Gastronomen erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht: Sperrstunde nach 23 Uhr aufgehoben!

erstmalig veröffentlicht: 21.10.2020, letzte Fassung: 19.10.2022

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Eine Überprüfung der durch den Berliner Senat verhängten Sperrstunde für alle Gaststätten hat die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme ergeben. Das Verwaltungsgericht entschied in zwei Eilverfahren zu Gunsten der Antragssteller. Elf Gastronomen dürfen nun ihre Betriebe auch nach 23 Uhr geöffnet lassen. Das Ausschankverbot von Alkohol wurde nicht angegriffen und besteht weiterhin. In Bezug auf die Daten des Robert-Koch Instituts führt das Gericht aus, dass Übertragungen in Gaststätten - im Vergleich zu anderen Einrichtungen - deutlich geringer vorkämen als anderswo. Erhöhte Fallzahlen können nicht die Maßnahme rechtfertigen.

Dirk Streifler – Rechtsanwälte Berlin - Streifler & Kollegen

Die Berliner Landesregierung hat am 6.Oktober 2020 die Schließung aller gastronomischen Betriebe in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr des Folgetags gem. § 7 Abs. 4 SARS-CoV-2-IfSV angeordnet. Dagegen wehrten sich elf Gastronomen mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht. Und sie hatten Erfolg!

Das Gericht führte zunächst aus, dass die in Form einer Rechtsverordnung erlassene seuchenrechtliche Maßnahme auf § 32 Abs. 1 S. 1 i.V.m § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG beruhe. Dies sei eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage. Sie ermächtigt die Landesregierungen Ge- und Verbote aufzustellen, welche zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beitragen.

Argument „Gaststätten sind potenzielle Orte für Infektionsgeschehen“ nicht haltbar

Das die Sperrstunde befürwortende Argument, Gaststätten seien potenzielle Orte für Infektionsgeschehen sei nutzlos, weil es vorliegend nicht auf die Schließung von gastronomischen Betrieben ankomme.

Entscheidend sei die Frage, warum im Hinblick auf den Infektionsschutz die Schließung gastronomischer Betriebe gerechtfertigt sein solle, so das Verwaltungsgericht. Den Gastwirten und ihren Betrieben wurden bereits etliche Schutz- und Hygienemaßnahmen auferlegt wie ein ausreichender Abstand zwischen den Tischen, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sowie eine Anwesenheitsdokumentation. Warum diese Maßnahmen nicht ausreichend sein sollen, konnte der der Antragsgegner nicht hinreichend begründen.

Infektionsrisiko in Gaststätten vergleichbar gering

Die Richter bezogen sich bei ihrer Argumentation größtenteils auf die Ausführungen des Robert-Koch-Instituts. Dieses konnte beobachten, dass Ansteckungen mit dem Covid-19-Virus sich besonders bei Feiern im Familien- und Freundeskreis, in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäußern und auf Reisen häufen. Die Rechtfertigung der Maßnahme mit einer besseren Kontrollmöglichkeit sei nicht ausreichend. Die Sperrstunde stelle deshalb einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar.

Ausschankverbot von Alkohol nach 23 Uhr nicht angegriffen – besteht weiterhin!

Ein weiteres Argument der Antragsgegner bezog sich auf die Enthemmung aufgrund des Konsums alkoholischer Getränke und ist haltlos, weil die Antragssteller dieses nicht angegriffen haben. Gem. § 7 Abs. 6 SARS-CoV-2-IfSV ist der Verkauf alkoholischer Getränke von 23 Uhr bis 6 Uhr des Folgetags verboten. Dieses Verbot ist weiterhin rechtskräftig.

Der Einwand des Antragsgegners, die Einhaltung der Schutz- und Hygienemaßnahmen sowie des Alkoholausschankverbots könne nicht ausreichend kontrolliert werden gleicht der Unterstellung, die Gastwirte würden pauschal die auferlegten Vorgaben nicht einhalten und ist deshalb ebenfalls haltlos.

Die Richter des Verwaltungsgerichts betonten schließlich, dass die Aufhebung der Sperrstunde zunächst nur für diejenigen Gastronomen gälte, welche in dieser Sache erfolgreich Anträge stellen konnten.

Gemischte Reaktionen in der Politik

In der Politik löst dieser Beschluss unterschiedliche Reaktionen aus.

Die FDP äußert sich in einem Antrag an den Senat und meint, die Sperrstunde stelle einen „erheblichen Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen unserer Stadt dar“. Die Fraktion fordert die Streichung der entsprechenden Absätze in der Infektionsschutzverordnung.

Auch die CDU äußert sich zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Falko Liecke sagt, er befürchte die Menschen würden die aktuelle Lage aufgrund der Entscheidung unterschätzen und es würde ein Nachholeffekt der Partys eintreten.

Wirtschaftssenatorin Romana Pop (Grüne) fordert Gastronomen auf weiterhin verantwortungsvoll zu handeln und auch insbesondere die vorgelegten Hygienekonzepte sehr genau zu beachten.

Klar für die Sperrstunde hat sich Berlins Gesundheitsministerin Dilek Kalayci (SPD) auf einer Online-Plattform (Twitter) ausgesprochen und an die diejenigen Gastwirte gewandt, welche vor Gericht gezogen sind. Sie schreibt:

„An Betreiber von Gaststätten, die mit juristischem Vorgehen gegen die Sperrstunde ab 23 Uhr meinen irgendwas zu gewinnen: Wissen Sie nicht was auf dem Spiel steht? Lockdown mit schweren wirtschaftlichen Folgen! Um dies zu verhindern, tragen auch Sie eine Mitverantwortung!“

Haben Sie noch Fragen zum Thema Corona-Maßnahmen? Dann nehmen Sie Kontakt zu Streifler & Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.

 

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Infektionsschutzgesetz - IfSG | § 28 Schutzmaßnahmen


(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen,

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(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 28a, 28b und 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.

(2) Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung an Masern erkrankt, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliches Zeugnis nachweisen können, die in § 34 Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Verbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist.

(3) Für Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 gilt § 16 Abs. 5 bis 8, für ihre Überwachung außerdem § 16 Abs. 2 entsprechend.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.