Amtsgericht Altötting Beschluss, 16. Juni 2015 - XVII 59/15

16.06.2015

Gericht

Amtsgericht Altötting

Tenor

Die Betreuung wird angeordnet.

Die Betreuung umfasst folgende Aufgabenkreise:

- Gesundheitsfürsorge

- Aufenthaltsbestimmung

- Vertretung gegenüber Behörden und Versicherungen

- Angelegenheiten der ambulanten und stationären Pflege

Zum Betreuer wird bestellt:

Herr Pater N.N.

Das Gericht wird spätestens bis zum 16.06.2022 über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung entscheiden. Bis zu einer erneuten Entscheidung gelten die getroffenen Regelungen fort.

D. Betreuer(in) ist verpflichtet, dem Gericht Änderungen, die eine Einschränkung, Aufhebung oder Erweiterung der Betreuung erforderlich machen, unverzüglich mitzuteilen.

Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

Die Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers sind gegeben.

Der Betreute ist aufgrund einer der in § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgeführten Krankheiten bzw. Behinderungen, nämlich eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms sowie körperlicher Behinderungen, nicht in der Lage, die Angelegenheiten ausreichend zu besorgen, die zu den genannten Aufgabenkreisen gehören.

Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus

- dem ärztlichen Gutachten des Sachverständigen Herrn Dr. N.,

- dem Bericht der Betreuungsbehörde Betreuungsstelle bei dem Landratsamt Altötting,

- der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin N. und

- dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts, den sich dieses bei der Anhörung des Betreuten in dessen üblicher Umgebung verschafft hat.

Die Betreuerbestellung ist erforderlich, weil die Regelung der Angelegenheiten des Betreuten anderweitig nicht erfolgen kann. Der Aufgabenkreis wurde dem erkennbaren Regelungsbedarf entsprechend angepasst. Das Gericht geht davon aus, dass Hilfen im Orden ganz umfassend zur Verfügung stehen, jedoch die genannten Bereiche jederzeit Handlungsbedarf für eine rechtliche Betreuung aufweisen können:

Gesundheitsfürsorge:

D. Betroffene kann weder seine gesundheitliche Versorgung selbst koordinieren noch einem ärztlichen Aufklärungsgespräch folgen bzw. eine wirksame Einwilligung abgeben. Jede Heilbehandlung bedarf aber jeweils der Rechtfertigung, insbesondere durch eine Einwilligung des Patienten bzw. seines gesetzlichen Vertreters. Insbesondere dazu dient die rechtliche Betreuung (In § 630d BGB heißt es dazu u. a.: „Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. ...“).

Aufenthaltsbestimmung:

Für den Betroffenen ist gegebenenfalls sein weiterer Aufenthalt zu klären und zu organisieren, insbesondere im Rahmen von Krankheit oder Änderungen im Pflege-bedarfsumfang.

Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen:

D. Betroffene ist nicht in der Lage, die laufend anfallenden Verwaltungstätigkeiten selbst zu bewältigen. Bzgl. der Post kann Bruder M. selbst noch zustimmen. Auch für den Ordensbruder fallen zumindest Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungs-angelegenheiten an, wenn auch sonstige Versicherungsangelegenheiten über den Orden bereits geregelt sind.

Angelegenheiten der ambulanten und stationären Pflege:

Bruder M. ist pflegebedürftig und wird im Kloster versorgt, wozu auch ambulante Dienste eingesetzt werden, bei erhöhter Pflegebedürftigkeit kann auch eine Versorgung in einer externen Pflegeeinrichtung unumgänglich werden, so dass auch für diesen Aufgabenkreis Handlungsbedarf besteht.

Bei der Auswahl des Betreuers ist das Gericht dem bedenkenfreien Wunsch des Betreuten und dem Vorschlag der Betreuungsbehörde gefolgt.

Der Betroffene hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach wie vor im Kapuzinerkloster St. M. (in Brüdergemeinschaft im Mehrgenerationenhaus) und wird dort (auch) pflegerisch versorgt, solange dies dort zu gewährleisten ist und kein Pflegebedarf auftritt, der eine volle (externe) Pflegeeinrichtung erfordern würde. Der bestellte Betreuer steht als Guardian dem Kloster vor.

Zwar bestimmt § 1897 Abs.3 BGB „ Wer zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, in welcher der Volljährige untergebracht ist oder wohnt, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestellt werden.“ Zweck dieser Vorschrift ist es, von vornherein Interessenskonflikte einer solchen Person als Betreuer und eine Belastung des Vertrauensverhältnisses zum Betreuten zu vermeiden (BT-Drucks 11/4528 S 126). „Klassischer“ Anwendungsfall des Abs. 3 ist ein Heim iSd HeimG (bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Regelungen), in dem der Betroffene untergebracht ist. Neben Heimen und Anstalten sind aber auch sonstige Einrichtungen erfasst, dh auch sonstige Institutionen, die einen vom einzelnen Betreuten unabhängigen Bestand von Sach- und Personalmitteln unterhalten. Die Vorschrift ist damit weit auszulegen und gilt für die verschiedensten Heim- und Wohnformen der neueren Zeit (BeckOK BGB/Gabriele Müller BGB § 1897 Rn. 11 Stand 1.11.2014). Die Vorschrift lässt dem Gericht keinen Ermessensspielraum, ist andererseits aber auch nicht auf andere Fälle auszudehnen (Schwab in MünchKomm 6. Aufl. 2012 § 1897 Rn. 35). Das BVerfG (NJW-RR 2006, 1009) hat allerdings für Eltern im Hinblick auf Art 6 Abs. 2 GG eine Ausnahme anerkannt. Das Elternrecht gestatte es nicht, in diesem Fall bereits eine entfernte, abstrakte Möglichkeit der Interessenkollision genügen zu lassen. Die Entscheidung wirft die Frage auf, ob nicht auch in anderen Fällen für die Anwendung des § 1897 Abs. 3 eine konkrete Interessenkollision verlangt werden muss (Schwab a. a. O.: Dies sei zu verneinen. Die Entscheidung des BVerfG betreffe einen Sonderfall, in denen der Schutz des Betroffenen mit dem Sinn der Norm in einem Spannungsverhältnis steht. Ist diese Konstellation nicht gegeben, so bleibe es bei der vorsorglichen Regelung des Gesetzes). § 1897 Abs. 3 gilt auch, wenn der Betroffene die ausgeschlossene Person als Betreuer wünscht (Schwab a. a. O.).

Nach Auffassung des Amtsgerichts Altötting muss danach jedenfalls dort wo ein grundrechtlicher Schutzbereich ähnlich wie das Elternrecht berührt ist, die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechtes im Lichte der Verfassung erfolgen (im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu „Ausstrahlungswirkung“ der Grundrechte als „objektiver Wertordnung“). Das ist bei der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG grundsätzlich der Fall. Geschützt sind die individuelle Religionsfreiheit (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit der ungestörten Religionsausübung, von staatl. Einflussnahme freien Rechtsraum, in dem sich jeder die Lebensform geben kann, die seiner religiösen und weltanschaul. Überzeugung entspricht. Jeder darf danach über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Weltanschauungsgemeinschaft frei von staatl. Zwang entscheiden) und der kollektiven Religionsfreiheit i. V. m. Art. 140 GG, Art. 136-141 WRV, insb. Art. 137 Abs.3 S.1 Weimarer Reichsverfassung (Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes).

Wünscht der betroffene Ordensangehörige somit, dass seine Angelegenheiten - entsprechend seiner Entscheidung zum Ordensleben - im Rahmen der Ordensregeln vom Orden und gegebenenfalls durch die für im Orden mit bestimmten Aufgaben betrauten Mitbrüder erledigt werden und damit die Wahl seiner religiösen Lebensform auch im Falle der Betreuungsbedürftigkeit weiterhin fortgelebt und geachtet wird, so steht der Bestellung eines in die Ordenshierarchie eingegliederten Betreuers § 1897 Abs.3 BGB nicht zwingend entgegen. Vielmehr müssten konkrete Interessensgegensätze aufscheinen, die es erforderlich machen, dem Betreuten einen Vertreter außerhalb des Ordensgefüges zur Seite zu stellen. Ob die Auslegung des einfachen Rechtes (§ 1897 Abs.3 BGB) hierzu bereits die Einordnung als „Anstalt, Heim oder sonstige Einrichtung“ auf der Tatbestandsseite verneinen lässt oder erst auf der Rechtsfolgenseite das „darf nicht“ ausnahmsweise durchbrochen werden darf, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch im ersteren Falle wäre zwar nicht nach § 1897 Abs.3 BGB jedoch nach der allgemeinen Norm zur Interessenskollison (§1896 Abs.5 BGB) es möglich, auf konkrete Lagen zu reagieren. Für solche konkreten Interessenskonflikte haben sich aber keinerlei Anhaltspunkte ergeben.

Bei der Festsetzung der Überprüfungsfrist hat das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen berücksichtigt.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 287 Abs. 2 Satz 1 FamFG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Altötting Beschluss, 16. Juni 2015 - XVII 59/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Amtsgericht Altötting Beschluss, 16. Juni 2015 - XVII 59/15

Referenzen - Gesetze

Amtsgericht Altötting Beschluss, 16. Juni 2015 - XVII 59/15 zitiert 8 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 4


(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 140


Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 287 Wirksamwerden von Beschlüssen


(1) Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand der Bestellung eines Betreuers, über die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 300 werden mit der Bekanntgabe an den Betreuer wirksam. (2)

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 630d Einwilligung


(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung

Referenzen

(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1827 Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

(2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist.

(3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

(1) Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand der Bestellung eines Betreuers, über die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 300 werden mit der Bekanntgabe an den Betreuer wirksam.

(2) Ist die Bekanntgabe an den Betreuer nicht möglich oder ist Gefahr im Verzug, kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. In diesem Fall wird er wirksam, wenn der Beschluss und die Anordnung seiner sofortigen Wirksamkeit

1.
dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger bekannt gegeben werden oder
2.
der Geschäftsstelle zum Zweck der Bekanntgabe nach Nummer 1 übergeben werden.
Der Zeitpunkt der sofortigen Wirksamkeit ist auf dem Beschluss zu vermerken.

(3) Ein Beschluss, der die Genehmigung nach § 1829 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Gegenstand hat, wird erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam.