gegenüber dem Landtag. Seien sie sich bei einer politisch heiklen Frage nicht sicher, ob die von ihnen präferierte Lösung auf Akzeptanz in der Öffentlichkeit oder im Parlament stoße, ermögliche es das Institut der Volksbefragung, negative politische Konsequenzen präventiv abzufedern. Durch die Initiierung einer Volksbefragung seitens der Staatsregierung und die politische Bindung an das Ergebnis der Befragung hätten der Ministerpräsident und die Staatsminister ein politisch gewichtiges, in der Verfassung aber gerade nicht vorgesehenes Instrument zur demokratischen Rechtfertigung ihres Tuns in der Hand. Hierin liege eine deutliche Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten des Ministerpräsidenten und letztlich der gesamten Staatsregierung. Denn das Vorliegen einer das Handeln der Staatsregierung rechtfertigenden Volksabstimmung dürfte faktisch die Bereitschaft des Parlaments mindern, eine zur Rücktrittspflicht gemäß Art. 44 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BV führende Situation festzustellen.
Der einfachgesetzlich konzipierten Verschiebung verfassungsunmittelbar vorgesehener Kompetenzen und damit Machtstrukturen lasse sich nicht entgegenhalten, dass das Instrument der Volksbefragung nur einen geringen Anwendungsbereich haben werde. Insbesondere sei dieser keineswegs auf Vorhaben der Exekutive, wie beispielsweise solche der Infrastruktur, beschränkt. Zwar sei die Gesetzgebung von der Volksbefragung ausgenommen. Dies gelte aber nicht für Vorhaben des Staates, die noch keinen Eingang in ein Gesetzgebungsverfahren gefunden hätten, die aber zur späteren Realisierung eines Gesetzes bedürften. Zudem seien weder zur Überwachung des Ausschlusses der Gesetzgebung noch im Hinblick auf staatshaushaltsrelevante Fragen gemäß Art. 73 BV (präventive) Kontrollmöglichkeiten vorgesehen.
b) Ferner sei Art. 16 a BV verletzt.
Zwar folge aus dieser Verfassungsbestimmung kein originärer Anspruch der Opposition auf die Einführung bestimmter organisationsrechtlicher Maßnahmen zu ihren Gunsten. Wenn der Gesetzgeber jedoch ein neues politisches, machtrelevantes Institut der Willensbildung schaffe, habe er dabei auch die staatsorganisationsrechtliche Grundsatz- und Wertentscheidung des Art. 16 a BV zu beachten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Das Instrument der Volksbefragung gerate in der konkreten Ausgestaltung zum Machtinstrument, das allein der „Aktionseinheit“ von Staatsregierung und Landtagsmehrheit den Zugriff auf das Plebiszit ermögliche. Auch wenn die Volksbefragung keine rechtliche Bindungswirkung entfalte, sei die Opposition institutionell zu beteiligen.
2. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2015 beantragt die Antragstellerin zu II:
Es wird festgestellt, dass das Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Februar 2015 (GVBl S. 18) in §§ 1 und 2 Abs. 1 gegen die Bayerische Verfassung verstößt und nichtig ist.
a) Diese Bestimmungen griffen in das durch die Bayerische Verfassung geregelte Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive ein.
aa) Die dadurch ermöglichten konsultativen Volksbefragungen seien als Teil der Staatswillensbildung zu verstehen.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1958 (BVerfGE 8, 104 ff.) zu den Volksbefragungsgesetzen der Länder Hamburg und Bremen über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr die konsultative Volksbefragung von bloßer Statistik, Meinungsforschung, öffentlicher Meinung und von der politischen Willensbildung des Volkes unterschieden. Entscheidend sei, ob die Befragung eine Veranstaltung des gesellschaftlich-politischen oder des staatsorganschaftlichen Bereichs sei. Wenn die wahlberechtigten Bürger sich aufgrund einer gesetzlichen Regelung und genauso wie bei verbindlichen Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksentscheiden äußern sollten, so sei dieses Gesetz die Rechtsgrundlage für eine Teilnahme des Bürgers als Glied des Staatsvolkes an der Bildung des Staatswillens. Dahinter trete im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall zurück, dass die Volksbefragung nicht als rechtsverbindlich ausgestaltet gewesen sei.
Die vom Bundesverfassungsgericht für die Überprüfung eines Volksbefragungsgesetzes am Maßstab des Grundgesetzes entwickelten Grundsätze seien auf die Überprüfung des zur Entscheidung gestellten Gesetzes am Maßstab der Bayerischen Verfassung übertragbar. Dieses Gesetz sehe für die Durchführung eine entsprechende Anwendung der Bestimmungen über Volksentscheide vor. Zwar sei die Volksbefragung nach dem angegriffenen Gesetz nicht auf ein bestimmtes Befragungsthema beschränkt, sondern strukturell offen. Da die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zur Staatswillensbildung aber nicht bei den Inhalten der Volksbefragung ansetzten, sondern beim Verfahren der Willensbildung, könne hieraus kein Unterscheidungskriterium abgeleitet werden. Auch aus der Unverbindlichkeit ergebe sich keine Abweichung zu dem vom Bundesverfassungsgericht eingenommenen Standpunkt.
Nach den Intentionen der Staatsregierung solle neben den direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten im Bereich der Gesetzgebung die Möglichkeit einer unmittelbaren Beteiligung des Volkes im Bereich der Aufgaben geschaffen werden, die der Staatsregierung als oberster leitender und vollziehender Behörde oblägen. Die Volksbefragung habe nach ihrer Funktion in der Verfassungswirklichkeit, auf die abzustellen sei, mehr Ähnlichkeit mit einem Wahlakt als mit einem Gesetzgebungsakt, der einen ausformulierten Gesetzentwurf zur Grundlage habe. Die Abstimmung stelle sich als Teilhabe an der Entscheidung der Exekutive, als Möglichkeit zur Stellungnahme und damit indirekt als Möglichkeit der Einflussnahme auf die Exekutive in einem Bereich nicht gebundener Verwaltung dar. Das Gesetz statuiere ein Teilhaberecht sui generis, mediatisiert durch die Teilhaberechte aller anderen abstimmungsberechtigten Staatsbürger. Auch wenn sich die Teilhabe im Abstimmungsakt erschöpfe, bleibe sie doch Teil der amtlich dokumentierten Willensbildung. Das Teilhaberecht werde dem Bürger eingeräumt und erweitere seinen status activus; es eröffne dem Staatsvolk die Handlungsmöglichkeit, sich im Rahmen der Fragestellung zu positionieren und zu artikulieren. Da der Bürger in einem rechtlichen Rahmen seinen Willen kundgebe und dieser Wille als Abstimmungsergebnis festgestellt werde, sei diese Willensbildung auch für den bayerischen Verfassungsraum der Staatswillensbildung zuzurechnen.
bb) Die Qualifizierung der Volksbefragung als Staatswillensbildung führe nicht dazu, dass die angegriffene Regelung unter dem Vorbehalt der Verfassungsänderung stehe.
Der Verfassungsgerichtshof habe bereits entschieden, dass es ohne Änderung der Verfassung nicht zulässig sei, neben dem Volksbegehren eine weitere Form eines dem Volk zustehenden Gesetzesinitiativrechts zu schaffen. Hiervon unterscheide sich die Volksbefragung jedoch in doppelter Hinsicht. Diese sei zum einen nach dem Verfahrensgang beschränkt auf eine vorgegebene Fragestellung, deren Formulierung der Staatsregierung und dem Landtag anheimgegeben sei. Die Staatswillensbildung geschehe nicht initiativ, sondern reaktiv. Zum anderen sei die Volksbefragung inhaltlich auf die Affirmation oder Negation zu Vorhaben der Exekutive beschränkt. Eine vom Parlament initiierte Volksbefragung - ohne rechtliche Bindungswirkung und im Bereich einer Detailentscheidung „mit gutem Grund“ -bewege sich im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips. Die Offenheit der Bayerischen Verfassung für Volksrechte einerseits und die Möglichkeit des Parlaments, qua Einzelfallgesetzgebung exekutivisch geprägte Entscheidungen zu treffen, andererseits führten dazu, dass jedenfalls eine vom Parlament initiierte Volksbefragung auch ohne Verfassungsänderung zulässig sei. Anders als die Volksgesetzgebung habe die Volksbefragung ungeachtet der praktisch-politischen Wirkung ihres Ergebnisses eine geringere rechtliche Dignität. Sie schaffe kein allgemeinverbindliches Recht, sondern zeige Zustimmung oder Ablehnung; sie bleibe im verfassungsrechtlichen Sinn folgenlos. Bei der Anwendung sei allerdings darauf zu achten, dass es sich um Themen handle, die in die Kompetenz der Staatsregierung fielen.
cc) Das angegriffene Gesetz stärke die Stellung des Ministerpräsidenten über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinaus; insoweit greife es sowohl zulasten der Ressortverantwortung der Staatsminister wie auch zulasten des Landtags in deren verfassungsrechtlich garantierte Rechtspositionen ein. Da es durch seine bloße Existenz das verfassungsrechtliche Kompetenzgefüge verschiebe, hätte es nur als verfassungsänderndes Gesetz erlassen werden dürfen.
Ergänzend zu den diesbezüglichen Ausführungen des Bevollmächtigten der Antragstellerin zu I sei Folgendes anzumerken:
Die Volksbefragung könne nur im Einvernehmen zwischen Landtag und Staatsregierung initiiert werden. Negativ betrachtet bedeute dies ein Vetorecht für jedes der beiden beteiligten obersten Staatsorgane. Verfassungspraktisch komme diesem Vetorecht aber nur geringe Bedeutung zu, da der die Staatsregierung führende Ministerpräsident vom Landtag gewählt worden sei und über eine Mehrheit im Landtag verfüge. Die Einführung der Volksbefragung verschiebe die Gewichte weg vom Parlament hin zur „Aktionseinheit“ von Staatsregierung und Landtagsmehrheit. Der Anstoß zur Durchführung einer Volksbefragung werde regelmäßig von der Staatsregierung ausgehen, schon weil es sich um Vorhaben der Exekutive handle. Die Staatsregierung könne und werde sich des Instruments der Volksbefragung zur politischen Durchsetzung ihrer Vorstellungen bedienen. Die Debatte, die bei Vorhaben von landesweiter Bedeutung eigentlich in den Landtag gehöre und die nach der Struktur der Verfassung repräsentativ-demokratisch zu führen wäre, könne durch die Volksbefragung populistisch beendet werden. Diese solle vordringlich dazu dienen, die Legitimationsbasis der Staatsregierung bei der Durchsetzung von Infrastrukturprojekten, die vor Ort umstritten seien, zu verbreitern. Zugleich eröffne das Referendum die Möglichkeit, die Verantwortung für ein Vorhaben auf das Staatsvolk zu verlagern. Völlig unklar bleibe, wie ein einmal artikulierter, wenn auch unverbindlicher Volkswille in das hochkomplexe Abwägungsgeflecht bei der gerichtlichen Überprüfung infrastruktureller Vorhaben eingepasst werden solle.
Schließlich werde die verfassungsrechtlich vorgegebene Rolle des Ministerpräsidenten, der die Richtlinien der Politik bestimme und die Staatsregierung führe, verändert. Er könne sich über die Ressortverantwortlichkeit hinweg direkt an das Volk wenden. Unabhängig vom Turnus der Wahlen habe er die Möglichkeit, die Volksbefragung als Plebiszit über die eigene Person auszugestalten. Damit könne die Volksbefragung zur Volkswahl des Ministerpräsidenten mutieren. Es gehe nicht um einen Mehrgewinn an Demokratie, sondern um einen Machtzugewinn. Dies sei mit der Bayerischen Verfassung nicht zu vereinbaren.
b) Die angegriffene Regelung verstoße gegen Art. 16 a Abs. 2 BV.
Dadurch, dass kein Initiativrecht für Minderheiten vorgesehen sei, werde die „Aktionseinheit“ zwischen der Regierung und der sie tragenden Landtagsfraktion erstmals in einem Gesetz institutionalisiert. Dies stelle einen Präzedenzfall dar, der geeignet sei, die Rechte der Opposition zentral zu schwächen. Wenn und solange ein Legitimationsinstrument wie die Volksbefragung bestehe, müsse hierzu ein chancengleicher und diskriminierungsfreier Zugang gewährleistet werden. Hieran fehle es, weil an keiner Stelle im Prozess der Volksbefragung Einwirkungs-, Gestaltungs- oder Kontrollrechte der Opposition vorgesehen seien. Gerade weil sich die Volksbefragung auf Vorhaben der Exekutive beziehe, erfordere die im Gewaltenteilungsprinzip angelegte Kontrollfunktion der Legislative gegenüber der Exekutive ein Partizipationsrecht nicht nur der Landtagsmehrheit, sondern auch der Opposition. Dieses Recht könne sinnvollerweise nur durch die Formulierung der Fragestellung und durch die Wahl des Zeitpunkts der Volksbefragung verwirklicht werden.
III.
1. Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag (Antragsgegnerin zu 1 in beiden Verfahren) hält die Anträge für unbegründet.
a) Ein Verstoß gegen den Verfassungsvorbehalt sei nicht gegeben. Art. 88 a LWG beziehe sich auf Gegenstände in exekutivischer Primärverantwortung. Dementsprechend sei von einem direktdemokratischen Element auszugehen, das sich nicht in die Systematik der Art. 71 ff. BV einordnen lasse. Das Konzept plebiszitärer Willensbildung, wie es in der Bayerischen Verfassung angelegt sei, werde weder erweitert noch modifiziert. Es handle sich der Sache nach um ein Aliud gegen über den in Art. 18 Abs. 3, Art. 74 und 75 Abs. 2 BV geregelten Entscheidungsbefugnissen, das nur einen geringen Anwendungsbereich eröffne. Angesichts des konsultativen Charakters der Volksbefragung erscheine es sachgerecht, dieses Instrument weniger als einen Akt der Staatswillensbildung als vielmehr als einen Beitrag zur Staatswillensbildung zu verstehen. Die abschließende Wirkung der Regelungen in Art. 71 ff. BV werde daher nicht ausgelöst.
b) Im Gegensatz zu dezisiven direktdemokratischen Elementen hätten konsultative Volksbefragungen keine relevante Verschiebung im staatsorganisatorischen Gefüge zur Folge. Maßgeblich sei, dass das konsultative Referendum den Verfassungsorganen auch die Entscheidung gestatte, sich inhaltlich anders zu entscheiden. Die Gleichsetzung möglicher politischer Wirkungen mit einer rechtlichen Bindung überzeuge schon im Ansatz nicht. Anders als für den Bereich der Gesetzgebung vermöge exekutivisches Handeln keine dauerhafte Bindungswirkung gegenüber anderen Verfassungsorganen zu entfalten. Der Landtag werde in seinen verfassungsrechtlich radizierten Befugnissen nicht betroffen. Insbesondere führe das gewählte Regelungskonzept zu keiner Minderung seiner Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten, wie schon das Erfordernis eines Parlamentsbeschlusses vor der Durchführung einer Volksbefragung zeige. Unangetastet bleibe auch die Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten und der Staatsminister.
c) Die Rechte der parlamentarischen Opposition würden nicht beeinträchtigt. Soweit Art. 16 a BV die parlamentarische Opposition als grundlegenden Bestandteil der parlamentarischen Demokratie bezeichne, enthalte dies zwar ein Bekenntnis zum Stellenwert der Opposition; die Vorschrift begründe aber keine eigenen neuen Rechte. Der Opposition werde durch die streitgegenständliche Regelung nichts vorenthalten, worauf sie von Verfassungs wegen einen Anspruch hätte. Aus Art. 16 a BV könne nicht abgeleitet werden, dass jedes Mehrheitsrecht auch der Minderheit einzuräumen sei. Vielmehr sähe sich die Einführung entsprechender Initiativrechte ihrerseits z. B. im Hinblick auf die Mehrheitsregelung des Art. 23 BV durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Es bestehe zudem die Gefahr, dass die in Art. 5 BV angelegte Grundentscheidung für eine effektive gegenseitige Kontrolle einzelner Verfassungsorgane sowie die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie beeinträchtigt würden. Da eine konsultative Volksbefragung nach Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG einen Beschluss von Landtag und Staatsregierung voraussetze, bestehe auch die Möglichkeit zur Artikulation oppositioneller Positionen im Rahmen der entsprechenden parlamentarischen Debatte.
2. Die Bayerische Staatsregierung (Antragsgegnerin zu 2 in beiden Verfahren) äußert Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags der Antragstellerin zu I und hält beide Anträge für unbegründet.
a) Zweifelhaft sei, ob der Antrag der Antragstellerin zu I im Zeitpunkt seiner Einreichung überhaupt zulässigerweise habe gestellt werden können. Zuvor hätten lediglich die erste Lesung, eine Sachverständigenanhörung und die Erstberatung im Verfassungsausschuss stattgefunden. In diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens stehe das Ergebnis der Beratungen möglicherweise noch nicht hinreichend fest, so dass noch kein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsgerichtliches Verfahren vorliege.
b) Das vom Landtag mittlerweile beschlossene Gesetz sei verfassungsgemäß.
aa) Konsultative Volksabstimmungen seien auf einfachgesetzlicher Grundlage grundsätzlich zulässig. Die in Art. 88 a LWG vorgesehene Volksbefragung sei keine verbindliche Entscheidung über die Ausübung der Staatsgewalt, denn das Ergebnis der Abstimmung binde die staatlichen Organe nicht; vielmehr lasse die Befragung die dem Landtag und der Staatsregierung nach der Verfassung zustehenden Befugnisse ausdrücklich unberührt. Der Ausschluss der rechtlichen Verbindlichkeit sei für die Frage einer möglicherweise erforderlichen Verfassungsänderung zentral. Da die verfassungsrechtlich zugewiesenen und repräsentativ-parlamentarisch legitimierten Befugnisse nicht verändert würden, werde auch ein aus dem Grundsatz der repräsentativ-parlamentarischen Ausgestaltung folgender Verfassungsvorbehalt nicht ausgelöst.
Die Gleichsetzung der möglichen politischen Wirkung einer Volksbefragung mit der rechtlichen Bindungswirkung einer Volksentscheidung überzeuge nicht. Politischer Druck und politische Erwartungshaltungen seien durch politische Verantwortungen aufzufangen, wozu das Verfassungsrecht entsprechende Mechanismen, insbesondere Wahlen, etabliert habe. Auch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 22. Oktober 2012 über das Volksbegehren zur Abschaffung von Studienbeiträgen sei deutlich vom Grundsatz geprägt, dass für Fragen der unmittelbaren Beteiligung des Volkes an der Ausübung von Staatsgewalt maßgeblich sei, ob und inwieweit rechtliche Bindungen bestünden oder ausgelöst würden. Danach komme es nicht darauf an, ob möglicherweise politisch-faktische Zwänge ausgelöst würden oder Erwartungen an künftiges Verhalten der Staatsorgane involviert sein könnten. Die einfachgesetzliche Einführung einer unverbindlichen Volksbefragung stehe auch nicht im Widerspruch zu den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1958 zu Volks- und Bürgerbefragungen über Atomwaffen. Diese Befragungen seien als verfassungswidrig verworfen worden, da sie die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesorgane beeinträchtigt hätten.
bb) Selbst wenn generelle Bedenken gegen die einfachgesetzliche Einführung der Volksbefragung blieben, könnten diese angesichts der konkreten Ausgestaltung sowie mit Rücksicht auf den landesverfassungsrechtlichen Kontext nicht aufrechterhalten werden.
Den möglichen Bedenken in Hinsicht auf die Organe und das Verfahren der Gesetzgebung sowie insbesondere die Gesetzgebungsbefugnisse des Landtags werde dadurch umfassend Rechnung getragen, dass über die Gesetzgebung eine Volksbefragung nicht stattfinden dürfe. Der Ausschluss der Gesetzgebung sei so zu verstehen, dass er eine verfassungsrechtliche Kollision mit den abschließenden Regelungen in Art. 71 ff. BV ausschließe. Danach könnten Gesetzesvorlagen oder ihre Einbringung sowie Fragen, die sich auf die Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze bezögen, nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein. Eine weiter gehende Auslegung des Ausschlusstatbestands in dem Sinn, dass darüber hinaus auch solche Gegenstände von einer Befragung ausgeschlossen sein sollten, die sich im Ergebnis auf die Gesetzgebung auswirken könnten, weil es zu ihrer späteren Umsetzung einer Änderung bestehender Gesetze (Vorrang des Gesetzes) oder einer Regelung durch Gesetz (Vorbehalt des Gesetzes) bedürfe, sei verfassungsrechtlich nicht zwingend. Gegebenenfalls könnten missbräuchliche Umgehungsstrategien als vom Ausschluss der Gesetzgebung erfasst angesehen werden. Eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass der Ausschluss auch für Volksbefragungen gelte, die zwar nicht unmittelbar die Art. 71 ff. BV beträfen, die jedoch auf andere Art und Weise nach Inhalt und Umständen Grundlagen für die Gesetzgebung beschaffen sollten, sei in Betracht zu ziehen.
Anders als für den Bereich der Gesetzgebung, in dem das Verfahren und die Willensbildung in Art. 70 ff. BV umfassend und detailliert geregelt würden, enthalte die Bayerische Verfassung für die Exekutive in Art. 54, 55 BV nur wenige Vorgaben, die zudem in erheblichen Teilen nur den Charakter von Grundsätzen hätten. Auch dies spreche dafür, dass die Verfassung insoweit keinen ab- und ausschließenden Charakter habe. Ein Abgleich mit der strukturverwandten Rechtslage bei der kommunalen Bürgerbefragung lasse ebenfalls darauf schließen, dass die Volksbefragung ohne Änderung der Verfassung eingeführt werden könne.
Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Initiative zur Volksbefragung einem übereinstimmenden Beschluss von Parlament und Staatsregierung vorbehalten sei. Damit könne verhindert werden, dass ein möglicherweise bereits gebildeter organ-schaftlicher Wille des Landtags oder der Staatsregierung überspielt werde. Das Spannungsverhältnis zwischen repräsentativer und direkter Demokratie werde von der Bayerischen Verfassung in Kauf genommen. Aus Art. 88 a LWG ergebe sich weder ein unzulässiger Eingriff in die gewaltenteilenden Regelungen der Verfassung noch eine sonst verfassungsrechtlich unzulässige Wegnahme oder Verlagerung von Befugnissen. Die Aufteilung der Zuständigkeiten und Befugnisse zwischen der Staatsregierung als Kollegialorgan sowie dem Ministerpräsidenten und den Ministern werde nicht auf verfassungsrechtlich relevante Weise verändert. Die parlamentarische Kontrolle der Staatsregierung bleibe gewahrt.
cc) Die verfassungsrechtlich geschützten Rechte der parlamentarischen Opposition seien nicht verletzt.
Wegen der Unverbindlichkeit der Volksbefragung sowie wegen des Ausschlusses der Gesetzgebung bleibe die parlamentarische Willensbildung mit sämtlichen vorhandenen Einflussmöglichkeiten der Opposition erhalten. Auch die weiteren parlamentarischen Kontroll- und Einflussmöglichkeiten der Oppositionsfraktionen gegenüber der Regierung würden nicht geschmälert. Vielmehr biete die Befragung der Opposition im und außerhalb des Parlaments eine zusätzliche Möglichkeit für eine politische Auseinandersetzung mit der Mehrheit. Aus den Initiativrechten des Volkes im Bereich der Gesetzgebung könne nicht auf ein Initiativrecht der Opposition bei Volksbefragungen geschlossen werden. Weder aus dem Demokratieprinzip noch aus Art. 16 a BV ergäben sich Rechte der Opposition, die über die parlamentarischen Kontrollrechte hinausgingen und auf Beteiligungen an exekutivem Verhalten ausgerichtet seien. Ein solches Initiativrecht sei seinerseits verfassungsrechtlich bedenklich, da das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 23 Abs. 1 BV festgelegte Mehrheitsprinzip und das in Art. 13 Abs. 2 BV verankerte Prinzip der strikten Gleichheit der Abgeordneten erheblich beeinträchtigt würden. Es bestünde die Gefahr, dass das Handeln von Regierung und Parlamentsmehrheit erschwert und die Funktionsfähigkeit der staatlichen Organe im Gewaltengefüge gestört würden.
IV.
Der Bayerische Landtag hält die Anträge für unbegründet.
Die Einführung einer Volksbefragung beinhalte den Gedanken, dass die Bürger ein größeres Mitspracherecht in Form einer möglichen Meinungsäußerung und „Empfehlung“ hätten, aber keine Bindungswirkung bestehe. Eine weitere eindeutige Wirkungsbeschränkung ergebe sich daraus, dass eine solche Volksbeteiligung nur aufgrund gemeinsamer Entscheidung von Staatsregierung und Landtag erfolgen könne und Gesetzesinitiativen auf diesem Weg nicht möglich seien. Die Gewaltenteilung mit den drei Säulen der demokratischen Grundordnung werde damit nicht berührt und schon gar nicht unterlaufen. Die Beteiligungs- und Kontrollbefugnisse der Opposition würden nicht eingeschränkt. Zur Demokratie gehöre, dass die Diskussion in vollem Umfang frei und gleichberechtigt stattfinde, die Entscheidung dann aber entsprechend der Mehrheit der Entscheider erfolge. Es könne nicht angehen, dass die Meinungsbildung der Mehrheit wegen der Regelung zum Minderheitenschutz der Opposition nicht mehr von Bedeutung wäre.
V.
Die Anträge sind zulässig.
1. Sie haben Meinungsverschiedenheiten gemäß Art. 75 Abs. 3 BV, Art. 49 VfGHG zum Gegenstand.
Nach Art. 75 Abs. 3 BV entscheidet der Verfassungsgerichtshof Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung geändert wird oder ob ein Antrag auf unzulässige Verfassungsänderung vorliegt. Diese Voraussetzungen sind nach Art. 49 Abs. 1 VfGHG auch dann erfüllt, wenn die Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird (VerfGH vom 12.8.1994 VerfGHE 47, 184/189; vom 19.10.1994 VerfGHE 47, 241/252; vom 17.9.1999 VerfGHE 52, 104/119). Die Meinungsverschiedenheit muss zwischen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen oder Teilen davon entstanden und bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens im Landtag erkennbar geworden sein (VerfGH vom 21.11.1986 VerfGHE 39, 96/136; VerfGHE 47, 184/189; 47, 241/252 f.; 52, 104/119 f.; vom 21.2.2002 VerfGHE 55, 28/35). Das ist hier der Fall.
a) Der Gesetzentwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes wurde von der Staatsregierung am 29. April 2014 im Landtag eingebracht. In der Plenarsitzung am 11. Februar 2015 wurde das Gesetz vom Landtag mit den Stimmen der Abgeordneten der CSU-Fraktion gegen die Stimmen der Abgeordneten aller Oppositionsfraktionen beschlossen (vgl. LT-Drs. 17/5145 S. 2924 mit Anlage 1). Abgeordnete der Antragstellerinnen vertraten im Gesetzgebungsverfahren die Auffassung, die im Entwurf enthaltene Regelung zur Einführung von Volksbefragungen sei verfassungswidrig.
So führte die der Antragstellerin zu I angehörende Abgeordnete Schulze in den Beratungen des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen am 16. Oktober 2014 (Protokoll S. 21, 37 f.) und am 13. November 2014 (Protokoll S. 6) u. a. aus, eine einfachgesetzliche Regelung sei nicht ausreichend, da die Volksbefragung in die Grundarchitektur der Demokratie eingreife; die verfassungsrechtliche Stellung des Landtags und der Wahlakt würden strukturell geschwächt, eine Machtverschiebung zugunsten der Staatsregierung bewirkt und unzulässig in die Rechte der Opposition gemäß Art. 16 a BV eingriffen. Ausweislich des Plenar-protokolls (17/37 S. 2916) brachte die Abgeordnete auch anlässlich der abschließenden Beratung in der Plenarsitzung am 11. Februar 2015 verfassungsrechtliche Bedenken zum Ausdruck.
Für die Antragstellerin zu II machte der Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen, der Abgeordnete Schindler sowohl in der Ausschusssitzung am 13. November 2014 (Protokoll S. 17) als auch in der Plenarsitzung am 11. Februar 2015 (Plenarprotokoll 17/37 S. 2911 f.) geltend, der Gesetzentwurf der Staatsregierung verstoße gegen die Bayerische Verfassung, weil er das Machtgefüge zugunsten der Staatsregierung und zulasten des gesamten Landtags verschiebe; insbesondere missachte der Entwurf die Rechte der Minderheit gemäß Art. 16 a BV.
b) Die Antragstellerinnen haben als Fraktionen und damit als Teile des Landtags gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 VfGHG am Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Volksbefragung mitgewirkt. Sie können die bereits auf Parlamentsebene von ihren Mitgliedern geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV weiterverfolgen (VerfGH vom 27.7.1972 VerfGHE 25, 97/107 f.; VerfGHE 39, 96/136; 47, 184/189; 47, 241/252). Als Antragsgegnerin in beiden Verfahren wurde zum einen zulässigerweise die Mehrheitsfraktion im Landtag benannt, mit deren Stimmen die Neuregelung verabschiedet wurde (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 3 VfGHG; VerfGHE 47, 241/253; 55, 28/35). Antragsgegnerin kann zum anderen die von den Antragstellerinnen ebenfalls angeführte Staatsregierung sein, da der Ministerpräsident in ihrem Namen den Gesetzentwurf im Landtag eingebracht und damit das Gesetzgebungsvorhaben gemäß Art. 71 BV initiiert hat (vgl. Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2009, Art. 75 Rn. 12).
2. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung durch die Antragstellerin zu I bestehen keine Zulässigkeitsbedenken.
Grundsätzlich ist es nicht erheblich, wann eine Meinungsverschiedenheit an den Verfassungsgerichtshof herangetragen wird (VerfGH vom 2.12.1949 VerfGHE 2, 181/199; VerfGHE 47, 241/254). Nach herrschender Meinung kann ein Antrag gemäß Art. 75 Abs. 3 BV bereits vor Beschlussfassung, Ausfertigung und Veröffentlichung des Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof eingereicht werden (VerfGH vom 21.12.1951 VerfGHE 4, 251/268; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75 Rn. 14; Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 75 Rn. 20; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 23 Rn. 48, 51; vgl. auch BVerfG vom 7.3.1953 BVerfGE 2, 143/175 ff.). Andererseits steht der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens der Stellung eines Antrags auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit nicht entgegen (VerfGH vom 18.8.1966 VerfGHE 19, 64; vom 30.5.1968 VerfGHE 21, 110/116; Möstl, a. a. O., Art. 75 Rn. 14; Brechmann, a. a. O., Art. 75 Rn. 23). Da eine Frist nicht vorgesehen ist, kann selbst eine Antragstellung nach Ablauf der Legislaturperiode zulässig sein; allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung können sich zeitliche Grenzen ergeben (VerfGHE 47, 241/253 f.).
Im Verfahren Vf. 15-VIII-14 hat die Antragstellerin zu I ihren Antrag am 24. November 2014 eingereicht, somit nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Landtagsplenum (7. Mai 2014) und der Sachverständigenanhörung (16. Oktober 2014) sowie der Erstberatung im federführenden Ausschuss (13. November 2014), aber noch vor der Endberatung in diesem Ausschuss (5. Februar 2015) und der abschließenden Zweiten Lesung im Landtagsplenum (11. Februar 2015). Die vom Bevollmächtigten der Bayerischen Staatsregierung aufgeworfene Frage, ob im Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bereits ein für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung hinreichend konkretes Beratungsergebnis im Gesetzgebungsverfahren vorlag, bedarf keiner Vertiefung. Denn es genügt, dass die Antragsberechtigung im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gegeben ist (VerfGHE 2, 181/200). Dies ist im Hinblick auf das zwischenzeitlich abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren zweifellos der Fall.
Zwar wurde aus dem Kreis der Verfahrensbeteiligten angeregt, der Verfassungsgerichtshof möge dessen ungeachtet für die künftige Praxis eine „verbindliche Aussage“ darüber treffen, ab welchem Zeitpunkt ein Antrag auf verfassungsgerichtliche Kontrolle im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV gestellt werden darf. Hiervon wird jedoch abgesehen, da eine abschließende Beurteilung nur anhand der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls möglich ist und im vorliegenden Verfahren ohnehin keine für künftige Meinungsverschiedenheiten verbindlichen Einschätzungen vorgenommen werden können.
VI.
Die Anträge sind begründet; Art. 88 a LWG in der Fassung des § 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Februar 2015 (GVBl S. 18) ist mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar.
1. Vor einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm ist diese auszulegen und ihr einfachrechtlicher Anwendungs- und Wirkungsbereich zu ermitteln. Erst nach der Feststellung des konkreten Inhalts der Norm und ihrer systematischen Einordnung kann beurteilt werden, ob die angegriffene Regelung mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist oder nicht (VerfGH vom 30.1.2006 VerfGHE 59, 23/24 m. w. N.). Für die Auslegung einer Rechtsvorschrift maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus ihrem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt. Mittel dazu bilden die grammatikalische, die systematische, die teleologische und schließlich die historische Auslegung, wobei sich diese Methoden nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen (VerfGH vom 27.7.2011 VerfGHE 64, 124/134 m. w. N.).
a) Art. 88 a Abs. 1 LWG:
Im Hinblick auf Art. 88 a Abs. 1 LWG ist insbesondere klärungsbedürftig, auf welche Gegenstände sich eine Volksbefragung beziehen kann. Nach Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG wird über Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung eine Volksbefragung durchgeführt, wenn Landtag und Staatsregierung dies übereinstimmend beschließen. Über die Gesetzgebung findet gemäß Art. 88 a Abs. 1 Satz 2 LWG keine Volksbefragung statt.
aa) Unter den Begriff „Vorhaben des Staates“ fallen alle Angelegenheiten, die auf ein staatliches (Regierungs-)Handeln gerichtet sind (LT-Drs. 17/1745 S. 5). Der Gesetzgeber stellt damit einen Bezug zum Aufgabenspektrum der Staatsregierung her (vgl. LT-Drs. 17/1745 S. 4), die nach Art. 43 Abs. 1 BV die oberste leitende und vollziehende Behörde ist und damit die oberste exekutive Gewalt im Staat ausübt. Die Differenzierung zwischen „leitender“ und „vollziehender“ Behörde verdeutlicht, dass die Staatsregierung neben ihrer Funktion im Rahmen der gesetzesausführenden Verwaltung auch die Aufgabe der Staatsleitung (Gubernative) wahrnimmt (vgl. VerfGH vom 6.6.2011 VerfGHE 64, 70/84 f.). Hierunter ist die Gestaltung des Staatsganzen zu verstehen, die sich vor allem durch das Erfordernis neuer Weichenstellungen und damit verbundener schöpferischer Entscheidungen vom administrativen Gesetzesvollzug unterscheidet (Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 43 Rn. 4; Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 43 Rn. 1).
Die auf landesrechtlicher Regelung beruhenden Volksbefragungen müssen sich - wie auch das Regierungshandeln - im Rahmen der Landeskompetenz halten (Martini, DÖV 2015, 981/985). Dies ergibt sich aus der grundgesetzlichen Ordnung, ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedarf (vgl. LT-Drs. 17/1745 S. 4).
Abzugrenzen sind die Volksbefragungen von der verfassungsrechtlich in Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV verankerten kommunalen Bürgerbeteiligung (Möstl, BayVBl 2015, 217/222 f.). Die in Art. 18 a GO und Art. 12 a LKrO näher ausgestaltete Bürgerbeteiligung umfasst Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden und Landkreise, bezieht sich also nicht auf Vorhaben des „Staates“.
bb) Bei der erforderlichen „landesweiten Bedeutung“ der Vorhaben, die nach Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG Gegenstand einer Volksbefragung sein können, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der sich mit den üblichen juristischen Methoden auslegen lässt. Anhaltspunkte hierfür liefert u. a. die Gesetzesbegründung, die in diesem Zusammenhang insbesondere Vorhaben zur Herstellung und Sicherung einer für Bayern insgesamt relevanten Infrastruktur nennt (LT-Drs. 17/1745 S. 5). Bedenken unter dem Gesichtspunkt des aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) folgenden Erfordernisses der Normenbestimmtheit sind daher nicht ersichtlich (vgl. VerfGH vom 28.3.2003 VerfGHE 56, 28/45; VerfGHE 64, 124/134).
cc) Im Hinblick darauf, dass vor allem Volksbefragungen zu Infrastrukturprojekten ermöglicht werden sollen (LT-Drs. 17/1745 S. 5), stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Art. 88 a LWG zu den Vorschriften, die jeweils für die Beurteilung des konkreten Vorhabens in formeller und materieller Hinsicht maßgeblich sind (Martini, DÖV 2015, 981/985; Möstl, BayVBl 2015, 217/222).
(1) Solche Regelungen können sowohl in Bundes- als auch in Landesgesetzen enthalten sein. In formeller Hinsicht sind insoweit vor allem die Vorgaben verwaltungsrechtlicher Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren von Bedeutung. Materiell-rechtlich kommt eine Vielzahl gesetzlicher Normierungen in Betracht, die der zuständigen Behörde beim Gesetzesvollzug teilweise einen weiten Ermessensspielraum gewähren, bis hin zu strikten Bindungen, die keine oder kaum Gestaltungsspielräume eröffnen. Eine Volksbefragung kann - auch wenn ihr Ergebnis nicht verbindlich ist - in diese Entscheidungsprozesse sowohl formell als auch inhaltlich eingreifen oder sie zumindest beeinflussen. Hierdurch können zudem grundrechtlich geschützte Positionen der in den jeweiligen Verwaltungsverfahren Betroffenen tangiert sein.
Ob sich im Einzelfall Diskrepanzen zwischen dem Inhalt der Fragestellung und den für das Vorhaben einschlägigen gesetzlichen Normen ergeben können, wird maßgeblich von der konkreten Formulierung der dem Volk unterbreiteten Frage abhängen und ließe sich gegebenenfalls nur anhand einer Gesamtschau der jeweiligen Umstände beurteilen. Es ist nicht erkennbar, dass Art. 88 a LWG strukturell die Möglichkeit eröffnen würde, vorhandene gesetzliche Normen mittels der Durchführung von Volksbefragungen zu relativieren oder infrage zu stellen. Zwar ist dem Wortlaut des Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG nicht zu entnehmen, dass in Bezug auf Infrastrukturprojekte das „Ob“ und das „Wie“ eines Vorhabens nur insoweit zur Abstimmung gestellt werden dürfte, als dem Freistaat Bayern eine freie, (auch bundes-)gesetzlich nicht gebundene Entscheidung eröffnet ist. Die Auslegung des Art. 88 a LWG nach seinem Sinn und Zweck legt jedoch entsprechende Einschränkungen nahe (vgl. Schwarz, Niederschrift über die Expertenanhörung des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen des Bayerischen Landtags vom 16. Oktober 2014 S. 26; Lindner, a. a. O., S. 96; Thum, BayVBl 2015, 224/225, 228). Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs der (Bundes-)Gesetze (vgl. Art. 31 GG, Art. 55 Nr. 1 BV) Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Volksbefragung ergeben können.
(2) Offenbleibt in diesem Zusammenhang, ob und inwieweit die Durchführung unzulässiger Volksbefragungen verhindert werden soll; eine dem Verfahren bei der Zulassung von Volksbegehren (vgl. Art. 67 BV, Art. 64 LWG) entsprechende (Vor-ab-)Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof ist nicht vorgesehen (Haußner/Pautsch, NVwZ-14, 8). Es kommt daher allenfalls die Einleitung eines Organstreitverfahrens nach Art. 64 BV in Betracht, wenn etwa eine Minderheit im Bayerischen Landtag als in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil eines obersten Staatsorgans geltend macht, ihre verfassungsmäßigen Rechte würden durch die (bevorstehende) Durchführung einer Volksbefragung verletzt (Thum, BayVBl 2015, 224/231; Lindner, Niederschrift über die Expertenanhörung des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen des Bayerischen Landtags vom 16. Oktober 2014, S. 23; vgl. auch Grzeszick, a. a. O., S. 25; Schwarz, a. a. O., S. 26; Heußner, a. a. O., S. 27).
dd) Auslegungsbedürftig ist auch Art. 88 a Abs. 1 Satz 2 LWG, wonach über die Gesetzgebung keine Volksbefragung stattfindet.
(1) Die ausdrückliche Herausnahme der Gesetzgebung als Gegenstand der Volksbefragung betrifft Gesetze, Gesetzesvorlagen und ihre Einbringung sowie sämtliche Akte der Haushaltsgesetzgebung (LT-Drs. 17/1745 S. 4). Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Beteiligung des Volkes an der Landesgesetzgebung abschließend in Art. 7 Abs. 2, Art. 71, 72 Abs. 1, Art. 73, 74, 75 Abs. 2 Satz 2 BV geregelt ist. Der Verfassungsgerichtshof hat hierzu - worauf in der Gesetzesbegründung Bezug genommen wird (LT-Drs. 17/1745 S. 5) -entschieden, dass es ohne Änderung der Bayerischen Verfassung nicht zulässig ist, neben dem Volksbegehren eine weitere Form eines dem Volk zustehenden Gesetzesinitiativrechts zu schaffen (VerfGH vom 14.11.1994 VerfGHE 47, 265 ff.).
(2) Demgegenüber ist der angegriffenen Norm nicht ohne Weiteres zu entnehmen, ob eine Volksbefragung zulässig sein soll, die eine bestimmte Thematik lediglich allgemein aufgreift und unmittelbar weder ein Gesetz noch eine Gesetzesvorlage zum Gegenstand hat, deren Abstimmungsergebnis sich jedoch nur mithilfe einer gesetzlichen Regelung realisieren ließe. Dann bezieht sich zwar die konkrete Abstimmung nicht auf die Gesetzgebung; gleichwohl wäre für eine spätere Umsetzung der Erlass eines Gesetzes unabdingbar. Zu dieser Frage finden sich sowohl in der Niederschrift über die Expertenanhörung des Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen des Bayerischen Landtags vom 16. Oktober 2014 als auch in der Literatur unterschiedliche Auffassungen (vgl. Thum, BayVBl 2015, 224/227). Teilweise wird der Begriff der Gesetzgebung in Art. 88 a Abs. 1 Satz 2 LWG eng im Sinn des Gesetzgebungsverfahrens interpretiert und betont, dass nur formale Gesetzesinitiativen und -vorlagen von der Volksbefragung ausgenommen seien (Lindner, Protokoll der Expertenanhörung, S. 14, 18 f.; Schwarz, a. a. O., S. 104; Haußner/Pautsch, NVwZ-14, 4). Die Gegenmeinung geht von einem weiten Verständnis aus und bezieht die Ausschlussklausel auch auf die Fälle, in denen eine Umsetzung zwingend zu Gesetzesänderungen führen müsste (Grzeszick, Protokoll der Expertenanhörung, S. 15, 20; Möstl, BayVBl 2015, 217/222).
b) Art. 88 a Abs. 2 LWG:
In Art. 88 a Abs. 2 LWG wird eine Reihe von Bestimmungen über die Durchführung von Volksentscheiden für entsprechend anwendbar erklärt.
Mit der Bezugnahme auf Art. 75 Abs. 1 LWG wird geregelt, dass die Staatsregierung den Tag und den Gegenstand der Volksbefragung bekannt zu machen hat. Neben der Bekanntmachung der Fragestellung können danach zu ihrer Erläuterung auch weitere Informationen über das Vorhaben des Staates, zu dem das Volk befragt werden soll, gegeben werden (LT-Drs. 17/1745 S. 5). Für die Gestaltung der Stimmzettel und die Stimmabgabe finden Art. 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 sowie Art. 77 Sätze 1 und 2 LWG, für die Feststellung des Abstimmungsergebnisses findet Art. 78 LWG entsprechende Anwendung.
Für die (nachträgliche) Prüfung der Volksbefragung gilt die bei Volksentscheiden vorgesehene Regelung in Art. 80 LWG entsprechend. Diese Überprüfung obliegt - wie auch bei der Wahlprüfung (Art. 51 bis 55 LWG) - zunächst dem Landtag. Gegen dessen Beschluss kann gemäß Art. 80 Abs. 2 LWG i. V. m. Art. 48 Abs. 2 bis 5 VfGHG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs beantragt werden. Die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs in diesem (nachträglichen) Verfahren dürfte sich auch darauf erstrecken, ob der Volksbefragung ein zulässiger Gegenstand zugrunde lag.
c) Art. 88 a Abs. 3 LWG:
Nach Art. 88 a Abs. 3 LWG lässt das Ergebnis einer Volksbefragung die dem Landtag und der Staatsregierung nach der Verfassung zustehenden Befugnisse unberührt. Hieraus ergibt sich, dass Volksbefragungen nicht auf die Herbeiführung einer rechtlich verbindlichen Entscheidung gerichtet sind (LT-Drs. 17/1745 S. 4). Es handelt sich vielmehr um konsultative Befragungen, die die Richtung des Volkswillens aufzeigen sollen, ohne den Handlungsspielraum des Landtags und der Staatsregierung rechtlich einzuengen (Martini, DÖV 2015, 981/983; Thum, BayVBl 2015, 224/225).
d) Die sich im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Art. 88 a LWG ergebenden Probleme und Fragen (oben a) cc) und dd) bedürfen keiner weiteren Vertiefung. Denn die angegriffene Regelung ist unabhängig von einer abschließenden Bewertung dieser Gesichtspunkte auch dann mit der Bayerischen Verfassung unvereinbar, wenn ihre Reichweite jeweils eng ausgelegt wird.
2. Art. 88 a LWG ist mit Art. 7 Abs. 2 BV unvereinbar, wonach der Staatsbürger seine Rechte durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden ausübt. Diese Verfassungsnorm präzisiert im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 4 BV die Mitwirkungsrechte des Staatsbürgers und ist ein wesentlicher Bestandteil der staatsorganisations-rechtlichen Bestimmungen, die die zentrale Frage der Staatswillensbildung regeln. Ihr kommt Grundrechtscharakter zu, denn sie räumt dem einzelnen Staatsbürger das für ein demokratisches Staatswesen unerlässliche Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt ein (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.10.1974 VerfGHE 27, 139/142; vom 29.8.1997 VerfGHE 50, 181/196, 198; vom 25.5.2007 VerfGHE 60, 131/148; vom 12.6.2013 VerfGHE 66, 70/87).
Die Bayerische Verfassung gibt als Staatsform die repräsentative Demokratie vor, die in bestimmten Bereichen durch plebiszitäre Elemente ergänzt wird (a). Volksbefragungen sind Teil der Staatswillensbildung (b). Die Formen der Beteiligung des Volkes an der Staatswillensbildung sind in Art. 7 Abs. 2 BV dem Grundsatz nach abschließend aufgeführt; ohne Änderung der Verfassung können neue plebiszitäre Elemente nicht eingeführt werden (c). Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Nichtigerklärung ist Art. 88 a LWG (d).
a) Die Bayerische Verfassung gibt als Staatsform die repräsentative Demokratie vor, die in bestimmten Bereichen durch plebiszitäre Elemente ergänzt wird.
aa) Zu den elementaren Grundsätzen, auf die sich die Bayerische Verfassung stützt, gehört das Prinzip der Demokratie (Art. 2 Abs. 1, Art. 4 BV; VerfGH vom 15.12.1976 VerfGHE 29, 244/264). Die Bayerische Verfassung setzt damit eine Staatsform voraus, die durch die freie Selbstbestimmung aller Bürger geprägt ist. Das Wesen einer Demokratie liegt darin, dass die staatliche Herrschaft durch das Volk legitimiert ist; der Träger der Staatsgewalt ist das Volk (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BV). Hieraus folgt jedoch nicht, dass jegliches staatliche Handeln unmittelbar vom Volk selbst vorzunehmen ist. Eine derartige „absolute“ unmittelbare Demokratie wäre bei den realen Gegebenheiten staatlichen Lebens, besonders der Bevölkerungszahl, der Pluralität der Gesellschaft, der Vielzahl und Komplexität sowie Häufigkeit der notwendigen Verwaltungs- und Gesetzgebungsentscheidungen, nicht zu verwirklichen. Die Mütter und Väter der Bayerischen Verfassung haben sich daher - dem Vorbild westlicher Demokratien folgend - im Jahr 1946 für eine der grundsätzlichen Konzeption nach repräsentative Demokratie entschieden (vgl. hierzu Mitberichterstatter Dr. Dehler in Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, Bd. II, S. 416), in der das Volk bei der Ausübung der Staatsgewalt durch das Parlament sowie durch die mittelbar oder unmittelbar von diesem bestellten Vollzugsbehörden und Richter repräsentiert wird (Art. 4 BV). Das Parlament bezieht seine demokratische Legitimation durch die periodisch wiederkehrenden Wahlen (VerfGH vom 19.1.1994 VerfGHE 47, 1/13; vom 31.3.2000 VerfGHE 53, 42/61).
bb) Der in der Bayerischen Verfassung angelegte Grundsatz der repräsentativen Demokratie wird ergänzt durch plebiszitäre Elemente (VerfGHE 29, 244/264 f.; 50, 181/204; vgl. auch Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, Bd. I, S. 166 ff. und 171 ff., Bd. II, S. 416 f.). Während die demokratische Ordnung des Grundgesetzes - trotz Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird - strikt repräsentativ ausgestaltet ist, also - abgesehen von den in Art. 29 und 118 GG vorgeschriebenen Abstimmungen bei einer Neugliederung des Bundesgebiets - keine unmittelbare Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung auf Bundesebene vorsieht, bringt die Bayerische Verfassung der unmittelbaren Demokratie eine hohe Wertschätzung entgegen (VerfGHE 52, 104/126; 60, 131/145).
Das Nebeneinander von mittelbarer und unmittelbarer Demokratie kommt in der Bayerischen Verfassung - über den bereits erwähnten Art. 4 BV hinaus - an weiteren Stellen zum Ausdruck (vgl. Huber, Einsichten und Perspektiven 2/13, S. 20 f.). Gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BV tut das Volk seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. Neben die Wahl als Entscheidung über die Zusammensetzung des Bayerischen Landtags als Repräsentativorgan tritt die Abstimmung als unmittelbare politische Entscheidung des Volkes. Art. 5 Abs. 1 BV weist die gesetzgebende Gewalt ausschließlich dem Volk und der Volksvertretung zu. Das in Art. 7 Abs. 2 BV verankerte Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt (VerfGHE 27, 139/142; 50, 181/196, 198; 60, 131/148; 66, 70/87) bestimmt, dass der Staatsbürger seine Rechte durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden ausübt. Während Bürgerbegehren und Bürgerentscheide die Willensbildung auf der Ebene der Gemeinden und Landkreise betreffen (vgl. Art. 18 a GO, Art. 12 a LKrO), sind mit Volksbegehren und Volksentscheiden die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten auf Landesebene angesprochen.
Dabei ist in der Regel ein erfolgreiches Volksbegehren, das von einer hinreichenden Zahl an Unterstützern getragen wird, Voraussetzung dafür, dass es zu einem Volksentscheid kommt. Dies gilt zum einen für die durch das Volk initiierte Abberufung des Landtags. Gemäß Art. 18 Abs. 3 BV, der freilich bisher in der Praxis nicht angewandt wurde, kann der Landtag auf Antrag von einer Million wahlberechtigter Staatsbürger durch Volksentscheid abberufen werden. Einen wesentlich bedeutsameren Anwendungsfall stellt zum anderen die Volksgesetzgebung dar. Die Gesetzesvorlagen werden nach Art. 71 BV vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtags oder vom Volk (Volksbegehren) eingebracht. Gemäß Art. 72 Abs. 1 BV werden die Gesetze vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen. Ein aus dem Volk heraus initiierter Gesetzentwurf kann auf eine Änderung sowohl des einfachen Rechts als auch der Verfassung selbst gerichtet sein (VerfGHE 52, 104/125 ff.). Nähere Regelungen u. a. zu den erforderlichen Unterstützerunterschriften eines Volksbegehrens und zur Durchführung des Volksentscheids enthält Art. 74 BV. Schließlich sieht die Bayerische Verfassung noch einen Fall des Volksentscheids vor, dem kein Volksbegehren vorausgeht; Beschlüsse des Landtags auf Änderung der Verfassung müssen dem Volk nach Art. 75 Abs. 2 BV zur Entscheidung vorgelegt werden.
b) Die Durchführung einer Volksbefragung nach Art. 88 a LWG stellt einen Akt der Staatswillensbildung dar.
aa) Sie ist abzugrenzen von einer demoskopischen Erhebung. Wie die Meinungsumfrage zielt auch die Volksbefragung auf die Ermittlung eines Stimmungsbildes in der Wahlbevölkerung. Beiden Instituten ist gemeinsam, dass ihr jeweiliges Ergebnis in keiner Hinsicht rechtsverbindliche Wirkungen entfaltet. Gleichwohl kann die Volksbefragung nicht als bloßes Mittel zur Meinungsforschung eingeordnet werden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass es sich bei einer Meinungsumfrage um eine nichtamtliche, auf eine bestimmte Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern beschränkte repräsentative Erhebung einer privaten Einrichtung im gesellschaftlich-politischen Bereich handelt, auch wenn diese für eine öffentliche Stelle, wie beispielsweise die Staatsregierung, tätig wird (vgl. zu sog. Resonanzstudien VerfGH vom 6.6.2011 VerfGHE 64, 70/83 ff.). Es wird lediglich die Meinung „erforscht“; eine Gewähr dafür, dass das Ergebnis dem tatsächlichen Willen der Staatsbürger entspricht, ist nicht gegeben. Demgegenüber steht bei einer Volksbefragung der amtliche Charakter im Vordergrund (Martini, DÖV 2015, 981/982; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, 1991, S. 415 f.; vgl. auch BVerfG vom 30.7.1958 BVerfGE 8, 104/112 ff.). Sie ist ein nach gesetzlichen Vorgaben organisierter Urnengang, bei dem alle wahlberechtigten Staatsbürgerinnen und -bürger zur Abstimmung aufgerufen sind, und mündet in ein amtliches Endergebnis. Auf ihre Durchführung finden gemäß Art. 88 a Abs. 2 LWG die für Volksentscheide geltenden Regelungen der Art. 75 Abs. 1, Art. 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 77 Sätze 1 und 2, Art. 78 und 80 LWG entsprechende Anwendung.
bb) Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 14/1745 S. 4) können Volksbefragungen bei umstrittenen Fragen anders als bloße Demoskopie befriedend wirken und damit den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern; zugleich wird anerkannt, dass das Ergebnis einer Volksbefragung über ein Vorhaben in weit stärkerem Maß als bloße demoskopische Umfragen Bedeutung für die weiteren Entscheidungen über das Vorhaben sowie für seine Rechtfertigung und seine Akzeptanz haben kann. Damit stellt die Teilnahme an einer Volksbefragung auch nach der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Einschätzung des Gesetzgebers einen Faktor im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zu einer bestimmten Sachfrage dar, der sich nicht in einer allgemeinen gesellschaftspolitischen Äußerung erschöpft. In der Gesetzesbegründung wird gleichwohl davon ausgegangen, dass Volksbefragungen trotz ihrer politisch faktischen Bedeutung für die Staatsleitung nicht zu den Akten der Staatswillensbildung gehören.
Dieser rechtlichen Einordnung kann nicht gefolgt werden. In zwei Entscheidungen vom 30. Juli 1958 zu Volksbefragungen auf Länder- und Gemeindeebene über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr hat bereits das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, die Teilnahme an konsultativen Volksbefragungen sei als Mitwirkung an der Staatswillensbildung und damit als Teilhabe an der Staatsgewalt zu qualifizieren (BVerfGE 8, 104 ff. und 122 ff.). Es hat hierzu u. a. ausgeführt (BVerfGE 8, 104/114 f.):
In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ... dass die wahlberechtigten Bürger, also das Staatsvolk, sich genauso wie bei Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksentscheiden äußern sollen. Der Aktivbürger soll in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen zum Parlament und bei Volksabstimmungen von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Seine Betätigung soll sich unter demselben Schutz vollziehen, den die Rechtsordnung für Wahlen und Abstimmungen des Volkes geschaffen hat: Die Stimmabgabe erfolgt geheim; ... Die angegriffenen Gesetze schaffen also die Rechtsgrundlage für eine Betätigung des Bürgers im status activus, für eine Teilnahme des Bürgers als Glied des Staatsvolkes bei der Ausübung von Staatsgewalt; nach den Gesetzen soll das Volk als Verfassungsorgan des demokratischen Staates an der Bildung des Staatswillens teilhaben. Dass es daran nicht in einer rechtsverbindlich „entscheidenden“ Weise teilhat, spricht nicht gegen die dargelegte Qualifikation der Volksbefragung. Verfassungsorgane handeln organschaftlich, d. h. sie üben Staatsgewalt aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindlich Akte setzen, sondern auch, wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen: ...
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht zur Frage geäußert, ob konsultative Volksbefragungen einer Regelung in der Verfassung bedürfen und ob sie im Widerspruch zur repräsentativen Ausprägung der demokratischen Ordnung im Grundgesetz stehen (BVerfGE 8, 104/121 f.). Es hat die damals verfahrensgegenständlichen Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen für unvereinbar mit dem Grundgesetz und nichtig erklärt, weil sie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes widersprachen. Als Vorfrage war jedoch die rechtliche Qualität solcher Volksbefragungen zu klären. Diese Frage wurde eindeutig und überzeugend beantwortet. Auch rechtlich unverbindliche konsultative Volksbefragungen eröffnen danach dem Staatsvolk eine aktive Mitwirkung an der Staatswillensbildung (so auch Heußner/Pautsch, NJW 2015, 1225/1227; Martini, DÖV 2015, 981/982; Möstl, BayVBl 2015, 217/220; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, 1987, S. 118, 128; Maurer, Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, 1996, S. 4; Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 178 ff.; a. A. Thum, BayVBl 2015, 224/225; Schwarz, Protokoll der Expertenanhörung, S. 17, der von einem „Beitrag zur Staatswillensbildung“ spricht).
c) Die Formen der Beteiligung des Volkes an der Staatswillensbildung sind in Art. 7 Abs. 2 BV dem Grundsatz nach abschließend aufgeführt; ohne Änderung der Verfassung können neue plebiszitäre Elemente nicht eingeführt werden.
aa) Die Stimmen in der Literatur, die der Ansicht sind, die verfahrensgegenständlichen konsultativen Volksbefragungen bedürften einer Verankerung in der Bayerischen Verfassung, stützen diese Einschätzung teilweise auf den Grundsatz des Vorbehalts der Verfassung (Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/3; dies. NJW 2015, 1225/1226 f.; Möstl, BayVBl 2015, 217/219 f.; vgl. auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 123 ff.). Dies setzt ein in der Bayerischen Verfassung enthaltenes Postulat voraus, das besagt, dass bestimmte Gegenstände nicht durch den einfachen Gesetzgeber geregelt werden dürfen, sondern dem Verfassungsgeber im speziellen Verfahren der Verfassungsänderung vorbehalten bleiben müssen (vgl. Kingreen in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 263 Rn. 40). Da ein spezieller Vorbehalt der Bayerischen Verfassung insoweit nicht besteht, käme nur ein allgemeiner, nicht ausdrücklich im Text niedergelegter Verfassungsvorbehalt in Betracht. Ob von einem solchen generellen Prinzip auszugehen ist und welche Materien es gegebenenfalls umfasst (vgl. Kingreen, a. a. O., § 263 Rn. 41 ff.), kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Letztlich ist entscheidend, ob die Einführung konsultativer Volksbefragungen im Bereich der Exekutive mit dem Wortlaut einzelner tangierter Verfassungsnormen und der bestehenden Systematik der Bayerischen Verfassung, aus der Umkehrschlüsse abgeleitet werden können, vereinbar ist. Dieser Maßstab folgt aber nicht aus einem Vorbehalt der Verfassung, sondern betrifft den Grundsatz des Vorrangs der Verfassung (vgl. Kingreen, a. a. O., § 263 Rn. 49).
bb) Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BV bietet keine Grundlage für die einfachgesetzliche Einführung der verfahrensgegenständlichen konsultativen Volksbefragungen. Zwar sieht diese Vorschrift Abstimmungen als Element der Willensbildung des Volkes vor, ohne eine nähere Präzisierung oder eine Einschränkung auf bestimmte Bereiche vorzunehmen. Es handelt sich dabei aber, wie bereits dargelegt (vgl. oben a) bb), nur um eine Norm in einer Reihe von Regelungen der Bayerischen Verfassung, die sich mit der plebiszitären Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger befassen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BV kann daher nicht isoliert betrachtet werden (Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/4). Zudem spricht der verwendete Begriff „Abstimmungen“ - im Gegensatz zu den konsultativen „Befragungen“ - dafür, dass Plebiszite mit verbindlichen Ergebnissen gemeint sind (vgl. Maurer, Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, 1996, S. 4; Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, S. 176).
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BV ist insbesondere im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 BV zu sehen, der die Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden gewährleistet. Diese Vorschrift räumt dem einzelnen Staatsbürger das für ein demokratisches Staatswesen unerlässliche Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt (Art. 4 BV) ein (VerfGHE 27, 139/142; 50, 181/196, 198; 60, 131/148; 66, 70/87) und definiert zugleich die Reichweite dieses Teilhaberechts sowohl für die Einbindung des Bürgers unter dem Aspekt der repräsentativen Demokratie („Wahlen“), als auch im Hinblick auf die direkt-demokratische Beteiligung („Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sowie Volksbegehren und Volksentscheide“). Bezogen auf die Landesebene wird die Teilnahme an Volksbegehren und Volksentscheiden eröffnet, deren in Art. 72 ff. BV näher geregelter Wirkungskreis sich - von der durch das Volk initiierten Abberufung des Landtags (Art. 18 Abs. 3 BV) abgesehen - auf die Gesetzgebung beschränkt. Diese Regelungen indizieren eine grundsätzlich abschließende verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Formen direktdemokratischer Teilhabe des Volkes (Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/3; Martini, DÖV 2015, 981/983 f.; Schweiger in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 7 Rn. 4).
Davon ist im Hinblick auf die Gesetzgebung auch der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 14. November 1994 (VerfGHE 47, 265 ff.) ausgegangen, in der er über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens zu befinden hatte, mit dem in das Landeswahlgesetz eine neue Form des Gesetzesinitiativrechts des Volkes aufgenommen werden sollte. Er hat die Auffassung vertreten, die Verfassung regle das Gesetzesinitiativrecht des Volkes durch Einbringung von Gesetzesvorlagen abschließend in Art. 71 und 74 BV. Diese Regelungen könnten durch einfaches Gesetz zwar ergänzt und näher ausgestaltet, nicht aber abgeändert werden. Ohne Änderung der Verfassung sei es nicht zulässig, neben dem Volksbegehren eine weitere Form eines dem Volk zustehenden Gesetzesinitiativrechts zu schaffen (VerfGHE 47, 265/271).
Im Hinblick auf die angegriffene Regelung zu den Volksbefragungen ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen eine entsprechende Beurteilung (vgl. Möstl, BayVBl 2015, 217/220). Für den Bereich des staatlichen Regierungshandelns im Sinn des Art. 43 Abs. 1 BV, auf den sich Art. 88 a LWG bezieht (vgl. oben 1. a) aa), sieht die Bayerische Verfassung keine unmittelbare Beteiligung des Volkes vor. Im Gegensatz zur gesetzgebenden Gewalt, die nach Art. 5 Abs. 1 BV dem Volk und der Volksvertretung zusteht, liegt die vollziehende Gewalt gemäß Art. 5 Abs. 2 BV in den Händen der Staatsregierung und der nachgeordneten Vollzugsbehörden (vgl. auch VerfGH vom 14.8.1987 VerfGHE 40, 94/103). Art. 88 a LWG ist daher im Verhältnis zu den bereits in der Verfassung enthaltenen Ausprägungen der unmittelbaren Demokratie auch nicht etwa als bloßes Minus zu bewerten, sondern als ein Aliud. Er steht im Widerspruch zur bestehenden Systematik der plebiszitären Elemente in der Bayerischen Verfassung, die insbesondere in Art. 7 Abs. 2 BV zum Ausdruck kommt. Als neuartiges Instrument der unmittelbaren Demokratie, das die geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen zur Staatswillensbildung modifiziert, hätte die Einführung von Volksbefragungen gemäß Art. 75 Abs. 4 BV einer Verankerung in der Bayerischen Verfassung bedurft.
cc) Z u keiner anderen Beurteilung führt der Einwand der Antragsgegnerinnen, von konsultativen Volksbefragungen könne keine nachhaltige Einwirkung auf das in der Verfassung angelegte Macht- und Kräfteverhältnis ausgehen; zudem habe die angegriffene Regelung nur einen engen Anwendungsbereich. Es erscheint bereits fraglich, ob das Erfordernis, ein neues direktdemokratisches Element als Form der Beteiligung an der Staatswillensbildung (vgl. oben b) in der Verfassung selbst zu regeln, aufgrund dieser Argumentation überhaupt entfallen kann. Jedenfalls sind die Auswirkungen der angegriffenen Regelung nicht so geringfügig, dass ihr eine staatsorganisatorische Relevanz abzusprechen wäre (vgl. Martini, DÖV 2015, 981/984).
(1) Die Möglichkeit, gemäß Art. 88 a LWG Volksbefragungen durchzuführen, ist geeignet, den politischen Handlungsspielraum der zuständigen Organe faktisch einzuschränken.
Nach Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG finden solche Befragungen statt, wenn Landtag und Staatsregierung dies übereinstimmend beschließen. Damit liegt es zwar im politischen Ermessen dieser Staatsorgane, ob eine bestimmte Thematik überhaupt an das Volk herangetragen wird. Allein durch die Existenz des Instruments kann jedoch in der Bevölkerung eine Erwartungshaltung geschaffen werden, die Volksbefragungen insbesondere bei kontrovers diskutierten Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung, mag deren absolute Zahl auch nur gering sein, zur Regel werden lässt. Wird einer solchen Stimmungslage nicht Rechnung getragen und keine Volksbefragung durchgeführt, setzen sich die für die Einleitung einer Befragung zuständigen Organe dem Vorwurf aus, den Willen des Volkes als Souverän zu ignorieren. Gut organisierte Interessengruppen mit entsprechendem Einfluss könnten diese Situation nutzen und die Durchführung einer Volksbefragung gleichsam erzwingen, sofern ihr Anliegen nicht auf andere Weise durchzusetzen ist (Martini, DÖV 2015, 981/983; a. A. Thum, BayVBl 2015, 225 f.). Auswirkungen sowohl auf den Gestaltungsrahmen der Staatsregierung als auch auf die Wahrnehmung der Kontrollrechte und der Budgetverantwortung durch den Landtag sind daher schon allein infolge der Existenz der angegriffenen Regelung nicht auszuschließen.
In noch stärkerem Umfang ergeben sich entsprechende Konsequenzen aus dem Ergebnis einer durchgeführten Volksbefragung. Zwar ist das jeweilige Resultat gemäß Art. 88 a Abs. 3 LWG für Landtag und Staatsregierung rechtlich nicht bindend. Gleichwohl erscheint es kaum vorstellbar, dass die zuständigen Organe einem durch das Volk geäußerten Willen nicht folgen. Wer die Bürger in einer wahlrechtsähnlichen Weise an die Urne gerufen hat, wird sich über das dabei bekundete Votum nur schwer hinwegsetzen können (Martini, DÖV 2015, 981/983). Dabei stehen nicht die rechtlichen Vorgaben, sondern politische Maßstäbe im Vordergrund, im Rahmen derer der faktische Druck des Volkswillens von wesentlicher Bedeutung ist (vgl. BVerfGE 8, 104/116 f. und Leitsatz 7).
(2) Wird der vom Volk geäußerte Wille durch die Staatsregierung umgesetzt, verbreitert die vorangegangene Befragung die Legitimationsgrundlage der getroffenen Entscheidung und verleiht der Entscheidungsfindung besondere Dignität und Akzeptanz (Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38 f.; Martini, DÖV 2015, 981/982); insoweit wird die Stellung der Staatsregierung gestärkt. Verbunden mit der gemeinsamen Befugnis der Staatsregierung und der Landtagsmehrheit zur Einleitung einer Volksbefragung (Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG) kann dies die Wahrnehmung der Kontrollrechte und der Budgetverantwortung durch den Landtag beeinflussen. Denn im Rahmen der Umsetzung des geäußerten Volkswillens beispielsweise aus finanziellen Gründen folgende Bedenken könnten in der Öffentlichkeit als Missachtung des Volkes als Souverän angesehen und dadurch im Keim erstickt werden.
(3) Die angegriffene Regelung beschränkt sich damit nicht auf eine bloße Präzisierung oder geringfügige Ergänzung der bestehenden plebiszitären Ordnungsstrukturen der Bayerischen Verfassung. Vielmehr erweitert sie das Staatsgefüge um ein neues Element der direkten Demokratie, das geeignet ist, das von der Verfassung vorgegebene Kräfteverhältnis der Organe und ihre Gestaltungsspielräume zu beeinflussen (vgl. Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/8; dies. NJW 2015, 1225/1227; Martini, DÖV 2015, 981/984; Möstl, BayVBl 2015, 217/221). Das „primäre Organ“, d. h. das Volk, wird in größerem Umfang an der Staatswillensbildung beteiligt, als es verfassungsmäßig bestimmt ist (vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 135 f.). Damit verbunden ist eine Stärkung des Gedankens der unmittelbaren Demokratie zulasten des in der Bayerischen Verfassung angelegten Grundsatzes der repräsentativen Demokratie (vgl. oben a) aa) und damit auch zulasten der Bedeutung der alle fünf Jahre stattfindenden Landtagswahlen (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BV). Diese Verschiebung im fein austarierten staatsorgani-sationsrechtlichen System bedarf einer Verankerung in der Verfassung selbst (Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/8; dies. NJW 2015, 1225/1229; Martini, DÖV 2015, 981/984, 991 f.; Möstl, BayVBl 2015, 217/220 f.; vgl. auch Sommermann in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 20 Abs. 2 Rn. 162; a. A. Thum, BayVBl 2015, 224 ff.; vgl. auch Pestalozza, NJW 1981, 733/735; Ebsen, AöR 110, 2/4 ff.; Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, 1991, S. 424 f.; Dreier, GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 107).
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass Volksbefragungen nach Art. 88 a LWG nur konsultativen, also keinen rechtlich verbindlichen Charakter haben und die dargestellten Folgen für das Staatsgefüge teilweise auf faktische Wirkungen und Zwänge zurückzuführen sind. Rechtliche Regelungen entfalten ihre Gestaltungskraft durch die Anwendung auf konkrete Fallgestaltungen in der Rechtswirklichkeit. Zwar findet im Rahmen von Normenkontrollverfahren, zu denen auch Meinungsverschiedenheiten gemäß Art. 75 Abs. 3 BV, Art. 49 VfGHG gehören, keine Überprüfung des Vollzugs von Normen statt (vgl. VerfGH vom 11.11.1997 VerfGHE 50, 226/245; vom 9.8.2011 VerfGHE 64, 136/143). Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer im Normenkontrollverfahren auf dem Prüfstand stehenden Vorschrift ist jedoch von maßgeblicher Bedeutung, mit welchen tatsächlichen Konsequenzen die Anwendung dieser Regelung in der Praxis generell, d. h. üblicherweise verbunden ist. Dabei können auf der Ebene der Staatsorganisation in der Verfassungswirklichkeit bestehende politische Zusammenhänge nicht außer Betracht bleiben (VerfGH vom 26.11.2009 VerfGHE 62, 208/221; der Entscheidung VerfGH vom 22.10.2012 VerfGHE 65, 226/241 lag die Zulassung eines Volksbegehrens und damit keine vergleichbare Konstellation zugrunde).
Gegen die Verfassungswidrigkeit kann schließlich nicht eingewandt werden, Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG setze mit dem Erfordernis eines übereinstimmenden Beschlusses das Einverständnis der Staatsregierung und des Landtags voraus, also der Organe, deren Tätigkeit durch das Institut der konsultativen Volksbefragung tangiert ist. Denn ein solches Einverständnis kann verfassungsrechtliche Vorgaben zur Staatswillensbildung weder ersetzen noch in irgendeiner Form relativieren (vgl. Heußner, Protokoll der Expertenanhörung, S. 23).
d) Die angegriffene Regelung über konsultative Volksbefragungen ist daher bereits wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 2 BV verfassungswidrig und nichtig. Die Feststellung der Nichtigkeit erstreckt sich formal nicht auf den im Gesetz vom 23. Februar 2015 (GVBl S. 18) enthaltenen Änderungsbefehl, da dieser sich mit der Bekanntmachung und dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes erledigt hat. Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Nichtigerklärung ist vielmehr die zur Umsetzung dieses Befehls in das Landeswahlgesetz aufgenommene Vorschrift des Art. 88 a LWG. Bei den in § 1 des Gesetzes vom 23. Februar 2015 enthaltenen weiteren Änderungen handelt es sich um redaktionelle Anpassungen des Landeswahlgesetzes, die - ebenso wie die Regelung zum Inkrafttreten in § 2 Abs. 1 des Änderungsgesetzes - als Folge der Nichtigerklärung des Art. 88 a LWG gegenstandslos werden.
3. Ob Art. 88 a LWG darüber hinaus gegen Art. 16 a BV verstößt (so Heußner/Pautsch, NVwZ-14, 1/5; a. A. Thum, BayVBl 2015, 224/229 f.; Martini, DÖV 2015, 981/987), bedarf keiner abschließenden Prüfung.
Das Gebot, parlamentarische Minderheiten zu schützen, sowie deren Recht auf Äußerung ihrer Auffassung und Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion sind Teil des demokratischen Prinzips. Der durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern, Verfassungsreformgesetz - Reform von Landtag und Staatsregierung, vom 20. Februar 1998 (GVBl S. 39) in die Verfassung eingefügte Art. 16 a BV hat die Rechte der Opposition festgeschrieben, aber nicht verändert oder erweitert (LT-Drs. 13/9366 S. 6). Ihr Schutz geht nicht dahin, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 23 Abs. 1 BV), wohl aber soll der Minderheit ermöglicht werden, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen (VerfGH vom 21.2.2002 VerfGHE 55, 28/35 f.). Diese Möglichkeit dürfte gegeben sein, da Art. 88 a Abs. 1 Satz 1 LWG eine Beschlussfassung durch den Landtag voraussetzt; in die vorangehenden Beratungen auf Ausschuss- und auf Plenarebene kann sich die Opposition mit ihrer Sichtweise einbringen. Gegen ein aus der Verfassung ableitbares eigenes Initiativrecht der Opposition spricht auch der Grundsatz der formalen Gleichheit der Abgeordneten und Fraktionen, der in Art. 13 Abs. 2 BV gewährleistet ist (vgl. BVerfG vom 3.5.2016 NVwZ 2016, 922 ff.).
4. Einer Verankerung konsultativer Volksbefragungen unmittelbar in der Bayerischen Verfassung selbst stünde Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV grundsätzlich nicht entgegen. Wie eine entsprechende Regelung verfassungspolitisch einzuordnen wäre, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu bewerten (vgl. VerfGH vom 17.5.2006 VerfGHE 59, 63/73).
Gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV sind Änderungen der Verfassung, die den demokratischen Grundgedanken der Verfassung widersprechen, unzulässig. Der Schutzbereich dieser „Ewigkeitsklausel“ darf nicht zu eng gesehen werden. Er beinhaltet nicht nur das Demokratieprinzip selbst, sondern umfasst alle wesentlichen Merkmale freiheitlicher, rechtsstaatlicher Demokratie (VerfGHE 52, 104/122 ff.; 53, 42/60; VerfGH vom 13.4.2000 VerfGHE 53, 81/94; vom 10.10.2001 VerfGHE 54, 109/159 f.; VerfGHE 55, 28/41).
Dafür lassen sich bereits aus der Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte entnehmen. Überlegungen, die Vorschrift dahin zu konkretisieren, dass es um die Abwehr totalitärer Bestrebungen und einer Wiederkehr der Diktatur gehe, blieben im Verfassungsausschuss ohne Unterstützung (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, Bd. I, S. 189 ff.). Nawiasky warnte in den Beratungen vor einer Einzelaufzählung der geschützten Verfassungsgrundsätze mit dem Hinweis, „es wäre ein ganzer Katalog von Sachen aufzunehmen und trotzdem würde noch manches vergessen“ (a. a. O., S. 189). Hoegner, auf dessen Antrag die Aufnahme der „Ewigkeitsklausel“ in den Verfassungstext zurückgeht, sprach davon, in seinem Antrag seien „sämtliche Grundgedanken der Verfassung“ enthalten (a. a. O., S. 192). Auch später hat er eine weite Auslegung des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV befürwortet und die Auffassung vertreten, es seien darunter „mindestens“ zu verstehen die Bestimmungen über die Volkssouveränität, die Teilung der Gewalten, die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das Gesetzgebungsrecht des Landtags, das Budgetrecht der Volksvertretung, das Verbot von Ausnahmegerichten, die Unabhängigkeit der Richter, das Verbot der Einschränkung von Grundrechten und die Vorschriften über die hergebrachten Menschenrechte wie persönliche Freiheit, Gewissens- und Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, Vereinsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz, Petitionsrecht und Recht der Verfassungsbeschwerde (Hoegner, Lehrbuch des bayerischen Verfassungsrechts, 1949, S. 67).
Ob dem in allen Punkten gefolgt werden kann, muss der Verfassungsgerichtshof auch in den vorliegenden Verfahren nicht entscheiden. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG vom 15.12.1970 BVerfGE 30, 1/25; vom 3.3.2004 BVerfGE 109, 279/310) zur Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG wiederholt festgestellt hat, ist die „Ewigkeitsklausel“ aber zum anderen eine Ausnahmevorschrift; bei ihrer Anwendung muss die Gefahr „normativer Zementierungen“ gesehen werden, die zu einer Verkrustung des Verfassungsgefüges führen können (Herdegen in Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn. 80). Ehard hat in den Beratungen des Verfassungsausschusses ebenfalls auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, Bd. I, S. 189 f.).
Jedenfalls wird durch Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV einerseits nicht nur das Demokratieprinzip als solches erfasst; gemeint sind - wie dies zudem der Wortlaut nahelegt - auch die wesentlichen Merkmale freiheitlicher, rechtsstaatlicher Demokratie. Es soll dabei kein abstraktes demokratisches Ideal geschützt, sondern dessen konkrete Ausprägung in der Bayerischen Verfassung auf Dauer gesichert werden. Die Grundprinzipien der demokratischen Ordnung Bayerns sind damit dem Zugriff auch des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen. Insofern hat die „Ewigkeitsklausel“ der Bayerischen Verfassung identitätsschützenden Charakter. Es geht aber andererseits nach dem Sinn und Zweck des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV nicht um die Bewahrung von Eigenarten der Bayerischen Verfassung als solche, sondern um den Schutz von Kerninhalten dieser Verfassung und damit ihrer Substanz (VerfGHE 52, 104/122 ff.; vgl. auch Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75 Rn. 8).
aa) Zu den Grundgedanken der Bayerischen Verfassung im Sinn des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV zählt neben der Entscheidung für die parlamentarische Demokratie auch das Bestehen plebiszitärer Elemente (VerfGHE 52, 104/133). Wie bereits dargelegt (vgl. oben 2. a), gibt die Bayerische Verfassung als Staatsform die repräsentative Demokratie vor, die in bestimmten Bereichen durch plebiszitäre Elemente ergänzt wird. Die Ausgestaltung des demokratischen Gedankens in der Bayerischen Verfassung, die eine hohe Wertschätzung für die unmittelbare Demokratie zum Ausdruck bringt, wird durch Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV in ihren Grundlagen geschützt. Das bedeutet, dass nicht jeder bereits in der Verfassung enthaltene Aspekt der unmittelbaren Demokratie diesen Bestandsschutz genießt. Es besagt ferner, dass auch neue plebiszitäre Elemente in die Verfassung aufgenommen werden können. Dabei ist aber zu bedenken, dass die Bayerische Verfassung eine funktionierende Demokratie gewährleisten will, die grundsätzlich repräsentativ ausgestaltet ist. Dies setzt eine ausgewogene Aufteilung der Gesetzgebungs- und Exekutivgewalt zwischen Volk, Parlament und Staatsregierung voraus. Unzulässig sind Verfassungsänderungen, die die Funktionsfähigkeit der demokratisch legitimierten Repräsentativorgane, die für die Verwirklichung freiheitlich-rechtsstaatlicher Demokratie unverzichtbar sind, maßgeblich beeinträchtigen oder die Gefahr solcher Beeinträchtigungen mit sich bringen (VerfGHE 53, 42/63).
Auch eine unmittelbar in die Verfassung inkorporierte Regelung mit dem angegriffenen Inhalt würde das Staatsgefüge, wie bereits dargelegt (vgl. oben 2. c) cc), um ein neues Element der direkten Demokratie ergänzen, das geeignet ist, das derzeit nach der Verfassung bestehende Kräfteverhältnis der Organe und ihre Gestaltungsspielräume zu beeinflussen. Die Beteiligung des Volkes an der Staatswillensbildung würde erweitert. Damit verbunden wäre eine Stärkung des Gedankens der unmittelbaren Demokratie zulasten des in der Bayerischen Verfassung angelegten Grundsatzes der repräsentativen Demokratie und damit auch zulasten der Bedeutung der alle fünf Jahre stattfindenden Landtagswahlen. Diese Konsequenzen haben allerdings nicht die Qualität von die Schwelle des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV überschreitenden Beeinträchtigungen, die die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie maßgeblich infrage stellen könnten (vgl. zu Art. 79 Abs. 3 GG Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 121; a. A. Krause in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 35 Rn. 23 ff., der konsultative Volksbefragungen als mit den Prinzipien der Volkssouveränität und des Rechtsstaats unvereinbar erachtet).
bb) Das Budgetrecht des Parlaments unterliegt ebenfalls dem Schutz des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV. Es ist eines der wesentlichen Instrumente der Regierungskontrolle, die die rechtsstaatliche Demokratie entscheidend prägt. Im demokratischen Staat mit einer pluralistischen Gesellschaft muss die Aufgabe gelöst werden, die Interessen einzelner Gruppen mit dem Gemeinwohlinteresse auszugleichen. Der soziale Ausgleich in der Gesellschaft muss gewährleistet werden, indem die divergierenden wirtschaftlichen Interessen der Bürger mit Blick auf das Gemeinwohl aufeinander abgestimmt und koordiniert werden. Diese Aufgabe kann nur von einer einzigen, von der Mehrheit des Volkes getragenen und damit demokratisch legitimierten Institution, die dem Volk verantwortlich ist, nämlich vom Parlament, erfüllt werden. Das Parlament ist nach dem repräsentativen System vom Volk zur umfassenden Haushaltsplanung und der notwendigen Prioritätensetzung beauftragt. Nur das Parlament hat alle Staatseinnahmen und -ausgaben im Blick und nur das Parlament kann deshalb nach verantwortungsbewusster Einschätzung der Gesamtsituation entscheiden, wo das Schwergewicht des finanziellen Engagements des Staates liegen soll und in welcher Abstufung andere Bereiche demgegenüber zurücktreten müssen (VerfGHE 53, 42/64 f.; 65, 226/239).
Zwar sind, wie bereits dargelegt (vgl. oben 2. c) cc), Fallgestaltungen denkbar, in denen sich aus der Durchführung konsultativer Volksbefragungen Auswirkungen auch für die Budgetverantwortung des Parlaments ergeben. Wird jedoch die Haushaltsgesetzgebung ausgenommen (vgl. Art. 88 a Abs. 1 Satz 2 LWG), dürften allenfalls mittelbare finanzwirksame Folgen in Betracht kommen, die zudem im Zeitpunkt der jeweiligen Volksbefragung oftmals noch nicht abschließend spezifiziert sein werden und denen gegebenenfalls durch die Art und Weise, wie der Volkswille letztlich umgesetzt wird, Rechnung getragen werden kann. Geht man von einem derartigen Rahmen aus, wird dies den Schluss auf eine gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BV relevante systembedingte Beeinträchtigung des Budgetrechts allein durch die Existenz einer verfassungsrechtlichen Regelung zur Durchführung konsultativer Volksbefragungen nicht ohne Weiteres zulassen.
VII.
Die Verfahren sind kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Den Antragstellerinnen sind die durch die Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten (Art. 27 Abs. 5 VfGHG).