Bundesverfassungsgericht: Ablehnungsgesuch der AfD gegen Richter des Zweiten Senats verworfen

originally published: 29/08/2021 17:48, updated: 19/10/2022 17:16
Bundesverfassungsgericht: Ablehnungsgesuch der AfD gegen Richter des Zweiten Senats verworfen
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Ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit ist offensichtlich unzulässig, wenn es vom Antragssteller nicht begründet wird oder sich auf eine vollkommen ungeeignete Begründung stützt. Im vorliegenden Verfahren begründete die AfD die Unvoreingenommenheit sämtlicher Richter:innen des 2. Senats damit, dass sie sich kürzlich auf ein Abendbrot mit der Bundesregierung trafen. Dieses Gesuch erachtete das Bundesverfassungsgericht als offensichtlich unbegründet. Das Treffen und das vorliegende Organstreitverfahren stehe in keinem Zusammenhang zueinander; die zeitliche Nähe sei für eine Ablehnung auch nicht ausreichend. Solche Treffen seien außerdem stets erforderlich für einen institutionalisierten Interorganaustausch. Konkrete Anhaltspunkte für eine Unvoreingenommenheit der Richter:innen aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten seien nicht ersichtlich – Dirk Streifler, Rechtsanwalt, Streifler & Kollegen.

 

Worum ging es?

Mit einem Schriftsatz vom 9. Juli 2021 hatte die Antragssteller vielerlei Mitglieder des Zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt mit der Begründung, dass eine Entsendung des Bundesverfassungsgericht - unter Leitung des Präsidenten und seiner Vizepräsidentin - am 20. Juni 2021 zu einem Treffen mit den Mitgliedern der Bundesregierung nach Berlin gereist sei. Mit Angela Merkel fand dann ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung statt.
 
Ein solches Treffen mit den Antragsgegnern nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung würde schon die Besorgnis der Befangenheit gegen alle am Essen teilnehmenden Richter:innen des Zweiten Senats begründen.

Ablehnungsgesuch der Antragsstellerin wird verworfen

Das Bundesverfassungsgericht erachtete die Ablehnungsgesuche gegen sämtliche Richter:innen, die am Abendessen teilnahmen, für offensichtlich unbegründet.
 
Die Begründung führt uns mal wieder zu der Frage, wann ein Richter des Bundesverfassungsgerichtes im Verfahren überhaupt als „befangen“ anzusehen ist. Dies erfordert gemäß § 19 BVerfGG zunächst eines Grundes, der dazu geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters oder der Richterin zu rechtfertigen. Hierbei genügt schon der „Böse Schein“, d. h. der Richter muss nicht tatsächlich befangen sein. Maßgeblich bleibt, ob aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten bei Würdigung aller Umstände der Anlass dazu besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters oder der Richterin zu zweifeln.
 
Das Bundesverfassungsgericht weist in seinen Erwägungen darauf hin, dass ein Ablehnungsgesuch dann offensichtlich unzulässig ist, wenn es nicht begründet wird oder sich auf eine „gänzlich ungeeignete Begründung“ stützt.

Kein berechtigtes Besorgnis der Unvoreingenommenheit der Richter

Das Bundesverfassungsgericht erachtete die Begründung der Antragsstellerin als offensichtlich ungeeignet, eine mögliche Unvoreingenommenheit der Richter:innen darzulegen.
 
Dies hat das Gericht vor allem mit seiner Stellung begründet: Es ist nämlich nicht nur ein Teil der Judikative und damit der rechtsprechenden Gewalt, sondern vielmehr auch oberstes Verfassungsorgan. Als solches nimmt es an der Ausübung der Staatsgewalt teil, denn es ist in das grundgesetzliche Gewaltenteilungsgefüge eingebunden.
Regelmäßige Treffen des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundesregierung sind wichtig zum Gedanken-und Erfahrungsaustausch. Sie sind außerdem Ausdruck des Interorganrespekts.  Solche Treffen im Rahmen eines „Dialogs der Staatsorgane“ sind unstreitig ungeeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts zu begründen.
 
Dies ändere sich auch nicht aufgrund des Umstandes, dass zum Zeitpunkt des Treffens die vorliegenden Organstreitverfahren gegen die Bundeskanzlerin/Bundesregierung anhängig waren. Schließlich ist das Gericht nicht selten mit Verfahren befasst, welche das Handeln der Bundesregierung oder anderer obersten Verfassungsorgane betreffen. Würde dies allein ein begründetes Ablehnungsgesuch zur Folge haben, dass solche Treffen im Rahmen eines institutionalisierten Interorganaustausches nicht mehr möglich seien.
 
Möglich wäre ein Ablehnungsgesuch mit einem konkretem inhaltlichen Bezug zu begründen, der genügend Grund dazu gibt, an der Unvoreingenommenheit der Richter:innen zu zweifeln. Dem war aber nicht so. Allein die Einladung der Bundeskanzlerin und die kurze zeitliche Nähe geben keinen Anlass dazu, zu denken, das vorliegende Organstreitverfahren stehe überhaupt in einem Verhältnis zu dem Treffen. Wolle die Antragsstellerin dies andeuten, so sei darin eine Mutmaßung ohne sachlichen Hintergrund zu erblicken.
 
Da das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig ist, sind die abgelehnten Richter:innen nicht zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung verpflichtet. Freilich werden sie nicht aus dem Verfahren ausgeschlossen.
 
Haben Sie Fragen zu diesem Thema? Nehmen Sie Kontakt zu Dirk Streifler auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
 
[E.K.]
 
Das Bundesverfassungsgericht hat am 20. Juli 2021 (2 BvE 4/20) folgendes beschlossen:

Den Beschluss lesen Sie in Kürze hier.

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(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

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(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.