Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 28. Aug. 2014 - L 19 R 746/14 B ER

bei uns veröffentlicht am28.08.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.08.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung einer Umschulung zum Heilerziehungspfleger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der 1965 geborene Antragsteller beantragte am 31.01.2013 Leistungen auf Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zum Heilerziehungspfleger. Wegen Beschwerden im Sprunggelenk und den Knien könne er die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Saugwagenfahrer und Kanalreiniger nicht mehr ausüben. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.05.2013 ab. Sie bewilligte aber auf den Widerspruch hin mit Bescheid vom 25.09.2013 Leistungen zur Teilhabe dem Grund nach. Die Umschulung zum Heilerziehungspfleger lehnte sie ab, weil bei der vorliegenden Minderbelastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates des Antragstellers das Leistungsbild des Heilerziehungspflegers nicht eingehalten werden könne. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2014 zurück.

Dagegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben (S 9 R 104/14).

Am 01.07.2014 hat der Antragsteller beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die begehrten Leistungen für die Umschulung zum Heilerziehungspfleger ab dem 01.09.2014 (Ausbildungsbeginn) zu gewähren. Mit den bei ihm bestehenden Leiden könne er ohne weiteres die konkret zu erwartenden Tätigkeiten als Heilerziehungspfleger im Raum A./W. bei den potentiellen Arbeitgebern AWO Kreisverband F. e.V., Diakonie N. und der Lebenshilfe A. bewältigen. Aus der Tätigkeitsbeschreibung Heilerziehungspfleger des AWO-Therapiezentrums C. vom 22.04.2014 werde deutlich, dass die für ihn konkret in Aussicht stehende längerfristige Anstellung als Heilerziehungspfleger einen sehr geringen Grad an körperlicher Arbeit erfordere und somit als leidensgerecht anzusehen sei. Nach Bescheinigungen der Gemeinschaftspraxis M. seien erhöhte Anforderungen an die Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates bei der konkret beabsichtigten Ausbildung und Tätigkeit als Heilerziehungspfleger im AWO-Therapiezentrum C. nicht zu erwarten.

Die Antragsgegnerin hat unter dem 08.07.2014 ausgeführt, der Beruf des Heilerziehungspflegers sei für den Antragsteller nicht leidensgerecht, da ihm aufgrund der Minderbelastbarkeit seines Stütz- und Bewegungsapparates schweres Heben, Tragen und Stützen von behinderten Menschen nicht uneingeschränkt möglich sei. Damit stehe er einer Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt im angestrebten Beruf nicht vollumfänglich zur Verfügung und ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben.

Mit Beschluss vom 05.08.2014 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch auf Gewährung der Umschulung zum Heilerziehungspfleger würde nur bestehen, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen würde, d.h. die Umschulung zum Heilerziehungspfleger die einzige rechtlich vertretbare Entscheidung der Antragsgegnerin sei. Nach summarischer Prüfung sei nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Denn das Leistungsbild des Heilerziehungspflegers sehe laut Berufenet schweres Heben und Tragen (z.B. Menschen mit Behinderung heben, stützen oder umbetten) vor, da Heilerziehungspfleger bettlägerigen oder kranken Menschen bei der Körperpflege sowie beim An- und Auskleiden (Grundpflege) helfen würden. Aus diesem Grund erfordere die Arbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung häufig hohen Körpereinsatz, der sehr mühsam und körperlich anstrengend sein könne. Beim Antragsteller bestünden Probleme beim Sprunggelenk und den Knien sowie bei der Halswirbelsäule. Aus diesem Grunde habe Dr. E. in seiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 08.03.2013 eine negative Prognose für die körperlich schwere Tätigkeit als Saugwagenfahrer und Kanalreiniger abgegeben. Die Ärztinnen der Antragsgegnerin hätten jedoch in ihren Stellungnahmen vom 05.08.2013 und 06.08.2013 sowie 13.09.2013 festgestellt, dass eine Umschulung zum Heilerziehungspfleger aus somatischer Sicht bei der vorliegenden Minderbelastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates nicht leidensgerecht sei. Zwar habe der Antragsteller vorgebracht, es gebe vielfältige Einsatzmöglichkeiten für den Heilerziehungspfleger, die mit äußerst geringer körperlicher Belastung verbunden wären. Da das Leistungsbild des Heilerziehungspflegers jedoch auch schwere Arbeiten beinhalte, könne jedenfalls nicht daraus geschlossen werden, der Beruf des Heilerziehungspflegers sei der einzig richtige Umschulungsberuf.

Hiergegen richtet sich die am 19.08.2014 erhobene Beschwerde des Antragstellers zum Bayer. Landessozialgericht. Nochmals werde hervorgehoben, dass trotz der vorhandenen Leiden ohne weiteres die zu erwartenden Tätigkeiten als Heilerziehungspfleger bewältigt werden könne. Insbesondere stelle nach ärztlicher Bescheinigung die Ausbildung als Heilerziehungspfleger im AWO-Therapiezentrum C. keine erhöhten Anforderungen an den Stütz- und Bewegungsapparat.

Die Antragsgegnerin hat am 27.08.2014 die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Auf die Akte der ersten Instanz und auf die Akte des Beschwerdeverfahrens wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierzu hat der betreffende Antragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass bereits ein Anordnungsanspruch nicht besteht. Auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses wird Bezug genommen.

Ein Anspruch auf Förderung einer Ausbildung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben richtet sich nach §§ 9 ff., 16 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit §§ 33 bis 38 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX). Die Voraussetzungen für diesen Anspruch liegen nach der im Eilverfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung nicht vor und ergeben sich auch nicht unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung.

Hinsichtlich der Frage, "wie" die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen ist, bestimmt der Rentenversicherungsträger gem. § 13 Abs 1 S 1 SGB VI im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen - hier: Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Ausbildung zum Heilerziehungspfleger - sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Ermessensentscheidung bezüglich des "wie" unterliegt im Rechtsstreit nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung, soweit nicht ein Fall der "Reduzierung des Ermessens auf Null" vorliegt, d.h. das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung des Rentenversicherungsträgers fehlerhaft wäre.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können nur gewährt werden können, wenn diese erfolgversprechend sind und eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben auf Dauer möglich ist. Soweit jedoch - wie vorliegend das SG zutreffend herausgestellt hat - der angestrebte Umschulungsberuf längerfristig mit dem Leistungsvermögen des Bf nicht vollständig vereinbar ist, ist es keinesfalls so, dass die beantragte Umschulung als die einzige denkbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzusehen ist. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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(1) Der Träger der Rentenversicherung bestimmt im Einzelfall unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten im Sinne des § 8 des Neunten Buches und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend.

(2) Der Träger der Rentenversicherung erbringt nicht

1.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit, es sei denn, die Behandlungsbedürftigkeit tritt während der Ausführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ein,
2.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung,
3.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse nicht entsprechen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung erbringt nach Absatz 2 Nr. 1 im Benehmen mit dem Träger der Krankenversicherung für diesen Krankenbehandlung und Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Der Träger der Rentenversicherung kann von dem Träger der Krankenversicherung Erstattung der hierauf entfallenden Aufwendungen verlangen.

(4) Die Träger der Rentenversicherung vereinbaren mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales Näheres zur Durchführung von Absatz 2 Nr. 1 und 2.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.