Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 5. Juni 2025 - IX ZR 69/24 von Dirk Streifler

originally published: 24.10.2025 17:53, updated: 04.11.2025 09:55
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 5. Juni 2025 - IX ZR 69/24 von Dirk Streifler
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Bundesgerichtshof Urteil, 5. Juni 2025 - IX ZR 69/24

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Urteilsbesprechung – Zustimmungs­vorbehalt, Drittschuldnerleistungen und „Masseziehung“ 

 

A. Einordnung und Kern der Entscheidung

Die Entscheidung BGH, Urt. v. 5. 6. 2025 – IX ZR 69/24 behandelt eine immer wieder auftauchende Störung im Eröffnungsverfahren: Trotz angeordneten Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) vereinnahmt der Schuldner Zahlungen von Drittschuldnern. Der (vorläufige) Verwalter verklagte den Schuldner auf Zahlung in die Masse – teils gestützt auf § 816 Abs. 2 BGB (Leistung an Nichtberechtigten), teils auf § 687 Abs. 2, § 681 S. 2, § 667 BGB(angemaßte GOA). Der BGH verneint eine solche „Masseziehung über den Schuldner“ und verweist den Verwalter auf den richtigen Adressaten: den Drittschuldner. Dessen Einwand, der Verwalter müsse erst beim Schuldner zugreifen, greift grundsätzlich nicht. Gleichzeitig skizziert der Senat, wann Gesamtschadensersatz nach § 92 S. 1 InsO gegen den Schuldner denkbar ist (nämlich bei masseschädigenderWeg- oder Aufgabe der empfangenen Leistung nach Eröffnung). 

B. Dogmatische Leitplanken: Neuerwerb, Massenzufluss und Drittschuldnerschutz

Der BGH knüpft an seine Linie zum wirtschaftlichen Massenzufluss an: Zieht der nicht empfangszuständige Schuldner nach Eröffnung eine Forderung ein, ist das zwar Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 InsO) – aber der Massefließt nichts zu, solange der Verwalter den Leistungsgegenstand nicht erhält oder die Masse wirtschaftlich so gestellt wird, wie bei ordnungsgemäßer Erfüllung. Das folgt aus dem Drittschuldnerschutz des § 82 InsO, der die Risikoverteilung im eröffneten Verfahren vorgibt. Konsequenz: Ansprüche gegen den Schuldner aus Bereicherung oder GOA sind nicht per se masserechte Ansprüche; der Weg führt zum Drittschuldner, der grundsätzlich noch einmal leisten muss. 

C. Was der Senat entschieden – und was ausdrücklich nicht entschieden hat

  1. Verneint: Eine allgemeine Befugnis des (vorläufigen) Verwalters, den Schuldner im Klageweg zur „Rückleitung“ von im Eröffnungsverfahren eingezogenen Drittschuldnerleistungen zu verpflichten, wenn das Erlangte beim Schuldner nicht mehr greifbar ist. 
  2. Bestätigt: Der Verwalter kann den Drittschuldner erneut auf Leistung in Anspruch nehmen; dieser darf das nicht mit dem Hinweis abwehren, man müsse „zuerst beim Schuldner versuchen“. 
  3. Offen gelassen / präzisiert: Der BGH skizziert, wann Gesamtschadensersatz (§ 92 S. 1 InsO) gegen den Schuldner in Betracht kommt – nämlichnach Eröffnung bei masseschädigender Weg- oder Aufgabe der vereinnahmten Leistung (Quotenminderung). Der bloße Einzug allein genügt nicht. Nicht entschieden wird, ob die herangezogenen Bereicherungs- oder GOA‑Konstruktionen grundsätzlich Masseansprüche begründen könnten; das brauchte der Senat angesichts fehlender Befugnis hier nicht zu entscheiden. 

D. Ist das richtig? – Bewertung

Die Entscheidung überzeugt dogmatisch und rechtspolitisch. Sie verhindert eine systemwidrige „Ersatzmasse“-Haftung des Schuldners im Eröffnungsverfahren und stärkt die Adressatensicherheit: Wer falsch geleistet hat, bleibt richtiger Ansprechpartner. Zugleich bleibt die Sanktionskette geschlossen: Bei masseschädigender Weiterleitung nach Eröffnung sind Gesamtschadensansprüche zugunsten der Gläubiger denkbar; strafrechtliche Flankierungen (z. B. § 283 StGB) werden nicht tangiert. Die Linie fügt sich in die Rechtsprechung zur Abgrenzung von Neuerwerb und Massenzufluss sowie in die frühere Rechtsprechung zu § 80 InsO und § 82 InsO ein. 

E. Was lernen wir daraus – praktische Konsequenzen

Für die Verwalterpraxis bedeutet das Urteil dreierlei:
(1) Bereits im Eröffnungsverfahren müssen Drittschuldner (Banken, Mieter, Kunden) schriftlich über die Leistungsverpflichtung an den (vorläufigen) Verwalter belehrt werden. (2) Kommt es dennoch zu Zahlungen an den Schuldner, ist primär der Drittschuldner in Anspruch zu nehmen; der Schuldner wird nicht zum „Ausfallbürgen“ der Masse. (3) Deliktische Gesamtschadensansprüche gegen den Schuldner sind sorgfältig zu prüfen – aber erst bei einer tatsächlichen Quotenminderung durch Weg- oder Aufgabe der vereinnahmten Leistung nach Eröffnung. Für Drittschuldner steigt das Risiko einer Zweitinanspruchnahme; ein „Erst‑der‑Schuldner“-Einwand trägt nach der Entscheidung typischerweise nicht.

F. Gegenstimmen in Literatur und offene Flanken

Die Entscheidung widerspricht Teilen des Schrifttums, die beim unberechtigten Einzug insolvenzbefangener Forderungen Bereicherungs‑ (§ 816 Abs. 2 BGB) bzw. GOA‑Ansprüche (§ 687 Abs. 2 i. V. m. § 681 S. 2, § 667 BGB)als Masseansprüche zulassen wollten. Der BGH referiert diese Auffassung – u. a. Jacoby/Felsch (ZInsO 2022) – und stellt ihr die fehlende Befugnis des Verwalters im konkreten Setting gegenüber. Gleichzeitig erinnert der Senat an eigene offene Punkte (u. a. BGH, Urt. v. 2. 12. 2021 – IX ZR 206/20), ohne sie hier entscheiden zu müssen. Für die Praxis bleibt deshalb spannend, ob und unter welchen Voraussetzungen außerhalb des hier entschiedenen Sachverhalts masserechte Ansprüche gegen den Schuldner angenommen werden können – etwa in Konstellationen einer echten Vermögensteilung (Freigabe‑Fälle, § 35 Abs. 2 InsO) oder beieindeutig masseschädigender Weiterleitung im eröffneten Verfahren. 

G. Verhältnis zu Vorinstanzen, Abdruck und Folgejurisprudenz

Der Entscheidung voraus gingen LG Nürnberg‑Fürth, Urt. v. 3. 3. 2023 – 19 O 4671/22 und OLG Nürnberg, Urt. v. 26. 4. 2024 – 15 U 736/23; der BGH korrigiert die dort angenommene Aktivlegitimation des Verwalters gegen den Schuldner. Die Entscheidung ist breit veröffentlicht (u. a. NJW 2025, 2551; ZIP 2025, 1814; NZI 2025, 737; WM 2025, 1332; BB 2025, 2064), was die praktische Tragweite unterstreicht. Erste Besprechungen fassen die beiden Leitsätze pointiert zusammen und betonen die erneute Inanspruchnahme des Drittschuldners als Kernfolge. 


Kurzfazit:
Der BGH setzt der „Masseziehung über den Schuldner“ im Eröffnungsverfahren klare Grenzen und stärkt die AdressatensicherheitFalsch geleistet? Dann noch einmal – an den Richtigen. Für Verwalter schärft das die Aufgaben in der Drittschuldnersteuerung, für Schuldner grenzt es die zivilrechtliche Haftung ein, ohne den Gesamtschadensschutz der Gläubiger preiszugeben.

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