Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Nov. 2016 - L 7 R 5149/16 B PKH
vorgehend
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München
Gründe
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Urteil einreichenBayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Nov. 2016 - L 7 R 5149/16 B PKH zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.
Tenor
I.
Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München
II.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verzinsung einer Beitragsrückzahlung.
Die 1983 geborene Klägerin ist seit 15.09.2009 verbeamtete Lehrerin und seit 11.12.2010 mit einem Landwirt verheiratet.
Mit Bescheid vom 12.03.2012 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin als Ehegattin eines Landwirts rückwirkend für die Zeit ab 11.12.2010 fest. Sie bezifferte einen Beitragsrückstand von 3.512,00 EUR und setzte einen laufenden Beitrag ab April 2012 fest.
Daraufhin stellte die Klägerin am 22.03.2012 einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht wegen des Bezuges ihres Erwerbseinkommens als Beamtin.
Außerdem erhob sie zugleich Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.03.2014 und bat um Ratenzahlung. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie eine Befreiung frühzeitig nach der Eheschließung hätte beantragen müssen. Für die Ratenzahlung erteilte sie eine Einzugsermächtigung. Wie ihr mitgeteilt worden sei, werde das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft. Sollte das Gesetz gekippt werden, beanspruche sie die entrichteten Beiträge nebst 4% Zinsen zurück. Wenn ihre Ausführungen nicht korrekt seien, bitte sie um einen Hinweis.
Mit Bescheid vom 12.04.2012 sprach die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht aus. Die Befreiung entfalte ihre Wirkung erst ab 01.04.2012.
Die Beklagte übermittelte der Klägerin einen Plan zur Tilgung des rückständigen Betrags in Höhe von 3.512 EUR mit zinsfreier Zahlung monatlicher Raten beginnend ab Mai 2012 zu 100 EUR bis zum April 2015.
Mit Schreiben vom 12.04.2012 teilte die Beklagte außerdem mit, dass die Frage der rückwirkenden Befreiung Gegenstand einer Musterklage vor dem Bayerischen Landessozialgericht (L 1 LW 31/11) sei. Die Klägerin solle statt gegen den Bescheid vom 12.03.2014 Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.04.2012 erheben. Sollte aufgrund des Musterverfahrens eine Befreiung ab Beginn der Versicherungspflicht möglich sein, wären die Beiträge unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften mit 4% zu verzinsen.
Daraufhin nahm die Klägerin den mit Schreiben vom 03.04.2012 erhobenen Widerspruch zurück und begehrte mit Widerspruch vom 16.04.2012 die Befreiung bereits ab dem Tag der Eheschließung (11.12.2010). Am 30.04.2012 legte sie die Bescheinigung des Arbeitgebers über das ab 15.09.2009 bestehende Beschäftigungsverhältnis und die daraus erzielten Bruttoverdienste ab Dezember 2010 vor.
Mit Bescheid vom 13.11.2013 bezog sich die Beklagte auf eine Rechtsänderung vom 24.10.2013 und erklärte zur Abhilfe des Widerspruchs die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht auch für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.03.2012. Es ergebe sich ein Guthaben von 1.800 EUR. Eine Überprüfung der mit Schreiben vom 12.04.2012 erwähnten Möglichkeit der Verzinsung der bereits bezahlten Beiträge habe allerdings ergeben, dass diese rechtlich nicht zulässig sei. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV könne die Verzinsung frühestens ab Verkündung des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkasse, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz - BUK-NOG) im Bundesgesetzblatt am 24.10.2013 beginnen. Da der Zinsanspruch bereits mit Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung ende - die Auszahlung des Erstattungsbetrags erfolge im November 2013 - bestehe kein Anspruch auf Verzinsung.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und forderte, dass Zinsen in Höhe von 51,73 EUR gezahlt werden müssten.
Mit Widerspruchbescheid vom 21.11.2013 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beklagte führte u. a. aus, dass in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten, unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung zugleich ein Erstattungsantrag enthalten sein könne. Ein Erstattungsantrag müsse aber vollständig sein, dazu gehörten auch die Angaben zur Bankverbindung. Dabei könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Berechtigte die Erstattung auf das aus einem Abbuchungsverfahren bekannte Konto überwiesen haben möchte; auch in einem solchen Fall sei der Antrag nur vollständig, wenn das für die Erstattung maßgebliche Konto mitgeteilt worden sei. Sei der Antrag unvollständig, so trete an die Stelle des Eingangs der Zeitpunkt, zu dem alle Angaben für eine ordnungsgemäße Bearbeitung des Antrags vorliegen würden. Dieser Zeitpunkt könne hier dahinstehen, da der Anspruch frühestens ab der Verkündung des BUK-NOG entstehen könne. Damit ergebe sich kein Anspruch auf Verzinsung.
Zur Begründung der am 23.12.2013 beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage ist darauf hingewiesen worden, dass das BUK-NOG rückwirkend zum 11.08.2010 in Kraft getreten sei. Durch die rückwirkende Wiederherstellung des rechtlichen Zustands, der vor dem 11.08.2010 bestanden habe, sei der Bescheid vom 12.04.2012 rechtswidrig geworden. Somit sei auch ein Anspruch auf Verzinsung entstanden. Hätte die Klägerin die angeforderten Beiträge nicht ratenweise an die Beklagte gezahlt, hätten ihr auch die bis dahin erhobenen Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten zurückerstattet werden müssen. Die Klägerin dürfe insoweit nicht schlechter gestellt werden. Wegen der Ratenzahlungsvereinbarung sei der Beklagten auch die vollständige Bankverbindung für die Rückerstattung der Beiträge bekannt gewesen.
Die Klage ist mit Urteil vom 07.08.2014 abgewiesen worden. Hintergrund des Rechtsstreits sei die rückwirkende Rechtsänderung durch das BUK-NOG. Die Rechtsvorschriften über die Verzinsung von Sozialleistungen nach § 44 Abs. 1 SGB I und über die Verzinsung von Beitragsrückzahlungen nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB IV würden dem Rechtsgedanken des Schadensersatzes für den Verzug bei der Erfüllung von Forderungen entsprechen. Es handele sich um öffentliche-rechtliche Varianten der zivilrechtlichen Verzugszinsen. Mit diesen Regelungen solle gegenüber den Sozialleistungsträgern sanktioniert und zugunsten des Versicherten bzw. der Leistungsgläubiger entschädigt werden, dass eine als vorwerfbar unterstellte behördliche Säumnis oder eine erst nach geraumer Zeit zur Geltung gebrachte Einsicht der Behörde in die Rechtslage dazu geführt habe, dass Geldbeträge, die dem Bürger zustünden, ungebührlich lange einbehalten worden seien. Von einem solchen schuldhaften Verzug könne aber keine Rede sein, wenn oder solange das Gesetz gar keinen Anspruch auf die strittige Sozialleistung oder Beitragsrückzahlung gebe. Ein im Wege der Zinszahlung auszugleichendes Verschulden des Sozialleistungsträgers sei in einem solchen Fall nicht aufgetreten. Wollte man einen „Schuldigen“ suchen, so käme man am ehesten auf den Gesetzgeber. Die finanzielle Dimension der eingetretenen Nachteile halte sich in vertretbaren Grenzen. Das SG hat die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen.
Gegen das am 01.09.2014 zugestellte Urteil ist am 18.09.2014 Berufung eingelegt worden. Es habe nicht mehr höchstrichterlich geklärt werden können, ob die umstrittene Gesetzesänderung vom 05.08.2010 - auf der hier die Verweigerung der rückwirkenden Befreiung zunächst beruhte - einen Verstoß gegen das Grundgesetz dargestellt habe; durch das BUK-NOG habe sich das Musterverfahren vor dem BSG erledigt. Da die Verfassungsmäßigkeit nicht abschließend habe geklärt werden können, habe die Beklagte die Beiträge zu Unrecht erhoben und daher zu verzinsen. Durch die Rückwirkung des BUK-NOG sei nicht nur der Erstattungsanspruch begründet worden, sondern auch der Verzinsungsanspruch rückwirkend entstanden.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung kommt es darauf an, dass erst mit Verkündung des Art. 16 BUK-NOG im Bundesgesetzblatt vom 24.10.2013 die Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht eingetreten und erst zu diesem Zeitpunkt der Erstattungsanspruch entstanden ist. Eine verspätete Auszahlung des Erstattungsbetrags als Grund für eine Verzinsung sei damit nicht gegeben.
Das Entstehen eines Erstattungsanspruchs sei korrespondierend zum Entstehen eines Beitragsanspruchs zu beurteilen. Hierzu bestimme § 22 Abs. 1 SGB IV, dass Beitragsansprüche entstünden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorlägen. Der Erstattungsanspruch müsse damit auch voraussetzen, dass die Beitragsforderung „aufgrund eines Gesetzes“ entfalle.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie des gerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 13.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2013 zu Unrecht abgewiesen. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags (= 01.06.2012) bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung (= Ablauf des Oktober 2013) mit vier vom Hundert zu verzinsen.
§ 27 SGB IV ist nach § 1 Abs. 1 SGB IV auf die Alterssicherung der Landwirte anzuwenden.
§ 27 Abs. 1 SGB Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) lautet:
„Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.“
1. Erstattungsanspruch im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB IV ist nur ein Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen im Sinne des § 26 Abs. 2 SGB IV, nicht ein Anspruch auf Erstattung zu Recht erbrachter Beiträge (vgl. BSGE 55, 40f) etwa im Sinne von § 210 SGB VI oder § 75 ALG.
Der Erstattungsanspruch richtet sich hier nach § 26 Abs. 2 SGB IV. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass für den Zeitraum bereits Leistungen zu erbringen waren.
Die Klägerin hat „zu Unrecht“ Beiträge für den Zeitraum vom 01.12.2010 bis 31.03.2012 entrichtet, auch wenn der Bescheid der Beklagten vom 12.02.2012 eine Beitragspflicht ab 11.12.2010 vorgesehen und der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2012 - auf der Grundlage der im Zeitpunkt des Erlasses geltenden Vorschriften „zu Recht“ - zunächst nur eine Befreiung von der Versicherungs- und Beitragspflicht ab 01.04.2012 vorgesehen hatte.
Nach § 3 Abs. 2 ALG in der am 12.04.2012 (vorübergehend seit 11.08.2010) geltenden Fassung wirkte die Befreiung nur dann ab Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wurde, sonst vom Eingang des Antrags an. Mit § 3 Abs. 2 Satz 4 wurde damals durch eine komplizierte eingeschränkte Verweisung auf § 34 Abs. 2 Satz 3 ALG geregelt, dass auch bei einer rückwirkenden Feststellung der Versicherungspflicht die Frist für den Antrag nicht erst mit Bekanntgabe dieses Bescheides beginnt, wenn die Versicherungspflicht des Landwirts zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestellt war.
Ausschlaggebend für den Erstattungsanspruch ist jedoch, dass der Rechtsgrund für die Beitragszahlung rückwirkend weggefallen ist.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 13.11.2013 die Klägerin von der Versicherungspflicht auch für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.03.2012 befreit. Diese Regelung wurde von der Klägerin nicht angegriffen - sie wendet sich im vorliegenden Verfahren nur gegen die Ablehnung der Verzinsung. Durch die bestandskräftige rückwirkende Befreiung der Klägerin wird die Wirkung des Beitragsbescheids vom 12.03.2012 ab 01.12.2010 eingeschränkt, so dass - allein schon aus diesem formalen Grund - die Beitragszahlungen nunmehr ohne Rechtsgrund erfolgt sind.
Die Befreiung entspricht auch materiell der rückwirkend geänderten Rechtslage. Auf die Frage, ob die zwischenzeitlich geltende Rechtslage verfassungsgemäß war (s. dazu L 1 LW 31/11), kommt es nicht an.
Durch Art. 16 Abs. 17 Nr. 1 des BUK-Neuorganisationsgesetzes (BUK-NOG) vom 19.10.2013 (BGBl I S. 3836) wurde der Verweis auf § 34 Abs. 2 Satz 3 in § 3 Abs. 2 Satz 4 nunmehr ohne Einschränkung wie folgt gefasst:
„§ 34 Absatz 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend“.
Nach Art. 17 Abs. 1a trat Art. 16 Abs. 17 Nr. 1 mit Wirkung vom 11.08.2010 in Kraft. Damit wurde die schon zuvor ab 01.05.2007 bis 10.08.2010 geltende Rechtslage quasi lückenlos weitergeführt.
Daher musste die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an erfolgen, weil der Befreiungsantrag vom 25.03.2012 rechtzeitig innerhalb von drei Monaten nach Feststellung der Versicherungspflicht durch Bescheid vom 12.03.2012 gestellt worden war.
Die ursprünglich bestehende Beitragspflicht ist durch die (rechtmäßige) rückwirkende Beitragsbefreiung nachträglich entfallen, so dass die Beiträge „zu Unrecht“ entrichtet worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 26.03.1987, 11a RLw 3/86, SozR 1200 § 39 Nr. 5, juris Rn. 5; Urteil vom 26.03.1987, 11a RLw 2/86, juris Rn. 9; BSG SozR 5850 § 27a Nr. 1).
2. Der Beginn des Zinsanspruchs knüpft hier an den Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags bei der Beklagten an.
Im Schreiben vom 03.04.2012 (Eingang am 05.04.2012) - ergänzt durch die Vorlage der Arbeitgeberbescheinigung (Eingang 30.04.2012) - sieht der Senat einen vollständigen Erstattungsantrag im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB IV.
Verlangt wird dafür grundsätzlich (vgl. Seewald in: Kasseler Kommentar, SGB IV, § 27 Rn. 7), dass alle Tatsachen vollständig mitgeteilt werden, die für die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers notwendig sind. Der Antrag muss etwa auch darüber Auskunft geben, ob relevante Leistungen im Sinne des § 26 Abs. 2 SGB IV in Anspruch genommen worden sind. Ein Antrag kann aber grundsätzlich formlos - ohne Verwendung eines Vordrucks - erfolgen. Nach der überzeugenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten, unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung zugleich ein Erstattungsantrag enthalten ist und zwar auch dann, wenn die Beiträge zu diesem Zeitpunkt noch nicht entrichtet waren. Der zu unterstellende Erstattungsantrag wirkt dann für die später entrichteten Beiträge fort (s. BSG, Urteil vom 26.06.1986, 2 RU 25/85, juris Rn. 21; BSG Urteil vom 16.04.1985, 12 RK 19/83, juris Rn. 22).
Die Klägerin hat hier bereits in dem Widerspruch gegen den Beitragsbescheid unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ggf. die entrichteten Beiträge nebst 4% Zinsen zurückerhalten wolle. Da die Versicherungspflicht rückwirkend festgestellt worden war und nur Beiträge für den zurückliegenden Zeitraum streitig waren, hatte die Beklagte offensichtlich auch noch keine Leistungen erbracht; Ausführungen dazu haben sich daher im Erstattungsantrag erübrigt. Dass die Klägerin den Widerspruch gegen den Beitragsbescheid - auf Anraten der Beklagten - zurückgezogen und stattdessen Widerspruch gegen den Befreiungsbescheid erhoben hat, ändert an dem bereits klar geäußerten Wunsch nach Beitragserstattung nichts. Die Beklagte hatte in ihrem nachfolgenden Aufklärungsschreiben außerdem selbst darauf hingewiesen und bestätigt, dass die Beiträge ggf. unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften zur Verzinsung zu erstatten wären.
Die Klägerin hatte zusammen mit dem ersten Widerspruch auch eine Einzugsermächtigung erteilt, so dass die Bankverbindung der Klägerin bekannt war. Die Beklagte kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass sich die Angabe zur Kontoverbindung nicht ausdrücklich auf den Erstattungsbetrag bezogen habe. Eine Annahmeverweigerung der Klägerin war insoweit nicht zu befürchten; angesichts der Bitte der Klägerin um weitere Hinweise wäre andernfalls auch eine entsprechende frühzeitige Aufklärung geboten gewesen.
Da der Entscheidung über die Erstattung notwendig eine Entscheidung über die rückwirkende Befreiung vorangehen musste (s.o.), waren im Erstattungsantrag grundsätzlich auch die Befreiungsvoraussetzungen darzulegen. Hierzu hatte die Beklagte noch die Bescheinigung des Arbeitgebers über den Bruttoverdienst ab Eheschließung angefordert; diese legte die Klägerin am 30.04.2012 vor. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt waren somit alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte von der Klägerin mitgeteilt worden und lag somit ein vollständiger Erstattungsantrag vor.
Die Frist für die Verzinsungspflicht beginnt - wie beantragt - nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags, hier also mit dem 01.06.2012 (vgl. Berechnungsbeispiel im KomGRV, hrsg. VDR, § 27 SGB IV Rn: 2).
Der Erstattungsantrag wirkt für die seit 15.05.2012 monatsweise bis 15.10.2013 entrichteten Beiträge (von jeweils 100 EUR) fort. Da der Erstattungsanspruch und auch die Verzinsung naturgemäß die Entrichtung von Beiträgen voraussetzen und da aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung nur volle Kalendermonate zu berücksichtigen sind, können die Raten nur sukzessive nach Zahlung bei der Verzinsung berücksichtigt werden (vgl. Berechnung der Klägerin). Die Verzinsungsfrist endet mit Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung, d. h. mit Ablauf des Oktobers 2013.
3. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass der Anspruch auf Beitragserstattung frühestens ab Verkündung des BUK-NOG im Bundesgesetzblatt entstehen und damit auch die Verzinsungsfrist erst danach beginnen könne, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
Zwar ist richtig, dass die Klägerin den Erstattungsanspruch vor diesem Zeitpunkt nicht erfolgreich hätte durchsetzen können. Der Erstattungsanspruch war insoweit noch nicht fällig (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.1985, 12 RK 19/83, juris Rn. 18).
Der Wortlaut des § 27 Abs.1 Satz 1 Alt. 1 SGB IV stellt aber - anders als etwa ausdrücklich § 44 Abs. 1 SGB I - gerade nicht auf die Fälligkeit bzw. Entstehung des Anspruchs (vgl. §§ 40, 41 SGB I) ab (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.1985, a.a.O, juris Rn. 21).
Auch wenn in der Gesetzesbegründung zum SGB IV davon die Rede ist, dass mit der Verjährungs- und Verzinsungsvorschrift des SGB IV (damals § 28 SGB IV) die Vorschrift des § 44 SGB I auf die Erstattungsansprüche „erstreckt“ würde (BTDrucks 7/4122 S. 34 zu § 28), so hat der Wortlaut des SGB I in § 27 SGB IV gerade keinen Niederschlag gefunden. Hätte der Gesetzgeber „dieselbe“ Regelung gewollt, so hätte eine Verweisung auf die Vorschrift genügt (vgl. BSG, Urteil vom 31.03.2015 - B 12 AL 4/13 R, juris, Rn. 20 zur Frage der Verjährung).
Zwar setzt die Verzinsung wegen ihres Charakters als akzessorische Nebenleistung voraus, dass dem Berechtigten überhaupt ein Erstattungsanspruch zusteht.
Dies bedeutet aber nicht, dass auch der Beginn der Verzinsung denknotwendig an den Entstehungszeitpunkt des Erstattungsanspruchs geknüpft sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.2010 - B 10 LW 4/09 R zur entsprechenden Frage der Verjährung eines Erstattungsanspruchs nach § 27 Abs. 2 SGB IV).
Es entspricht der Eigenart des Erstattungsanspruchs, dass ihn erst eine nachträgliche Erkenntnis über die Rechtswidrigkeit einer zurückliegenden Beitragszahlung hervorbringt.
Je nach Fallkonstellation ist dafür wegen der Besonderheiten des Beitragsrechts ggf. auch noch die Aufhebung (eines Beitragsbescheids) oder - wie hier - der Erlass eines rückwirkenden Verwaltungsakts (hier: Befreiungsbescheid) erforderlich.
Sieht man den Sinn der Anknüpfung der Zinsfrist in § 27 Abs. 1 Satz 1 Alt.1 SGB IV an den Erstattungsantrag (noch vor Bekanntgabe der Erstattungsentscheidung - Satz 1 Alt. 2) darin, dass damit gerade die Bearbeitungszeit der Beklagten beschleunigt werden und nur diese Zeitspanne nicht zulasten des Versicherten gehen soll, so läge es in der Tat nahe, die Verzinsung jedenfalls nicht vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt einer für den Versicherten positiven Behördenentscheidung beginnen zu lassen.
Bei stärkerer Berücksichtigung der Ausgleichsfunktion des Erstattungsanspruchs und des Zinsanspruchs käme aber als Verzinsungsbeginn grundsätzlich auch der Zeitpunkt der Beitragsentrichtung oder des (rückwirkenden) Eintritts der Unwirksamkeit eines zugrundeliegenden Verwaltungsakts (so § 50 Abs. 2a SGB X bei der Rückforderungen der Behörde von Leistungen zur Förderung von Einrichtungen, § 49a VwVfG) in Betracht.
Es liegt daher durchaus im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und im Rahmen einer an § 2 Abs. 2 SGB I orientierten Auslegung, für den Beginn der Verzinsung - uneingeschränkt und unabhängig von der Art der beitragsrechtlichen Fallgestaltung (mit oder ohne Beitragsbescheid bzw. Befreiung etc.) - auf den Eingang des Erstattungsantrags des Berechtigten (und erst beim Fehlen eines Antrags auf die Bekanntgabe der Entscheidung) abzustellen. Dies gibt dem Berechtigten, eine faire Chance, seine eigenen Ausgleichsinteressen durchzusetzen. Der Erstattungsantrag enthält andererseits im Regelfall eine sinnvolle Warnfunktion für die Beklagte, mit der Bearbeitung zu beginnen; für den Sonderfall der rückwirkenden Gesetzesänderung kann die Verzinsungsfrage als Gesichtspunkt im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden.
Soweit das Sozialgericht darauf hinweist, dass die Beklagte bis zur Verkündung der rückwirkenden Gesetzesänderung rechtmäßig gehandelt habe und daher eine Verzinsung als Ausdruck schuldhaften Verzugs nicht angemessen sei, lässt sich dieser Gesichtspunkt aus dem Gesetz nicht ableiten. Die Regelungen des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind nicht mit den zivilrechtlichen Regelungen über Verzugszinsen und Prozesszinsen (§§ 288, 291 BGB) vergleichbar. § 27 SGB IV stellt nicht auf ein Verschulden der Beteiligten oder auf die Höhe eines entstandenen Schadens ab. Die Eigenständigkeit der Verzinsung sozialrechtlicher Ansprüche schließt es vielmehr nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, die Grundsätze der bürgerlich-rechtlichen Normen heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.1985, 12 RK 19/83, SozR 2100 § 27 Nr. 3, juris).
Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob es umgekehrt die Klägerin in der Hand gehabt hätte, durch einen früheren Befreiungsantrag den Eintritt der Beitragszahlung zu vermeiden.
Selbst wenn dieser Gesichtspunkt - im Sinne einer mangelnden Schutz- und Ausgleichsbedürftigkeit - herangezogen würde, so ist jedenfalls hier der Klägerin die späte Antragstellung nach den gesetzgeberischen Wertungen nicht anzulasten.
Der Gesetzgeber hat durch die rückwirkende Änderung im BUK-NOG den Ehegatten gerade die Obliegenheit eines früheren Befreiungsantrags abgenommen. Mit der Änderung wurde erreicht, dass die Antragsfrist zur Befreiung von der Versicherungspflicht als Ehegatte eines Landwirts erst ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt und nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Eheschließung. Umstritten war bei der zwischenzeitlichen Rechtslage insbesondere die Frage, ob die Kenntnis von der Versicherungspflicht auch dem Ehegatten des Landwirts zugerechnet werden könne. Mit der gesetzlichen Änderung durch das BUK-NOG wurde insbesondere berücksichtigt, dass die Beklagte seit 01.01.2013 nunmehr per Datenabgleich von den Eheschließungen erfährt. Mit der rückwirkenden Änderung sollte die alte Rechtslage wiederhergestellt werden, um eine Schlechterstellung der Ehegatten bis zur Einführung des automatisierten Datenabgleichs zu vermeiden (BTDrucks 17/13808 S. 14). Insofern hat der Gesetzgeber gerade nicht den Ehegatten die Verantwortung für die rechtzeitige Mitteilung auferlegt. Die Erwägungen des Gesetzgebers zur Rückwirkung stehen also mit einer Verzinsung unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs in Einklang.
Die Auslegung des Senats, wonach es für die Verzinsung nicht auf das Entstehen des Anspruchs ankommt, entspricht auch der (neuesten) Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 31.03.2015 - B 12 AL 4/13 R) zur Verjährung nach § 27 SGB IV. Darin wird ausgeführt, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist (mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung) nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB IV, der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Norm nicht darauf ankommt, wann der Erstattungsanspruch entsteht. Dies sei auch nicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil es der Betroffene selbst in der Hand habe, den Erstattungsanspruch geltend zu machen und ihm nachteilige Bescheide anzugreifen.
Insofern erscheint es konsequent, § 27 SGB IV auch bezüglich der Verzinsung weiter streng am Wortlaut orientiert auszulegen. Wenn für den Versicherten der Beginn der Verjährungsfrist - nachteilig - nicht an die ggf. erst spätere Entstehung anknüpft, so erscheint es andererseits auch angemessen - zugunsten des Versicherten - für die Verzinsung nicht erst auf die Entstehung, sondern den Erstattungsantrag abzustellen.
Der Senat hält nach alledem den Anspruch der Klägerin auf Verzinsung des Erstattungsanspruchs ab 01.06.2012 für begründet.
Wegen des Obsiegens der Klägerin im Berufungsverfahren hat die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 193 SGG).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil sich der Senat an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert, die ausreichend Maßstäbe zur Behandlung der Rechtsfrage vorgibt.
(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.
(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.
(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.