Systematisches Kommentar zu § 32f StPO von Dirk Streifler

bei uns veröffentlicht am08.08.2024

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Strafprozeßordnung - StPO | § 32f Form der Gewährung von Akteneinsicht; Verordnungsermächtigung

Kommentar zu § 32f StPO: Akteneinsicht im digitalen Zeitalter

Die Einführung des § 32f StPO mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs ab dem 1. Januar 2018 markiert einen bedeutenden Schritt in der Modernisierung des Strafprozesses. Diese Vorschrift regelt umfassend die Form und den Umfang der Gewährung von Akteneinsicht, wobei insbesondere Absatz 5 besondere Beachtung verdient.

 

§ 32f StPO im Überblick

Absatz 1 und 2: Form der Akteneinsicht

Die ersten beiden Absätze des § 32f StPO definieren die Form, in der Akteneinsicht gewährt werden kann. Absatz 1 erlaubt die elektronische Akteneinsicht, während Absatz 2 die Einsichtnahme in physische Akten regelt. Diese Regelungen sind darauf ausgerichtet, den Zugang zu Akten sowohl in traditioneller als auch in digitaler Form zu ermöglichen und damit den unterschiedlichen Bedürfnissen und technischen Voraussetzungen der Verfahrensbeteiligten gerecht zu werden.

 

Absatz 3 und 4: Technische Voraussetzungen und Schutzmaßnahmen

Absatz 3 stellt sicher, dass technische Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um die Integrität und Vertraulichkeit der elektronischen Akten zu gewährleisten. Absatz 4 ergänzt diese Vorschrift, indem er die Möglichkeit bietet, Zugangsrechte technisch zu begrenzen, um sicherzustellen, dass nur berechtigte Personen Zugriff auf die Akten haben.

 

Der entscheidende Absatz 5: Einschränkungen der Weitergabe und Nutzung

Weitergabeverbot (Satz 1)

Der erste Satz des Absatzes 5 enthält ein ausdrückliches Verbot der öffentlichen Verbreitung oder Weitergabe der Akten oder deren Kopien an Dritte zu verfahrensfremden Zwecken. Dieses Verbot soll sicherstellen, dass die sensiblen Informationen in den Akten nicht missbräuchlich verwendet werden. „Öffentliche Verbreitung“ bedeutet hierbei, dass die Dokumente einem unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden, was insbesondere durch die Bereitstellung im Internet geschehen kann.

 

Verwendungsbeschränkung (Satz 2)

Der zweite Satz beschränkt die Nutzung personenbezogener Daten, die aus den Akten gewonnen wurden, ausschließlich auf den Zweck, für den die Akteneinsicht gewährt wurde. Dies stellt eine datenschutzrechtliche Zweckbindung dar, die verhindert, dass sensible Informationen für andere als die vorgesehenen Zwecke verwendet werden.

 

Hypothetischer Ersatzeingriff (Satz 3)

Der dritte Satz erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Weitergabe oder Nutzung der Daten, wenn diese hypothetisch durch ein anderes Akteneinsichtsrecht ebenfalls gewährt werden dürften. Diese Bestimmung, auch als hypothetischer Ersatzeingriff bekannt, soll sicherstellen, dass formale Hürden den Informationsfluss nicht unnötig blockieren, sofern die Weitergabe oder Nutzung eigentlich gerechtfertigt wäre.

 

Hinweispflicht auf Zweckbindung (Satz 4)

Der vierte Satz verpflichtet die akteneinsichtgewährende Stelle, die Personen auf die Zweckbindung hinzuweisen. Diese Verpflichtung dient der Klarstellung und Bewusstmachung der rechtlichen Grenzen bei der Nutzung der erlangten Informationen.

 

Praktische Bedeutung und Herausforderungen

Für die Praxis bedeutet § 32f Abs. 5 StPO eine klare Leitlinie, wie mit den Informationen aus Strafakten umzugehen ist. Insbesondere Verteidiger müssen sich dieser Regelungen bewusst sein, um keine Verstöße zu begehen. Die Weitergabe von Akten an Mandanten, Mitarbeiter und Berufshelfer ist in der Regel zulässig, solange diese der Verteidigung dienen. Bei der Weitergabe an andere Rechtsanwälte, etwa in Zivilverfahren, muss geprüft werden, ob dies im Einklang mit dem Zweck der Akteneinsicht steht.

 

Fazit

§ 32f StPO und insbesondere sein Absatz 5 bieten ein ausgewogenes Regelwerk, das den Schutz sensibler Daten gewährleistet und gleichzeitig die notwendige Transparenz und Effektivität der Verteidigung im Strafprozess ermöglicht. Die Vorschriften fordern eine sorgfältige Abwägung und eine strikte Einhaltung der festgelegten Grenzen, um rechtliche Konflikte zu vermeiden und eine faire Verfahrensführung zu gewährleisten.

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(1) Einsicht in elektronische Akten wird durch Bereitstellen des Inhalts der Akte zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akte auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die

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Referenzen

(1) Einsicht in elektronische Akten wird durch Bereitstellen des Inhalts der Akte zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akte auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die elektronischen Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der elektronischen Akten wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden.

(2) Einsicht in Akten, die in Papierform vorliegen, wird durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellen des Inhalts der Akten zum Abruf, durch Übermittlung des Inhalts der Akte auf einem sicheren Übermittlungsweg oder durch Bereitstellen einer Aktenkopie zur Mitnahme gewährt werden. Auf besonderen Antrag werden einem Verteidiger oder Rechtsanwalt, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben.

(3) Entscheidungen über die Form der Gewährung von Akteneinsicht nach den Absätzen 1 und 2 sind nicht anfechtbar.

(4) Durch technische und organisatorische Maßnahmen ist zu gewährleisten, dass Dritte im Rahmen der Akteneinsicht keine Kenntnis vom Akteninhalt nehmen können. Der Name der Person, der Akteneinsicht gewährt wird, soll durch technische Maßnahmen in abgerufenen Akten und auf übermittelten elektronischen Dokumenten nach dem Stand der Technik dauerhaft erkennbar gemacht werden.

(5) Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, dürfen Akten, Dokumente, Ausdrucke oder Abschriften, die ihnen nach Absatz 1 oder 2 überlassen worden sind, weder ganz noch teilweise öffentlich verbreiten oder sie Dritten zu verfahrensfremden Zwecken übermitteln oder zugänglich machen. Nach Absatz 1 oder 2 erlangte personenbezogene Daten dürfen sie nur zu dem Zweck verwenden, für den die Akteneinsicht gewährt wurde. Für andere Zwecke dürfen sie diese Daten nur verwenden, wenn dafür Auskunft oder Akteneinsicht gewährt werden dürfte. Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, sind auf die Zweckbindung hinzuweisen.

(6) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Einsicht in elektronische Akten geltenden Standards. Sie kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates auf die zuständigen Bundesministerien übertragen.